ETHISCHE REFLEXIONEN ZUM DATENSCHUTZ

IM BEREICH DER FACHINFORMATION

Gerd Runge -  Rafael Capurro

  

 
  
Erschienen in Nachrichten für Dokumentation, 33, 1982, Nr. 4/5, S. 166-170


 
   
  
Summary

Die gegenwärtige Datenschutzgesetzgebung im Bereich der Fachinformation und -kommunikation ist nach Meinung der Verfasser u.a. sowohl in bezug auf die Autoren- als auch auf die Benutzerdaten änderungs- bzw. ergänzungsbedürftig. Die Reflexion über Fragen des Datenschutzes in diesem Bereich setzt immer (zumindest implizit) einen ethischen Begründungsdiskurs voraus. Es wird versucht, durch eine normativ-analytische Begründungsmethode das Prinzip der Vertraulichkeit in diesem Bereich zu erläutern und einige der hier auftauchenden Fragen zu erörtern. Unter diesem Gesichtspunkt werden mögliche Änderungen bzw. Ergänzungen des Datenschutzgesetzes in diesem Bereich diskutiert und ethisch begründet.

The present german data protection laws in the fields of scientific and technical information need, according to our opinion, a correction or a complementation with regard to authors and users data. Reflection about questions of data protection in this field presuposes always (at least implicitly) an ethical foundational discourse. Based on a normative-analytical methodology the principle of privacy is explained and some questions are discussed. In the light of the principle of privacy some of these corrections and amendments are proposed and discussed.


Einleitung

Es ist gewiß nicht leicht, im Bereich der Fachinformation und -kommunikation die unterschiedlichen ethischen Prinzipien bzw. die von ihnen aufgeworfenen Fragen in ihrer wechselseitigen Bedingtheit zu erfassen und die vielfältigen Konflikte, die durch diese Wechselseitigkeit entstehen, zu lösen. Das ist schon deshalb schwierig, weil der Gegenstand dieses Bereiches sich gewissermaßen beliebig erweitern läßt. Das leuchtet schon ein, wenn man als Adressaten des Informationsprozesses die Öffentlichkeit, d.h. "Jedermann", in Betracht zieht. Es gibt natürlich Schwerpunkte: "Am Anfang" waren es die Wissenschaftler, "später" kamen die Anwender, "dann" die Politiker, usw. Es war aber "von Anfang an" auch klar, daß jeder einen ungehinderten Zugang zu Fachinformationen haben sollte. Was sind aber Fachinformationen? Etwa lediglich die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung? Oder auch alle Arten von Daten und Fakten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens? Wo und wie grenzt man diesen Bereich ein? Oder ist es vielleicht sinnvoll und produktiv, keine starren Definitionen anzustreben und das, was zunächst als ein Mangel erscheinen könnte, als einen Ausdruck der Lebendigkeit eines Gebietes anzusehen?

In den folgenden Überlegungen wollen wir uns mit einem Ausschnitt aus dem Gesamtbereich beschäftigen und die ethische und juristische Problematik in diesem Bereich aufzeigen. Dieser Ausschnitt wird beschrieben durch den Anwendungsbereich von Datenschutzgesetzen in Einrichtungen der Information und Dokumentation.

1. Die Grundformen des Datenschutzes

Am 27. Januar 1977 verabschiedete der Deutsche Bundestag das "Gesetz zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung (Bundesdatenschutzgesetzt - BDSG)", das in seinen wesentlichen Teilen Anfang 1978 in Kraft trat. § 1 BDSG normiert es als Aufgabe des Datenschutzes, durch den Schutz personenbezogener Daten vor Mißbrauch bei ihrer Speicherung, Übermittlung, Veränderung und Löschung (Datenverarbeitung) der Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange der Betroffenen entgegenzuwirken. Die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten begründet ein Schutzbedürfnis der jeweils betroffenen Person. Das kommt zum Ausdruck in dem Bericht und Antrag des Innenausschusses des Bundestages vom 2. Juni 1976, in dem es heißt:

"Die durch die modernen Methoden der Informationsverarbeitung geschaffenen Möglichkeiten zur Speicherung, Verknüpfung und Weitergabe personenbezogener Informationen drohen zu einer Gefährdung der durch das Grundgesetz besonders geschützten Persönlichkeitsrechte der Bürger zu werden... Um Mißbräuchen bei der Datenverarbeitung vorzubeugen, müssen die Informationsflüsse durch ein Datenschutzgesetz reguliert und für die Betroffenen durchsichtig gemacht werden."

