WAS IST INFORMATION?

Hinweise zum Wort- und Begriffsfeld eines umstrittenen Begriffs

Rafael Capurro
 
 

    
Erschienen in: H. Heilmann (Hrsg.): Handbuch der modernen Datenverarbeitung (HMD) (Forkel-Verlag), Heft 133, Januaar 1987, 24. Jg., 107-114.


     

Kurzfassung

Der Informationsbegriff weist sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften eine erstaunliche Fülle von Bedeutungen bzw. Begriffsmomenten auf. Vom alltagssprachlichen Informationsbegriff ausgegangen, wird die Entstehung und Entfaltung der wissenschaftlichen Prägungen erläutert. Der Informationsbegriff gehört zu den Kernbegriffen, die unsere moderne technische Gesellschaft bestimmen. Sein Bedeutungszusammenhang mit Sachverhalten wie Rohstoffen, Arbeit und Kapital wird umrissen. Wort- und begriffsgeschichtlich hängt Information mit Griechisch "idea" und Lateinisch "forma" zusammen. Dieser Ursprung kann in Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Beantwortung der Frage "Was ist Information?" spielen.


Einleitung

Der Titel dieses Beitrags spricht eine Frage aus, die eigentlich jeder von uns auf Anhieb leicht beantworten kann. Information? –  also Auskunft, Mitteilung, Nachricht. Wir werden ja täglich von Informationen aller Art überflutet: von morgens, wenn wir kurz nach dem Aufstehen die Rundfunknachrichten hören, bis zu den Spätnachrichten der Tagesschau. Während des Tages zu Hause, im Büro, auf der Straße, im Hörsaal –  ständig werden wir mit Informationen konfrontiert. Manche von ihnen sind sehr kurzlebig. Ein Sprichwort sagt: Es gibt keine älteren Nachrichten als die, die in der gestrigen Zeitung standen.

Andere Informationsarten beanspruchen eine längere Geltungsdauer: Denken wir zum Beispiel an wissenschaftliche Mitteilungen, an Fachinformationen also, die, insbesondere seit dem Aufblühen der empirischen Wissenschaften in der Neuzeit, exponentiell angewachsen sind. Aber auch hier ist ihre "Lebensdauer", bedingt durch den "wissenschaftlichen Fortschritt", sehr unterschiedlich. Es gibt Wissenschaften, wie die meisten "Geistes-" im Unterschied zu den "Naturwissenschaften", deren Forschungsergebnisse langsamer "obsolet" werden als die anderer Gebiete.

Aber jeder von uns ist auch im Alltag ein Informationserzeuger. Denken wir zum Beispiel an die vielfältigen Formen von privaten und geschäftlichen Mitteilungen: Briefe, Telephonate, Telegramme... bis hin zu den Möglichkeiten, die die sogenannten "neuen Medien" (Bildschirmtext, Telefax, Teletex, Videokonferenzen usw.) eröffnen. natürlich werden dadurch die nicht-medialen Mitteilungsformen nicht hinfällig: Man trifft sich auf der Straße oder in der Kneipe (in südlichen Ländern im Freien auf der "piazza" oder im Café), Wissenschaftler treffen sich bei Seminaren und Tagungen. Was wir uns dabei mitteilen, der Inhalt der Informationen also, kann höchst unterschiedlich sein. Ebenfalls sind unsere Erwartungen bzw. die Art, wie wir auf Inhalt und Form der Informationen reagieren, sehr unterschiedlich: Neugier oder Indifferenz, Freude oder Trauer, Zorn oder Freundlichkeit, Langeweile oder Aufregung... All diese Erfahrungen mit dem "Wie" und dem "Was" der Information sind also jedem von uns bekannt, sie sind ein wichtiger Bestandteil unserer zwischenmenschlicher Beziehungen. Man könnte sagen, daß Information etwas ist, was uns als Einzelpersonen und als Gesellschaft unmittelbar angeht. Vielleicht ist sie uns deshalb besonders fragwürdig.

