KRIEG UND MEDIEN


Petra Grimm und Rafael Capurro
  

 

  
Einleitung zu: Petra Grimm und  Rafael Capurro (Hrsg.): Krieg und Medien. Verantwortung zwischen apokalyptischen Bildern und paradiesischen Quoten. Schriftenreihe Medienethik Bd. 4, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 7-15.





"Mit dem Worte Nachrichten", so Claus von Clausewitz, "bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen." (Clausewitz 1990, 75) Kein Krieg ohne Nachrichten im doppelten Sinne des Wortes. Der Krieg bedarf der Nachrichten, um überhaupt durchgeführt werden zu können. Die kriegerischen Handlungen sind aber nicht nur Nachricht für die Beteiligten, sondern auch für die Beobachter zweiter Ordnung, nämlich Nachrichten vom Kriege. Das sind heute in erster Linie die Massenmedien einschließlich ihrer Hybridisierung mit den Individualmedien und dem Internet. Der Krieg in den Medien ist aber wiederum nur Teilweise eine Nachricht für einen Beobachter, der die am Kriege Beteiligten beobachtet, denn diese Beobachter befinden sind unversehens selbst mitten im Kriegsgeschehen, zum Beispiel als embedded journalists, indem sie das Kriegsgeschehen kommentieren oder bewerten und es somit direkt oder indirekt beeinflussen. Das gilt für die Zeit vor, während und nach dem Krieg. Man könnte auch überspitzt sagen, dass die Medien den Krieg mit anderen Mitteln führen, so wie Clausewitz über das Verhältnis von Politik und Krieg gesagt hat. Das gilt heute ganz besonders deshalb, weil die Politik selbst sich medial vollzieht.

Zwei Beispiele zeugen von dieser Verquickung zwischen Krieg, Politik und Medien. Das eine ist der '11. September', der sich zugleich als Kriegshandlung und als mediales Ereignis vollzogen hat, mit noch unabsehbaren politischen und, wie der Irak-Krieg zeigte, auch kriegerischen Konsequenzen. Der Irak-Krieg selbst war, wie der Golf-Krieg, ein mediales Ereignis. Das zweite Beispiel ist der Selbstmord von Dr. David Kelly, der in Zusammenhang mit dem Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen zu einem ernsten Konflikt zwischen der BBC und der britischen Regierung geführt hat (Jackson 2003). Nachrichten vom Kriege, das bedeutet auch Krieg der Nachrichten im gnadenlosen Wettbewerb. Die Logik der Kriege ähnelt in vielfacher Weise der Logik des Marktes, zumal darin, dass beide von Nachrichten, ihrem Angebot und ihrer Nachfrage, abhängig sind.

Der Begriff des Krieges impliziert, gegenüber dem des Kampfes, zwischenstaatliche Rahmenbedingungen. Krieg ist ein politischer Begriff geworden (Münkler 2002). Diese moderne Begriffsbestimmung scheint heute angesichts nicht-staatlich organisierter und  motivierter Kampfhandlungen, die sich aber auch gegen Staaten oder Staatenbündnisse richten, zumindest fragwürdig geworden. Zwischenstaatliche Kriege sind vielleicht kein Auslaufmodell, das zeigt zum Beispiel der Fall Nord-Koreas, aber sie werden teilweise von unterschiedlichen Gruppierungen mit diffusen Zielen und lang anhaltenden Androhungen und auf Unbeteiligte oder Unschuldige gerichtete Terrorakte in ihrer klassischen Bestimmung wörtlich unterminiert. Es entstehen dabei asymmetrische Kriege (Münkler 2002a), die nur durch die Staatengemeinschaft, spricht durch die Vereinten Nationen, oder durch Staatenbündnisse zumindest teilweise kontrolliert oder unterdrückt werden können.