Die Grundnormen hierfür sind der § BDSG der die Voraussetzungen nennt, unter denen überhaupt personenbezogene Daten verarbeitet werden dürfen, der § 4 BDSG, der die Rechte der Betroffenen gegenüber der speichernden Stelle festlegt, und der § 5 BDSG, der den bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen eine besondere Sorgfaltspflicht im Umgang mit personenbezogenen Daten auferlegt. Schließlich werden im § 6 BDSG technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherung der Daten vorgeschrieben.

Uns interessiert, ob die Besonderheiten des IuD-Bereichs in der Datenschutzgesetzgebung so beachtet wurden, wie dies sachgerecht wäre. Verschiedenartig sind die personenbezogenen Daten mit denen IuD-Stellen umgehen:

An erster Stelle zu nennen sind die "Autorendaten". Nachdem das BDSG in § 2 Abs. 1 alle Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person völlig unabhängig von ihrer Schutzbedürftigkeit als personenbezogen qualifiziert und damit dem  BDSG unterwirft, muß auch die gespeicherte Information, daß eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Weise über ein bestimmtes Thema eine Publikation veröffentlicht hat, als personenbezogenes Datum gewertet werden.

Benutzerdaten sind dagegen Angaben über Personen, welche die Dienste einer IuD-Einrichtung in Anspruch genommen haben. Schließlich werden auch in IuD-Einrichtungen wie in anderen Unternehmen Daten über eigene Mitarbeiter gespeichert werden müssen.

Für das Maß der Akzeptanz der gesetzlichen Vorschriften im IuD-Bereich mag typisch sein, was der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in seinem dritten Tätigkeitsbericht als Ergebnis der Prüfung bei einer Bibliothek berichtet:

"Im Hinblick darauf, daß die im Rahmen der Aufgabenstellung verarbeiteten personenbezogenen Daten ausnahmslos zur Veröffentlichung bestimmt sind und auch tatsächlich veröffentlicht werden, war man davon ausgegangen, daß ein sachliches Bedürfnis für Datenschutz nicht gegeben sei."

Der Bundesdatenschutzbeauftragte fährt dann fort: "Auch wenn die bibliografischen Daten durchweg keines Schutzes gegen unbefugte Kenntnisnahme bedürfen, so besteht doch ein klar erkennbares Interesse der Betroffenen (vor allem Autoren und Herausgeber) an wirksamen Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf die Richtigkeit der verarbeiteten Daten. Darüber hinaus gibt es auch Dateien, wie Personal- oder Benutzer- und Entleiher-Karteien, die umfassend datenschutzbedürftig sind". (Dritter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs.2 Satz 2 BDSG, Bonn, o.J., Seite 30)

Im folgenden legen wir zunächst einige ethische Argumente (und als solche sollten hier besprochenen "Prinzipien" verstanden werden) zu Grundfragen des Datenschutzes im Bereich der Fachinformation und -kommunikation dar. Von hier aus läßt sich, nach unserer Auffassung, die gegenwärtige änderungs- bzw. ergänzungsbedürftige Datenschutzgesetzgebung in bezug auf die Autoren- und Benutzerdaten besser verstehen. Mit Hilfe juristisch-ethischer Fragestellungen können, so hoffen wir, die besonderen Rahmenbedingungen dieses Bereiches durchleuchtet und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen besser begründet werden.


