LÄSST SICH WISSEN MANAGEN?

Rafael Capurro

 
 
 
 

Kürzere und leicht veränderte Fassung dieses Aufsatzes. Über den Ansatz von Nonaka und Takeuchi siehe auch hier.
 
 

 
 

Inhalt

Einführung
I. Der Ansatz von I. Nonaka und H. Takeuchi
II. Würdigung und Kritik
Ausblick

Literatur

 
   
   
  

Einführung

Gegenüber dem in den 70er Jahren geprägten Schlagwort von der Informationsgesellschaft bahnt sich immer stärker die Einsicht in die Notwendigkeit einer Veredelung der Ressource-Information anhand von selektiven, interpretatorischen und wertenden Prozessen, die zu dem führen, was wir in einem umfassenden Sinne Wissen nennen. Das neue Schlagwort von der Wissensgesellschaft macht heute die Runde. Der Wissenschaftstheoretiker Helmut Spinner hat für einen umfassenden Wissensbegriff die Formel von Wissen "aller Arten, in jeder Menge, Güte und Zusammensetzung" geprägt (Spinner 1998, S. 104). Man erinnere sich an das Ziel der Abdeckung aller Wissensgebiete im IuD-Programm der Bundesregierung 1974-1977 (BMFT 1975).  

Das Thema Wissensmanagement steht auf der Tagesordnung der gegenwärtigen informationswissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Forschung und zwar sowohl in Form einschlägiger Monographien (Kanti Srikantaiah/Koenig 2000, Von Krogh/Ichijo/Nonaka 2000; Zucker/Schmitz 2000; Bürgel 1998, Borghoff/Parschi 1998, Davenport/Prusak 1997, Klein 1998, Nonaka/Takeuchi 1995) als auch in zahlreichen Websites und internationalen Meetings. 

Zu den letzten möchte ich insbesondere den diesjährigen Kongress der American Society for Information Science (ASIS) hervorheben. Die Tagungsankündigung gibt einen Überblick über die Bedeutung und die Einbetung von Wissensmanagement innerhalb der Informationswissenschaft: 

"Knowledge Discovery, Capture and Creation: Capturing tacit knowledge, data mining, collaboration, expert  directories, intelligent systems employing usage patterns (e.g. search strategies) etc.  
Classification and Representation: interface design, metadata, information visualization, taxonomies, clustering, indexing, vocabularies and automatic indexing, etc.  
Information Retrieval: search engines, intelligent agents, browsing vs. searching, navigation, knowledge/information architecture, data mining, etc. Knowledge Dissemination, communication, publishing (including internet vs. intranet vs. extranet), push vs. pull, etc.  
Social, Behavioral, Ethical, and Legal Aspects - information acceptance vs. rejection, behavior modifications, policies and politics, value assessments, corporate and national information cultures, knowledge seeking behavior, training for effective utilization, managing knowledge management, legislative and judicial issues." (ASIS, Annual Meeting, Chicago, 2000)
Das Bewußtsein, daß der Erfolg eines Unternehmens entscheidend von seiner Lernfähigkeit abhängt, nimmt in jüngster Zeit immer mehr zu. Gründe dafür sind zum einen die verschärfte globale Wettbewerbssituation sowie zum anderen die Entwicklung und Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, die ständig neue Möglichkeiten für das Management von Informationsressourcen sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch zwischen diesem und der Umwelt bieten.  

Wissensmanagement im Sinne von Informationsmanagement umfaßt sowohl das Management der Ressource-Information innerhalb eines Unternehmens (information resource management) als auch das Management von externen Informationsquellen (information resources management). Informationsmanagement dient wiederum dem Wissens- management auf allen Ebenen eines Unternehmens. Diesem Selbstverständnis von Wissensmanagement kommt in dem einschlägigen Ansatz von Probst, Raub und Romhardt zum Ausdruck (Probst/Raub/Romhardt 1998).  

