BERICHTE

über den

IV. Internationalen HBI-Workshop zur Informationsethik

Veranstaltet in Verbindung mit dem
International Center for Information Ethics (ICIE)
 
 

ETHIK ALS WIRKLICHKEITSKONSTRUKTION

Ansätze zu einer konstruktivistischen Informationsethik

Zusammenfassung der Vorträge
 
 

R. Capurro

 
 
Am 18.-19. November 1999 fand der von Rafael Capurro und Frank Thissen in Zusammenarbeit mit Studierenden und Mitarbeitern der FH Stuttgart (HBI) und mit der finanziellen Unterstützung des Referats für Technik- und Wissenschaftsethik an den Fachhochschulen des Landes Baden-Württemberg organisierte IV. Internationale HBI-Workshop zur Informationsethik statt. An diesem Workshop nahmen etwa dreißig Personen teil, darunter Studierende und Lehrende aus der HBI, Studierende aus der Universität Stuttgart und der Universität Mailand sowie ein Kollege aus der FH Esslingen. Zum Abspielen der Videoaufnahmen, die jeweils etwa 45 Minuten dauern, benötigen Sie den Real-Player ab Version 5.0

Der Workshop wurde vom Rektor der HBI, Herrn Professor Dr. Peter Vodosek, eröffnet. Er wies in seiner Rede auf die Tradition der öffentlichen Ethik-Veranstaltungen an der HBI hin, die weiter zurückreicht als die Zählung der als solche vier gekennzeichneten Internationalen HBI-Workshops zur Informationsethik. Ferner bezog er sich auf die ethische Problematik der unterschiedlichen Medien bei der Wissensvermittlung, die in der abendländischen Tradition bis auf Platons Dialog "Phaidros" zurückreicht.

Videoaufnahme

An Antike und Renaissance anknüpfend, widmete sich Rafael Capurro in seinem einleitenden Beitrag "Ethik im Bilde" Raffaels Fresko "Die Schule von Athen". Er schlug vor, im Anschluß an eine Einsicht von Wilhelm Kelber, die von Raffael konstruierte Zusammenkunft von Personen aus verschiedenen Epochen und aus unterschiedlichen geistigen Richtungen als "Geister-Zitierung" zu interpretieren. Dabei ist der scheinbar objektive, sich gegenüber dem Bild befindende Betrachter in Wahrheit derjenige, der zum Mitreden eingeladen wird. Die Frage 'Who is Who' in der "Schule von Athen" bleibt vordergründig, solange wir nicht wahrnehmen, dass viele Figuren nicht einzeln identifizierbare historische Personen, sondern Kategorien von Personen und Aktivitäten darstellen, wie Glenn Most gezeigt hat. Anhand der linken und rechten Personengruppen, die sich jeweils um Pythagoras und um Ptolomeios versammeln, zeigte Capurro einen informationsethischen Kontrast zwischen dem Modell der erfolgreichen Wissensmitteilung und dem der Wissensverbergung. Ethisch entscheidend ist aber, dass die Ebene des Bildes und des scheinbar unbeteiligten Betrachters durch den Dialog durchbrochen wird. Die Einladung dazu geht ganz besonders aus jenen Personen hervor, die ihn 'aus' diesem Bild anblicken. Zu diesem Schritt lud Capurro die Teilnehmer des Workshops ein. 'Ethik im Bilde' bedeutet dann nicht nur ethische Positionen zu versinnbildlichen, sondern, dem Beispiel des Sokrates im "Protagoras" folgend, den anderen ansprechen, ihm zuzuhören und das Besprochene selbst prüfen.

