1.1 Einführung
Das
Bewußtsein, dass der
Erfolg eines Unternehmens entscheidend von seiner Lernfähigkeit
abhängt,
nimmt in jüngster Zeit immer mehr zu. Gründe dafür sind
zum einen die verschärfte globale Wettbewerbssituation sowie zum
anderen
die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, die
ständig
neue Möglichkeiten für das Management von
Informationsressourcen
sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch zwischen diesem und der
Umwelt
bieten. Informationsmanagement umfaßt sowohl das Management der
Ressource
Information innerhalb eines Unternehmens (information resource
management)
als auch das Manage- ment von externen Informationsquellen (information
resources
management). Informationsmanagement dient wiederum dem
Wissensmanagement
auf allen Ebenen eines Unternehmens.
Gegenüber
dem in den
70er Jahren geprägten Schlagwort von der Informationsgesellschaft
bahnt sich aber immer stärker die Einsicht in die Notwendigkeit
einer
Veredelung der Ressource Information anhand von selektiven,
interpretatorischen
und wertenden Prozessen, die zu dem führen, was wir in einem
umfassenden
Sinne Wissen nennen. Das neue Schlagwort von der Wissensgesellschaft
macht
heute die Runde. Der Wissenschaftstheoretiker Helmut Spinner hat
für einen umfassenden Wissensbegriff die Formel von Wissen "aller
Arten, in jeder Menge, Güte und Zusammensetzung" geprägt
(Spinner
1998, S. 104). Man erinnere sich an das Ziel der Abdeckung aller
Wissensgebiete
im IuD-Programm der Bundesregierung 1974-1977 (BMFT 1975). Ich habe
Mitte
der 80er Jahre auf die Bedeutung der Theorie von
Interpretationsprozessen
(Hermeneutik) für die Wiedergewinnung von
elektronisch gespeicherten
(Fach-) Informationen hingewiesen (Capurro 1986).
Es
ist nicht
hier meine Absicht,
den Wechsel von der Informations- zur Wissensgesellschaft zu
thematisieren.
Mir scheint aber, dass ein solcher Wechsel sich so vollziehen
müßte,
dass Wissen und Information als zwei sich gegenseitig bedingende
Dimensionen
wahrgenommen werden. Während aus der Sicht des Wissens Information
als ein zu veredelnder Rohstoff erscheint, stellt sich das Wissen, von
der Information her gesehen, als mitteilbare Information dar. Man denke
an den bekannten Ausspruch von Dr Johnson, als dieser sich zusammen mit
dem berühmten Maler Sir Joshua Reynolds in der Bibliothek von Mr.
Cambridge befand und Johnson eifrig anfing, die Bücher von hinten
aufzuschlagen. Darauf bemerkte Sir Joshua, dass Johnson zu den
Büchern
rennt, wie er zu en Gemälden, nur dass er vom Bild mehr sehen kann
als Johnson von den Büchern. Mr Cambridge machte dann die folgende
Bemerkung, nämlich, dass er, Cambridge, dieselbe Gewohnheit wie
Johnson
hätte und dieses Begehren, die Rückseite der Bücher
anzuschauen,
als merkwürdig empfindet. Darauf antwortete Dr Johnson:
"‘Sir,
der Grund
ist offensichtlich. Wissen ist von zwei Arten: Entweder wir wissen
selbst
über einen Gegenstand, oder wir wissen, wo wir Information
darüber
finden können" ("Knowledge is of two kinds. We know a subject
ourselves,
or we know where we can find information upon it") (Boswell 1979, S.
186,
meine Übers.)
Information
ist,
mit anderen
Worten, "das dokumentarisch vorhandene Wissen, sofern dieses dem
Benutzer
zugänglich bzw. "nützlich" gemacht wird (Information als
kommunizierbares
Wissen)" (Capurro 1978, S. 293).
Das
Thema
Wissensmanagement
steht auf der Tagesordnung der gegenwärtigen
informationswissenschaftlichen
und betriebswirtschaftlichen Forschung und zwar sowohl in Form
einschlägiger
Monographien (Mertins/Heisig/Vorbeck 2000; Kanti Srikantaiah/Koenig
2000,
Von Krogh/Ichijo/Nonaka 2000; Zucker/Schmitz 2000; Weggeman 1999,
Bürgel
1998, Borghoff/Parschi 1998, Davenport/Prusak 1997, Klein 1998,
Nonaka/Takeuchi
1995) als auch in zahlreichen Websites und internationalen Meetings. Zu
den letzten möchte ich den diesjährigen Kongress der American
Society for Information Science (ASIS) hervorheben. Die
Tagungsankündigung
hebt die Bedeutung von Wissensmanagement folgendermaßen
hervor:
"Knowledge
Discovery,
Capture and Creation: Capturing tacit knowledge, data mining,
collaboration,
expert directories, intelligent systems employing usage patterns
(e.g. search strategies) etc.