Kein Krieg ohne Nachrichten im und vom Krieg. Das bedeutet auch, dass Kriege und Frieden es gibt im Deutschen kein Plural von 'Frieden' wie etwa im Spanischen 'las paces', wir sprechen notgedrungen von 'Friedensinitiativen' spezifische menschliche Phänomene sind. Nur das animal rationale kann über zeitlich und räumlich An- und Abwesendes reflektieren und somit sein Handeln planen, sich Ziele setzen, von den Zielen anderer erfahren usw. Clausewitz spricht von einem "gewissen Unterscheiden, was nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des Wahrscheinlichen muß ihn [den Offizier, die Hrsg.] leiten", das nötig ist, um zwischen denjenigen Nachrichten zu unterscheiden, die widersprechend sind, dem "noch größeren Teil" der falsch ist, und dem "bei weitem größten" Teil der "einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen" ist (Clausewitz, a.a.O.). Das besondere am zwischenmenschlichen Nachrichtenwesen besteht darin, dass Nachrichten deutbar sind. Die Systemtheorie unterscheidet mit Recht zwischen "Mitteilung" oder "Sinnangebot" und "Information" oder "Auswahl" (Luhmann 1987). Letzteres meint wohl Clausewitz, wenn er von einem "gewissen Unterscheiden" spricht. Dies ist aber im Kriege und, wie wir auch sagen können, in den Medien, besonders schwierig. Die folgende Situationsbeschreibung Clausewitz' läßt sich genauso auf die Nachrichten vom Kriege als auch auf die Nachrichten von den Medien (über die Kriege) anwenden. Er schreibt:

Diese Schwierigkeit [des Unterscheidens, die Hrsg.] ist nicht unbedeutend bei den ersten Entwürfen, die auf dem Zimmer und noch außer der eigentlichen Kriegssphäre gemacht werden, aber unendlich größer ist sie da, wo im Getümmel des Krieges selbst eine Nachricht die andere drängt; ein Glück noch wenn sie, einander widersprechend, ein gewisses Gleichgewicht erzeugen und die Kritik selbst herausfordern. Viel schlimmer für den Nichtgeprüften, wenn ihm der Zufall diesen Dienst nicht erweist, sondern eine Nachricht die andere unterstützt, bestätigt, vergrößert, das Bild mit immer neuen Farben ausmalt, bis die Notwendigkeit uns in fliegender Eile den Entschluß abgedrängt hat, der bald als Torheit erkannt wird, so wie alle jene Nachrichten, als Lügen, Übertreibungen, Irrtümer usw. Mit kurzen Worten: die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit. (Clausewitz a.a.O.).

Wir können heute sagen, dass diese kriegerische Situation, so wie sie Clausewitz hier beschreibt, heute in der Kriegsberichterstattung der Medien Alltag geworden ist. Die Schwierigkeit "richtig zu sehen" (Clausewitz, a.a.O. 76) besteht für Clausewitz darin, uns eher vom "Eindruck der Sinne" als von den "Vorstellungen des überlegenden Kalküls" irreführen zu lassen. Dieser Schwierigkeit können wir auch medial eher von der Rezipienten- als von der Senderseite begegnen, indem wir uns im Getümmel der Nachrichten nicht so sehr sozusagen der Schule des Verdachts folgend, im Mißtrauen "ein elender Büchertrost" üben, sondern das "Vertrauen zu sich selbst" stärken. Mit anderen Worten, die Bildung des Charakters oder des ethos ist die Kernaufgabe einer Medienethik im Zeitalter der Medienkriege. Damit meinen wir nicht bloß die Kultivierung einer individualistischen Moral auf der Basis einer tradierten Tugendethik, sondern wir verstehen dieses Selbstvertrauen als eine gemeinschaftliche und das heißt auch politische Kraft. Es ist die Kraft, uns über den augenblicklichen Drang der Nachrichten vom Kriege und des Krieges der Nachrichten hinaus zu entwerfen. Dazu brauchen wir nicht nur einen langen Atem, sondern vor allem eine große Sehweite, die über das hinaus schaut und voraus blickt, was die Sender mit ihren emphatischen Live-Sendungen als wahr vorgeben. Das ist nicht leicht, denn

auch der, welcher selbst entwarf und jetzt mit eigenen Augen sieht, wird leicht an seiner vorigen Meinung irre. Festes Vertrauen zu sich selbst muß ihn gegen den scheinbaren Drang des Augenblicks waffnen; seine frühere Überzeugung wird sich bei der Entwicklung bewähren, wenn die vorderen Kulissen, welche das Schicksal in die Kriegsszenen einschiebt, mit ihren dick aufgetragenen Gestalten der Gefahr weggezogen und der Horizont erweitert ist. Dies ist eine der großen Klüfte zwischen Entwerfen und Ausführen. (Clausewitz, a.a.O. 76) 