Ist aber mit dem Management von Wissen die Frage nach den Quellen unternehmerischer Kreativität und, so möchte ich hinzufügen, von geistiger Kreativität überhaupt, beantwortet? Diesem Problem widmen sich Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi, zwei renommierte Unternehmensexperten, in ihrem Buch The Knowledge-Creating Company (1995), das 1997 in deutscher Übersetzung mit dem  Titel Die Organisation des Wissens erschienen ist. Wissensmanagement beschäftigt sich, so die Autoren, mit der Organisation von Information im Sinne des expliziten Wissens. Entscheidend für den Prozeß der Wissensschaffung ist aber das implizite Wissen. Was ist damit gemeint?   


I. Der Ansatz von I. Nonaka und H. Takeuchi
In seinem Buch The Tacit Dimension (1966, Dt. Implizites Wissen, 1985) hatte der Biologe und Wissenschaftstheoretiker Michael Polanyi auf die Bedeutung des impliziten Wissens (tacit knowledge) hingewiesen. Er meinte damit, "daß jeder unserer Gedanken Komponenten umfaßt, die wir nur mittelbar, nebenbei, unterhalb unseres eigentlichen Denkinhalts registrieren – und daß alles Denken aus dieser Unterlage, die gleichsam ein Teil unseres Körpers ist, hervorgeht." (Polanyi 1985, S. 10). Das implizite Wissen ist, so Polanyi, die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens. 

Nonaka und Takeuchi stellen den Begriff des impliziten Wissens in den Mittelpunkt ihres Modells der Wissensschaffung im Unternehmen. Gegenüber der Vorstellung, daß Wissen nur durch die Aufnahme von expliziten Informationen und deren Verarbeitung entsteht, betonen sie, dass eine Information im Sinne von "einer Nachricht von einem Unterschied" ("information is a difference that makes a difference" G. Bateson) nur in Verbindung mit konkreten Vorstellungen und Handlungen in einem dynamischen Kontext einen Sinn hat: "Information ist ein notwendiges Medium oder Material für die Bildung von Wissen" aber sie wird erst zum Wissen, wenn sie "kontext- und beziehungsspezifisch" wird (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 70). 

Die Umwandlung von impliziten zum expliziten Wissen oder, mit anderen Worten, das Explizitmachen eines impliziten Kontextes ist eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung neuen Wissens. In diesem Prozeß finden verschiedene Formen der Wissensumwandlung statt, nämlich:   

  • Vom impliziten zum impliziten Wissen – die Sozialisation
  • Vom impliziten zum expliziten Wissen – die Externalisierung
  • Vom expliziten zum expliziten Wissen – die Kombination
  • Vom expliziten zum impliziten Wissen – die Internalisierung.
  • Drei dieser Formen, nämlich Sozialisation, Kombination und Internalisierung, sind bisher in gängigen Organisationstheorien zu finden. Die Kombination ist wiederum eine zu lernende Kernfähigkeit von Informationsmanagern. Das Neue bei diesem Ansatz ist die Einbettung dieser Fähigkeit im Kontext unternehmerischer Kreativität. Dabei heben Nonaka und Takeuchi nicht nur die bisher unbeachtete Dimension des impliziten Wissens hervor, sondern sie stellen sie in einen dynamischen Zusammenhang mit anderen Formen der Wissensmitteilung, den sie als ein spiralförmiges Zusammenwirken auffassen. 