2. Ethische Erörterungen  zum Datenschutz im Bereich der Fachinformation und -kommunikation

O. Höffe, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Ethik, hat neulich mit Recht betont, daß ethische Fragen nicht so sehr abstrakt-methodologisch, sondern mit der im jeweiligen Bereich angemessenen begrifflichen Genauigkeit und Stringenz der Begründung gestellt werden sollten (1). Es ist gewiß nicht Aufgabe der Ethik, dem Gesetzgeber vorzuschreiben, welche Gesetze er erlassen soll, aber durch ethische Reflexion ans Licht gebrachte neue Zusammenhänge können als vernünftige Grundlage z.B. für eine Gesetzesänderung bzw. -ergänzung dienen. Jede ethische Reflexion beginnt dort, wo ein geltendes Normensystem seine Selbstverständlichkeit verloren hat; wo man also nicht versteht, warum eine Norm noch gültig ist bzw. warum eine Norm in bezug auf eine neue Lage nicht geschaffen worden ist. Das heißt gewiß nicht, daß Gesetze in bezug auf ihre ethische Grundlage völlig von der jeweiligen Situation abhängig wären.

Das Prinzip der Wechselseitigen Anerkennung

Als höchstes ethisches Prinzip soll hier das der wechselseitigen Anerkennung freier und (in bezug auf diese Freiheit) gleicher Personen, vor dem Höffe, aber auch etwa Kant oder Hegel ausgehen, aufgestellt werden. Mit den vorangegangenen Bemerkungen soll dieses Prinzip nicht relativiert, sondern auf die Wechselbeziehung zwischen der Reflexion über Prinzipien und den sich verändernden Daseinsverhältnissen / Sinnzusammenhängen hingewiesen werden. Es ist hier nicht der Ort, dieses Problem, nämlich das der Applikation, zu erörtern. Es mag der Hinweis genügen, daß es einer der Hauptverdienste der philosophischen Hermeneutik gewesen ist, auf den positiven Sinn des Applikationsproblems als eines offenen und schöpferischen Verstehensprozesses hingewiesen zu haben.

Aus dem höchsten ethischen Prinzip abgeleitete Prinzipien entziehen sich einer unveränderlichen Auslegung bzw. Fixierung. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes Ausgangspunkte für unser Denken und Tun und sollen uns dieses gerade nicht ersparen.

Das Prinzip der Vertraulichkeit

Man könnte alle Probleme des Umgangs mit personenbezogenen Daten unter die Überschrift des Prinzips der Vertraulichkeit stellen. Es ist hier nicht der Ort, eine umfangreiche Begründung dieses Prinzips zu entfalten. Diese wäre aber insofern notwendig, da ethische Prinzipien, wenn man einen willkürlichen Dogmatismus vermeiden will, nicht einfach aufgestellt werden sollten, sondern argumentativ gerechtfertigt werden müssen. Erst wenn ein solches Prinzip in seiner Allgemeinheit überprüft wird, kann es in den verschiedenen Bereichen angewandt werden. Es sind ja nicht die Situationen oder Bereiche, die zur Bestimmung der Sittlichkeit eines Prinzips beitragen. Aber das Prinzip in seiner Allgemeinheit bleibt wiederum ohne den produktiven Vorgang der Applikation abstrakt. Lediglich das Moralprinzip selbst ist nicht ableitbar, sondern dient selbst zur Begründung untergeordnete Normen. Dieses oberste Kriterium stellt nicht nur das Faktum der menschlichen Freiheit dar, sondern betont das Moment der wechselseitigen Anerkennung als notwendige Bestimmung dieser Freiheiten selbst. Hiermit wird das egoistische Selbstinteresse als letzter Maßstab allen Handelns in Frage gestellt.