Wenn wir aber bereits zu wissen scheinen, was Information ist, ist unsere Frage nicht überflüssig? Wir wissen, daß sich hier scheinbar einfachen Fragen oft komplexe Sachverhalte verbergen, die wir durch Einsicht und Methode aufzuklären versuchen. Wir brauchen dabei nur an Fragen wie: Was ist Materie? Was ist Leben? Was ist Gesundheit? Was ist Frieden? usw. zu denken, um sofort zu begreifen, daß diese Fragen höchst beunruhigend sein können. Als vor 2500 Jahren die griechischen Philosophen die Frage "Was ist Materie?" stellten, ahnten sie vermutlich nicht, daß sie dadurch eine dramatische geistige Entwicklung einleiteten, die nicht nur die Grundlage unserer heutigen (Natur-)Wissenschaft bildet, sondern auch eine wichtige Rolle in den kulturellen, politischen und sozialen Bewegungen durch die Jahrhunderte spielte.

Stehen wir heute wenn wir die Frage "Was ist Information?" stellen, vielleicht vor einer ähnlichen Entwicklung? Oder zeigt sich darin etwas, was sich seit langem ankündigt und das erst jetzt zu seiner Entfaltung kommt? Bevor wir eine mögliche Antwort auf diese Fragen zu geben versuchen, sollten wir bedenken, daß die Fragen vom Typ "Was ist?" uns eine Falle stellen können. Sie scheinen nämlich auf etwas hinzuweisen, das gewissermaßen, etwa in Form einer Definition, ein für alle mal erfaßt werden kann. Wir sagen in der Umgangssprache, daß wir die "richtige" Antwort auf eine solche Frage haben, wenn wir "das Wesentliche" der Sache begriffen haben. Die Falle besteht aber darin, zu glauben, daß solche "wesentlichen Aspekte" oder, wie die Philosophen sagen, "Wesenheiten" einen unwandelbaren Sonderstatus besitzen. Definitionen sind aber im wörtlichen Sinne Abgrenzungen; und Grenzen, so notwendig sie auch für das Erfassen von etwas sind, lassen sich jeweils, wie der Wanderer weiß, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten. Mit anderen Worten, sie sind Anhaltspunkte für das Weiterdenken.

Für die jetzt folgende interkturelle Wanderung möchte ich einige Kreuzwege auf der Karte markieren, die uns als mögliche Orientierung dienen sollen. Wir deuteten schon den alltagssprachlichen Sinn von Information an. Von hier aus wenden wir uns zunächst einigen wissenschaftlichen Prägungen dieses Begriffs zu.


Vom allatagssprachlichen Informationsbegriff zu den wissenschaftlichen Prägungen

Ich schlage vor, in "Meyers Enzyklopädischem Lexikon" nachzuschlagen, um uns unserer bereits intuitiv beschriebenen Erfahrungen zu vergewissern.

Unter dem Stichwort "Information", dem die Stichworte "Informatik" und "Informatiker" vorangehen, finden wir zunächst einen Hinweis auf die Herkunft des Wortes. Vielleicht ist dieser Hinweis für manche von uns eine erste Überraschung: Das Wort stammt nämlich aus dem Lateinischen: "informare", d.h. durch Unterweisung bilden, unterrichten, wenngleich es "eigentlich", wie das Lexikon erläutert, "eine Gestalt geben, formen" bedeutet. Information –  ein modernes Wort mit einer so "alten" Herkunft? Wir kommen auf sie am Schluß unserer Wanderung zurück.

Was ist, oder vielleicht sollten wir besser sagen, was heißt "Information"? Das Lexikon gibt zwei Antworten
  1. Unterrichtung, Benachrichtigung, Aufklärung
  2. Nachricht, Mitteilung

Die erste Bedeutung unterstreicht den Mitteilungsprozeß, die zweite den Inhalt dieses Prozesses. In beiden Fällen wird vorausgesetzt, daß es sich um einen zwischenmenschlichen Mitteilungsprozeß handelt. Ferner besagt "Information", daß die vermittelte Nachricht für den Empfänger Neuigkeitscharakter hat, d.h., durch den Informationsprozeß wirkt diese auf das Vorwissen des Empfängers. Wir sehen also, daß unter "Information" im alltagssprachlichen Sinne eine komplexe Struktur angesprochen wird, deren Hauptelemente sind:

  • die Menschen, sofern sie sich gegenseitig etwas mitteilen,
  • der Inhalt der Mitteilung, d.h. die Sache, auf die sich die Mitteilung bezieht,
  • die Wirkung der Mitteilung auf den Empfänger
  • und schließlich der Vermittlungsprozeß selbst.