Videoaufnahme

In seinem an Theorie und Praxis anknüpfenden Vortrag "Zu neueren Ansätzen in Medienphilosohie und Medienethik - Vom Unbehagen eines aufgeklärten Medienpraktikers" stellte Wolfgang Wunden (Südwestrundfunk, Stuttgart) die Spannung zwischen Realitätserzeugung und Realitätsbezug in den Massenmedien dar. Ohne Realitätsbezug ist, so Wunden, eine demokratische Gesellschaft nicht möglich. Was wir aber als Leitfaden und Ziel eines wünschenswerten Zusammenlebens anstreben, steht nicht von Anfang an fest. In der Praxis der Massenmedien herrschte über längere Zeiträume ein Praktizismus, der aber heute durch die Wiedereinführung der philosophischen Diskussion durchbrochen wird. Die Ansätze von Konstruktivismus und Systemtheorie lassen sich schwer in die Praxis umsetzen, und sie sind auch theoretisch nicht leicht zu durchschauen. Wunden schlug folgende Charakterisierung vor: Beim Konstruktivismus verschwindet die Realität und es bleibt das konstruierende Subjekt übrig. Als Realitätsersatz tritt die Verantwortungsethik ein. Bei der Systemtheorie verschwindet das Subjekt und es bleibt das System übrig. Er bescheinigte beiden Ansätzen einen unterschiedlichen positiven Beitrag gegenüber klassischen ethischen Ansätzen, bei denen vorwiegend Personen und nicht so sehr Strukturen sowie eine verdogmatisierte Vorstellung von dem, was als Wirklichkeit zu gelten hat, im Vordergrund stehen. So gesehen dienen Konstruktivismus und Systemtheorie als Korrektive und ermöglichen ein freieres Leben.

Vidoeaufnahme

Der Philosoph und Verzauberer Klaus-Peter Pfeiffer (Bonn) widmete sich zunächst in seinem Beitrag "Illusion, Wahrnehmung und Wahrheit" der Frage nach der negativen und positiven Einschätzung von Illusion. Er schloß sich anschließend an die Einsicht Arnold Gehlens bezüglich der Entlastungsfunktion von Institutionen und Medien an. Erfahrung ist, so Pfeiffer, Auswahl. Es bedeutet Verdichtung und Verzicht. Zugleich gilt es, die unbestimmte Offenheit, der wir als Menschen ausgesetzt sind, zu wahren, denn sie ermöglicht uns nicht nur die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, sondern auch die Wahl zwischen verschiedenen Entwürfen. Pfeiffer hob die Bedeutung von Entscheidungen hervor, durch die wir uns einem anderen Medium hinwenden. Die Option, ein System oder Medium als Ganzes zumindest zeitweise zu verlassen, sollten wir stets in Betracht ziehen und dafür die besagte Offenheit nicht aus dem Blick verlieren. Schließlich zeigte Pfeiffer die Bedeutung von Wirklichkeitsentwürfen im Sinne von Auswahl und Selektion für seine Tätigkeit als Magier. Dies wurde durch eine eindrucksvolle 'magische' Vorstellung am Abend empirisch bekräftigt.

