Was ist und wie entsteht Informationsarmut und Informationsreichtum?

von Dr. Klaus Wiegerling


Informationsarmut als relative Größe

1. Informationsarmut hat nur bedingt etwas mit der Verfügbarkeit von modernen Informationsmedien zu tun. Es gibt Bereiche, in denen diese Verfügbarkeit zwangsläufig über Informationsarmut- und reichtum entscheidet, und solche, in denen diese Verfügbarkeit von marginaler Bedeutung ist.

2. Naive Kulturen verfügen in Bezug auf Alltagsverrichtungen häufig über ein außergewöhnlich hohes Maß an Informationen, die allerdings nonverbal weitergegeben werden, oder, sofern verbal vermittelt, in den großen europäischen Sprachen nur ungenau oder falsch wiedergegeben werden können und deshalb für eine Speicherung und Transferierung in "universal" eingerichteten Medien ungeeignet sind.

3. Informationsreichtum hat nichts mit der Masse an zur Verfügung stehenden Informationen, noch etwas mit der zunehmenden Akkumulierung von Informationen zu tun, sondern mit der Fähigkeit Informationsmassen zu handhaben, das heißt sie zu selektieren, zu verdichten und konkret anwenden zu können. Informationsarmut ist insofern unabhängig davon, wieviele Informationen dem einzelnen potentiell zur Verfügung stehen.

4. Es ist absurd zu glauben, man hebe den informellen Status einer Gesellschaft durch flächendeckenden Internetanschluß. Auch die technische Beherrschung eines Informationssystems macht keinerlei Aussage über die tatsächliche Informiertheit des Nutzers: Die wenigsten modernen Informationssysteme sind dazu eingerichtet den informellen Status seiner potentiellen Nutzer zu steigern, was natürlich nicht heißt, daß sie nicht einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des informellen Status leisten können; vielmehr geht es darum Unterhaltungsangebote zu machen, zumal erst die Nutzung der Medien als Zerstreuungsapparaturen größeren ökonomischen Nutzen verspricht.

5. Wir müssen streng unterscheiden zwischen dem wissenschaftlich-technischen und berufsspezifischen Gebrauch von modernen Informationssystemen und dem Privatgebrauch.

6. Informationsarm heißt nicht unbedingt arm und informationsreich nicht unbedingt reich. Reichtum schafft wesentlich erst die Kontrolle und Zurückhaltung von Information. Reichtum resultiert aus einem eng begrenzten, stark differenzierten und hierarchisierten Feld von Informationen, das nach außen geschützt ist. Die Zugänge zu diesem Feld sind nur für einen privilegierten Personenkreis geöffnet. Informationsarmut, die mit ökonomischer Armut einhergeht, resultiert wesentlich aus der Unfähigkeit einen Zugang zu einem solchen Feld zu finden und die Informationen praktisch anwenden zu können.

7. Erst die Beschränkung des Informationsflusses macht Information zu einem Wirtschaftsgut. Es ist auch unabhängig von ökonomischen überlegungen zu fragen, ob erst diese Beschränkung den Wert der Informationen steigert.

8. Ein hierarchisiertes und ausdifferenziertes Feld von Informationen ist mit einem Sprachspiel zu vergleichen. Informationsreichtum entsteht in vielen Bereichen weniger aus der potentiellen Verfügbarkeit von Informationsmassen, als vielmehr aus der Fähigkeit verschiedene Sprachspiele miteinander verknüpfen zu können.

9. Ob ökonomische Armut und ökonomischer Reichtum zwangsläufig mit Informationsarmut bzw.-reichtum einhergehen ist zumindest ab einem bestimmten Standard der Verfügbarkeit nicht eindeutig zu klären. Reichtum erwächst wesentlich auch aus der Fähigkeit komplexe Sachverhalte zu reduzieren und so handhabbar zu machen bzw. aus der Fähigkeit sich auf wesentliche Informationsbestände zu beschränken.

10. Nicht der Zugang zu Massen von Informationen ist entscheidend für den Informationsreichtum einer Gesellschaft, sondern das zur Verfügung stehende Vermittlungspotential, das nur zum Teil ein technisches ist.

11. Informationsarmut und Informationsreichtum sind immer nur relativ auf den ökonomischen und sozialen Zustand einer Gesellschaft beziehbare Größen.

 



Letzes update: Juni 1999


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