Da das Medium zwischenmenschlicher Mitteilungsprozesse die Sprache (in ihren vielfältigen Formen: Wort, Schrift, Zeichen usw.) ist, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Sprache und Information. Dieser Zusammenhang wird auch  sichtbar, wenn wir an die Hauptdimensionen menschlichen Sprache denken, nämlich: Syntax, d.h. die strukturelle Beziehung der sprachlichen Zwischen untereinander, Semantik, d.h. ihre Fähigkeit, auf Sachverhalte hinzuweisen bzw. sie zu "vertreten", und Pragmatik, .d.h. die durch die sprachliche Mitteilung intendierte Wirkung.

In den vierziger und Anfang der fünfziger Jahre erfolgte die Entwicklung der sogenannten Informationstheorie, die darauf zielte, einen quantitativen Maßstag bei der Übertragung von elektrischen Impulsen zwischen einem Sender und einem Empfänger zu ermitteln. Man wollte also das Phänomen der Kodierung und Übertragung von Mitteilungen bzw. "Informationen" und der physikalisch-technischen und mathematisch-statistischen Gesichtspunkten analysieren. Das bedeutete zugleich die bewußte Ausschaltung der semantischen und pragmatischen Ebenen der Information. Das damals geläufige telegraphische System bestand aus 32 Zeichen, aus denen der Sender jeweils eine Auswahl treffen mußte, wenn er dem Empfänger etwas mitteilen wollte. Dieser wiederum konnte, anhand seiner Vorkenntnis des Zeichenvorrats, die übertragene Nachricht decodieren. Als Informationsgehalt bezeichnet man die Anzahl der binären (bzw. Ja-nein-)Entscheidungen, die der Sender treffen muß, wenn er ein Zeichen aus dem Zeichenrepertoire senden will. Mit anderen Worten, man muß feststellen, wieviel mal man eine bestimmte Größe durch zwei dividieren muß, bis man zur Kodierung eines Zeichens (in unserem Fall also fünfmal) gelangt. Wie Sie sehen, läßt diese Methode sowohl die Bedeutung der übertragenen Zeichen bzw. der Zeichenketten, die Semantik also, als auch ihre Wirkung (die pragmatische Ebene) völlig außer acht, um sich auf das technische Problem der Zeichenübertragung zu beschränken.

Da man aber trotzdem von Information (sowie auch von Auswahl, Kommunikation, Entscheidung usw.) sprach, sich also eines in der menschlichen Dimension angesiedelten Terminus bediente, ergaben sich Zweideutigkeiten, die sich z.B. auch bei der analogischen Anwendung des Informationsbegriffs in anderen Wissenschaften zeigen. So wird der Wahrnehmungsprozeß bei Lebewesen als ein Prozeß der Aufnahme und Kombination von Nachrichten oder Eindrücken aufgefaßt, obwohl die Zellen, sowenig wie die elektrischen Impulse nichts von einer "Information" im semantischen Sinne wissen. Dementsprechend wird das menschliche Gehirn  mit dem Verarbeitungsprozeß von Informationen durch einen Computer verglichen, obwohl der Computer eigentlich "Daten verarbeitet" und sich wenig um ihre Bedeutung kümmert. Die Biologie spricht ferner von Erbinformation und meint damit die in den Genen kodierten Entfaltungsmöglichkeiten eines Lebewesens. In der Physik wird der Informationsbegriff etwas dem Ordnungsbegriff gleichgestellt.

