EINLEITUNG
Bisher
hat die
philosophische Reflexion vorwiegend
erkenntnistheoretische (Daiser
1984; Dreyfus 1986; Winograd/Flores 1986)
und ethische Fragen
(Weizenbaum 1977) der Künstlichen
Intelligenz (KI) thematisiert.
Wenn hier von der KI als einem ästhetischen
Phänomen die Rede
ist, dann nicht um etwa das innere oder
äußere Design der
KI-Systeme (Roboter, Expertensysteme u.
dgl.) unter ästhetischen
Gesichtspunkten zu betrachten oder um über
die Möglichkeit
diese Systeme zu Kunstzwecken ("computer
art", "art-ware") zu
gebrauchen, nachzudenken. Es geht vielmehr
um die Möglichkeit
einer kritischen Reflexion zu einer Ästhetik
der Technik, am
Beispiel der KI. Diese Reflexion knüpft an
eine in Kants Schriften – insbesondere in der "Kritik
der Urteilskraft"
(KdU)
sowie in
der "Anthropologie" – zwar angedeutete aber nicht
eigens
thematisierte Technikphilosophie an, und
entfaltet eine Ästhetik
der Technik als Gegenstück gewissermaßen zu
dem, was Kant in
der KdU "Technik der Natur" nennt. Es ist hier
nicht beabsichtigt die
Frage nach der Technik bei Kant ausführlich zu
behandeln.
1.
"Technik der Natur" und Ästhetik der Technik
In
der KdU
unternimmt Kant eine Kritik der ästhetischen
Urteilskraft in
Ansehung der Natur. Dabei wird die
Zweckmäßigkeit der Natur
so vorgestellt, "als ob ein Verstand den
Grund der Einheit des
Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze
enthalte" (KdU B XXVIII). Da
aber, in Wahrheit, der Begriff von der
"praktischen
Zweckmäßgkeit" "der menschlichen Kunst
oder auch der
Sitten" (a.a.O.) angehört, geht es bei
dieser Analogie um eine
Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft,
wodurch also die
Zweckmäßigkeit der Natur "technisch, d.i.
gleichsam
künstlich" (KdU, Einl. 1. Fass.) vorgestellt
wird. Mit anderen
Worten, während im Falle der "menschlichen
Kunstwerke" eine
absichtlich wirkende Ursache als bestimmend
zugrunde gelegt wird, wird
eine solche Ursache im Falle der Natur (bloß
zum Behuf der
Reflexion" angenommen. Demnach unterscheidet
Kant (KdU § 43)
zwischen Kunst/Natur, Kunst/Theorie und
Kunst/Handwerk:
1. Kunst als Hervorbringung durch Freiheit,
"d.h. durch eine
Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum
Grunde legt", das
"facere", dessen Produkt ein "opus" ist, im
Gegensatz zu Natur, die nur
analogisch zur Kunst als ein "agere"
verstanden werden kann, dessen
"effectus" einem "Schöpfer" zugeschrieben
werden können.
2. Kunst als "Geschicklichkeit des Menschen"
im Sinne eines
"praktischen Vermögens", im Gegensatz zu
Wissenschaft als ein
"theoretisches Vermögen". Dem entspricht der
Gegensatz
"Können/Wissen" bzw. "Technik/Theorie".
3. Kunst als "Spiel" oder "Beschäftigung,
die für sich selbst
angenehm ist" gegenüber "Handwerk" (oder
"Lohnkunst"), das "nur
durch Wirkung (z.B. den Lohn) anlockend ist,
mithin
zwangsmäßig auferlegt werden kann." (Spiel
vs. Arbeit)
Kant bemerkt in diesem Zusammenhang, daß den
"freien
Künsten" trotzdem etwas "Zwangsmäßiges", ein
"Mechanismus",
anhaftet, das für die freie Entfaltung des
Geistes in der "artes
liberales" unentbehrlich ist "ohne welchen
der Geist, der in der Kunst frei
sein muß und allein da
Werk belebt, gar keinen Körper haben und
gänzlich verdunsten
würde." (KdU, B 176)
Wenn
wir hier
über die "artes
mechanicae" bzw. über die Technik
reflektieren, dann in
umgekehrter Absicht, d.h. wir fragen, inwiefern
die Technik, und insbesondere die
KI-Technik, unter dem Gesichtspunkt
des (Selsbt-)Zweckmäßigkeitsbegriffs der
"artes liberales"
vorgestellt werden kann.
Es
geht also um
eine Kritik der ästhetischen Urteilskraft in
Ansehung der Technik.
So wie im Falle der Natur ist auch eine
"teleologische" Betrachtung der
Technik möglich. Demnach umfaßt eine
Kritik der
Urteilskraft
in Ansehung der Technik folgende in Anlehnung an
Kant gekennzeichnete
Teile:
1.
