MENSCHENBILDER IN DEN MEDIEN

 
Petra Grimm - Rafael Capurro

  
 
 
 
Einleitung zum Band: Petra Grimm / Rafael Capurro Hrsg.: Menschenbilder in den Medien -  ethische Vorbilder? Stuttgart: Franz Steiner Verlag (2002) Schriftenreihe Medienethik, Bd. 1., S. 7-11. Siehe auch hier.

 

 

Es ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines Menschen?, Ja kann ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen? (Wittgenstein 1990, 141)


Menschenbilder
in den Medien sind Konstruktionen eines seit Jahrtausenden andauernden Semiose-Prozesses, der in Abhängigkeit von den jeweiligen Denk-, Gefühls-  und Wissensstrukturen einer Kultur und deren medientechnologischer Entwicklung erfolgte. Unabhängig davon, dass die Modelle des Menschenbilds in den jeweiligen Bereichen der Gesellschaft (Religion, Philosophie, Naturwissenschaft, Kunst u.s.f.) synchron un diachron miteinander um die Vormachtstellung konkurrierten, ist ihnen eines gemeinsam: Sie wurden in Medien dargestellt.

Menschenbilder, die einem größerem Publikum als mediatisierte Vorbilder dienten, wurden vor allem mittels narrativer Zuschreibungs- operationen in Epen, Märchen, Romanen, Tragödien usw. vorstellbar gemacht. Helden, die diese Vorbildfunktion innehatten, waren immer in dynamischen Handlungsprozessen eingebunden, die auf narrativ vermittelten Weltmodellen basierten. Gleichzeitig ist auch offensichtlich, dass Texte allein nicht ausreichen, um Akteure als Vorbilder zu semantisieren, der Hang zur Visualisierung bzw. Bildhaftigkeit ist eklatant. Die Geschichte der Helden-Erzählungen ist zugleich auch eine Geschichte der Heldenbilder, die in Fresken, Illustrationen, Photographien, Werbeplakaten usw. zeitlich und räumlich eingefroren sind. Der Film und die elektronischen Medien haben schließlich die Bewegung der Bilder und damit das raum-zeitliche Pendant zu den Erzählungen in Printmedien ermöglicht.

Medien sind heute "alltägliche Instrumente der Wirklichkeitskonstruktion" (Schmidt 2000, S. 43). Die mittels Medien stattfindende selektive "Selbstbeobachtung der Gesellschaft (ebd.) soll hier unter dem Aspekt der Vorbilder, die Massenmedien darstellen, aus ethischer Perspektive beleuchtet werden. Eine medienethische Betrachtung will keine bestimmte Moralperspektive auf Medien zementieren oder sogar ein bestimmtes Moralprinzip unhinterfragt postulieren. Vielmehr ist es Ziel der medienethischer Reflexion, Anschlußmöglichkeiten für weitere Fragestellungen, die Widersprüche offenlegen, anzubieten. "Das Balancieren von Widersprüchen ist die zentrale methodische Herausforderungen der Medienethik." (Krainer 2002, S. 158).

Das Thema "Menschenbilder in den Medien - ethische Vorbilder?" läßt sich nicht auf eine Perspektive verkürzen. Zielt ist es, theoretische und praktische Zugänge miteinander zu verbinden und einen auf Offenheit und Anschlussbarkeit angelegten Reflexionsprozess zu ermöglichen.

Im ersten Kapitel Theoretische Grundlagen wird ein Entwurf für eine Systematisierung der Medienethik sowie ein medienphilosophischer Zugang zum mediatisierten Menschenbild vorgestellt. Das zweite Kapitel Reflexionen über das Menschenbild beinhaltet Beiträge, die das Thema aus medienrechtlicher, theologischer und philosophisch-anthropologischer Perspektive betrachten. Im dritten Kapitel Normierungen und moralische Narrationen werden ethische Fragen anhand von Fallstudien behandelt, die unterschiedliche mediale Strategien der moralischen Kommunikation aufweisen. Im vierten Kapitel Bedeutung des Menschenbildes für die Praxis setzen sich die Autoren mit den Anforderungen des Jugendmedienschutzes und der Verantwortung der Medienakteure kritisch auseinander.

Kündigt sich ein Wandel im Menschenbild unserer Kultur an? Klaus Wiegerling beschäftigt sich in seinem Beitrag Mediatisierte Menschenbilder mit den Thematisierungen des Menschen vor dem Hintergrund des 11. Septembers, der Bio- und Gentechnologie und des neuen Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit. Seine medienphilo- sophischen Thesen befassen sich mit der Orientierungsfunktion von Menschenbildern und den neuen Herausforderungen, die das mediale Wesen (animal mediatum) durch Massenmedien und Cyberspace erfährt.