Man könnte das Prinzip der Vertraulichkeit innerhalb einer normativ-analytisch verfahrenden Ethik aus dem obersten Grundsatz ableiten etwa im Sinne der folgenden Maxime: "Du sollst mit personenbezogenen Daten so umgehen, daß die Freiheit der Person unangetastet bleibt." Da diese Maxime noch kein konkretes Handeln z.B. im Bereich der Fachinformation und -kommunikation vorschreibt, müßte sie situationsgemäß angewandt werden, etwa: "Du sollst mit personenbezogenen Daten im Bereich der Fachinformation und -kommunikation so vertraulich umgehen, daß die Freiheit von Personen unangetastet bleibt".

Man könnte auch statt normativ-analytisch, hermeneutisch verfahren und das sittliche Prinzip in den konkreten Erfahrungen dieses bestimmten Bereiches aufspüren. In einer phänomenologischen Beschreibung des Umgangs mit Fachinformationen, mit ihren Produzenten, Vermittlern und Nutzern wäre hier an Hand der konkreten Erfahrungen das Sittliche zu suchen. Ein dritter analytischer bzw. sprachanalytischer Weg wäre, die bereits verwendeten moralischen Ausdrücke in diesem Bereich zu analysieren und die Art, wie hier tatsächlich argumentiert wird, zu beschreiben. Man könnte schließlich die Sätze und Gegensätze, die das Prinzip der Vertraulichkeit enthält, dialektisch darstellen, um somit eine einseitige Fixierung in der Anwendung zu vermeiden.

Das Recht auf Privatheit

Wir wollen uns in den folgenden Ausführungen auf die skizzenhaft dargestellte normativ-analytische Begründung dieses Prinzips stützen und zunächst auf einen scheinbaren Gegensatz aufmerksam machen. Im Prinzip der Vertraulichkeit ist nicht nur eine Pflicht gegenüber den anderen, sondern auch ein Recht des Einzelnen ausgedrückt, nämlich das Recht auf Privatheit. Dieses Recht gewinnt gerade dann an Gewicht, wenn durch eine einseitige Auslegung des Prinzips der Informationsfreiheit alle Mittel gerechtfertigt erscheinen könnten, um sich über andere zu informieren. Dieses Prinzip steht aber nicht im Gegensatz zur Privatheit, sondern schließt das Recht des Einzelnen ein, anderen nur das mitzuteilen, was er mitteilen will. Es wird nicht dadurch abgeschwächt, daß dieses Recht auf Privatheit durch das Vorhandensein einer Menge personenbezogener Informationen bei unterschiedlichen Stellen bereits unverkennbar gefährdet ist, wie S. Schwarz mit Recht dargelegt hat (2). Durch die internationale Datenschutzgesetzgebung wird versucht, der daraus erwachsnen Gefährdung des Individuums entgegenzuwirken (3).


3. Die juristisch-ethisch Fragestellung in bezug auf die Autorendaten

Uns beschäftigt hier die Wirkung der Vorschriften über den Datenschutz im Bereich der Fachinformation und -kommunikation. In diesem Bereich handelt es sich um personenbezogenen Daten von Autoren, Vermittlern und Nutzern von Fachinformationen. Welches Recht besitzen die jeweiligen Personen auf eine vertrauliche Behandlung ihrer Daten oder inwiefern spielt hier das Recht auf Privatheit eine Rolle?
Mit dem Begriff der Privatheit soll hier ausgedrückt werden, daß jede natürliche Person das Recht haben soll, selbst zu entscheiden, welche Fachinformationen sie unter ihrem Namen bekanntmachen will. Durch die selbst bewirkte Bekanntmachung tritt der Einzelne dann aber aus seiner Privatsphäre heraus. Er veröffentlicht z.B. ein Buch oder einen Aufsatz und gibt damit Informationen über seine Person – Interessengebiete, Arbeitsweisen, Arbeitsergebnisse usw. – selbst preis. Ein Autor kann sich zwar "verstecken", indem er unter einem Pseudonym publiziert oder weitergehende Angaben zu seiner Person wie Adresse oder Dienststelle verschweigt. Datenschutzrechtlich bleibt der Sachverhalt bestehen, daß über eine grundsätzlich bestimmbare natürliche Person Angaben öffentlich bekannt wurden, die nun von interessierten Stellen gespeichert und mit etwa zugänglichen anderen Informationen über die gleiche Person verknüpft werden könnten. Die Möglichkeiten, eine Vielzahl von Datenbeständen nach bestimmten Sachkriterien zu durchforsten, auf Durchschnittswerte und Abweichungen von so ermittelten Normen zu analysieren oder mehrere verschiedene Datenbestände miteinander zu verknüpfen, stellen das spezifische Risiko des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung dar.