Kritik des
Geschmacks in Ansehung der Technik
2. Kritik des Geistessgefühls in Ansehung der
Technik
2. Kritik der Teleologie in Ansehung der
Technik.
Es geht dabei, um es ausdrücklich zu sagen, um
die moderne
Technik, d.h. nicht
bloß um die Technik als ein handwerkliches
Instrument (wie noch
bei Kant), sondern, um mit Ortega y Gasset zu
sprechen, um die "Technik
des Technikers" (Ortega y Gasset 1949), also
um die Technik als "eine
Quelle prinzipiell unbegrenzter menschlicher
Tätigkeiten" (a.a.O,
S. 104). Diese Problematik soll am Beispiel
der KI erörtert werden.
2. VON DER KI ALS
EINEM ÄSTHETISCHEN
PHÄNOMEN
Während
die
moderne Technik und insbesondere die KI den Menschen
und die
Realität "sub specie machinae" (Baruzzi 1973) oder,
genauer, "sub
specie computationis" zu sehen trachtet, geht es
hier
gewissermaßen um eine Umkehrung der Problematik: Die
moderne
Technik und deren zweckgerichtete "reproduktive"
Arbeit nach Regeln
oder nach "Programmen" soll im Hinblick auf das
"produktive" oder
"freie" Spiel der schöpferischen Einbildungskraft
(vgl.
Anthropologie B 69) gedeutet werden. Das schöne
Kunstwerk ist
nicht das Ergebnis von präzisen Regeln des
Verstandes, die
Gegenstand eines objektiven Erkenntnisurteils sind,
sondern entspringt
einer "Regel" aus dem Bereich des Intelligiblen
("die unbestimmte Idee
des Übersinnlichen in uns" KdU B 238). Insofern ist
ein
ästhetisches Urteil über die Technik ein Produkt der
Reflexion, sowohl in bezug auf das "Schöne" als auch
auf das
"Erhabene".
a)
Zur Kritik des
Geschmacks in Ansehung der KI-Technik
Geschmacksurteile
sind, nach Kant, keine Erkenntnisurteile, sondern
sie gründen im
Gefühl der Lust oder Unlust des Subjekts, sie sind
also
„ästhetisch". Kant unterscheidet zwischen
Wohlgefallen
- am Angenehmen, welches "mit Interesse" verbunden
ist,
- am "Schönen" ("ohne alles Interesse") und
- am "Guten" ("was für sich selbst gefällt").
Vom Letzten unterscheidet sich das "Nützliche", "was
nur als
Mittel gefällt" (KdU § 3-4).
So wie die Kunst des "Genies" Anteil an der
Regelhaftigkeit der "artes
mechanicae" hat, so gründet der Ursprung der Kunst
des Ingenieurs
in der "schönen" Tätigkeit der freien Erfindung von
Regeln.
In kritischer Absicht bedeutet dies, daß keine
ideale Technik
erreichbar ist, sowenig wie es ein konkretes
(natürliches oder
künstliches) "Ideal des Schönen", eines "schönen
Wohnhauses" oder "Baumes", wie Kant bemerkt (KdU B
56) vorstellbar ist.
Warum? Weil "nur das, was den Zweck seiner Existenz
in sich selbst hat,
der Mensch,
der sich
durch
Vernunft seine Zwecke selbst bestimmen kann" "eines
Ideals der Schönheit,
so wie die
Menschheit in seiner Person, als Intelligenz (meine
Hervorhebung, RC), des Ideals der Vollkommenheit,
unter allen
Gegenständen in der Welt
allein fähig" ist (KdU B 56). Das heißt also, daß
ein
ästhetisches Urteil über KI eine analogische Aussage
ist, in
der das primum
analogatum die
menschliche Gestalt in ihrem freien oder sittlichen
Inhalt, der Mensch
als unkodiertes Wesen
sozusagen, ist.
Die Geschichte der
Automaten von der Antike bis zur Neuzeit zeigt
(Swoboda 1967),
daß diese nicht nur unter dem Gesichtspunkt des
Nützlichen,
sondern auch des Angenehmen und Schönen geschaffen
wurden. In den
künstlerischen Visionen Hofstadters (Hofstadter
1985, 1986) kommt
dieser ästhetische Aspekt zum Ausdruck, wenngleich
die Grenzen der
Analogie teilweise unkritisch verwischt sind.