    Ein Beispiel aus der Praxis der Firma Matsushita in Osaka zeigt in prägnanter Weise das Zusammenwirken von implizitem und explizitem Wissen: 

    "Ein zentrales Problem in der Entwicklung eines Brotautomaten in den späten achtziger Jahren war die Mechanisierung des Teigknetens. Der Knetprozeß gehört zum impliziten Wissensvorrat von Bäckermeistern, und so verglich man anhand von Röntgenaufnahmen den gekneteten Teig eines Bäckers mit dem eines Automaten, ohne zu irgendwelchen Erkenntnissen zu gelangen. Ikuko Tanaka, die Leiterin der Abteilung Softwareentwicklung, wußte, daß es das beste Brot der Gegend in Osaka International Hotel gab. Um sich das implizite Wissen über den Knetvorgang anzueignen, gingen sie und mehrere Ingenieure beim Chefbäcker des Hotels in die Lehre. Es war nicht leicht, sein Geheimnis zu ergründen. Eines Tages bemerkte sie jedoch, daß der Bäcker den Teig nicht nur dehnte, sondern auch drehte. Durch Beobachtung, Nachahmung und Praxis hatte Ikuko Tanaka des Rätsels Lösung gefunden." (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 76) Gemäß der Devise, daß ein Unternehmer nicht bloß explizite Informationen verarbeitet, sondern ein Erzeuger von neuem Wissen ist und somit kreativ gegenüber der Umwelt vorgeht, entwickeln Nonaka und Takeuchi ein "Middle-top-down-Modell" des Wissensmanagements im Unternehmen, wo das mittlere Management oder Wissensingenieure als Vermittler zwischen den Wissenspraktikern (Mitarbeiter und Linienmanager) und den Wissensverwaltern (Führungskräften) eine Schlüsselrolle spielt. 

    Den Wissenspraktikern ist vor allem der Kontakt mit der Umwelt (Kunden) eigen. Als "Wissenswerker"  sammeln und erzeugen implizites Wissen in Form von Fertigkeiten, die auf Erfahrungen beruhen. Dazu gehören zum Beispiel Angestellte in der Verkaufsabteilung oder Facharbeiter in der Montage. Ihre Stärke liegt darin, daß sie "mit Kopf und Händen" arbeiten. Die "Wissensspezialisten" wiederum  mobilisieren strukturiertes explizites Wissen in Form von technischen, wissenschaftlichen und anderen quantifizierbaren Daten. 

    Das Hervorbringen von Wissen beruht auf dem Zusammenwirken von kontextbezogenen, auf subjektiver Relevanz basierenden Auswahlprozessen, die in Form von Wertpreferenzen und Wunschvorstellungen meistens und größtenteils implizit bleiben. Diese Ressource zu mobilisieren und zwar sowohl bei jedem Mitarbeiter des Unternehmens als auch in seinem ganzen Umfeld bildet das Ziel dieses wissensbezogenen Ansatzes. 

    Wie läßt sich dieses Modell in einer globalisierten, auf Multikulturalität ausgerichteten Weltwirtschaft mit international agierenden Unternehmen anwenden? Wie funktioniert multikulturelle Wissensschaffung? Diesen Fragen gehen Nonaka und Takeuchi nach, indem sie anhand von Primera von Nissan und REGA von Shin Caterpillar Mitsubishi zeigen, wie sich japanische Unternehmen nicht-japanisches implizites Wissen aneignen. 

    Daraus läßt sich für die Praxis des Wissensmanagements u.a. lernen, daß etwas, was für japanische Produktentwickler notwendig und möglich war, nämlich das Kennenlernen von kulturellen, geographischen usw. Unterschieden am eigenen Leib, auch zwischen den verschiedensten Wirtschaftspartnern möglich und ebenfalls produktiv sein müßte. Bei aller berechtigten Euphorie um virtuelle Unternehmen, globalen Informations- austausch durch Intranets und Extranets, virtual reality u.v.a.m. ist dies auch eine ernüchternde Auskunft, die den Blick des global agierenden Herstellers zugleich (!) auf Lokalität, Individualität und Leiblichkeit richtet. Höchste Qualitätsleistung erreicht man gerade im Falle industrieller Massenanfertigung durch Veränderung festgefahrener und einverleibter Vorurteile. Dies ist aber wiederum nur möglich, wenn die Bereitschaft da ist, den Standpunkt des Anderen am eigenen Leibe zu erfahren und den wahrgenommenen Unterschied explizit zu machen. 