Da diese Problematik gerade auch aus rechtlicher Sicht durchaus erkannt ist (4), müssen die rechtlichen Zulässigkeiten derartiger Verarbeitungen und die Rechte des Einzelnen, seine Privatheit zu wahren, im Licht des höchsten ethischen Prinzips gegeneinander gestellt werden.

Die Applikation dieses Prinzips im IuD-Bereich durch die Gesetzgebung führt zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen je nach der (zufälligen) rechtlichen Organisationsform einer IuD-Einrichtung:

– IuD-Einrichtungen, die als Bundesbehörde organisiert sind (z.B. Deutsche Bibliothek in Frankfurt), unterliegen dem zweiten Abschnitt des BDSG. Sie dürfen personenbezogene Daten speichern, wenn dies zur rechtmäßigen Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (§ 9 Abs. 1 BDSG)
– IuD-Einrichtugnen, die als Landesbehörden organisiert sind (z.B. Landesbibliotheken) unterliegen den Landesdatenschutzgesetzen der jeweiligen Länder, deren Regelungen insoweit denen des BDSG entsprechen.
– IuD-Einrichtungen, die von privaten Einrichtungen für eigene Zwecke unterhalten werden (z.B. Dokumentationsstellen in Industrieunternehmen), unterliegen dem dritten Abschnitt des BDSG. Sie dürfen personenbezogenen Daten unter den einschränkenden Bedingungen der §§ 23-25 BDSG speichern, verändern oder übermitteln. Auf die in diesem Zusammenhang wichtige Ausnahme des § 1 Abs. 3 BDSG  – von Unternehmen oder Hilfsunternehmen der Presse, des Rundfunks oder des Films ausschließlich zu eigenen publizistischen Zwecken gespeicherten personenbezogenen Daten aus dem Geltungsbereich des Gesetzes sind dabei ausgenommen – muß hier hingewiesen werden. Gleichwertige Vorschriften enthalten die Landesdatenschutzgesetze bezüglich der in den Ländern ansässigen Rundfunkanstalten.
– IuD-Einrichtungem schließlich, die privatrechtlich organisiert sind, deren grundsätzliche Aufgabenstellung es aber ist, Informationen jedermann in vollem Umfang zugänglich zu machen, unterliegen als Stellen, die geschäftsmäßig Datenverarbeitung für fremde Zwecke betreiben, dem vierten Abschnitt des BDSG. Bei ihnen richtet sich die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten nach den Vorschriften der §§ 32, 33 BDSG.

Wenden wir uns wieder der selbstbewirkten Bekanntmachung personenbezogener Daten eines Autors im Zusammenhang mit einer von ihm gewollten Veröffentlichung zu. Wir unterstellen, daß – wenn auch aus unterschiedlichen Rechtsgründen – die IuD-Einrichtungen diese personenbezogenen Daten speichern, verarbeiten und an ihre Nutzer übermitteln dürfen. Nun stellt sich die Frage, ob der einzelne Autor seine Entscheidung zur Veröffentlichung gewissermaßen rückgängig machen kann.