Ohne jetzt auf diese einzelwissenschaftlichen Prägungen näher einzugehen, wollen wir festhalten, daß sie die ursprüngliche Komplexität des alltagssprachlichen Informationsbegriffs im Sinne eines spezifisch menschlichen Phänomens aus methodischen Gründen nicht berücksichtigen. Das ist sicherlich zulässig. Dennoch verleihen manchmal überzogene Analogien zu sachlichen Fehlschlüssen, indem die Unterschiede zwischen den einzelnen Dimensionen verwischt werden.

Der im syntaktsich-statistischen Informationsbegriff ausgeklammerte semantische Aspekt wurde durch die von Bar-Hillel, Carnap u.a. entwickelte Theorie der semantischen Information thematisiert. Demnach hängt der Informationsgehalt einer Aussage von der Menge der ausgeschlossenen Möglichkeiten ab. Diese Bestimmung des Informationsbegriffs ist uns im Alltag geläufig: wenn wir z.B. auf die Frage: Welches Geschenk aus den fünf angegebenen Möglichkeiten haben Sie sich ausgesucht? (wobei nur ein Geschenk auszuwählen war) die Antwort bekommen: Geschenk 1, 2, 3, 4 und 5, dann sagt uns diese Antwort nichts, da nichts ausgeschlossen wurde. Ihr Informationsgehalt ist Null, d.h. meine Ungewißheit bezüglich des Ausgangs der Wahl bleibt unverändert. Information wird deshalb auch als "Reduktion von Ungewißheit" definiert.

Die pragmatischen Aspekte des Informationsbegriffs wurden in der Kommunikationsforschung (C. Cherry, D.M. MacKay u.a.) ausgearbeitet. Entscheidend dabei ist, daß Information im bereits erwähnten semantischen Sinne auf die Vorkenntnis des Empfängers wirkt bzw. diese verändert. Information bedeutet also "Wissensänderung", wodurch eine bestimmte Handlung erfolgt. Denken wir z.B. an die Bereiche Wirtschaft und Management: Indem man den Kunden über etwas informiert, will man eine bestimmte Handlung (z.B. die des Kaufens) anstoßen. Information ist "zweckorientiertes Wissen" (W. Wittmann).

Wir sehen also, daß mit den semantischen und pragmatischen Deutungen die durch die Informationstheorie ausgeklammerte zwischenmenschliche Dimension wieder gewonnen wird.

Es ist der in der sozialen Ebene angesiedelte Informationsbegriff, der in unserer "Informationsgesellschaft" eine entscheidende Rolle spielt. Wir wenden uns an diesem zweiten Kreuzweg unserer intellektuellen Wanderung diesem sozialen Aspekt zu.


Information in der modernen technischen Gesellschaft

Obwohl das menschliche Phänomen der sprachlichen Mitteilung, der Information also, keine Erfindung unseres technologischen Zeitalters, sondern eine originäre menschliche Verhaltensweise ist, wird es durch die moderne Technik in einer besonderen Weise geprägt. Wenn wir die Frage "Was ist Information?" in diesem Kontext stellen, dann wird die Antwort unüberhörbar, daß Information ein neuer Produktionsfaktor – neben Rohstoffen, Arbeit und Kapital –  ist. Das leuchtet ein, wenn wir versuchen, die Zusammenhänge zwischen diesen Sachverhalten ans Licht zu bringen.