    Mit ihrem Ansatz gehen also Nonaka und Takeuchi über die weitverbreitete   
    Vorstellung von  Wissensmanagement im Sinne von Handhabung des expliziten Wissens hinaus (Takeuchi 1998). Soeben ist eine Weiterführung dieses Ansatzes durch Von Krogh/Ichijo/Nonaka mit dem Titel Enabling Knowledge Creation erschienen (Von Krogh/Ichijo/Nonaka 2000). Im Vorwort heißt es: 

    "This is a book about knowledge enabling. It is our strong conviction that knowledge cannot be managed, only enabled." (Krogh/Ichijo/Nonaka 2000, vii)
    Gemeint ist die Einsicht, dass wir zwar Information im Sinne von explizitem Wissen managen können, dass dies aber nur Teil der umfassederen Aufgabe der Wissensschaffung (knowledge creation) darstellt. Was wir dabei tun ist dann nicht Wissen, sondern die Bedingungen der Wissensschaffung zu managen.    


    II. Würdigung und Kritik

    Im Jahr des Erscheinens der deutschen Übersetzung des Buches von Nonaka und Takeuchi gab die Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner das Handbuch Lernende Organisation heraus (Wieselhuber 1997), in dem namhafte deutsche Firmen auf die Bedeutung von Lernprozessen als Instrument des Unternehmungswandels hinwiesen und sich dabei auf den Ansatz von Nonaka und Takeuchi bezogen. Im Folgenden gehe ich auf die theoretische Rezeption dieses Ansatzes kurz ein. 

    Schreyögg und Noss (Institut für Management, Freie Universität Berlin) (Schreyögg/Noss 1997) fassen Unternehmen als Wissenssysteme auf. Neues Wissen entsteht im Zuge von Lernprozessen auf der Grundlage vom eigenen Wissen einer Organisation. Diese Einsicht steht der traditionellen mechanistischen Auffassung gegenüber, wonach Lernprozesse lediglich reaktiv als Resultat von Anstößen (Stimuli) stattfinden. Organisationen beruhen auf einer spezifischen "Wissensbasis" – bestehend aus Routinen, Patenten, technischen Aufzeichnungen aller Art usw. –, die dann durch Lernprozesse verändert wird. Die klassische Einteilung organisatorischer Wissenselemente unterscheidet zwischen Regel- und Faktenwissen. Zum ersten zählen kausal erklärte Zusammenhänge aller Art. Wissen ist demnach dann wirksam, wenn auf der Grundlage von Regeln der faktische Erfolg tatsächlich eintritt. 

    Diese Verknüpfung von Regelwissen und faktischem Erfolg greift aber, so die Autoren, zu kurz, da sie andere Wissensarten nicht berücksichtigt, darunter "die heute so viel diskutierte Differenz von explizitem bzw. artikuliertem und implizitem "unterschwellig" vorhandenem Wissen" (Schreyögg/Noss 1997, S. 70) Gegenüber dem von Gregory Bateson als "digitales Wissen" bezeichneten expliziten Wissen weisen Schreyögg und Noss auf die von Nonaka und Takeuchi vorgestellten Formen der Wissenskonversion hin. Sie unterscheiden zwischen drei Lerntypen nämlich: 

