hdm
 
 
WAHLPFLICHTBEREICH
INFORMATIONSETHIK
 
 
 
 
 
Wintersemester 2004/2005
3./7. Semester
 
Prof. Dr. Rafael Capurro
 

Projektseminar: International ICIE Symposium 2004

Gefördert vom Referat für Technik- und Wissenschaftsethik (RTWE)

Ort: N 403
Zeit: Mittwochs 16:00 - 17:30

Kompaktseminar: Vorderbüchelberg (26.-27. November 2004)


 icie


Teilnehmer

Alexander Kohler, Tina Waibel, Aline Neidhold, Sebastian Solte, Filip Tabak

Ziel des Seminars

Das Seminar befaßt sich mit dem von der VolkswagenStiftung geförderten und vom ICIE organisierten internationalen Symposium: 
"Localizing the Internet - Ethical Issues in Intercultural Perspective" 

das am 4.-6. Oktober 2004 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie stattfindet.


Aktualität und Brisanz des Themas

Mehr als zehn Jahre nach der Entstehung des Internet stehen wir vor einer paradoxen Situation: Je mehr der anfängliche Mythos einer von der realen Welt sich unterscheidenden Cyberwelt verblaßt und das Internet zum Alltag von Millionen von Menschen gehört, um so mehr wachsen die Erwartungen, dieses Medium werde uns, in einer anderen Weise als dies die Individual- und Massenmedien des 20. Jahrhunderts zu tun vermochten, einander näher bringen, womit das kulturelle, wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben der Menschen in einer gemeinsamen Welt gemeint ist.

Die Gesellschaft der netizens, die sich zunächst als eine von der realen Welt abgehobene Sphäre wähnte und zuweilen noch zu cybergnostischen Vorstellungen neigt, erlebt zur Zeit eine massive Ökonomisierung des Netzes. Als eine von der physischen Realität getrennte Sphäre gehört das Internet zur Geschichte jenes Irrtums von der "wahren Welt", wovon Nietzsche erzählt, dass sie zur Fabel wurde. Oder vielleicht noch nicht ganz? Denn die Fabel über die Cyberwelt scheint gerade von jenen ökonomischen und politischen Interessen missbraucht zu werden, die sich den lokalen, vor allem rechtlichen und moralischen Regulierungen zu entziehen versuchen, um somit ihre Ziele aufgrund eigener Regeln besser erreichen zu können. Das deutet zugleich darauf hin, dass der bisherige Sinn der Unterscheidung lokal/global, so wie er in Zusammenhang mit der terrestrischen Globalisierung in der Neuzeit geprägt wurde, sich verändert. Was ist aber das Besondere an der digitalen Globalisierung und an ihrem Verhältnis zum Lokalen?

Ulrich Beck hat in Anschluß an Roland Robertson diese durch die digitale Vernetzung bewirkte Veränderung des Lokalen durch die (digitale) Globalilisierung "Glokalität" genannt (U. Beck: Was ist Globalisierung? Frankfurt 1997). Die Differenz global/lokal hat in bezug auf die digitale Vernetzung zwei unterschiedliche Bedeutungen. Sie kann sich, zum einen, auf die Differenz zwischen der Globalität der elektromagnetischen Weltvernetzung und der Lokalität einer Adresse (eines Servers oder einer Website) innerhalb des Netzes beziehen oder sie kann, zum anderen, das Lokale als das auffassen, was außerhalb des Netzes, in der physischen raum-zeitlichen Welt also, vorkommt. Von hier aus gesehen ist das Internet eine besondere Sphäre, die lokalisiert oder inkulturiert werden muß. Die Welt des raum-zeitlichen leibhaftigen Lebens ist die Welt der Kultur, der Politik und der Ökonomie mit ihren jeweiligen konkreten Interessen.

Was bringt die digitale Globalisierung für diese oder jene Gesellschaft oder Gruppe innerhalb dieser oder jener Kultur unter diesen oder jenen wirtschaftlichen Verhältnissen konkret an Veränderungen der Lebensbedingungen? Bedeutet sie zum Beispiel, dass eine privilegierte Minderheit von der digitalen Weltvernetzung profitiert und dadurch die schon vorhandene Kluft zwischen Armen und Reichen noch tiefer wird? Steigen die Chancen für eine bessere Ausbildung? Können sich die bisher unterdrückte Stimmen im politischen oder kulturellen Umfeld besser Gehör verschaffen? Steigen die Chancen für eine fortschreitende Demokratisierung? Eröffnen sich neue Betätigungsfelder, so dass die lokale Wirtschaft neue Impulse, sprich: neue Arbeitsplätze, schafft? Kann sich die kulturelle Vielfalt im Medium der digitalen Globalisierung so artikulieren, dass ihre Aneignung auf der Basis und in Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte, den Traditionen und Metaphern und in der eigenen Sprache stattfindet?

Der bloße technische Anschluß (access) der sog. Dritten Welt an die digitale Infrastruktur des World Wide Web löst per se keine sozialen Fragen. Im Mittelpunkt einer auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen sich ausrichtenden digitalen Kultur muß, paradox ausgedrückt, die Leiblichkeit stehen. Die Spannung zwischen dem Digitalen und der physischen Existenz bildet die eigentliche Antriebskraft für die Fragen einer Informationsethik im 21. Jahrhundert. Zugleich ist hervorzuheben, dass die vielfältigen Formen menschlicher Kommunikation, die die Weltvernetzung bietet, zu neuen Formen von Gemeinschaften führen, die quer zu den bisherigen geographisch und kulturell bedingten Lokalitäten stehen, so dass Netz-Gemeinschaften sich vielfältig mit physischen Lokalitäten überschneiden, d.h. zur Erweiterung und Bereicherung des lebensweltlichen Horizontes, aber auch zur Austragung neuer und alter Konflikte führen können.

