PLÄDOYER FÜR EINE  ARTIFIZIELLE HERMENEUTIK 

Rafael Capurro

 
 
Zuerst erschienen in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur 4 (1993) Heft 3,  S. 522-524, als Kritik zum Hauptartikel von Axel Bühler: Der hermeneutische Intentionalismus als Konzeption von den Zielen der Interpretation. Die anderen Kritik-Beiträge stammen von: Ralf Bohnsack, Reinhard Brandt, Volker Caysa, Alexander Haardt, Hans Ineichen, Ekaterini Kaleri, Christoph Kann, Georg Kneer, Hans-Dieter König, Karl-Heinz Lembeck, Hans-Ulrich Lessing, Poul Lübcke, Michael Nerlich, Stephan Otto, Gerhard Pasternack, Ulrike Popp-Baier, Frithjof Rodi, Helmut Rüßmann, Gebhard Rusch, Wolfgang Ludwig Schneider, Ulrich Schroth, Helmut Seiffert, Achim Stephan, Uta Störmer, Jürgen Straub, Susanne Thiele, Rainer E. Wiedenmann, Axel Wüstehube.

In Anschluß an diesem Beitrag werden Auszüge aus Bühlers Replik (S. 577 und Fußnote S. 585) wiedergegeben
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Inhalt  

Plädoyer für eine artifizielle Hermeneutik
Anmerkungen
Axel Bühler: Replik

 
 
 
 

Plädoyer für eine artifizielle Hermeneutik


((1)) Was hat Axel Bühler mit seinem Aufsatz "Der hermeneutische Intentionalismus als Konzeption von den Zielen der Interpretation" sagen wollen? Sagen "wollen" ((4)) wohlgemerkt, denn, was er tatsächlich gesagt bzw. geschrieben hat, das sind diese acht gedruckten Seiten. Wenn wir aber versuchen herauszubekommen, was Herr Bühler hat sagen "wollen", dann   stehen wir offenbar nicht bloß, wie Herr Bühler schreibt und vielleicht auch sagen will, vor einem "Erkenntnisproblem", sondern ebensosehr vor einem Willensproblem. Ich schreibe 'vielleicht', weil es ja sein kann, daß Herr Bühler tatsächlich die Absicht gehabt hat, zwischen "Absichten" und "Gedanken" zu unterscheiden, was aber wiederum fragwürdig erscheint, da er ein "bzw." zwischen "sagen wollen" und "welche Gedanken sie ausdrücken" einschiebt ((4)). Unmittelbar darauf trennt Herr Bühler die "Gedanken" des Autors von den "Verwendungen" durch den Leser.

Die Frage ist aber, ob eine solche Trennung möglich ist, wenn wir tatsächlich versuchen herauszubekommen, was Herr   Bühler mit diesem Aufsatz hat sagen wollen. Mit anderen Worten, es ist die Frage, ob Helmut die kommunikative Absicht: "Kannst du das Fenster schließen?" ((6)) überhaupt verstehen kann, wenn er eine epoché der (seiner) Verwendungsdimension vollzieht. Hätte er gar keinen thematischen oder unthematischen intentionalen Willensbezug zum offenen Fenster und würde er keinem offenen und unbestimmten Handlungs- und Denkbereich aufgeschlossen sein, dann würde er auch die (eine der) Absicht(en) dieser Äußerung nicht verstehen können. Ein Roboter (Herr Bühler spricht von "intelligenten Wesen" ((4)), der z.B. der Willens- oder Absichtsdimension ermangelt, aber in der Lage ist, aufgrund von Symbolmanipulationen diese Frage zu 'prozessieren', könnte tatsächlich das Fenster schließen (und nicht bloß den Gedanken 'verstehen'!), wenn man ihm (?!) vorher den situativen Handlungshorizont und die dazugehörenden Möglichkeiten eingegeben hätte.