Informationein Rohstoff? Das klingt zunächst merkwürdig, da Informationen ebensowenig wie Sprache stofflicher Natur sind. Dennoch können wir uns einige Beispiele vorstellen, die diese Analogie begründen. Am einleuchtendsten scheint mir der Fall von wissenschaftlich-technischen Informationen. Wir müssen dabei bedenken, daß die moderne Informationstechnik ein Instrument darstellt, das die ins Gigantische ansteigende Anzahl von Fachveröffentlichungen un Forschungsergebnissen aller Art durch eine kaum vorstellbare Perfektion (Suchgeschwindigkeit, Kombinationsfähigkeit, Speicherkapazität, Überwindung geographischer Entfernungen usw.) verfügbar macht. Die moderne Informationstechnik, z.B. in Form von Fachdatenbanken, bildet eine neue Möglichkeit, um das, was sozusagen als Rohstoff in Forschungs- und Lehreinrichtungen an Fachwissen produziert wird, so aufzubereiten und anzubieten, daß seine Weiterverarbeitung bzw. -nutzung wesentlich erleichtert wird. Das gilt nicht nur für Forschungsergebnisse im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, obwohl hier sowie im wirtschaftlichen Sektor eine solche Auffassung von Fachinformation als Rohstoff am nächsten liegt. Natürlich ist die so angebotene Fachinformation kein Rohstoff im eigentlichen Sinne: Sie ist zwar an einen Träger gebunden, und insofern kann sie wie ein Stoff, ja wie eine Ware, behandelt werden; durch ihren "ideellen" Charakter aber unterscheidet sie sich von den sonstigen materiellen Rohstoffen. Außerdem ist sie bereits ein Produkt, eine "Ware" (erneut im analogischen Sinne), also kein Rohstoff, und zwar sowohl in bezug auf ihren Inhalt als auch auf ihre technische Aufbereitung. Dennoch, so wie man auch von Rohstoffen in den verschiedenen Etappen eines Bearbeitungsprozesses in dem Sinne spricht, daß das aufbereitete Material als Grundlage eines anderen Produktes dient, so kann man auch von technisch aufbereiteten Fachinformationen als einem neuen, oder besser "neuartigen", Rohstoff sprechen.

Information  –  eine Grundlage des Arbeitsprozesses?  Eine bekannte Definition besagt, daß der Mensch ein "Arbeitstier" ist. Natürlich (oder sollten wir lieber sagen: hoffentlich?!) ist er nicht nur das... Der Mensch bearbeitet aber nicht nur seine Umwelt, sondern er schafft sich zugleich eine. Er ist, wie die Alten sagten, "Homo Faber", d.h. er ist in der Lage, sich Gegenstände aller Art, von den einfachsten Gebrauchsgegenständen über die kompliziertesten Maschinen bis hin zu den "idealen" Werken der Kunst, zu erschaffen. Wenn wir aber die Entstehungsgeschichte des Menschen mit dem Augen des Anthropologen betrachten, dann wissen wir, daß – auf eine wahrscheinlich nicht zu enträtselnde Weise – der "Sprung" zum "Homo Faber" zugleich ein "Sprung" zum "Homo Sapiens", d.h. zum sprachvermögenden Wesen war. Das, was uns als Menschen verbindet, das "Gewebe", worin alle unsere Angelegenheiten "mitverstrickt" sind, ist die Sprache. Unsere Taten sind, wie die Psychoanalyse lehrt, nicht von unseren Worten abtrennbar.

Information, insbesondere in ihrer modernen technischen Gestalt, durchdringt bereits den Arbeitsprozeß im engeren Sinne, d.h. der "Homo Faber" greift immer mehr mit allen Arten von "intelligenten" Geräten in die Vorgänge, wodurch wir uns die Natur zu eigen machen, ein. Das hat einschneidende Konsequenzen für unser Zusammenheben. Wir brauchen nur an die zum Teil dramatischen Kämpfe um die "alten" und "neuen" Arbeitsplätze (z.B. in der Druckindustrie) zu denken, um uns der Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Arbeit und Information bewußt zu werden. Aber auch die spezifischen Handlungen des "Homo Sapiens" werden zum Gegenstand einer informationstechnischen Gestaltung, z.B. durch die Einführung von "intelligenten Maschinen" (Roboter u.dgl.) sowie von EDV-Anlagen mit ihren Endgeräten (Terminals) in allen Dienstleistungsprozessen. Ja, sogar die Formen zwischenmenschlicher Mitteilung werden durch die medialen Möglichkeiten neu gestaltet. Daß dies alles nicht unproblematisch ist, sondern daß es zusammen mit den offensichtlichen Vorteilen noch kaum abschätzbare Auswirkungen für unser Leben bedeutet, brauchen wir nicht zu betonen. Ich wage die Vermutung, daß  – so wie die industrielle Revolution die Einwirkungen auf die natürliche Umwelt kaum beachtet hat, bis es schießlich fast (?) zu spät war  – wir auch eines Tages vor der Katastrophe einer verdorrten kulturellen Welt stehen könnten. Das muß nicht so sein, aber es ist gut, wenn wir die Entwicklung ohne pathetische Kassandrarufe sorgfältig und "vor-sichtig" verfolgen.