Der Weg zurück aus der Öffentlichkeit in die Privatheit müßte durch ein Löschen der öffentlich bekannt gewordenen Daten bei den speichernden IuD-Einrichtungen erreicht werden. Die Datenschutzgesetzgebung verschließt aus guten, ethisch zu verantwortenden Gründen diesen Weg grundsätzlich nicht. Sie gibt jedem Betroffenen das Recht zu verlangen, daß über ihn gespeicherte personenbezogene Daten gelöscht werden wenn
– eine öffentliche Stelle diese Daten gespeichert hatte, ihre Kenntnis zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben jedoch nicht mehr erforderlich ist (§ 14 Abs. 3 Satz 2 BDSG)
– für eine private Stelle, welche die personenbezogenen Daten zu eigenen Zwecken verarbeitet hatte, die Kenntnis der Daten für die Erfüllung des Zweckes der Speicherung nicht mehr erforderlich ist (§ 27 Abs. 3 Satz 2 BDSG);
– bei einer privaten Stelle, welche die Daten für fremde Zwecke verarbeitet hat – und hierunter fallen die uns hier besonders interessierenden privatrechtlich organisierten Fachinformationszentren –, für volle Kalenderjahre nach der Einspeicherung der Daten verstrichen sind (§ 35 Abs. 3 Satz 2 BDSG).

Dem Löschungsbegehren  steht nicht nur die Tatsache entgegen, daß der Autor nicht wissen kann, wo überall die jeweiligen Daten gespeichert sind. Da bibliographische Daten "öffentlich" sind muß der Betroffene nach geltendem recht nicht unterrichtet werden, wenn sie in Dokumentationssysteme eingespeichert werden. Hier scheint aber auch angesichts der Situation im Bereich der Fachinformation und -kommunikation die ethische Grundlage dieser Gesetzesvorschriften interpretationsbedürftig. Daß der Einzelne früher bekanngegebene Daten zu seiner Person unter Hinweis etwa auf sein Privatheitsrecht soll rückgängig machen können, kann vielleicht in anderen Bereichen gerechtfertigt erscheinen, obwohl auch dort mögliche Konflikte mit anderen ethischen Prinzipien zu analysieren wären. Im Bereich der Fachinformation scheint es gerechtfertigt, eine solche Forderung abzulehnen. Der Einzelne würde dabei das Recht aller, die von seiner Veröffentlichung noch keine Kenntnis genommen haben, gegenüber denen verletzen, die sie bereits kennen. Er würde somit beliebig mit der Freiheit der anderen zu seinem Gunsten umgehen. Würde dies zum allgemeinen Recht erhoben, so wäre nicht das Prinzip der Privatheit geschützt, sondern das des egoistischen Selbstinteresses begründet. Der Benutzer von Fachinformation muß ein Recht (innerhalb des Prinzips der Informationsfreiheit) auf Fachinformation haben, die vom Autoren selbst bekannt gemacht wurden und die anderen Nutzern des IuD-Systems zugänglich waren.

Auch der Vermittler ist ethisch dem Benutzer gegenüber auf die quantitative Vollständigkeit seiner Datenbasen verpflichtet, und je weniger er in die Auswertung der Inhalte eingreift, um so mehr verschiebt sich die Verantwortung hin zu Richtigkeit und Vollständigkeit der formalen Angaben (5).

Was bleibt also dem Produzenten übrig? Er kann Geschehenes nicht ungeschehen machen. Er ist ferner, wenn sich um Fachinformationen im engeren Sinne handelt (etwas Forschungsergebnisse), der Offenheit gegenüber Kritik seiner Mitmenschen ethisch verpflichtet. Sich dem zu verschließen, hieße nur eine der Bedingungen, die ihn als Mensch und insbesondere als "Fach-Mensch" auszeichnen, leugnen zu wollen. Aber er ist andererseits nicht der Unerbittlichkeit eines Schicksals ausgeliefert. Gewiß "habent sua fata libelli", aber es steht dem Verfasser frei, seine früher veröffentlichten Meinungen implizit oder explizit zu widerrufen. Es ist das Prinzip des Widerrufs und die Achtung dieses Prinzips seitens der Vermittler und der Benutzer, wodurch das Recht des Einzelnen in bezug auf seine personenbezogenen Daten in diesem Bereich geschützt wird. Allerdings scheint es einer Diskussion bedürftig, ob eine nicht fach-informationsbezogene, also auf Sachthemen gerichtete, Auswertung von Fachdokumentationen besonderer Zulässigkeitsvoraussetzungen bedarf.


