GEDICHTET

Rafael Capurro

 
Der Verfasser verdankt der langjährigen Freundschaft mit Rudolf Fahrner (1903-1988) Einblicke in das Wesen des Dichtens.

Arnau 1903 - Landeck 1988

Fahrner


Vgl. "Wirf den Helden in Deiner Seele nicht weg!" (Nietzsche). Menschen, denen ich begegnet bin und mich geprägt haben.


 
  

NAH IST DIE HEIMAT

Bearbeitung R.F.


Nah ist die heimat
Unfaßbar, ihr geist
Verspricht sich in tausend
Tönen und irre
Wandelt der mensch die pfade
Und horcht auf die kühlenden winde,
Die, in heiligen nächten,
Das reinigende, seligmachende
Dir, Mutter Erde, verkünden.

Der unnahbare wäscht
Sein gesicht in alles durchdringendem
Licht und rotfeurige
Blumen blenden
Die augen der suchenden.
Im tagesschein aber
Wird aus zukünftigem
Andenken, und frohen sinnes
Findet der geist die sprache

Der zeit, auf deren breiten
Flügeln, wie auf mächtigem
Adler, in langsam aufsteigendem
Flug, er Dich,
Mutter Erde, grüßt und Deine
Offenen räume sicheren
Sinnes durchwandelt,
Wie ein dunkelleuchtender
Stern, dem nachzugehen

Uns, heutigen, wie traum
Aus vergangenen zeiten erscheint.
Wächst aber, aus der ferne,
Uns den lernenden,
Heilig betrunkenen,
In mittagshitze oder
Am nachtleuchtenden himmel,
Der menschenbildende tag
Aus unerschöpflicher quelle

Springend, dann bringt er Dir
Das heil, das nötigste:
Offener menschengeist spricht
Aus Dir, Mutter Erde,
Land der Musen,
Rotgefärbtes,
Die heiligen verhältnisse
Aus der wonne Deines wesens,
Heimatlich bindend.



heidelberg

gadamer

Lieber Herr Capurro

Darf ich mich für Ihre Verse auch auf

hölderlinisch bedanken.

"Lang ist die Zeit"
das gilt für die Phronesis.

Und: "Kolonie liebt und tapfer Vergessen der Geist"


das für die Verse

Ihr

HG Gadamer

26/8/87



Die Zitate beziehen sich auf

Mnemosyne

Ein Zeichen sind wir, deutungslos,
Schmerzlos sind wir und haben fast
Die Sprache in der Fremde verloren.
Wenn nämlich über Menschen
Ein Streit ist an dem Himmel und gewaltig
Die Monde gehn, so redet
Das Meer auch und Ströme müssen
Den Pfad sich suchen. Zweifellos
Ist aber Einer. Der
Kann täglich es ändern. Kaum bedarf er
Gesetz. Und es tönet das Blatt und Eichbäume wehn dann neben
Den Firnen. Denn nicht vermögen
Die Himmlischen alles. Nämlich es reichen
Die Sterblichen eh an den Abgrund. Also wendet es sich, das Echo,
Mit diesen. Lang ist
Die Zeit, es ereignet sich aber
Das Wahre.


Brot und Wein

9. Ja! sie sagen mit Recht, er söhne den Tag mit der Nacht aus
Führe des Himmels Gestirn ewig hinunter, hinauf,
Allzeit froh, wie das Laub der immergrünenden Fichte,
Das er liebt und der Kranz, den er von Epheu gewählt,
Weil er bleibet. Vergnügt ist nemlich der in der Wildniß
Auch. Und süßer Schlaf bleibet und Bienen und Mahl.
Was der Alten Gesang von Kindern Gottes geweissagt,
Siehe! wir sind es, wir; Frucht von Hesperien ists!
Wunderbar und genau ists als an Menschen erfüllet,
Glaube, wer es geprüft! nemlich zu Hauß ist der Geist
Nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret die Heimath.
Kolonie(n) liebt, und tapfer Vergessen der Geist.
Unsre Blumen erfreun und die Schatten unserer Wälder
Den Verschmachteten. Fast wär der Beseeler verbrandt.
Seelige Weise sehns; ein Lächeln aus der gefangnen
Seele leuchtet, dem Licht thauet ihr Auge noch auf.
So lang währt' es. Aber es ruhn die Augen der Erde,
Die allwissenden auch schlafen die Hunde der Nacht.