Der dritte Zusammenhang, nämlich das zwischen Information und Kapital, ergibt sich fast von selbst, wenn man die bereits erwähnten Sachverhalte unter dem Gesichtspunkt ihres wirtschaftlichen Potentials betrachtet. Nicht nur "Zeit", sondern auch "Information" bedeutet für die industrielle Welt (gleichermaßen ob "westlicher" oder "östlicher" Prägung) sowohl in bezug auf ihre Konkurrenzfähigkeit bei der Entwicklung neuer Produkte als auch bei der "Eroberung" von Märkten bares Geld.

Ich möchte aber auch abschließend auf die Bedeutung von Information als Machtfaktor hinweisen, insbesondere hinsichtlich der sich vertiefenden Kluft zwischen "informationsarmen" und "informationsreichen" Ländern. So wie es nicht zu verantworten ist, daß ein Großteil der Menschheit hungert, während riesige Summen für die Rüstung ausgegeben werden, so ist auch nicht zu verantworten, daß "de facto" Wissensmonopole als Grundlage technisch-kultureller Ausbeutung dienen. Die Kämpfe um eine "neue Weltinformationsordnung" in der UNESCO zeugen von der politischen Brisanz des Machtfaktors Information.


Ausblick

Die Antworten auf die Frage "Was ist Information?" fallen heute also vielfältig aus, wobei der Begriff eine in der sozialen Welt verankerte Bedeutung hat, die in den jeweiligen Ab- und Ausgrenzungen zum Ausdruck kommt

Wir sagten zu Beginn, daß die Frage "Was ist?" uns eine Falle stellt, wenn wir versuchen endgültige Antworten zu finden, während in Wahrheit die Bedeutungsentwicklung auf die Herkunft und mögliche Zukunft des zur Sprache gekommenen Sachverhaltes verweist. Die Frage "Was ist Information?" hat denselben Rang wie die Frage: "Was ist Materie?", und sie ist zumindest genauso "alt". Das Neue an ihr ist nicht, daß sie früher nicht gestellt wurde, sondern daß sie nach einer lange sich anbahnenden Entwicklung jetzt zur Entfaltung, ja zur Herrschaft kommt. Aber, werden Sie vielleicht fragen, seit wann können Begriffe "herrschen"? Sie herrschen, wenn wir ihnen einen Herrschaftsbereich einräumen. Der Informationsbegriff herrscht heute im sozialen Bereich: Er ist der Ausdruck einer technisch gestalteten "Lebenswelt". "Informare", wir hörten es schon, bedeutet "gestalten, formen". In dieser lateinischen Herkunft meldet sich zugleich der griechische Ursprung: "forma" nannten die Römer, was für die Griechen "idea" war, die anschauliche Gestalt z.B. eines Tempels oder der bildnerischen Wiedergabe eines olympischen Siegers. Wir sprechen heute von Ausbildung und meinen die Formung der intellektuellen und praktischen Fähigkeiten eines Menschen. Das Wort "Bildung" hat, wie Sie wissen, einen hohen Stellenwert in der deutschen Sprache.