4. Aufriß der juristisch-ethischen Fragestellung in bezug auf die Benutzer


Die Frage nach dem Schutz personenbezogener Daten der Vermittler von Fachinformation, etwa der Mitarbeiter einer IuD-Stelle, sei hier nur erwähnt, ohne auf die besondere Problematik eingehen zu wollen. Ebenso kann die besondere Problematik hier nicht diskutiert werden, die sich ergibt, wenn personenbezogene Daten Inhalt der Fachinformation sind (z.B. Dokumentationen der presse, im medizinischen Bereich usw.). Dagegen kann die Frage nach dem Schutz der Daten über Benutzer von IuD-Einrichtungen nicht undiskutiert bleiben, wenn die Ethik des Datenschutzrechtes im IuD-Bereich behandelt wird. Hier muß postuliert werden, daß der Informationsvermittler gegenüber den Benutzern dem Prinzip der Vertraulichkeit verpflichtet ist. Es wäre zu erwägen, inwiefern diese Verpflichtung auch für den Schutz von Daten juristischer Personen gelten soll. Das Prinzip der Vertraulichkeit muß in diesem Bereich gelten, weil der Benutzer seine Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat, sondern diese nur dem Vermittler zugänglich machen muß, um diesem die Erfüllung seiner Dienstleistungsverpflichtung zu ermöglichen.

Der Vermittler ist also gegenüber Dritten, die sich etwa auf das Prinzip der Informationsfreiheit berufen, verpflichtet, die Benutzerdaten nicht freizugeben, sondern vor der Kenntnisnahme durch Dritte zu schützen. Hier tritt der umgekehrte Fall ein als bei einer selbstbewirkten Bekanntmachung. Dort sollte die möglichst dauerhafte Zugänglichkeit gesichert werden (man denke z.B. an den Wert eines solchen Schutzes für die Geschichtsschreibung, die Literatur, die Kontinuität der Forschung usw.). Hier steht dagegen, innherhalb des Rechts auf Informaitonsfreiheit, dax Recht des Einzelnen auf seine Privatheit.

Man glaubt auch hier in einen Widerspruch zu geraten zwischen diesem Recht auf Informationsfreiheit und dem Prinzip der Vertraulichkeit. Aber es ist genau umgekehrt wie im Fall der Produzentendaten: Dort mußte das Prinzip der Privatheit als Ausdruck egoistischen Selbstinteresses gegenüber dem allgemeinen Recht auf Informationsfreiheit zurücktreten. Hier, bei den Benutzerdaten, schützt das Prinzip der Vertraulichkeit die zugrunde liegende Informationsfreiheit. Solange der Benutzer nicht freiwillig seine Daten für Dritte zur Verfügung stellen will (Einwilligung zur Verarbeitung gem. § 3 Nr. 2 BDSG), sind diese Daten schutzbedürftig. Dies folgt zwingend aus dem Prinzip der Informationsfreiheit, das jedermann das Recht gibt, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Ar6. 5 Abs. 1 GG).

Vor dem Hintergrund dieses verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf Informationsfreiheit darf es nur solange zulässig sein, Benutzerdaten zu speichern, wie dies für eigene Zwecke der IuD-Einrichtung erforderlich ist. Im öffentlichen Bereich erscheinen die Vorschriften zur Datenübermittlung in §§ 10, 11 BDSG nicht ausreichend, um diesem besonderen Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen. Auch die Sperrvorschriften in §§ 14 Abs. 2 bzw. 27 Abs. 2 BDSG sind nicht so ausgestaltet, um ein "Vergessen" des Computers sicherzustellen. Schließlich scheint die Vorschrift, daß ein Benutzer einer IuD-Einrichtung die Gründe darzulegen hat, warum er eine Information braucht, und daß die IuD-Einrichtung diese Gründe aufzeichnen muß (§ 32 Abs. 2 BDSG), geeignet, das o.g. Verfassungsprinzip in seinem Wesensgehalt anzutasten und damit selbst verfassungswidrig zu sein (Art. 19 Abs. 2 GG).