Vgl. meine spanische Übersetzung in:
Poesía y psicoanálisis. Notas pre-analíticas sobre una elegía de Friedrich Hölderlin

  ¡Créalo quien lo haya examinado! a saber, el espíritu está en su casa
No en el comienzo, no en la fuente. La patria lo consume,
    Ama la(s) colonia(s) y el olvidar valiente el espíritu.
Nuestras flores alegran y la sombra de nuestros bosques
    al sediento. Casi se habría quemado el animante.


 
 
 

AEGINA

Wenn in morgenfrische
Duftendes grün im zarten
Hellen licht glänzt,
Ahnt der wanderer nicht
Das spenden von schatten
Und des wassers
Durststillende gastlichkeit

Aus nächtlicher stille
Vom schrillen gesang angekündigtes,
Geht in reichlich erfülltem versprechen
Das kind des tages hervor.
Es kennt die sorge
Die mühevolle nicht,
Unschuldig erblickt es

Die wege der menschen,
Der vielschaffenden,
Und die von den musen
Erdichteten taten
Und die alles durchdringende weisheit.
Sie alle schöpfen aus ihm
Nachdem sie vom schlafe geküsst.

In der mittagshitze
Erfährt der wanderer
Das unscheinbare wunder
Und sprachlos schaut er umher
Nimmt am gebenden teil.
Zwischen den bergen
Leuchtet das meer.


 

  

DIE ALPEN

für R.F.

Kristallenes Wasser,
stilles Ereignis:
für sich rauschend,
für sich tauend,
ohne Warum.


Was i s t?
Armut des Messens,
Wahsinn des Menschen,
Reichtum des Seins.


Zuspruch der Dinge:
unausgesprochen, zart.
Majestätische Berge,
heimische Täler
.

Armut und Reichtum,
Wahn-Sinn des Menschen,
Stilles Ereignis,
Gabe der Sprache
.



 
  

ZOHAIR

(Fragment)


Bearbeitung R.F.


Dies singen des noch nicht gesungenen, denken
Des unbedachten gibt uns winke hin
Zum bleibenden geheimnis und zum spiel
Zum heiligen in das wir immer zwischen
Enthüllt-verborgen durch die atmende
Membrane eingelassen sind. Denn nicht
Sind unser singen, denken, wie du sagst
Von uns allein. Sie sind uns zubestimmt
Sind das erwidern unserer irdischen seelen
Auf eine grössere: unser sein im sein.
Wir machens nicht. Das welten wesen selbst
Ist's was da mitsingt, denkt, und geheim
Bleibend uns in seine nähe lädt.





  


Wo sind, o Göttin, Deine Werke
,

wo das Fundament Deines Tempels,
daß wir die leuchtenden Säulen
errichten: für die Besten und für
den Platz und für das Wunder
aller Wunder, auf sicherem Pfade.

Tagewesen sind wir und hoffen
wie wenn Segel sich spannen
vom Fahrtwind erfüllt, das Fremde
suchend, die Spur vergessend,
ahnungslos, den kostbaren Schatten tragend.
Wir aber gehören dem alten Lied.

Wenn kosmische Kräfte entbunden,
und Menschentage wie Schicksale sind,
und Gespräch zu Gesang wird,
dann, o Göttin, sicherst Du Wege
der Hoffnung, Deine Hallen erfüllend,
und Sterne, wie Hymnen, rühmen Dich
O Natur!


 
 

für R.F.

Wie wenn in Jugendtagen der Gott
uns nahe kommt und verrückt
und Begeisterung erfüllt die Hallen
und Gespräch wird zu Gesang,
Tage und Nächte erfüllend,
vom gemeinsamen Ursprung, die Sage,

so der helläugige Dichter
als er war unter uns,
und ein Herz wurde
und die Sonne des Morgenlandes
uns Abendländische traf,
daß wir gemeinsamen Bund besingen.



 
  
  
AUFKLÄRUNG

Einmal sah ich ein Licht
dann war es verdunkelt.
Einmal kannt' ich eine Pflicht,
Jetzt gibt es kein Dunkel.

Wozu dient Dein Licht?
wurde ich also gefragt,
Kannst Du etwas Neues sehen,
das Du nicht gesehen hast?

Ich konnte nicht verstehen,
was für eine Frage war's.
Mußte mein Licht anzünden
und stellte die Klarheit dar.

(1970)


    

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