Videoaufnahme

Die Informatikerin Christiane Floyd (Universität Hamburg) stellte in ihrem Vortrag "Verantwortung in konstruierten Welten?" die Einsichten des dialogischen Konstruktivismus in Anschluß an Heinz von Förster dar. Sie zeigte zunächst in einem historischen Überblick die Entstehung dieses Denkansatzes, den sie scharf von einem solipsistischen Konstruktivismus abhob. Ausgehend vom Positivismus und dem Denken in Kategorien von 'Problemen' und 'Lösungen' zeigte sie den Einfluß dieser Richtungen auf die Informatik auch in einer Zeit als die Naturwissenschaften längst die Beobachterabhängigkeit entdeckt hatten. Ein Problem zu verstehen, heißt gemeinsam eine Konstruktion erfinden, die dem Nutzer die Möglichkeit einer eigenen Wahl ('choices') ermöglicht. Von hier aus kritisierte Floyd jene Programme, die dies einschränken oder sogar verdecken und somit dem Benutzer entmündigen. Sie deutete so den Imperativ Heinz von Försters: "Handle so, daß die Anzahl der Wahlmöglichkeiten zunimmt" ('increase the number of choices'). Es handelt sich um einen positiven Imperativ, im Gegensatz zu dem üblichen moralischen 'Du sollst nicht...' Ferner zeigte sie, dass wenn wir vor unentscheidbaren Fragen stehen, wie etwa wenn wir nach einem Beweis der Existenz des Anderen verlangen (Solipsismus), zugleich die Möglichkeit haben, den Anderen anzunehmen, wodurch dann, jenseits von Egoismus und Altruismus, die Beziehung selbst im Mittelpunkt steht: "reality equals community" (Heinz von Förster). Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf den dialogischen Ansatz Martin Bubers. Was bedeutet all dies für die Praxis? Sie beantwortete diese Frage anhand von vielen Beispielen aus der Softwareentwicklung in Organisationen. Ein System zu konstruieren bedeutet sich zu fragen: Was für Möglichkeiten werden die Leute haben, die dieses System benutzen? Diese Frage ist leitend für ihren Ansatz der partizipativen Systementwicklung. Konstruktivistische Informationsethik bedeutet Mitgestalten von sozialen Welten, in dem Bewußtsein, dass jede Konstruktion bestimmte Möglichkeiten begünstigt, so dass die Aufgaben des 'enhancing' , 'fittings' und 'working around' stets risikoreich bleiben.

Videoaufnahme

Der zweite Tag des Workshops wurde durch den Vortrag von Petra Grimm (FH für Druck und Medien, Stuttgart) "Moral und die Konstruktion von Authentizität in audiovisuellen Medien" eröffnet. Sie zeigte anhand von vielen Beispielen, wie Moral und insbesondere Authentizität in vielen Formaten meistens in dogmatischer Form vermittelt werden. Gutes und schlechtes Handeln wird anhand von Personen und Geschichten dargestellt, die in TV-Movies, 'daily soaps', Talkshows und Boulevard Magazinen in dieser Reihenfolge jeweils einen höheren Grad des "realistischen Effekts" (R. Barthes) anstreben. Die Darstellung von moralischen Normen ist vorwiegend affektorientiert. Der Moral liegt meistens eine bipolare Struktur zugrunde, nämlich die zwischen materiellen und ethischen Werten. Das zeigte sie am Beispiel der Filme "Titanic", "Schindlers Liste" und "Truman Show". Moralische Werte stehen hier auch in einer Spannung zwischen einem privaten ("Titanic") und einem gesellschaftlichen Kontext ("Truman Show"). Ferner zeigte sie anhand der 'daily talkshow' "Sonja" wie die Moderatorin und das Publikum die Rolle des moralischen Richters übernehmen. Sie fragte schließlich nach dem Grund für diese Art von Formaten und vermutete, dass eine komplexe Realität, in der unterschiedliche Lebensstile möglich sind, zugleich den Bedarf nach einer Reduktion von Komplexität und damit auch die Nachfrage nach einer Entscheidung der Frage nach dem Guten/Bösen entstehen läßt. Grimms Vortrag war eine beeindruckende metaethische Reflexion, die aber zugleich die Frage nach der Rolle von Ethik und Moral in der Mediengesellschaft verschärfte und die Grenzen von Massenmedien in bezug auf die Vermittlung und Ausübung eines kritischen Diskurses zeigte. So gesehen, wirkt die Vorstellung eines Formats für kritische Diskurse in Massenmedien wie eine contradictio in adjecto. Das zeigte vor allem die sich anschließende Diskussion, in der die Rolle der Ausbildungsinstitutionen bei der Vermittlung ethischen Denkens hervorgehoben wurde.