Man kann vermuten, dass der Einbruch der globalen und interaktiven Weltvernetzung in die Lokalität sich zwar anders, aber auch nicht weniger traumatisch auswirkt, als dies bei den Massenmedien des 20. Jahrhunderts der Fall war. In diesem Sinne ist die Cybergnosis ein Symptom unseres metaphysischen Begehrens, uns jenseits von Raum und Zeit, d.h. jenseits der Leiblichkeit zu konstitutieren. Die Kehrseite dieses Begehrens besteht dann nicht nur im vermeintlichen Ausschluß der Lebenswelt aus dem cyberspace, sondern im zynischen Gebrauch dieses Ausschlusses, um auf Kosten anderer zu leben. Insofern ist der mögliche Sinn der Frage nach der Lokalisierung des Internet ein Aufruf zur Aufdeckung dessen, was im digitalen Diskurs verworfen wird.

Wie ist aber unter den Bedingungen von Pluralität und Multikulturalität ein Zusammenleben im Horizont der Weltvernetzung denkbar, das die Welt weder in ein globales Kasino noch in ein digitales Tollhaus verwandelt? Die Diskussion um die minima moralia zu diesen Fragen hat erst begonnen und sie besitzt eine Brisanz, vergleichbar mit den ihr verwandten weil sich immer stärker im Kontext der Weltvernetzung und der Digitalisierung stellenden bioethischen Fragen. Die politische Aktualität und Dringlichkeit dieser Probleme zeigt die im Dezember 2003 im Auftrag der Vereinten Nationen veranstalteten „World Summit on the Information Society“ (WSIS) (www.itu.int/wsis). Das ICIE Symposium versteht sich als einen Beitrag zur ethischen Diskussion dieser Probleme. Eine Herausforderung der aufkommenden glokalen Weltgesellschaft besteht darin, vor- und nachzudenken wie die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens, wie sie zum Beispiel in der "Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte" zum Ausdruck kommen, im Kontext der digitalen Weltvernetzung auszulegen sind, so dass anstelle des beschworenen "Kampf der Kulturen" ein Dialog zwischen den Kulturen möglich wird, der zugleich zum Erhalt ihrer Vielfalt beiträgt ohne die bislang vorwiegend technisch aufgefaßte Dimension ihrer Einheit aufzugeben.


Methodik

Teilnahme am ICIE-Symposium und Nacharbeitung auf der Basis ausgewählter Beiträge.
Teilnahme am IV. HdM-Symposium zur Medienethik.


Themen und Termine

    1) 4.-6. Oktober: Teilnahme am ICIE-Symposium
    2) 13. Oktober: Nacharbeitung des Symposiums
    3) 27. Oktober: Vorbereitung des Kompaktseminars
    4) 26.- 27. November: Kompaktseminar (Vorderbüchelberg)

Programm

 26.11.2004

10.30 : 1 2.30 Rafael Capurro: Einführung

12.30 : 13.30 Mittagessen 

13.30 : 15.00 Filip Tabak: Internet und Informationseinrichtungen auf kroatischen Inseln (in Anschluss an den Beitrag von Prof. Aparac, Zagreb, Kroatien)

15.00 : 16.30 Sebastian Solte: “The Internet: The missing link between the information rich and the  information poor?” (Präsentation und Diskussion des Beitrags von Johannes Britz, Praetoria, Südafrika)

16.30 : 17.00 Pause

17.00 : 18.30 Alexander Kohler: Virtuelle Parallelgesellschaften: Online-Spiele aus ethischer und  interkultureller Sicht

18.30 : 19.00 Abendessen

19.00 : 20.30 Forum: Interkulturelle Informationsethik


27.11.04

9.30-12.00 Aline Neidhold, Tina Waibel: Interkulturelle Online-Kommunikation (“Can the local reshape the global?”, Präsentation und Diskussion des Beitrags von Charles Ess, USA)

12.00 – 12.30 Pause

12.30-14.30 Rafael Capurro: Präsentation und Diskussion des wissenschaftlichen Abschlussberichts des ICIE Symposiums für die VolkswagenStiftung.

ICIE-Symposien zur Informationsethik

  • II. ICIE-Symposium zur Informationsethik (2002) Digital Divide aus ethischer Sicht. Veranstalter: International Center for Information Ethics, Professur für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg (Prof. Dr. Thomas Hausmanninger), gefördert von der VolkswagenStiftung. Proceedings: Rupert Scheule, Rafael Capurro, Thomas Hausmannigner Hrsg.: Vernetzt gespalten. Der Digital Divide aus ethischer Perspektive. Schriftenreihe des ICIE, Bd. 3, München: Fink 2004.
  • I. ICIE-Symposium zur Informationsethik (2001) Konzepte der Informationsethik. Veranstalter: International Center for Information Ethics, Professur für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg (Prof. Dr. Thomas Hausmanninger) gefürdert von der Volkswagenstiftung. Proceedings: Th. Hausmanninger, R. Capurro Hrsg.: Netzethik. Grundlegungsfragen der Internetethik. Schriftenreihe des ICIE, Band 1, München: Fink 2002.

Links

 Letztes Update: 28. November 2004


 
Zurück  zu Lehre
 
Homepage Forschung - Research Veranstaltungen - Activities
Veröffentlichungen - Publications Digitale Bibliothek - Dig.Library Video/Audio