Selbstvertrauen aufgrund von Horizonterweiterung in früheren Zeiten sprach man in diesem Zusammenhang von 'Bildung' oder sogar von 'Geschmack' ist eine Form von Friedenstiftung. Die emphatischen Begriffe 'Krieg' und 'Frieden', zum Beispiel wenn wir vom 'totalen Krieg' oder vom 'ewigen Frieden' sprechen, und vielleicht sogar der Begriff 'Medium' selbst, sind, Kantisch gesprochen, "Vernunftideen" das heißt, es handelt sich um Begriffe, die nicht sinnlich adäquat dargestellt werden können ("indemonstrabel") (Kant 1974, B 194 und B 240). Eine sinnliche Veranschaulichung und somit eine totale Medialisierung des Krieges ist so wenig möglich, wie etwa eine Darstellung der Hölle. Das Gleiche gilt in Bezug auf den 'ewigen Frieden' bzw. auf den 'Himmel' sowie auch auf die Vorstellung eines 'reinen Mediums', das jede Form von Deutung des Vermittelten überflüssig machen würde, eine wohl monistische Vorstellung, die vielen Mythen und Religionen vorkommt. Kant vertraute in Sachen Weltfrieden dem "Weltbürgerrecht", einem "permanenten Staatenkongreß" (Kant 1977, § 61 ff), dem "Handelsgeist" (Kant 1964, B 65) und dem Prinzip der "Publizität" (Kant 1964, B 108) bzw. dem Geist der Aufklärung. Habermas äußert sich kritisch gegenüber diesen Kantischen Prämissen, insbesondere gegenüber den von Kant nicht vorhersehbaren medialen Veränderungen am Ende des 20. Jahrhunderts und dem Strukturwandel zu einer "von elektronischen Medien beherrschten [...] Öffentlichkeit." Ebensowenig konnte Kant, so Habermas, mit den Erfahrungen der Weltkriege sowie mit einem entfesselten Kapitalismus rechnen (Habermas 1995, 11; Capurro 2003, 78ff). Dennoch ist  Kant zuzustimmen, wenn er schreibt, dass das einzige Mittel, um aus den rohen Zuständen zur Freiheit hin zu entwickeln, letztlich wohl das Vermögen ist, "sich innigst und allgemein mitteilen zu können" (Kant 1974, B 262).

Medien übernehmen heute in erster Linie die Rolle des 'Mitteilenden'. Wir beobachten, was uns die Medien über den Krieg mitteilen (auch wenn wir oft glauben, dass wir mit den Augen der Medien den Krieg selbst beobacHten). Kriege werden in Form von Ereignissen mitgeteilt und damit in eine narrative Struktur eingebunden, die im doppelten Sinn 'Geschichte' und Bedeutung generiert. Es gibt eine Ausgangssituation (vor dem  Krieg), eine Transformation (den Waffeneinsatz) und eine Endsituation (nach dem Waffeneinsatz), wobei sich die Vorher-Nachher-Situationen in viele  weitere Ereignisse, also narrative Strukturen, unterteilen (frühere Kriege vor dem aktuellen Krieg und neue Kriege oder 'Einsätze' nach dem aktuellen Krieg). Die Geschichte des jeweiligen Krieges ist in den  historischen Prozess der Menschheitsgeschichte, die ein fragiles Verhältnis von Krieg und Frieden darstellt, eingebunden.