Videoaufnahme

Die Tagung endete mit einem Spiel. Frank Thissen stellte den Teilnehmern die Aufgabe, zu reflektieren, in welchem Zusammenhang sie in der letzten Zeit das Wort "Wahrheit" bzw. "wahr" benutzt hätten und wie sie diese Situation empfunden hätten. In einem zweiten Schritt sollten sie dann einer anderen Person aus dem Plenum diese spezifische Situation beschreiben. Schließlich wurden die Teilnehmer dazu eingeladen, den Satz "Wahrbeit bedeutet..." mit kurzen 'statements' vor der Gruppe zu ergänzen. Diese gemeinsam konstruierte "Vorlesung" zeigte eine Fülle von unterschiedlichen Wahrnehmungen und dem Umgang mit dem Begriff der Wahrheit. Sie schloß den Kreis der Tagungsbeiträge und entließ die Teilnehmer in ihren Alltag mit der impliziten Aufforderung, die Auseinandersetzung mit Wirklichkeits- und Wahrheitskonstruktionen fortzusetzen.

Videoaufnahme
 
 
Letzte Änderung: 22. November 1999
capurro@hbi-stuttgart.de
 



 
 
 

Ethik als Wirklichkeitskonstruktion

Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge

Christiane Eulig

FH Stuttgart (HBI)
 
Die hier aufgeführten Gedanken sind die Diskussionsergebnisse des Workshops, sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen lediglich Anregung zum Weiterdenken liefern. Auch mögen es die Diskussionsteilnehmer nachsehen, dass größtenteils darauf verzichtet wurde, sie einzeln namentlich zu nennen....
"La peste de l`homme c`est l`opinion de savoir"(Michel de Montaigne)
 
Positive Aspekte des Konstruktivismus:
  • Der Konstruktivismus geht mehr auf Strukturen und Systemfragen ein als es die bisherige Ethik getan hat. Er versucht dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren Rechnung zu tragen, denn gerade in unserer heutigen Gesellschaft werden Zusammenhänge viel zu wenig reflektiert. So wird die Berichterstattung der Massenmedien, die wie das Wort schon sagt vor allem eine große Anzahl von Menschen ansprechen soll, häufig von ökonomischen oder politischen Interessen geleitet, und es ist für den einzelnen schwer nachvollziehbar welche Hintergründe bei der Entstehung eines Berichts vorhanden waren. Gerade aber diese Hintergründe sollen näher beleuchtet werden
  • Durch den Konstruktivismus kann das Leben freier und offener werden; wir können durch das Erkennen neuer Wirklichkeiten, unseren eigenen Horizont ständig erweitern. Hierzu noch ein Zitat von Ernst von Glasersfeld: "Wer meint, an den Grenzen seiner Bewegungsfreiheit die ontische Wirklichkeit zu erkennen, ist ebenso irregeführt wie ein Autofahrer, der die Stelle, wo ihm das Benzin ausgeht, für das Ende der Straße hält."
  • Vor- Urteile müssen überprüft werden, wir müssen wissen, was hinter unseren Urteilen steckt, weil wir unserer eigenen Begrenztheit als einzige unveränderliche Wahrheit erkannt haben. Das ganze führt zu einer revisionistischen Haltung gegenüber dem Vorgegebenen, einem ständigen In- Frage- Stellen der Dinge.
  • Der K. bietet die Möglichkeit, sich der eigenen Perspektivität zumindest ein stückweit bewusst zu werden. Gerade in unserer Gesellschaft in der Fehler nur schwer verziehen werden, könnte dies zu einer Akzeptanz unserer eigenen vermeidlichen Mängel beitragen. Denn auch Fehler sind Konstruktionen, die sich unter Umständen durch eine neue Sichtweise sogar als hilfreich und sinnvoll erweisen können.
  • "Dialogischer Positivismus", d. h. der Konstruktivismus soll zu einem Dialog mit dem Gegenüber aufrufen, und nicht wie oft kritisiert wird zu einem ungesunden Individualismus führen, indem sich jeder einzelne in seiner Weltkonstruktion verschanzt. Es geht darum, sich mit der empirischen Welt des anderen auseinanderzusetzen und sich mitzuteilen. So entwickelt sich auch das Ge-wissen durch das Wissen um die Gedanken und Gefühle des Gegenübers (vrgl. Heinz von Foerster)
Geschichtliche Hintergründe:
  • Der Konstruktivismus ist ein Produkt der Neuzeit und geht mit den neuen Entdeckungen der Naturwissenschaften(vor allem der Biologie/Hirnforschung) einher. Außerdem stellte der Zerfall der sozialistischen Ideen ( Stichwort: Wende) alte Systeme in Frage.Die daraus resultierende Suche nach Orientierung hat in der Geschichte des öfteren stattgefunden, denn jedes philosophische oder religiöse Ideengebäude ist früher oder später aufgrund neuer Entwicklungen zusammengebrochen. Doch das moderne Leben, das uns tagtäglich unterschiedlichste Informationen durch neue Technologien anbietet, erlaubt keine einheitliche Sicht der Dinge mehr. Es findet gezwungenermaßen eine subjektive Auswahl statt, und zwar innerhalb eines quantitav noch nie dagewesenen Angebots.
  • Die Erfindung von Flugzeugen und anderen Fortbewegungsmitteln erlaubt eine in der Geschichte bisher unbekannte Mobilität von Menschen, die immer öfter an verschiedenen Orten der Welt arbeiten oder in Urlaub fahren. Dies führt zu ständig neuen Wirklichkeitsentwürfen, da Annahmen, die in einem Land als wahr galten, woanders verworfen werden müssen. So verliert man immer öfter den Boden unter den Füßen.
Konstrukivismus als Verwandter des Existenzialismus:
  • "Handle so, daß weitere Möglichkeiten entstehen". Diese Maxime führt dazu, daß die Welt ständig neu entworfen werden muß. Frau Floyd erwähnt hier die Verbindung des Konstruktivismus mit dem Existentialismus.. Camus sagt: "Das Herz in mir, das kann ich empfinden und urteilen, daß es ist. Die Welt kann ich berühren und urteilen, daß sie ist. Da muß meine Wissenschaft halt machen, und der Rest ist Konstruktion" Im Konstruktivismus wie auch im Existentialismus ist der Mensch in die Welt geworfen und muß unter der Bürde der Verantwortung, die Notwendigkeit zur Menschwerdung ist, Entscheidungen treffen.
 