  • Lernen I: Veränderung des impliziten oder expliziten Wissens, "die jedoch im Rahmen bestehender Grundüberzeugungen und Basisprämissen der Organisation entwickelt wird"
  • Lernen II: "Vorherrschende Basisannahmen und Grundsätze werden in Frage gestellt und durch neues Orientierungswissen (...) ersetzt"
  • Lernen III: das "das Wissen um die Lernprozesse selbst zum Inhalt hat." (Schreyögg/Noss 1997, S. 73)
  • Die von Nonaka und Takeuchi ausgearbeiteten vier Modi der internen Wissensgenerierung in Organisationen werden in Bezug auf diese drei Lernformen gesetzt. Das Explizitmachen vom impliziten Wissen findet im Falle von Lernen II und III so statt, daß keine Zurücknahme in die Sozialisierung oder Internalisierung führt. Dies gilt ausschließlich für Lernen I. Die permanente Lernfähigkeit des Unternehmens wird durch Externalisierung und Kombination stets wachgehalten. Damit stellen Schreyögg und Noss das Spiralmodell teilweise in Frage. Sie kritisieren dabei ausdrücklich, daß die Generierung von Wissen im Spiralmodell beim Individuum beginnt und sich dann in der Gruppe sowie in der Organisation weiterentwickelt. Sie sehen als problematisch an, daß der Wissens- erzeugungsprozeß beim Individuum beginnen soll. Demgegenüber betonen sie, daß der Ausgangspunkt die organisatorische Wissensbasis ist. Dieser Kritik wäre zu entgegnen, daß das Spiralmodell zwar einen solchen Ausgangspunkt suggeriert, während in Wahrheit alle vier Modi gleichursprünglich sind, so daß das implizite Wissen des Individuums immer schon seinen Ausgang in einem sozialisierten Internalisierungsprozeß nimmt, der wiederum teilweise auf externalisiertem und kombiniertem Wissen basiert.  

    Eine zweite Kritik richtet sich gegen die These, daß die Restrukturierung der Wissensbasis durch selbstgeneriertes neues Wissen den Durchgang durch alle vier Modi voraussetzt, während dies in Wahrheit nur für Lernen I zutrifft. Außerdem ist es nicht sinnvoll oder, wie ich hinzufügen möchte, notwendig – und letztlich auch in vielen Fällen nicht möglich , immer implizites in explizites Wissen oder umgekehrt zu überführen. Es ist nur die Frage, ob dies von Nonaka und Takeuchi behauptet wird. 

    So ziehen die Autoren die Schlußfolgerung, die vier Typen der Wissenskonversion je nach Lernform unterschiedlich zu behandeln und andere Formen der Wissensgenerierung je nach Bedarf stärker zu berücksichtigen. Dazu zählen zum Beispiel der Systemvergleich im Sinne des Benchmarking, das Experimentieren oder das neugierige Suchen. Diese und andere Lernformen scheinen mir aber wiederum in das Modell von Nonaka und Takeuchi integrierbar. 

    Essers und Schreinemakers von der Rotterdam School of Management (Erasmus University) (Essers/Schreinemakers 1997) stellen fest, daß corporate knowledge management (CKM) nicht unter dem Paradigma dessen subsumiert werden kann, was die Wissenschaftstheorie in den Worten von Karl Popper als objective knowledge bezeichnet. Im Falle eines Unternehmens wird Wissen primär im Hinblick auf seine Anwendung und Nutzung betrachtet, was wiederum eine Erweiterung des Wissensbegriffs jenseits der Grenzen wissenschaftlicher Methodik bedeutet. Wenn es um das Management der Wissensschaffung geht, steht dann weniger der context of justification als der context of discovery oder der context of application im Vordergrund. Dennoch spielen Elemente aus Poppers World 3 eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der von Nonaka und Takeuchi beschriebene Prozeß der Wissenskonversion (crystalization), wodurch implizites Wissen auf verschiedenen Ebenen eines Unternehmens zum Einsatz kommt, schließt eine Bewertungsprozedur ein, die Kriterien wie Kosten, Effizienz und Profit aber auch ästhetische Aspekte berücksichtigen muß. 

    Bürgel und Zeller betonen, daß der "Königsweg" zum künftigen Wissen über  "kritisch hinterfragtes Erfahrungswissen in Neukombination von Wissenselementen aus explizitem und implizitem Wissen"  führt (Bürgel/Zeller 1998, S. 58). Der F&E-Prozeß ist ein Wissensprozeß, bei dem die von Nonaka und Takeuchi beschriebene "Wissensspirale" auf individueller und kollektiver Ebene eine conditio sine qua non darstellt. 

