WELTGESPRÄCH

Rafael Capurro

  


Ein Dichter, ein Philosoph und ein Weltraumforscher treffen sich an einem klaren warmen Abend am Rande eines dichten Waldes wo sie entlang spazieren gehen, die weiten bunten zum Teil schon geernteten Felder beobachten und die Breite des nur leicht bewölkten Himmels bewundern.

Der Weltraumforscher

Das unheimliche Gefühl sich in einem unendlichen (oder vielleicht endlichen?) Raum und in einer unendlichen (oder vielleicht endlichen?) Zeit zu befinden, und nicht zu wissen, ob es vielleicht doch noch irgendwo andere gleiche oder höhere Wesen gibt, die die merkwürdigen Fragen unserer Existenz beantworten könnten oder diese Fragen auch hätten. Diese Unwissenheit und die berechtigte Absage an einem deus ex machina erschüttert unser ganzes Dasein und unser Wissen, so daß wir den Eindruck unserer Nichtigkeit tiefer und tiefer empfinden: Wozu denn alles, wenn vielleicht...


Der Philosoph

Es gilt diese Lage nicht zu leugnen, sondern sie Ernst nehmen. Deine Absage an Gottesbegriffen scheint mir auch eine Absage an rationalistisch-szientistischen Utopien. Wir müssen aber, glaube ich, den Gespenstern die uns angeblich bedrohen, in die Augen schauen. Wenn es 'niedrigere' Wesen geben sollte, könnten wir mit ihnen nicht kommunizieren und unsere Lage wäre unverändert, ja vielleicht hätte sie sich verschlimmert. Hier entpuppt sich das erste Gespenst: diese 'Wesen', die könnte es nicht nur geben, die gibt es! und zwar in der reichhaltigsten Palette, die wir uns nur vorstellen können. Das Gespenst sind nicht diese 'niedrigeren' Wesen, sondern die sonderbare Vorstellung, daß wir isoliert sind, daß wir mit ihnen nicht 'kommunizieren', d.h. sie nicht an unsere Welt teilnehmen lassen können, was wir offensichtlich immer schon tun, es sei denn wir tun sie gewaltsam und nur scheinbar von uns weg.


Der Weltraumfoscher

Ich frage aber in erster Linie bezüglich gleicher oder höherer Wesen.


Der Philosoph

Was die gleichen Wesen betrifft, brauchen wir uns nur an die Entdeckungsfahrten des 15. Jahrhunderts zu erinnern.


Der Dichter

Wodurch, wie mir scheint, die Fragen von denen Du anfangs sprachst, an Reichhaltigkeit und Ernst gewonnen haben. Es begann damals, so wie es bei jeder Entdeckungsreise der Fall war und ist, eine Vertiefung unseres gemeinsamen menschlichen Daseins, die wir heute, im Zuge der Gleichmachung durch eine nur scheinbar gemeinsame Weltzivilisation noch nicht sehen wollen und die wir nicht zu ertragen imstande sind.

Der Philosoph

Die Frage nach den höheren Wesen scheint mir also der Kern der nihilistischen Ängste zu sein, die Du zur Sprache brachtest. Wir wissen nicht ob es sie gibt. Wir würden sie aber niemals als höher anerkennen, wenn sie der Sittlichkeit, d.h. der Freiheit nicht fähig wären. Nur intelligentere Wesen würden wir ja als bedrohlich, wie bei gefährlichen Tieren, empfinden.

Der Weltraumforscher

Und die Angst, wir werden hier eingeschlossen bleiben, falls wir nicht das All mit Raketten durchforschen? Irgendwo ist vielleicht eine Rettung: Draußen. Dafür müssen wir, wie mir scheint, alles opfern. Unser Leben muß so gestaltet sein, daß dieses Ziel ermöglicht wird. Auf irgendeinem Stern werden wir, vielleicht wie damals in der Neuzeit, neue Zivilisationen entdecken.

Der Philosoph
Der Mensch scheint aber dabei sich selbst als ein Ding unter anderen Dingen der Welt vorzukommen. Dinge sind aber für immer gegenseitig verschlossen. Wir sind aber der Bezug selbst, zu uns selbst, zu den Anderen, zu den Dingen. Wir sind als Menschen immer schon bei den Dingen, und wir stehen nicht einfach in einer gleichgültigen Entfernung zu ihnen. Die Philosophen, die diesen Bezug als Bezug zu denken versuchen, haben ihn mit einem Licht verglichen, das die Dinge sehen oder auch mit einer Melodie, die die Dinge mitklingen läßt. Je nach der Tönung des Lichtes oder der Stimmungsart der Klänge zeigen sich die Dinge eben unter einem anderen Licht, sie entdecken uns somit den Reichtum ihres Seins.


Der Dichter

Wenn wir also die Welt dichterisch be-stimmen, zeigt sich das Weltgefüge von sich aus in je anderer Weise. Unsere so genannten subjektiven Erlebnisse sind also reichhaltigere und komplexere Weisen wie das Gefüge von Weltbezügen sich zeigen kann.


Der Weltraumforscher

Also hat ein Dichter zum Beispiel, um in meiner Terminologie zu sprechen, eine größere und tiefere Empfangsbreite als derjenige, der die Weltbezüge nur von einer Seite betrachtet und sie fixieren will.


Der Philosoph

Die scheinbare Isolierung des Subjekts von einer sich außer ihm befindenden Welt von Objekten würde das unheimliche Gefühl, von dem Du anfangs sprachst, hervorrufen. Ein nicht-isoliertes Subjekt ist aber kein Subjekt, d.h. zugrunde liegendes Ding (sub-iectum) mehr. Der Zusammenbruch dieses Gespenstes bedeutet zugleich der Zusammenbruch einer Welt von feststellbaren einseitig zu betrachtenden Objekten.