Würde er das Fenster nicht schließen und immer sagen, er habe die Frage verstanden, dann würden wir denken, daß er die Frage wohl 'verstanden' aber 'eine andere Absicht hat', oder daß er eigentlich (!) die Frage nicht versteht, weil er eben bloß den Gedanken und nicht die damit verbundene Absicht versteht. In beiden Fällen hätten wir jedenfalls mit verschiedenen Bedeutungen des Wortes 'verstehen' zu tun, je nachdem, ob lediglich der propositionale Gehalt ('Fenster schließen') oder zugleich der illokutionäre Gebrauch (Bitte, Frage, Befehl) 'verstanden' wird. Vom Interpreten zu verlangen, daß sie/er Absichten verstehen soll, indem sie/er die eigene Verwendungsdimension ausschließt, kommt dem Versuch gleich, einen Gedanken zu verstehen, ohne sich dabei eigens (und Eigenes) zu denken.

((2)) Damit wären wir aber bei der Hermeneutik des 20. Jahrhunderts angelangt, die in der Tat, sowohl in ihren existentialontologischen als auch in ihren strukturalistischen Ausformungen den naiven Glauben an objektiven Gedanken und Absichten, die einem Subjekt zukommen sollen, radikal in Frage stellt. Diese Radikalität läßt sich kaum in wenigen Zeilen ausdiskutieren ((2)). Die Unzugänglichkeit der Autorenintentionen steht insofern in Frage, als damit die Vorstellung einer von der Welt getrennten "eingekapselten Psyche" (M. Boss) (1) verbunden ist. Vom Autoren und Interpreten gemeinsamen "In-der-Welt-sein" her, stellen die intentiones keineswegs ein sog. intramentales (oder gar innerzerebrales) Phänomen dar, sondern sie drücken die Spannung der Aufmerksamkeit, also ein 'Außer-sich-zum-anderen-hin-gehen' (in-tendere), aus. Um also die gedankenvollen Absichten und absichtsvollen Gedanken zu verstehen, muß der Interpret nicht die Psyche des Autors eruieren, sondern   er/sie muß sich selbst der Sache öffnen, die für den Autor Anlaß zum nach-denken war.

Zu sagen, daß für die philosophische Hermeneutik es primär darum geht, "was wir mit dem Text, mit der Rede anfangen, wie wir sie in unserem Leben für uns und andere anwenden wollen" ((2)), ist unzureichend.    Die philosophische Hermeneutik will keineswegs Texte den beliebigen Zielen des Auslegers ausliefern. Aber der Satz drückt zugleich, wenngleich Herr Bühler das hat vermutlich nicht sagen wollen, daß Texte letztlich nur im "Leben" und aus dem "Leben" zu verstehen sind, wobei die Pointe der philosophischen Hermeneutik darin besteht, daß bei einer 'gelungenen' Interpretation sowohl die Identität als auch die Differenz meiner 'intentiones' zu denen des Autors zum Ausdruck kommen, ja daß erst wenn diese Identitäten und Differenzen zum Ausdruck kommen, der Interpret (der auch 'immer schon' der Autor selbst ist!) davon ausgehen kann, daß er/sie etwas (!) vom Text (seinem eigenen und dem des anderen) verstanden hat. Wenn dem so ist, dann müßte 'man' vielleicht doch versuchen die Hermeneutik des 20. Jahrhunderts neu und anders zu lesen, um die darin enthaltenen Gedanken und Absichten 'besser' zu verstehen als  
'man' sie bisher verstanden hat.


((3)) Ähnliches gilt für den Strukturalismus. Ich denke dabei vor allem an J. Lacan. Wenn Hermeneutik sich zwar mit dem Verstehen von Gedanken befaßt, und Psychoanalyse davon nichts wissen will (kann), dann bedeutet das nicht, daß die jeweils andere Dimension des Denkens bzw. Begehrens nur auf naiver Weise berücksichtigt werden kann. In einer psychoanalytischen Behandlung werden stets tief-philosophische Einsichten berührt, wenngleich nicht eigens thematisiert oder gar schulmäßig behandelt. Und umgekehrt: Die Frage nach dem Gegenstand menschlichen Begehrens läßt sich nicht einfach anhand der Unterscheidung von "primären" und "sekundären" Absichten aufklären ((7)). Ich will damit nicht sagen, daß jede Interpretation eine Psychoanalyse des Autors (und des Lesers!) voraussetzt, sowenig wie eine Psychoanalyse ohne Philosophiestudium aussichtslos wäre! Aber Hermeneutiker und Psychoanalytiker sollten die abgründigen Dimensionen des Denkens und Wollens, sofern sie die praktischen Grenzen ihrer Kunst überschreiten,  zumindest theoretisch nicht verschleiern.
 