    Schließlich möchte ich auf zwei Strategien des Wissensmanagements bei Beratungsfirmen hinweisen, die jeweils dem klassischen Ansatz des Wissensanagements bzw. dem der Wissensschaffung entsprechen. 
    Es sind dies die Kodifizierungsstrategie und die Personifizierungs- strategie. Bei der ersten Strategie wird das Wissen in Form von Datenbanken zugänglich gemacht, bei der zweiten bleibt Wissen an die Person gebunden, die es erworben hat. Der Computer dient dann vorwiegend als Medium des Wissensaustausches. Die Beratungsunternehmen Andersen Consulting oder Ernst & Young haben die Kodifizierungsstrategie gewählt. Dagegen setzen Bain, Boston Consulting Group (BCG) und McKinsey auf personalisiertes Wissen (Hansen/Nohria/Tierney 1999). 

    Ausblick 

    Mein Fazit lautet: Beide Ansätze gehören zum Selbstverständnis der Informationswissenschaft, obwohl diese sich bisher naturgemäß mit Information im Sinne des expliziten Wissens d.h. also mit Wissensmanagement im Gegensatz zu Wissensschaffung auseinandergesetzt hat. Die Theoriebildung der Wissensschaffung im Rahmen betriebswirtschaftlicher Ansätze bringt zwar neue von der Informationswissenschaft bisher vernachlässigte Dimensionen zur Sprache, engt diese aber wiederum für ihre Zwecke ein. Die Informationswissenschaft kann hierzu als korrektiv dienen, indem sie den Blick für andere Formen des Wissensmanagements und der Wissenschaffung frei macht. Indem sie das tut, knüpft sie nicht nur an ihre eigene Tradition an, sondern verbindet ihre Fragestellungen mit anderen Methoden und geistigen Traditionen wie die der Medienwissenschaft, der Soziologie, der Linguistik, der Psychologie und nicht zuletzt der Wissenschaftstheorie. Der Ansatz von Nonaka und Takeuchi beruht außerdem auf Einsichten, die in der Tradition der Informationshermeneutik diskutiert worden sind (Capurro 1995). 

    Wissensmanagement ist ein modischer Ausdruck. Aber die Sache hat Geschichte. Wie Albrecht von Müller bemerkt, verfügten die Republik Venedig oder die Fugger über ausgezeichnete Methoden, Informationen schnell und effektiv in Wissen umzusetzen und somit ihre Machtstellung über Jahrhunderte zu festigen (Winkelhage 1998, Müller 1997). Diese Geschichte im Zusammenhang mit den heutigen Fragestellungen zu thematisieren, ist ein Desiderat der Forschung. 

    Mit dem Begriff Management verbinden wir gewöhnlich die Tätigkeiten des Planens, Organisierens, Koordinierens und Kontrollierens in unserem Fall der Ressourcen Information und Wissen. Diese Tätigkeiten richten die Aufmerksamkeit auf die Haltung des Beherrschens und vernachlässigen die Aspekte des sorgfältigen und dienenden Umgangs. Diese Aspekte gehören aber zum ursprünglich aus dem Italienischen (maneggiare) und Lateinischen (manus) herstammenden Begriff (The Oxford English Dictionary). In einem Textnachweis aus dem 18. Jahrhundert (1736 Butler) heißt es: "Tranquility, satisfaction,... being the natural consequences of prudent management of ourselves, and our affairs." (OED 1989) 

    Wissen ist, wie das alte Wort theoria lehrt, nicht nur Mittel, sondern auch Selbstzweck. Von dieser anderen Betrachtung von Wissen lebt eine Kultur, die sich öffentliche Lehr- und Forschungseinrichtungen sowie öffentlich zugängliche Bibliotheken leistet, ja die eine informationelle Grundversorgung der vernetzten Gesellschaft anstrebt.