Besonders in der Antike
waren die Automaten Kunstprodukte, die "die
Bewegungen und andere
Funktionen von Lebewesen nachahmten zur Erregung von
mythologischem
oder spielerischem Staunen" (Schnelle 1974).
b)
Zur Kritik des
Geistesgefühls in Ansehung der KI-Technik
Das,
was die Idee
des Erhabenen in Ansehung der Natur am meisten
erregt, schreibt Kant,
ist diese "in ihrem Chaos oder in ihrer wildesten
regellosesten
Unordnung und Verwüstung, wenn sich nur Größe und
Macht
blicken läßt" (KdU B 78). Dadurch läßt das
Gefühl des Erhabenen "eine von der Natur ganz
unabhängige
Zweckmäßigkeit in uns selbst fühlbar machen"
(a.a.O.).
In bezug auf die
moderne Technik, und insbesondere in bezug auf die
KI-Technik, ist ohne
weiteres ersichtlich, daß diese nicht bloß ein
Instrument
sondern, vor allem in ihrer gegenwärtigen Gestalt,
eine Macht
geworden ist, die sowohl in ihrer Gesamtheit als
auch in vielen ihrer
Einzelerscheinungen nicht
weniger furchterregend als die Natur selbst ist. Wir
haben in Ansehung
ihres Wachstums und ihrer katastrophalen Nebenwirkungen ebenfalls
mit einer
wilden regellosen Unordnung und
Verwüstung zu tun. Allerdings ist hier der Fall, daß
wir
"Widerstand tun wollten" nicht bloß ein denkbarer,
sondern ein
wünschbarer (KdU B 103).
Das
bedeutet
wiederum nicht, daß beim
Anblick des Furchtbaren in dieser
menschengerechteren Gestalt,
zumal in Ansehung der hier "freigesetzen" Mächten
und Gewalten,
das
Gefühl des Erhabenen sich nicht in
uns entfalten kann. Dies geschieht nicht indem wir
uns diesen
Mächten
unterwerfen oder indem wir uns einfach
als Herrscher
der Natur und der Technik aufspielen, sondern indem
wir uns diesen
Mächten in und
außer uns "überlegen zu sein uns bewußt werden
können" (KdU B
110). Oder, mit anderen Worten, indem wir "die
Erhabenheit in keinem
Dinge der Natur,"
(oder der modernen Technik!),
"sondern nur in unserm Gemüte enthalten" uns bewußt
sind.
Dadurch sind wir fähig
"zur Idee der Erhabenheit desjenigen Wesens zu
gelangen, welches nicht
bloß durch seine Macht, die
es in der Natur" (und, mittelbar, in der modernen
Technik) "beweiset,
innige
Achtung in uns wirkt, sondern noch mehr durch das
Vermögen,
welches in
uns gelegt ist, jene ohne Furcht zu beurteilen, und
unsere Bestimmung
als
über dieselbe erhaben zu denken" (a.a.O.). Die
entsprechende
Stimmung zu
einem solchen furchtlos-erhabenen Denken ist die der
"ruhigen
Kontemplation" und des "ganz freien Urteils" (KdU B
108).
Daß die menschliche Intelligenz und nicht die Natur,
zumindest im
abendländischen Denken, das Medium kat' exochen
für die
Betrachtung des Göttlichen bzw. Erhabenen darstellt,
kommt nicht
zuletzt in Kants Denken zum
Ausdruck. Es ist deshalb nicht verwurderlich, wenn
in unserem
technischen Zeitalter erneut
die Intelligenz, vor allem auch die künstliche oder
reine, das
Gefühl des
Erhabenen
beflügelt. Die Macht, die aus ihr strömt, verwandelt
die noch
bescheidene Wirklichkeit der KI und schlägt sich in
Science-fiction-Visionen nieder. Ein eindrucksvolles
Zeugnis davon ist
das Werk Stanislaw Lems, insbesondere in seinem
Roman "Also sprach
GOLEM" (Lem 1984). Sowohl "Golem" als auch vor
allem "Honest
Annie", die durch bloße Meditation Energie
freizusetzen vermag,
stellen m.E. eine technische Version der engelischen
Gestalten, also
dessen, was in anderen Kulturen die Vermittlung zum
Göttlichen
war, dar.
So
kommt vielleicht
der Gott zu uns, zumindest literarisch,
nicht so sehr "im Ungewitter, im Sturm, im Erdbeben
u.d.gl. als im
Zorn, zugleich aber in seiner Erhabenheit sich
darstellend" (KdU B
107), sondern sub
specie
intelligentiae artificialis. Die kritische
Haltung dazu ist
weder die der Unterwerfung noch der Idolatrie,
sondern die der
Gelassenheit. Diese gründet in der Idee des
Erhabenen in uns.
Es
ist dann aber
die Frage, ob diese ideelle Macht der Vernunft zu
einem
überlegenen Umgang mit der Macht der Computer führt,
oder ob
Furcht und Angst vor diesem "übermächtigen Wesen"
zur
technischen Superstition verleitet (Weizenbaum
1987).
c)
Zur Kritik der
Teleologie der Technik
Im
Gegensatz zur
Natur haben wir "guten Grund" nicht nur eine
subjektive, sondern eine
objektive
Zweckmäßigkeit der Technik anzunehmen (KdU B 267).