Probleme des Konstruktivismus:
  • Das Problem besteht eben nur darin, daß wir mit der Anzahl der Möglichkeiten, die uns angeboten werden, überfordert sind. Wir sind umgeben von Informationen, die uns von einer Welt geliefert werden, an der wir nicht direkt teilhaben. Arnold Gelen nennt im Zusammenhang des Medienzeitalters auch den Ausdruck von "Informationen aus zweiter Hand". Bücher, Fernsehen, Internet, Zeitungen und Radio bieten eine noch nie vorher da gewesene Fülle von "Informationen aus zweiter Hand", die einhergehen mit einem großen Entscheidungsdruck, der auf dem einzelnen lastet. Der Mensch sucht ja nach Vereinfachung, nach Regeln, die ihm die Qual der Wahl abnehmen und ihn vom Denken entlasten. Eine komplexe Welt erfordert also einfache Strukturen, die der K. nicht anbieten kann.
  • Jedes Medium als ein konstruierendes zu entlarven, fördert die Handlungsfähigkeit nicht unbedingt...
  • Konfrontation mit konstrukivistischen Gedankengut macht dem Menschen Angst, es muss behutsam vorgegangen werden, denn die Suche nach Wahrheiten muss nicht unbedingt dazu führen, dass das gefunden wird, was gewünscht wird.
Unter Umständen müssen Modelle der Wirklichkeit verworfen werden, die viel Bequemlichkeit und Sicherheit gewährt haben.
  • Man handelt immer in der Unsicherheit und in der Gefahr des Scheiterns.
  • Ein weiteres Problem beim Konstrukivismus ist, dass man ab dem Zeitpunkt, wo man sich selbst als konstruierendes Wesen erkennt, eigentlich niemanden mehr wirklich von seinen ethischen Einstellungen überzeugen kann, da man ja von der Subjektivität seiner Wahrnehmung weiß. Oder soll am Ende der Ausspruch Nietzsches "Es gibt keinen Horizont mehr, wir tanzen alle am Abgrund", sich bewahrheiten....
Fakt ist allerdings:
  • Es gibt kein Zurück zum naiven Realismus, wir sind den Schritt aus der Höhle gegangen (vrgl. Platons Höhlengleichnis) und haben neue Erkenntnisse erlangt, die wir nicht mehr leugnen können.
  • "Das Soll folgt dem Sein". Und so stellt sich lediglich die Frage wie das neue Wissen eingesetzt werden kann, um die jetzige Situation des Menschen zu verbessern.(Ob dazu direkte Handlungsanweisungen notwendig sind bleibt fraglich. Vielleicht ist es ja auch in einer Zeit der materiellen Sättigung wichtig, dass jeder einzelne für seine geistige Entwicklung selbst sorgt, dass Verantwortung nicht mehr länger abgeschoben wird und es eben keine einzige Religion/Philosophie/Diktatur mehr gibt, die absolute Wahrheiten vorschreibt. Denn das erste mal haben zumindest in den Industrieländern so viele Menschen Möglichkeiten(Zugang zu Wissen und Zeit) sich eigene Gedanken zu machen. Vielleicht muss der Mensch lernen mit dieser Unsicherheit in Bezug auf den Entwurf seiner Welt zu leben... und nicht ständig nach Entlastung rufen, die vielleicht nur ein Wunsch ist, selbst nicht denken zu müssen.)
 