Welche Fragen stellen sich aus medienethischer Sicht, wenn man über die Moral in den Medien reflektiert? Ist das Massenmedium Fernsehen eine moralische Schaubude oder ein ethisches Forum? Petra Grimm setzt sich in ihrem Beitrag Reflexion der Moral in den Medien. Entwurf einer Systematisierung medienethischer Fragen zuerst mit dem Verhältnis von Moral und Ethik auseinander. Anschließend beschreibt sie die unterschiedlichen Ebenen einer medienethischen Beobachtung der Massenmedien und stellt mögliche Strategien einer ethischen Kommunikation in den Medien zur Diskussion.

Das Menschenbild aus medienrechtlicher Perspektive ist Gegenstand von Dieter Dörrs Beitrag Das Menschenbild des Grundgesetzes und seine Bedeutung für die Medien. Er behandelt die zentrale Frage, welche Rolle und Funktion die elektronischen Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft under Beachtung des im Grundgesetz verankerten Menschenbilds haben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Grundwert der Verfassung: das Prinzip der Menschenwürde. Welchen Bezug der Rundfunk nicht nur zur Demokratie sondern auch zur persönlichen Freiheit des Einzelnen aufweist, erklären seine dezidierten Ausführungen zur Rundfunkfreiheit, zum Jugendschutz, zum kulturellen Auftrag und zur dienenden Funktion des Rundfunks.

Dan Peter bring mit seinem Beitrag Das christliche Menschenbild im Kontext der Medien die theologische Perspektive ein. Er erläutert die für Christen relevante Rolle der Medien, führt in die christliche Anthropologie ein und diskutiert die Beziehungen bzw. Unfähigkeit zu tragfähigen Beziehungen unter dem Aspekt der "existentiellen Not des Menschen im Spiegel der Medien." Schließlich zeigt er auf, dass auf allen Ebenen des Mediensystems (Medienunternehmen, Medienschaffende und Medien- nutzer) Handlungsmöglichkeiten bestehen.

Rafael Capurro befasst sich mit dem philosophisch-anthropologischen Wendepunkten in der Geschichte der Menschheit. In seinem Beitrag Menschenbilder. Eine Einführung in die philosophische Anthropologie geht er auf die zentralen Fragestellungen ein, die mit den Menschenbildern der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und der Moderne verbunden waren. Die in der gegenwärtigen Informationsgesellschaft bestehende Bedeutung der Technologie für die Anthropologie diskutiert er unter dem Gesichtspunkt einer humanitär ausgerichteten Anthropologie, die sich als eine auf die "Selbstveränderung des Menschen offene Anthropologie" versteht.

Unter dem provokativen Titel Bilder von Transsexuellen - Menschenbilder? befasst sich Hans Krah mit den filmischen und visuellen Strategien der Medien. Nach einer Einführung, die das Verhältnis von 'Film' und 'Wirklichkeit' und die methodische Zugangsweise einer Film- und Fernsehanalyse beschreibt, zeigt er auf, wie die Strategien der Darstellung zur "Diskursbegrenzung", Typisierung und Stigmatisierung von Menschen aussehen, die unter das Paradigma "Abweichung" fallen. Seine Thesen lassen sich auch auf andere mediale Angebote, die unter dem Vorwand eines vermeintlichen Tabubruchs inszeniert werden, übertragen.

Anhand des Genres "Gerichtsshow" befasst sich Thomas Hausmanninger in seinem Beitrag Sehnsucht nach Normen? Das neue Ordnungs- fernsehen der Gerichtsshows mit der Orientierungsfunktion dieses aktuell sehr erfolgreichen Programmformats. Er reflektiert unter dem Aspekt der Orientierungsstiftung die Typisierung der dargestellten Charaktere und die Anleihen bei fiktionalen Genres. Aus ethischer Sicht fokussiert er die Nahtstelle zwischen Transparenz und Intransparenz fiktionaler Realitätsmuster sowie die pflichtethischen Potenziale und deren mögliche Gefährdung. Anstelle einer populistischen Diskreditierung dieses  Genres plädiert er dafür, sich vor Augen zu führen, ob und auf welche Weise die ästhetische Kodierung ggf. zu einer Diskriminierung oder doch zur Toleranzförderung führt.

Zwischen Theorie und Praxis, heißt es häufig, lägen Welten. Dass diese Sicht verkürzt ist, zeigt Martin Rabius in seinem Beitrag Medienethik: Die Verantwortung der Programm-Macher. Als Jugendschutzbeauftragter eines privaten Fernsehsenders ist er 'Mediator' zwischen der Welt der Quote und der Welt des Jugendschutzes. Er erläutert die Aufgaben eines Jugendschutzbeauftragten und zeigt anhand von Filmbeispielen und Werbespots, welche Beurteilungskriterien für die Ausstrahlung von Filmen relevant sind. Wie Sender ihre Verantwortung darüber hinaus wahrnehmen können, stellt er exemplarisch anhand von medienpädagogischen Spots vor.