Die
"Dinge" der Technik dienen zwar
aneinander als "Mittel zu Zwecken", die "die
unsrigen sind". Allerdings
stellt sich jetzt die umgekehrte
Frage, ob nämlich angesichts der Eigendynamik der
modernen Technik
diese nicht längst aus unserem
instrumentellen Verstand entschlüpft ist und sich
gewissermaßen in Analogie zur
Natur verselbständigt hat. Eine anthropozentrische
Sicht wäre
dann nicht mehr angemessen, sondern diese
Entwicklung führt zu der
Frage, inwiefern die Produkte der Technik nicht bloß
um uns,
sondern um "des Ganzen willen existierend" gedacht
werden können
(KdU B 291). Die Technik - ein Analogon
des Lebens?
Kant
läßt die Antinomie der Teleologie der Natur, indem
er den
Begriff einer absichtlich-wirkenden obersten Ursache
in der Natur nur
subjektiv zuläßt. Das gilt m.E. ebenfalls für eine
Gesamtkausalität Natur-Mensch-Technik. Sowenig wie
"ein Newton"
"die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen,
die keine Absicht
geordnet hat, begreiflich machen" könnte, sowenig
könnte er
das Phänomen der Technik bloß nach verständigen
Ursachen erklären, da diese in Ansehung der
Vernunftzwecke keine
Auskunft darüber geben können (KdU B 338).
Hier dürfte eine Ethik
der Technik ansetzen. In angesichts der KI
besagt eine solche Erörterung, daß der Mensch nicht
zu einem
bloßen Mittel im biotechnologischen Evolutionsprozeß
degradiert werden
darf. Und umgekehrt: Die KI darf nicht allein den
Interessen der
Computerindustrie überlassen werden.
SCHLUSSBEMERKUNG
Zusammenfassend
läßt sich sagen, daß die technischen Imperative
stets mit denen der Kunst –
vor allem der Natur in Ansehung der Kunst –
und
der Moral in Einklang gebracht werden müssen.
Das
erfordert ein kritisches, d.h. ein auf die
Möglichkeiten und
Grenzen der Technik sich besinnendes Denken
(Winograd
1986, Capurro 1986), das die Zwecke der
"reproduktiven" Kunst nicht
bloß auf die Verstandesursachen reduziert, sondern
sie, in
Analogie zu den Kunstwerken, auf die "unbestimmte
Idee des
Übersinnlichen in uns" (KdU B 238) bezieht, so daß
die
Hervorbringungen der Natur und
der Technik von ihrem poietischen
Ursprung her, wie
Heidegger bemerkt (Heidegger 1962), erfahrbar werden
können.
Eine
solche
kritische Haltung
gründet in einer
gelassenen Stimmung. Sie ist die Voraussetzung
für eine Technik, die nicht auf Vernichtung und
Knechtschaft, sondern auf Besinnung orientiert ist.
Das ist in
einem Gebiet wie die KI, in dem alles nach genauen
menschlichen Zwecken
zu funktionieren scheint,
nicht selbstverständlich.
LITERATUR
Baruzzi,
A.:
Mensch
und Maschine. Das Denken sub specie
machinae.
München 1973.
Capurro, R.: Hermeneutik
der
Fachinformation. Freiburg/München 1986.
Daiser, W.:
Künstliche
Intelligenz Forschung und ihre epistemologischen
Grundlagen. Frankfurt
1984.
Dreyfus, H.L.: Die
Grenzen
Künstlicher Intelligenz. Königstein 1985.
Dreyfus, H.L.,
Dreyfus, S.E.:
Mind over Machine. New York 1986.
Heidegger, M.: Die
Technik
und die Kehre. Pfullingen 1962.
Hofstadter, D.R.:
Gödel,
Escher, Bach. Stuttgart 1985.
Hofstadter, D.R.,
Dennett,
D.C.: Einsicht ins Ich. Stuttgart 1986.
Kant, I.: Werke.
Darmstadt
1964.
Lem, S.: Also sprach
GOLEM.Frankfurt 1984.
Ortega y Gasset, J.:
Betrachtungen über die Technik.Stuttgart 1949.
Schnelle, H.: Art.
Automat.
In: Historisches Wörterbuch der Philosophie,
Darmstadt 1971
Swoboda, H.: Der
künstliche Mensch. München 1967.
Weizenbaum, J.: Die
Macht der
Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt
1977
-: Kurs auf den
Eisberg.
München 1987.
Winograd, T., Flores,
F.:
Understanding Computers and Cognition. New Jersey
1986.