Die Tatsache, dass wir noch nicht gelernt haben, ohne Kriege zu leben, ohne die wechselseitige Massenvernichtung von Angehörigen verschiedener Staaten und ohne andere Verhaltensformen, die man nur barbarisch nennen kann, stützt die Vermutung, dass unsere sogenannte Moderne im Gesamtzusammenhang der möglichen Entwicklung der Menschheit eher eine sehr frühe als eine späte Entwicklungsstufe darstellt. Mir gefällt die Annahme am besten, dass unsere Nachfahren – falls die Menschheit die Gewalt unserer Zeit übersteht – uns einmal als späte Barbaren betrachten werden. [...] Menschen müssen einen langen Lernprozess durchlaufen, um zu lernen, in Frieden miteinander zu leben. Unsere Ungewissheit, unsere Unfähigkeit zur Ausschaltung von Gewalt gehören zu diesem Lernprozess. (Elias, 2001, S. 225)

Norbert Elias beschreibt die Menschheitsgeschichte darüber hinaus als eine Geschichte der Kommunikations- und Orientierungsmittel, die durch die gesellschaftliche Verwendung von Symbolen geprägt ist.

Krieg ist eine Kommunikationsform mit anderen Mitteln. Mit dem ersten Kanonenschlag wird dem Angegriffenen eine Nachricht don Seiten des Angreifers mitgeteilt: "Der Krieg beginnt." Bomben sind real und zugleich Symbole einer in der Menschheitsgeschichte schon lange bekannten Form der Grenzüberschreitung. Symbole werden zudem in der Kommunikation über den Krieg benutzt, um dessen Bedeutung für die Kriegsbeteiligten und Kriegsbeobachter zu definieren. Ursachen, Ziele und der Kriegsakt selbst werden mit dem Gebrauch von Symbolen, die oftmals begriffliches Denken und Wissen auf Dichotomien reduzieren, wie z.B. die "Willigen" versus die "Umwilligen", zu simplifizieren Bedeutungskonglomeraten. Mit der Reduktion auf symbolische Dichotomien geht eine moralische Denotation einher: Was 'gut' und was 'schlecht' ist, wird im "kulturellen Wissen" (Titzmann, 1989) einer Gesellschaft fixiert. Diese moralischen Fixierungsvorgänge geschehen nicht nur im nahen zeitlichen und räumlichen Umfeld des eigentlichen Krieges, sie werden auch in den kulturellen Gütern wie z.B. Filmen, Büchern und Bildern symbolisch über einen längeren Zeitraum manifestiert. Kriege bilden somit symbolische Bedeutungstexte. Diese kritisch zu 'lesen', bedarf einer multiperspektivischen Beobachtung durch unterschiedliche Interpreten, die Widersprüche offenlegen und das Fragile einer 'absoluten' Sichtweise darlegen.

Als die Idee zu diesem vierten Band der Medienethik-Schriftenreihe entstand, war der Irakkieig 2003 noch nicht absehbar. Der 11. September 2001 und der Afghanistankrieg hatten sich gerade ereignet, eine Verunsicherung über den Verlauf der Weltgeschichte war offensichtlich. Unser Anliegen, eine medienethische Diskussion über das Verhältnis von Krieg und Medien in der Öffentlichkeit zu ermöglichen, wurde mit dem zweiten Medienethik-Symposium der Hochschule der Medien in Stuttgart im November 2002 realisiert. "Krieg und Medien. Verantwortung zwischen apokalyptischen Bildern und paradiesischen Quoten?" An dieser Stelle sei für die Unterstützung des Symposiums dem Referat für Technik- und Wissenschaftsethik an den Fachhochschulen in Baden-Württemberg (rtwe) und insbesondere Herrn Prof. Dr. Michael Wörz herzlich gedankt. Ebenfalls zu danken ist der Hartmut Schutz Kommunikation GmbH für die hilfreiche Unterstützung.

Einige Vorträge dieser Tagung finden sich in diesem Band wieder, sie wurden durch Beiträge, die nach dem Irakkrieg entstanden sind, ergänzt. Um der Komplexität des Themas "Krieg und Medien" gerecht zu werden, wurden unterschiedliche Perspektiven und Ansätze berücksichtigt.

Was wir über die Kriege der Gegenwart und Vergangenheit wissen, wissen wir durch die Medien. Wir leben nicht nur in einer Demokratie, sondern auch in einer Mediokratie. Medien vermitteln Bilder und Diskurse wodurch sie
nolens volens – das politische und das kriegerische Geschehen im Vorfeld, währenddessen und im Nachhinein auch im eigenen Interesse beeinflussen. Der vorliegende vierte Band der Medienethik-Schriftenreihe will diese Interaktionen aus ethischer Sicht thematisieren und dabei auf Maßstäbe aufmerksam machen, die implizit oder explizit der Selektion und Kommentierung von Kriegsnachrichten Bilder und Diskurse – zugrunde liegen.