Konstruktivismus in der konkreten Praxis bei der Produktentwicklung:
  • Die Weltanschauung ist auch im Fach verankert. So erklärt Frau Floyd, daß der Entwurf eines Softwareprodukts auch eine Konstruktion des Herstellers ist, daß es aber darauf ankommt, daß man versucht sich aus dieser Subjektivität so weit wie möglich zu befreien. Man muß sich also selbst fragen: "Mit welchem gedanklichen Horizont gehe ich an die Arbeit heran" "Wie kann ich den mir gegebenen Spielraum erweitern?" Jedes System befürwortet und hindert Möglichkeiten. Doch sollte bei der konkreten Umsetzung eines Softwarepakets der Spielraum nicht zu eng gestaltet werden, wie dies zum Beispiel beim Textverarbeitungsprogramm Word der Fall ist. Das Angebot eines nicht zu komplex gestalteten Toolmenüs würde dem Nutzer stärker erlauben zum eigenen Konstrukteur seiner Software zu werden.
Konstruktion in den Massenmedien:
  • Frau Grimm wies darauf hin, daß die Konstruktionen von Massenmedien nur ganz enge Orientierungsmöglichkeiten geben. Es scheint also so, als ob sie auf dem Bedürfnis der Menschen nach Einfachheit entgegenkommen würden.
  • Jedes Medium führt unweigerlich zu einer Verzerrung der Realität, so ästhetisieren Photos und Fernsehen dramaturgisiert.
  • Ein Medium kann nicht über sich selbst reflektieren.
  • Die Gesellschaft lebt materielle Wert und moralisiert in Medien. Der Alltag ist aber eine andere Wirklichkeit, in dem einfache Kategorien von Gut und Böse, wie sie uns soap operas anbieten, nicht genügen
  • Das Problem der Medienwelt ist, daß sie eine Märchenwelt darstellt, die wir aber nicht mehr als solche erkennen. Kinder identifizieren sich mit Märchen, und wir tun dies heute (teilweise zumindest) als Erwachsene, indem wir relativ kritiklos und unreflektiert mit dem umgehen, was uns die Massenmedien tagtäglich vorsetzen. Sie liefern auch angenehme Ersatzwirklichkeiten (z. B. soaps ) in einer zunehmend vereinsamenden westlichen Welt.