Der Weltraumforscher

Dieser Zusammenbruch scheint aber jetzt doch erst meinem Nihilismus zu begründen: nichts ist sicher, die Dinge bieten keinen Halt mehr und nicht mal das Ich kann sich von dem Abgrund retten.

Der Philosoph

Du sagt es: Nichts ist sicher. Nicht die Dinge, sondern das, was kein Ding ist, also Nichts, d.h. das offene Gefüge von Weltbezügen ist sicher. Natürlich ist die Subjekt-Objekt-Spaltung eine Möglichkeit die Zusammenhänge zu sehen, eine sehr arme, reduzierende und verengende.


Der Dichter

Du scheinst eine Vision der Umarmung der Wissenschaften durch ein Wissen anzudeuten, eine kosmische Umarmung, begründet, wenn ich so sagen darf, in jener Offenheit oder Leere, in jenem Nichts, wovon Du sprachst. Die gläubige Erwartung auf die wissenschaftlichen Entdeckungen als die einzig wahren, erscheint von hier aus eine bedrohliche Einengung des Sehens. Solche Entdeckungen wären nie solche, wenn sie nicht immer schon von der Offenheit der Bezüge selbst her ermöglicht wären. Der neue Mensch braucht als zukunftsweisende Gesprächspartner die alten und neuen von der eingeengten subjektivistischen Perspektive freien Visionen.


Der Philosoph

Hier scheint mir Epikur wegweisend zu sein: Der freie Mensch verhält sich zu sich, zu den Anderen und zu Göttern in Freiheit. Die Freiheit des "gottlosen" Lebens bedeutet eine Erhöhung der Götter und des Menschen. Das olympische Leben und das irdisch-kosmische Leben berühren sich nur in Freiheit.


Der Weltraumforscher

Dieser Blick auf das Ganze, von dem ihr sprecht, was uns als Menschen in unserem Wesen angeht, scheint mir unverhüllter und reiner in der vorwissenschaftlichen vorneuzeitlichen dichterischen Sprachen vorzukommen als in allen naturwissenschaftlichen Werken der Neuzeit und der Gegenwart. Die Verstellung dieses Blickes bedeutet zugleich  den Verlust des Bodens auf dem allein wissenschaftliche Forschung sinnvoll, d.h. menschlich sein kann.


Der Philosoph

Die Wissenschaften sind also kein Leztes.

Der Dichter

Der wahre freie Mensch ist wie ein Gott unter den Menschen, frei von Abhängigkeiten: der Götter, der Wissenschaften, der Natur, seiner selbst. Selbstlos, gottlos, dinglos. Wissenslos, Göttliches vernehmend, den Anspruch der Dinge antwortend, über  Mögliches wissend. Meister Eckhart nannte dies "Abgeschiedenheit". Die ZEN-Meister sprechen von der Erfahrung der Leere, die nicht mit ihrer Vorstellung verwechselt werden darf. Johannes von Kreuz deutet in seiner unio mystica darauf hin: "Mi amado, las montañas".


Der Weltraumforscher

Das Gegenteil davon scheint Unfreiheit, Ängstlichkeit, Ichbezogenheit, Wissenschaftsgläubigkeit, nervöse Suche nach immer neuen Bestätigungen, Kleinkariertheit... zu sein.

Der Dichter

Eine Vision, die sich als ideales Angriffsziel für Rationalisten und Moralisten anbietet...

Der Philosoph

... wie Epikurs hedoné

Der Dichter

die Freude, wovon Hölderlin spricht

"zu wissen wenig, aber der Freude viel
Ist Sterblichen gegeben [...]"


Der Philosoph

alle Freuden, in Freiheit,


Der Weltraumforscher


auch dies des Sehens, Entdeckens, Fliegens


Der Philosoph

in Freiheit

Der Dichter

zum Gesamt unserer gewesenen, gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungsmöglichkeiten zu dem uns Begegnenden


Der Weltraumforscher

Dinge, Tiere, Pflanzen, Mitmenschen, den Himmel mit seinen Planeten und Sternen, unserer Erde,


Der Philosoph

zu unserem gesamten menschlichen Dasein in seinen denkenden, phantasierenden, träumenden, fühlenden, dranghaften Beziehungen, worinnen sich uns jeweils Welt ereignet,

Der Dichter

das heißt, alles sich in seinem Sein zeigt, zu allererst unser Dasein als wahrnehmende, verstehende, gestimmte Beziehung von diesem Weltgefüge her.


Der Philosoph

Nicht also von einem isolierten Bewußtsein, das erst zu den Dingen gelangen müßte, mit denen es nur also beiläufig zu tun hätte.

Der Dichter

Die Diagnose unserer Zivilisation müßte mit einer gründlichen Bestandsaufnahme der uns tragenden Weltbeziehungen anfangen.


Der Weltraumforscher

Nicht die Vorstellung einer Weltzivilisation und die Beziehung der Angst, die uns den Weltraum aus einer Sicht sehen läßt, sind zu verdammen,


Der Philosoph

sondern deren Absolutsetzung, wodurch andere, reichhaltige Möglichkeiten unseres kosmischen Daseins verdeckt und vergessen bleiben.


Alle drei kehren den gemeinsam Weg schweigend zurück.


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Dieser Text wurde in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschrieben.



Last update: 17. August, 2017


 
    

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