5. Schluß

Aufgrund der technischen Möglichkeiten großer Computersysteme sind die Rahmenbedingungen, denen sich Autoren, Vermittler und Nutzer von Informationssystemen gegenübergestellt sehen, anders als sie in vergangenen Zeiten waren. Darauf wurde weiter oben schon hingewiesen. Sowohl hinsichtlich der Menge des gespeicherten Datenmaterials als auch der Geschwindigkeit, mit der jede einzelne Information verfügbar gemacht werden kann, sind heute Dimensionen erreicht, die noch vor einem Jahrzehnt unvorstellbar erschienen. Die Rechtsordnung hat in dieser Situation zwischen dem Anspruch des Einzelnen auf Privatheit einerseits, auf Informationsfreiheit andererseits, noch keine endgültige Position gefunden. Fiedler weist mit Recht darauf hin, daß die institutionelle Ordnung von Kommunikationsmedien und Informationssystemen, die im Datenschutzgesetz nur für Presse und Rundfunk eine (vorläufige) Regelung gefunden hat, gerade auch für die Fachinformationszentren noch nicht geklärt ist und einer zukünftigen Ordnung im Informationsrecht bedarf (6).

Der Novellierungsentwurf zum Bundesdatenschutzgesetz (1982) leistet hierzu keinen Beitrag. Er bringt, wo er über formale und redaktionelle Textänderungen hinausgeht, nur ein Mehr an Datenschutz-Management und Datenschutz-Aufsicht. Systembedingt fehlen Ansätze zu bereichsspezifischen Lösungen; wo sie versucht werden (neuer § 3 a BDSG - Datenverarbeitung für wissenschaftliche Zwecke), werden sie den angestrebten Zwecken nicht gerecht.

Die hier angestellten Reflexionen sollen zu der notwendigen Diskussion um die datenschutzrechtliche (Neu)-Ordnung der Fachinformation einen Beitrag leisten. Man muß dazu auf Möglichkeiten und Grenzen der Instrumentalisierungs- und Manipulationsmöglichkeiten der modernen Technik aufmerksam machen. Diese Grenzziehung ist nicht so sehr negativ als "Grenze der Technik" zu sehen als vielmehr positiv, als Schutz des offenen Raumes, in dem wir uns frei begegnen können, um somit freie Menschen bleiben zu können.



Anschrift der Autoren:

DV Gerd Runge und Dr. Rafael Capurro, Fachinformationszentrum Energie, Physik, Mathematik, 7514 Eggenstein-Leopoldshafen 2.


Literatur

(1) Höffe, O.: Ethik und Politik. Frankfurt am Main 1979, S. 71 ff.

(2) Schwarz, S.: Research, Integrity and Privacy. Notes on a conceptual complex. In: Social Science Information 18, 1 (1979), S. 103-136.

(3) Europäische "Konvention zum Schutz des einzelnen im Hinblick auf die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten", verabschiedet vom Ministerrat des Europarats am 17.9.1980; Datenschutzgesetze in Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Norwegen, Österreich, Schweden; Gesetzesvorlagen und Gesetzesentwürfe in weiteren westeuropäischen Ländern.

(4) Riegel, R.: Rechtsprobleme der Rasterfahndung, in: ZRP 1980, S. 300 ff.

(5) Capurro, R.: Zur Frage der Ethik in Fachinformation und -kommunikation, in: Nachr. f. Dokum. 32. 1981. S. 9 ff.

(6) Fiedler, H.: Vom Datenschutz- zum Informationsrecht, in: Datenschutz und Datensicherung, 1. 1981. S. 10 ff.

Letzte Änderung: 8. Mai 2017
 
 
 
 
    

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