Im ersten Kapitel Grundfragen zu Krieg und Medien wird das Verständnis von Kultur und Kulturunterschieden problematisiert, das Verhältnis von Krieg und Medien ethisch reflektiert und Fragen zur Macht der Medien aufgeworfen. Das zweite Kapitel Krieg in Fiktion und Non-Fiktion widmet sich den symbolischen oder ideologischen Funktionen der Medien, die in Spielfilmen oder Informationssendungen die Bedeutung(en) von kriegen konstruieren. Wie Sprache, Politik und Medien bei der Kriegsberichterstattung 'Wirklichkeiten' erzeugen und welche Konsequenzen politische Machtverhältnisse für die Journalisten haben, wird im dritten Kapitel Mediale und politische Realitäten dargelegt.

Krieg oder Dialog der Kulturen? Samuel P. Huntingtons umstrittene Thesen über den "Kampf der Kulturen" sind für Elias Jammal Anlass, sich zu fragen, welche alternativen Erklärungsansätze das Verhältnis von Kulturen beschreiben könnten. In seinem Beitrag analysiert er nach einer kritischen Überprüfung von Huntingtons Thesen und dessen Homogenitätsverständnis das Verhältnis von Kulturen unter dem Gesichtspunkt einer kulturellen Polyphonie ("Mehrstimmigkeit"). Schließlich zeigt er Wege auf, wie kulturelle Dialoge gelingen können und erläutert, inwieweit der Polyphonieansatz als Erklärungsparadigma für interkulturelle Kommunikation mehr bietet als der Homogenitätsansatz.

Moderne Kriege, die mediale Disposition des Menschen und die Medientechnologie kontextuell zu betrachten, ist das Anliegen von Klaus Wiegerling in seinem Beitrag Kriegsmedien und Medienkriege
– Zum Verhältnis von Krieg und Medien. Nach einer Klärung von Grundbegriffen, die eine Definition des Krieges beinhaltet, reflektiert er die Funktion der medien im Zeitalter des "Information Warfare" und erörtert Kriegsmedien unter kommunikationstechnologischen und massenmedialen Gesichtspunkten. Er zeigt auf, wie Medienkriege zum einen als Kriege un Medien und zum anderen als Kriege von Medien, die um Aufmerksamkeit kämpfen, gedeutet werden können. Das Verhältnis von Sprache, Ökonomie und Krieg, das selten in der Diskussion um Krieg und Medien berücksichtigt wird, legt der Autor konsequent frei.

Eine kritische Betrachtung der mit dem Thema "Krieg und Medien" verbundenen Begrifflichkeiten ist ür Michael Nagenborg der Ausgangspunkt, um in seinem Beitrag Kriege, Informationen, Medien: Ein Fragenkatalog den Umgang der Medien mit Informationen während des Krieges eingehend zu betrachten. wobei er 'die' Medien weiter ausdifferenziert. Die Bedeutung des "gerechten" Krieges in der Vergangenheit und die Wiederbelebung dieser Metapher in der heutigen Zeit werfen die Frage nach dem Dispositiv der Macht auf. Archivierung und Dokumentierung der Informationen über den Krieg können keine Authentizität garantieren. Aber bieten sie Chancen für eine Kontrolle der Macht?

Die Problematik des Verhältnisses von medialer Darstellung und Wirklichkeit wird am Beispiel des Genres 'Kriegsfilm' besonders eklatant. In dem Beitrag Propaganda und Trauma. Paradigmen des Krieges in filmischen Darstellungen gibt Katja Kirste eine systematische Einführung in die Geschichte des Kriegsfilms (unter Berücksichtigung des Anti-Kriegsfilms). Eine zentrale Frage, die die mediale Darstellbarkeit des Krieges im Kino seit seinen Anfängen begleitet, betrifft das Verhältnis von Realismus und Ideologie. Die Bedeutung der filmtechnologischen und kriegstechnologischen Entwicklung für die mediale Inszenierung des Kriegs sowie die Durchdringung von Politik, Militär und Film werden am Beispiel der "Fliegerfilme" aus der NS-Zeit und späterer US-amerikanischer Filmproduktionen kritisch reflektiert. Im Zusammenhang mit dem Vietnamfilm-Genre werden die Mythologisierung des Krieges, das apokalyptische Trauma und dessen Aufarbeitung anhand von prominenten Filmbeispielen untersucht. Letztlich wird auch die Frage nach der Möglichkeit, ob Filme die Rolle der Medien im Krieg selbstreflexiv darstellen können, differenziert beantwortet.

