WAHLPFLICHTFACHT
INFORMATIONSRESSOURCENMANAGEMENT

Seminar: Informationswissenschaftliche Paradigmen

Prof. Dr. Rafael Capurro 
 
Sommersemester 1997
 
 
 
  
  

Ziele des Seminars

Der Begriff Paradigma (Griechisch: parádeigma = Modell, Urbild) wurde durch den amerikanischen Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn in die wissenschaftstheoretische Debatte eingeführt und machte von da an eine steile Karriere, so dass bald in den verschiedensten Bereichen von einem Paradigmenwechsel gesprochen wurde. In seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) sprach Kuhn von Paradigmen im Sinne von "anerkannten Beispielen für konkrete wissenschaftliche Praxis, die eine 'normale' Phase wissenschaftlicher Forschung leiten." Wenn Anomalien auftreten, die innerhalb des herrschenden Paradigmas nicht lösbar sind, bahnt sich eine Krise ein, die zu einem Paradigmenwechsel führt. Dadurch verändern sich aber nicht nur die Annahmen und Theorien, sondern auch die apparativen und institutionellen Bedingungen. Wissenschaftliche Revolutionen verlaufen, nach Kuhn, entsprechend einer nicht-linearen Entwicklung.   

Im Falle der Informationswissenschaft kann man beobachten, dass diese sich in ihrem paradigmatischen Selbstverständnis und in partieller Abgrenzung zum Bibliothekswesen als Theorie und Praxis des Information Retrieval seit den 50er Jahren bestimmte. Diese Selbstbestimmung war zunächst objektivistisch orientiert, d.h. sie vernachlässigte weitgehend die Rolle des Erkennenden/Suchenden.   

Die Betonung des cognitive viewpoint brachte in den 70er Jahren so etwas wie einen Paradigmenwechsel hervor. Dieser intellektualistische Ansatz wurde in den 80er Jahren aufgrund der Einbeziehung des pragmatischen Kontextes abermals in Frage gestellt. Der Übergang von Theorie und Praxis des Information Retrieval zum heutigen Information Management drückt in Beruf, Lehre und Forschung dieses Gebietes die neue revolutionäre Phase aus.   

Neue Entwicklungen im Selbstverständnis der Unternehmen, flankiert durch die weltweite Vernetzung sowie durch die atemberaubende Geschwindigkeit in der Entwicklung der Informationstechnik, lassen vermuten, dass das dynamische Verhältnis zwischen Wissen und Information immer mehr als ein konstitutives Element nicht nur von Innovationen, sondern des Marktes insgesamt wahrgenommen werden (Nonaka/Takeuchi). Hier öffnen sich offensichtlich neue Perspektiven der Informationsarbeit.   

Es ist von theoretischem und praktischem Interesse, wenn Studierende des Studiengangs Informationsmanagement sich über diese Entwicklung bewusst(er) werden. 

Wir haben uns in diesem Seminar zum Paradigmenwechsel in der Informationswissenschaft und -praxis mit verschiedenen Positionen aus Europa (Ellis, Kuhlen, Herget, Krause, Fleissner, Ingwersen), USA/Canada (Saracevic, Frohmann, Belkin) auseinandergesetzt und in den breiteren Kontext der Nutzung des Wissens im Unternehmen (Nonaka/Takeuchi) gestellt.


Referate zu
 
D. Ellis: "Paradigmen und deren Vorstufen in der Retrievalforschung" von Gerhard Beck  

P. Fleissner : "Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung: Informationsprozesse in der Wirtschaft, die Vernetzung des Denkens und die technische Integration der Gesellschaft" von Wolfgang Isele  

I. Nonaka, H. Takeuchi: "Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen" von Rafael Capurro 

 
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