Aus der Perspektive der Landesmedienanstalten reflektiert Werner Röhrig die Bewertungspraxis und deren gesetzliche Vorgaben in seinem Beitrag Werte und Normen als Gegenstand der Programmaufsicht. "Die Würde des Menschen ist antastbar." Verletzungen der Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und desorientierende Beiträge im Fernsehen. Nach einer Einführung in die für Rundfunkprogramme maßgeblichen Grundsätze gibt er einen Überblick über den für den Jugendschutz relevanten Rechtsrahmen, stellt die Handlungsfelder der Programmaufsicht dar und weist auf die aktuellen Problembereiche des Programmangebots hin.

Der erste Band der Schriftenreihe Medienethik "Menschenbilder in den Medien - ethische Vorbilder oder moralische Trugbilder?" ist Ergebnis und Weiterführung eines medienethischen Symposiums, das in der Hochschule der Medien, Stuttgart, im Herbst 2001 veranstaltet wurde. Die Vorträge der Referenten wurden um weitere Beiträge von Autoren, die sich mit dem Thema eingehend auseinandergesetzt haben, ergänzt. Der medienethische Dialog geht auf eine seit 1996 stattfindende Veranstaltungsreihe zur "Medienethik und Informationsethik" zurück, die in der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen (HBI), der Hochschule für Druck und Medien (HDM) und seit dem 1. September 2001 nach ihrer Zusammenführung in die Hochschule der Medien (HdM) durchgeführt wurde.

An dieser Stelle ist vor allem dem Referat für Technik- und Wissenschaftsethik an den Fachhochschulen Baden-Württembergs (rtwe) und insbesondere Herrn Prof. Dr. Michael Wörz zu danken, die diese medienethische Veranstaltungsreihe nachhaltig unterstützen.

Ebenfalls ist den Studierenden zu danken, die sich aktive bei der Organisation und der Präsentation der Veranstaltungen im Internet engagierten.

Die Themenvielfalt der medienethischen Veranstaltungsreiche dokumentiert folgende Übersicht:

"Privatheit und Medien: Paradigmenwechsel in der Gesellschaftsethik?" (HDM/HBI-Workshop zur Medienethik, 20.-21. November 2000)

"Ethik als Wirklichkeitskonstruktion. Ansätze zu einer konstruktivistischen Informationsethik" (IV. Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 18.-19. November 1999)

"Ethik der Cyberkultur" (III. Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 19.-20. November 1998)

"Digitale Bibliotheken. Ethische Fragen einer neuen Informationskltur" (II. Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 20. November 1997)

"Informationsarmut - Informationsreichtum"  (I. Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 20. November 1996)

Die Herausgeber der Schriftenreihe Medienethik danken an dieser Stelle besonders den Veranstaltern Prof. Dr. Wolfgang von Keitz, Prof. Dr. Frank Thissen und Prof. Dr. Uwe Jäger, ohne deren Kooperation die oben genannten Veranstaltungen nicht realisierbar gewesen wären. Für die Unterstützung des Rektors der Hochschule der Medien, Prof. Dr. Uwe Schlegel, den medienethischen Dialog intensiv fortzusetzen, sei ebenso gedankt.

Mit der Gründung des International Center for Information Ethics (ICIE) wurde ein weiteres Forum geschaffen, das sich schwerpunktmäßig mit ethischen Fragen des Internets befasst. Das erste ICIE-Symposium zur Informationsethik setzte sich grundlegend mit dem Thema "Konzepte der Informationsethik" auseinander, 28. Februar - 2. März 2001, Veranstalter: ICIE und die Professur für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg (Prof. Dr. Thomas Hausmanninger). Das zweite ICIE Symposium zur Informationsethik widmet sich dem Them "Digital Divide aus ethischer Sicht" (3.-5. Oktober 2002).

Dass Studierende, die zukünftig Medien produzieren, gestalten, programmieren, verbreiten und in Medienunternehmen arbeiten, auch über die Verantwortung ihrer Tätigkeit reflektieren können, ist Wunsch und Ziel dieser medienethischen Veranstaltungen und Schriftenreihe.


BIBLIOGRAPHIE

Krainer, Larissa (2002): Medienethik als angewandte Ethik. Zur Organisation ethischer Entscheidungsprozesse. In: Medien und Ethik, hrsg.  von Matthias Karmasin. Stuttgart: Reclam, S. 156-174.

Schmidt, Siegfried J. (2000). Kalte Faszination. Medien. Kultur. Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.


Letzte Änderung: 16. August  2017



 
    
 
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