Den Aspekt der Narrativität von Kriegsfilmen vertieft Patrick Vonderau in seinem Beitrag Krieg im Kino. Aufriss eines Problemfelds. Ausgehend davon, dass Filme mit "moralischen Kalkülen" arbeiten und somit die Konstituierung von Wertgemeinschaften unterstützen bzw. hinterfragen, befasst sich der Autor mit dem Krieg im Spielfilm als Sujet des Erzählens. Auf der Basis von Jurij Lotmans kultur- und erzähltheoretischen Ansatz lassen sich Kriegsgeschichten als topologisch und topographisch strukturierte Modelle beschreiben. Mit dieser Perspektive auf das Thema Krieg kann er die moralisch-evaluative und affektive Struktur der Kriegsgeschichten systematisch herausarbeiten. Das "Diskursuniversum" der Kriegsfilme und seine Argumentationstypen werden somit transparent gemacht.

Nicht nur der Bereich des Fiktionalen, sondern auch der des Non-Fiktionalen ist bei der Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung von Krieg zu berücksichtigen. Am Beispiel einer bislang wenig beachteten Mediengattung
– Militärzeitung- und Militärsender – untersucht Carla Palm deren informationspolitische Rolle während des Irakkriegs. In ihrem Beitrag Information als Waffe? Die Rolle des amerikanischen Soldaten-Senders AFN und der Front-Zeitung Stars and Stripes während des Golfskonflikts 2003 erläutert sie unter Berücksichtigung der amerikanischen Medien, welche spezifischen Aufgaben der Radio und Fernshesender AFN sowie die Zeitung "Stars and Stripes" für die anvisierten Zielgruppen erfüllen. Die systembedingte Abhängigkeit der Militärmedien wird anhand ihrer besonderen Organisationsstruktur und ihrer Art der Kriegsberichterstattung, die eine neue 'Qualität' der Informationssteuerung erreicht hat, kritisch beleuchtet.

Leben wir in einem Zeitalter der Metapher? Der Gebrauch bildlicher Sprache, in diesem Fall der Metapher, ist eine semantische Strategie in der Sprache der Politik. Welche Rolle die Metapher für die kommunikativen Prozesse in Krisen und Kriegszeiten spielt, reflektiert Christoph Pingel in seinem Beitrag Die magischen Container. Krieg und metaphorische Realität. Die mediengesellschaftliche und politische Problematik, die mit der Verwendung von Metaphern einhergeht, erörtert er unter Berücksichtigung der kognitionswissenschaftlichen Metaphernforschung am Beispiel von vier Themenbereichen: Migration, Krieg, Gesetzgebung und Neue Medien. Gerade in Zeiten eines krisenhaften Wandels scheint die Verwendung von Metaphern reizvoll zu sein: Sie kommt der Neigung des Publikums, bildliche Argumentation für glaubwürdig zu halten, entgegen und sie erleichtert es, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und sie damit begreiflich zu machen. Ob die Metapher dysfunktional für die Kommunikationsprozesse in Krisenzeiten ist, ist mehr als eine ästhetische Frage, sie berührt ethische Grundprobleme.