((4)) Wie problematisch der Begriff des Autors ist, zeigt sich auch in anderer schon angedeuteten Hinsicht. Es ist, wie wir spätestens seit Platon wissen, die 'crux' einer jeden Texthermeneutik, daß der Urheber abwesend ist und die Schrift sich also nicht verteidigen kann. Nun ist das aber strukturell nicht viel anders, wenn, wie in diesem Fall, Herr Bühler als Autor sich verteidigen und diese Bemerkungen als Mißverständnisse seiner Absichten und Gedanken in Frage stellen kann. Denn dabei muß Herr Bühler sich selbst fragen, was er eigentlich  hat sagen wollen und somit einen neuen Interpretationsprozeß in Gang setzen, der u.U. zu einem neuen Text führt, der wiederum... usw. Der Autor Herr Bühler   ist für sich selbst (!) ein Interpretationsgegenstand. Der Interpretationsprozeß endet also nicht irgendwo bei den Gedanken und Absichten 'des Autors'. Dieser ist keine "Psyche-Kapsel", sondern er/sie 'ist' in der Welt, mit anderen, wird in eine Sprache 'geboren', die bereits seit Generationen mit Gedanken und Absichten geprägt wurde usw. 'Seine' Gedanken und Absichten sind also   auch (!) immer schon die der anderen. Ein Autor ist keine 'Substanz' (oder kein 'Subjekt'), dem/der Eigenschaften, wie 'Gedanken' und 'Absichten', zukommen. Eine solche zugleich solipsistische und substantialistische  Vorstellung scheint mir dem hermeneutischen Intentionalismus zugrunde zu liegen.

((5)) Problematisch scheint mir die zentrale Bedeutung des Begriffs 'Autor' für eine "Konzeption von den Zielen der Interpretation" in, wiederum, anderer Hinsicht, und zwar im Hinblick auf die artifizielle Sphäre der Kommunikationstechnologien. Herr Bühler reflektiert mit der technischen Folie des  18. und 19. Jahrhunderts, d.h. er bezieht sich auf "Reden" und "geschriebene Texte", darunter z.B. "Zeitungsartikel" und "Bücher", gemeint sind also gedruckte Texte ((5)). Er spricht von "Kommunikation", läßt aber das artifizielle Medium, in dem sich Kommunikation in einer technischen Zivilisation vorwiegend vollzieht, außer acht. Ich schlage in diesem Zusammenhang den in Anschluß an Heidegger gebildeten Begriff des 'Informations-Gestells' vor, um die strukturelle und artifizielle Verselbständigung der Informationssphäre zu kennzeichnen (2). Wenige Denker (darunter V. Flusser, I. Illich und G. Anders) haben bisher die Konsequenzen für eine, wie man sie nennen könnte, artifizielle Hermeneutik zu ziehen versucht. Man muß aber bedenken, daß der Begriff des Autors (singulare tantum), bereits in der durch die Methodik der modernen Naturwissenschaften eingeführten Art des Verfassens und Mitteilens von Ergebnissen (von der Gruppenarbeit und der sog. grauen Literatur bis hin zu den informellen und zum Teil anonymisierten messages des electronic mail) die vorwiegend aus den Geisteswissenschaften herkommende Frage nach den Gedanken und Absichten eines (!) Autors fragwürdig wurde. Diese Frage klingt vielleicht sinnvoll, wenn man einen literarischen Text analysieren will - vorausgesetzt, man will den Text als 'Wirkung' von den Absichten eines Autors analysieren, und somit den Blick vom Text weg, zum 'Autor' (d.h. zur Fiktion eines Autors mit 'eigenen' Gedanken und Absichten!) hin wendet! Sie wird aber einem Chemiker, der eine Patentschrift analysiert, kaum einleuchten, es sei denn er will eben die 'Hintergedanken', die zu dieser Erfindung geführt haben, eruieren.