Was haben aber die "ideelle" Kunst der Griechen, der Gestaltungswille der Römer und die moderne Suche nach Bildungszielen und Ausbildungswegen mit dem zur Herrschaft gekommenen Informationsbegriff zu tun? Steckt hier mehr dahinter als eine spekulative Begriffsspielerei? Es wäre vermessen zu glauben, daß durch bloße Begriffsaufklärung eine neue Entwicklung in Gang gesetzt werden kann. Wir brauchen aber auch nicht ins andere Extrem zu fallen, indem wir bestimmten Ausformungen der gesellschaftlichen Verhältnisse einen "wesentlichen", d.h. unveränderbaren Charakter zusprechen. Die lateinische Herkunft und der griechische Ursprung des Informationsbegriffs weisen auf etwas, was jede konkrete Formung übersteigt, hin. Wir beziehen uns auf Unbekanntes, Unentdecktes, Noch-nicht-Geformtes, das uns zu den höchsten Werken in künstlerischen, wissenschaftlichen und sozial-politischen Bereich anspornt. Wir nennen diese Fähigkeit im künstlerischen, aber auch im wissenschaftlichen Bereich "Imagination", zu deutsch: Einbildungskraft. Wir wissen auch, daß diese Fähigkeit im sozial-politischen Bereich "Freiheit" genannt wird. Information, Imagination, Freiheit: Wäre es vielleicht möglich, den neuen Herrschaftsbereich auf diese Sachverhalte hin auszuweiten? Könnten wir dann in der Lage sein, die Frage "Was ist Information?" nicht nur im Sinne eines "Produktionsfaktors", sondern zugleich auch im Sinne eines die gesellschaftlichen Verhältnisse neu bestimmenden "Freiheitsfaktors" zu verstehen? Käme dann Information einem der Handlung des Künstlers (bzw. des "Homo ludens") nahen Vorgangs gleich? Joseph Beuys hat diese Frage folgendermaßen formuliert: "Sind die Handlungen des Menschen, d.h. seine Information, der Abdruckcharakter – etwas in eine Form hineinprägen – , ist dieses Informierende zu begründen als ein Vorgang, der aus der freien Entscheidung, der Freiheit dieses Wesens stammt?"


Literatur

Beuys, Joseph: Eintritt in ein Lebewesen. In: Prisma, Zeitschrift der Gesamthochschule Kassel, Nr. 16, 1977.
Philosophisch-künstlerische Deutung des schöpferischen Vorgangs aus der Sicht eines berühmten Künstlers.

Capurro, Rafael:
Hermeneutik der Fachinformation. Freiburg, München: Alber 1986.
Versuch einer philosophischen Analyse des EDV-gestützten Vorgangs der Speicherung und Wiedergewinnung von Fachinformationen.

Capurro, Rafael
: Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideengschchtlichen Begründung des Informationsbegriffs. München: Saur 1978.
Quellenuntersuchung zur zweieinhalbtausendjährigen Wort- und Begriffsgeschichte des Informationsbegriffs.

Ditfurth, Hoimar von
(Hrsg.): Informationen über Information. Fischer Taschenbuch Nr. 6129, 1971
Überblick über das Wort- und Begriffsfeld.

Machlup, Fritz; Mansfield, Una 
(Hrsg.): The Study of Information. Interdisciplinary Messages. New York: Wiley 1983.
Interdisziplinäre Studien zu den Anwendungen des Informationsbegriffs, insbesondere in den Bereichen Biologie, Psychologie und "Künstliche Intelligenz".

Mitcham, Carl; Huning, Alois
(Hrsg.): Philosophy and Technology II. Information Technology and Computers in Theory and Practice. Dordrecht: Reidel 1986. (Boston Studies in the Philosophy of Science).
Aktuelle philosophische Beiträge zu anthropologischen und ethischen Fragen der Informationstechnologie.

Völz, Horst
: Information. Studie zur Vielfalt und Einheit der Information. Berlin: Akademie Verlag 1982, 2 Bde.
Umfangreiche Studie über die Anwendung des Informationsbegriffs in den Natur- und Sozialwissenschaften.

Weizäcker, Carl Friedrich von:
Sprache als Information. In: ibid.: Die Einheit der natur, München: DTV 1974, S. 39-60.

Weizsäcker, Carl Friedrich von:
Information und Imagination. In: Information und Imagination. Vorträge von Carl Friedrich von Weizsäcker, Golo Mann, Harald Weinrich, Thomas Sieverts und Leszek Kolakowski. Vorwort von Hans Egon Holthusen. München: Piper 1973, S. 11-32.
Grundlegende Beiträge zur Frage nach dem Zusammenhang von Sprache, Information und Imagination.


Letzte Änderung: 10. Juli 2017 


 
    

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