      

    Literatur

    American Society for Information Science (ASIS): http://www.asis.org. 

    BMFT, Der Bundesminister für Forschung und Technologie, Hrsg.: Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm) 1974-1977. Bonn 1975. 

    Borghoff, U., Pareschi, R. Eds.: Information Technology for Knowledge Management. Berlin/Heidelberg 1998. 

    Bürgel, H.D. Hrsg.: Wissensmanagement: Schritte zum intelligenten Unternehmen. Berlin u.a. 1998. 

    Bürgel, H.D., Zeller, A. Hrsg.: Forschung und Entwicklung als Wissenscenter. In: H.D. Bürgel Hrsg.: Wissensmanagement: Schritte zum intelligenten Unternehmen. Berlin u.a. 1998, S. 53-65. 

    Capurro, R.: Leben im Informationszeitalter. Berlin 1995. 

    Davenport, Th. H., Prusak, L. : Working Knowledge: How Organizations Manage what they Know. Boston, Mass. 1997. 

    Essers, J., Schreinemakers, J.: Nonaka’s Subjectivist Conception of Knowledge in Corporate Knowledge Management. In: Knowl. Org. 24 (1997) No. 1, S. 24-32. 

    Hansen, M.T., Nohria, N.,Tierney Th.: Wie managen Sie das Wissen in Ihrem Unternehmen? In: HARVARD BUSINESS manager 5/1999, 85-96. 

    Kanti Srikantaiah, T., Koenig, M. Eds.: Knowledge Management for the Information Professional. Information Today 2000. 

    Klein, D.: The strategic management of intellectual capital. Boston 1998. 

    Kotter, J.: Matsushita – der erfolgreichste Unternehmer des 20. Jahrhunderts. Wien 1997. 

    Krcmar, H.: Informationsmanagement. Berlin u.a. 1997. 

    Müller, A. v.: Denkwerkzeuge für Global Player. In: U. Krystek, E. Zur Hrsg.: Internationalisierung. Eine Herausforderung für die Unternehmensführung. Berlin u.a. 1997, S. 465-473. 

    Nonaka, I.: A dynamic theory of organizational knowledge creation. In: Organisation Science 5 (1), S. 14-37. 

    Nonaka, I., Takeuchi, H.: The Knowledge-Creating Company, Oxford Univ. Press 1995 (dt.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt a.M. 1997).  

    Polanyi, M.: The Tacit Dimension. New York 1966 (dt. Implizites Wissen. Frankfurt a. M. 1985). 

    Probst, G., Raub, S, Romhardt, K.: Wissen managen. Frankfurt a.M. 1998. 

    Schreyögg, G., Noss, Chr.: Zur Bedeutung des organisationalen Wissens für organisatorische Lernprozesse. In: Dr. Wieselhuber & Partner, Hrsg.: Handbuch Lernende Organisation. Unternehmens- und Mitarbeiterpotentiale erfolgreich erschließen. Wiesbaden 1997, S. 67-76. 

    Spinner, H. F.: Die Architektur der Informationsgesellschaft. Bodenheim 1998. 

    Takeuchi, H.: Beyond Knowledge Management: Lessons from Japan. 1998, http://www.sveiby.com.au/LessonsJapan.htm  

    The Oxford English Dictionary, Oxford 1989. 

    Von Krogh, G., Ichijo, K., Nonaka, I.: Enabling Knowledge Creation. Oxford Univ. Press 2000. 

    Wieselhuber & Partner, Hrsg.: Handbuch Lernende Organisation. Unternehmens- und Mitarbeiterpotentiale erfolgreich erschließen. Wiesbaden 1997. 

    Winkelhage, J.: Dienstleister, die beim Denken helfen. In: FAZ, 28. März 1998, Nr. 74, S. 15. 

    Zucker, B., Schmitz, Ch.: Wissen gewinnt. Düsseldorf 2000. 

     
    Letzte Änderung: 2. Januar  2017

     



     
        

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