((6)) Es ist inzwischen ein Gemeinplatz, von der 'Informationsexplosion' zu reden. Damit war zunächst die quantitative Explosion des Gedruckten gemeint. Im Zeitalter der elektronischen Netze, der Massenmedien, der multimedia und der virtual reality kommen mir die Ziele des hermeneutischen Intentionalismus, sich (mit Reden)  und gedruckten Texten zu befassen ((5)) merkwürdig anachronistisch vor. Auch die philosophische Hermeneutik des 20. Jahrhunderts bedarf einer Neuformulierung, die der Artifizialität der Kommunikation Rechnung trägt. Wenn ich 'meine' hilflosen Ansätze in diesem Bereich betrachte (3), dann stelle ich fest, daß bereits die groben Versuche des information retrieval auf der Basis von Boole'schen Operatoren in Datenbanken zu recherchieren, das Phänomen der Verwobenheit der 'eigenen' Gedanken (und Absichten) mit denen der 'anderen' zum Vorschein kommen  lassen. Mit dieser Verwobenheit meine ich den Komplex von Verweisungen,  Distortionen, Anspielungen, Auslassungen usw. also das, was eigentlich immer wieder Anlaß zu einer Interpretation gibt, deren Ziel aber
nicht sein kann, nach den Gedanken und Absichten 'eines Autors' zu suchen, sondern  die 'Verstrickungen' unseres gemeinsamen Mitdenkens und Mithandelns zu verfolgen, ohne aber das Labyrinth (oder den 'hermeneutischen Zirkel'!) zu verlassen (verlassen zu können).

Bedenkt man aber, daß diese Verwobenheit nicht nur aus Gesagtem und nicht (mehr) primär aus Gedrucktem, sondern aus einer sowohl mit dem Gesagten als auch mit dem Gedruckten 'interferierenden' elektronisch-artifiziellen Informationssphäre besteht, dann wird es klar, daß die von Herrn Bühler anvisierten hermeneutischen Ziele sich im wahrsten Sinne des Wortes auf das 18. und 19. Jahrhundert beziehen (ohne dabei ebenfalls die artifizielle Gutenberg-Dimension zu berücksichtigen). Es ist dieser seit langem sich vollziehende Über-Gang der Hermeneutik in die Artifizialität der Informationstechnologien, der in eine Konzeption von den Zielen der Interpretation im 21. Jahrhundert hineingehört. Wenn man in Bühlers Konzeption "das Leben" ausklammert, dann gelangt das "Besserverstehen" ((29)) in die Nähe einer hermeneutischen Besserwisserei, während eine hermeneutische Kernfrage, wie die nach dem Zusammenhang der Informationstechnologien (und  der durch sie geformten Mitteilungsformen) mit den "Technologien des Selbst" (M. Foucault), ausgeklammert bleibt (4).


((7)) Herrn Bühlers Gedanken über die Interpretation von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen  setzen voraus, daß es so etwas wie Bibliotheken gibt. Eine Bibliothek ist eine  mögliche Antwort auf die Artifizialität des Gedruckten, die diesem zu entsprechen sucht, ohne zuvor zu verlangen, man müßte zunächst alle Gedanken und Absichten der Autoren klären und miteinander in Verbindung setzen, bevor man sie ordnet und dem Interpretierend-Suchenden zur Verfügung stellt. Die Grenzen von bibliothekarischen Systematiken liegen überall offen zutage. Eine artifizielle Hermeneutik müßte zeigen, wie die interpretatorische Festlegung von Gedanken und Absichten durch den hermeneutischen Intentionalismus nicht nur geistesgeschichtlich und lebensweltlich, sondern ebensosehr 'listig-mechanisch' (durch welche 'Wundermittel' auch immer...) unterwandert wird, und zwar so, daß nicht bloß der 'Autor' mit seinen/ihren 'eigenen' Gedanken und Absichten, sondern eben jene 'Verwobenheit' zum Vorschein (ja, zum PC-Vorschein) kommt.


((8)) Jede Interpretation ist bedingt nicht nur durch eine geistesgeschichtliche Tradition, sondern ebensosehr durch eine artifizielle Sphäre der Information. Beide enthüllen  die Grenzen des hermeneutischen Intentionalismus. Die ständige semantische Einsturzgefahr unserer 'diskreten' Interpretationen, weist nicht nur auf  eine  "indiskrete" oder "sub-semantische" (W. Hogrebe) (5), sondern auch auf eine  artifizielle Dimension hin, wovon die Buchkultur uns einen Vorgeschmack vermittelt hat.