Weist die Berichterstattung über den Irakkrieg aus politischer Sicht zu interpretieren? Franco Rota zeigt in seinem Beitrag Dramaturgie. 'Embededdness' und der Verlust politischer Orientierung. Aspekte der Darstellung des Irakkriegs 2003 im Fernsehen unterschiedliche Aspekte auf, die die moralischen und politischen Dilemmata der Kriegsberichterstattung prägen. Er verkürzt diese Problematik nicht allein auf das Phänomen 'Politainment', sondern analysiert, wie sich die journalistische Berichterstattung auf die jeweiligen Ebenen des Politischen ("polity", "policy", "politics") auswirkt. Nach einer Rekonstruktion der medialen Inszenierung des Irakkrieges als Drama, die mit einer Reduktion der Kriegsgeschehnisse auf die "politics"-Dimension einhergeht, arbeitet er die positiven und negativen Aspekte des "Embeddedness-Journalismus" heraus. Die Frage, ob ein "Kampf der Kulturen" in einem "clash of broacasting media" mündet, erörtert er am Beispiel der Sender Al-Dschasira und CNN. Im Wesentlichen geht es um das Postulat der 'Aufklärung', das die Medien ohne Berücksichtigung der "polity"- und "policy"-Ebene nicht einlösen können.

Ein Perspektivenwechsel erfolgt, wenn die Lage der Kriegsberichterstatter selbst in den Mittelpunkt gerückt wird. Elke Schäfter von "Reporter ohne Grenzen" fokussiert den Blick auf die in Krisen und Kriegsregionen arbeitenden Journalisten. Ihr Beitrag Presssefreiheit in Gefahr?! Berichterstattung in Kriegs- und Krisenzeiten dokumentiert, dass die Journalisten und "War Photographers" vor Ort, die als mediale Kriegsberichterstatter unterschiedlichen Situationen ausgesetzt sind, oftmals mit Zensur, Informationssperre oder gar persönlicher Lebensgefahr konfrontiert sind. Wie sich Journalisten in der Praxis schützen können, ist nicht nur ein individuelles, sondern auch ein institutionelles Problem des Mediensystems. Welche Folgen der 11. September für die journalistische Arbeit hatte, wird von ihr auf rechtlicher und politischer Ebene kritisch dargestellt. Das Recht auf Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit ist eine wichtige Grundlage, um Meinungsbildungsprozesse zu ermöglichen, eine Einschränkung dieses demokratischen Grundpfeilers könnte das demokratische Gerüst jetziger und zukünftiger Gesellschaften eklatant gefährden. Inwieweit können die Journalisten als Einzelne im System der weltweit operierenden Medienunternehmen und Nachrichtenagenturen für die Medienbotschaften verantwortbar gemacht werden?

Ethik im Sinne von Reflexion über Moral findet wiederum nicht in einem medienfreien oder gar apolitischen Raum statt. Diese Schriftenreihe will auch zur Selbstkritik ethischer Diskurse beitragen, vor allem sofern diese, medial vermittelt, sich zur moralischen Instanz aufspielen können. Politik, Medien und Ethik stehen somit in einem konfliktiven Spannungsfeld, die sich jedoch in der Meta-Kommunikation gegenseitig durchdringen können.

Die Herausgeber dieser Schriftenreihe danken dem Rektor der Hochschule der Medien, Prof. Dr. Uwe Schlegel, für die nachhaltige Unterstützung, den medienethischen Dialog fortsetzen zu können. Das dritte HdM-Medienethik-Symposium im November 2003 widmet sich dem Thema "Cool, connected, charming: Tugenden der Medienkultur?"


BIBLIOGRAPHIE

 

Capurro, Rafael (2003): Ethik im Netz. Stuttgart: Steiner.

Clausewitz, Claus von (1999): Vom Kriege. Augsburg: Weltbild.

Habermas, Jürgen (1995): Kants Idee des Ewigen Friedens. Aus dem historischen Abstand von 200 Jahren. In: Information Philosophie 5, 5-19.

Jackson, Robert (2003): Der BBC droht ein verheerender Schlag. Die Krise zwischen der britischen Rundfunkgesellschaft und der Regierung Premierminister Blairs. In: F.A.Z., 24. Juli 2003, Nr. 169, S. 4

Kant, Immanuel (1975): Kritik der Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Kant, Immanuel (1977): Metaphysik der Sitten. Rechtslehre. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Kant, Immanuel (1965): Zum Ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Luhmann, Niklas (1987): Soziale Systeme. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Münkler, Herfried (2002): Über den Krieg. Stationen im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. Weilerswist: Velbrück.

Münkler, Herfried (2002a): Die neuen Kriege. Berlin: Rowohlt.


Letzte Änderung: 16. Augustr  2017



 
    

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