Anmerkungen

(1) M. Boss: Grundriss der Medizin und der Psychologie. Bern 1975
(2) Vgl. v.Vf.: Leben im Informationszeitalter. Berlin 1995. Kap. 5
(3) Vgl. v.Vf.: Hermeneutik der Fachinformation. Freiburg/München 1986
(4) Vgl. v.Vf.: Informationstechnologien und Technologien des Selbst. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 40 (1992) 3, S. 293-304; ders.: Leben im Informationszeitalter, a.a.O. Kap. 2; ders.: Information Technologies and Technologies of the Self.
(5) W. Hogrebe: Metaphysik und Mantik. Frankfurt 1992.


Axel Bühler: Replik


"Jetzt verstehe ich meine Absichten besser"

"((16)) Für den hermeneutischen Intentionalismus scheint heuzutage - aufgrund vieler einschlägiger Diskussionen im 20. Jahrhundert - die Problematik der Unzugänglichkeit der Autorenintentionen weniger schwerwiegend zu sein als die Frage, ob wir bei der Intention vieler Texte überhaupt von Gegebensein einer bestimmten Intention eines bestimmten Autors ausgehen können. So meint Brandt, bei einer Vielzahl von Autoren hätten wir eine Pluralität geistiger Ereignisse, aber nur einen komplexen Gedanken und eine komplexe Absicht. Ähnliche Einwände erhebt Störmer, ((6)), im Zusammenhang mit dem Begriff des Gesetzgebers. Capurro, ((5)), meint, daß angesichts der in den Naturwissenschaften oft praktizierten Form gemeinsamer Veröffentlichungen die Frage nach den Gedanken und Absichten eines Autors fragwürdig werde (4). -

Die Einwände laufen also wohl auf folgendes hinaus: es gibt Texte, mit denen keine eindeutige Intention des Urhebers bzw. kein eindeutiger Urheber verbunden ist. Deswegen ist es müßig, zumindest für solche Texte nach Intentionen individueller Personen zu fahnden, wenn wir interpretieren. Wenn aber für derartige Texte die Eruierung der Autorintentionen als unrealisierbares Interpretationsziel zu gelten hat, müssen wir fragen, ob dieses Interpretationsziel im Zusammenhang mit anderen Texten sinnvoll ist. Die Texte, um die es hier geht, sind wohl vor allem von zwei Arten: (a) Texte, deren Überlieferung eine Feststellung eines wohldefinierten Urhebers unmöglich macht (hier könnten wir etwa an die Dramen Shakespeares denken oder an den Cours de linguistique générale von de Saussure); (b) Texte, die von mehreren Autoren in Zusammenarbeit verfaßt worden sind (etwa die Schriften von Marx und Engels, ganz allgemein ein großer Teil der wissenschaftlichen Literatur vor allem in den Naturwissenschaften; Gesetze bzw. Gesetzeswerke, die nach möglicherweise langwierigen Beratungsprozessen von gesetzgebenden Körperschaften verabschiedet worden sind)."

"(4) Inwiefern die Einführung neuer Informationstechnologien den "Autor" und seine Gedanken und Absichten in Frage stellen - wie Capurro, ((5)), behauptet - führt Capurro in seinem Beitrag nirgends aus. Ob ein Text mit e-mail versendet wird oder handschriftlich als Postkarte, ändert doch nichts daran, daß eine Person mit bestimmten Gedanken und Absichten diesen Text verfaßt hat. Und daß das Denken einer Person mit dem Denken von anderen Personen "verwoben" ist, ((6)), scheint nicht erst das Resultat der neuesten Informationstechnologien zu sein. Nebenbei bemerkt: der unter Verwendung Heideggerscher Terminologie gebildete Ausdruck "Informations-Gestell" trägt zum Verständnis nichts bei, dagegen einiges zur Erheiterung. Dadurch, daß Capurro ehrfurchtslos Heideggersche völkisch-raunende Ausdrücke mit welschen Fremdwörtern verbindet, beseitigt er aber das Gefühl des Unbehagens, das Heideggers Sprache auch auslöst."

 Letzte Änderung: 12. August 2017
 


    

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