Classification
and Representation:
interface design, metadata, information visualization, taxonomies,
clustering,
indexing, vocabularies and automatic indexing, etc.
Information
Retrieval: search
engines, intelligent agents, browsing vs. searching, navigation,
knowledge/information
architecture, data mining, etc. Knowledge Dissemination, communication,
publishing (including internet vs. intranet vs. extranet), push vs.
pull,
etc.
Social,
Behavioral, Ethical,
and Legal Aspects - information acceptance vs. rejection, behavior
modifications,
policies and politics, value assessments, corporate and national
information
cultures, knowledge seeking behavior, training for effective
utilization,
managing knowledge management, legislative and judicial issues." (ASIS,
Annual Meeting, Chicago, 2000)
Es
wird oft darauf
hingewiesen,
dass Information zum vierten Produktionsfaktor neben Arbeit, Boden und
Kapital geworden ist. Dies ist eine These, die man aus historischer
Sicht
analysieren müßte. Dass Wissen nicht nur als Mittel zum
Zweck
der Gewinnmaximierung bestimmt werden sollte, ist eine alte Einsicht,
worauf
ich am Schluß zurückkommen werde. Wenn Information, Daten
und
Wissen heute einen maßgebenden Wirtschaftsfaktor darstellen, dann
gewinnt die Frage, was genau darunter zu verstehen ist und wie sich
diese
Sachverhalte von anderen Wirtschaftsgütern unterscheiden eine
besondere
Bedeutung, worauf Krcmar auch hinweist (Krcmar 1997, S. 24). In seinem
Buch Informationsmanagement weist Helmut Krcmar auf die klassische
betriebswirtschaftliche
Definition von Information als "zweckbezogenes Wissen" (Wittmann 1959)
hin (Krcmar 1997, S. 22). Diese Definition wirft, so Krcmar, zwei
Probleme
auf: "Was ist Wissen?" und "was bedeutet zweckbezogen?". Auf die letzte
Frage gibt Krcmar folgende Antwort, nämlich "daß nur solches
Wissen als Information bezeichnet wird, das dazu dient, Entscheidungen
oder Handeln vorzubereiten" (a.a.O.). Rainer Kuhlen hat die Devise
"Information
ist Wissen in Aktion" geprägt.
Ist
aber mit
dieser Einsicht
die Frage nach den Quellen unternehmerischer Kreativität
beantwortet?
Diesem Problem widmen sich Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi, zwei
renommierte
Unternehmensexperten, in ihrem Buch The Knowledge-Creating Company
(1995),
das in deutscher Übersetzung mit dem etwas irreführenden
Titel:
Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine
brachliegende
Ressource nutzbar machen (Nonaka/Takeuchi 1997) erschienen ist. Ihr
Ansatz
wurde sehr schnell von der Praxis rezipiert, wie die Beiträge im
Handbuch
Lernende Organisation (Wieselhuber 1997) zeigen. Ich werde den Ansatz
von
Nonaka/Takeuchi im dritten Abschnitt behandeln. Was aber ist
Wissen?
1.2 Was ist
Wissen?
Seit
2500 Jahren
wird in der
abendländischen Tradition darüber nachgedacht und die
Meinungen
sind immer noch sehr unterschiedlich. Dabei spielt gerade der
Unterschied
zwischen Wissen und Meinen in der griechischen Philosophie und in der
lateinischen
Tradition (Griechisch: Wissen = episteme,
Meinen = doxa;
Lateinisch: scientia bzw. opinio) eine entscheidende Rolle.
Gegenüber dem
bloßen
Meinen unterscheidet sich Wissen durch die Angabe von Gründen
(Griechisch: logos,
Lateinisch: ratio) in bezug
auf den zu
erkennenden Gegenstand
oder
Sachverhalt in seinem Da- und Sosein. Wenn der Prozess der Angabe von
Gründen
wiederum einer Kritik oder Prüfung unterzogen wird, spricht man
von
wissenschaftlicher Methode. Die Angabe von Gründen auf der Basis
von
Methodenwissen ist die Auszeichnung von Wissenschaft. Empirische
Wissenschaft
fragt nach dem Wie und Warum eines Sachverhaltes und stellt die
Gründe
in Form von gesetzmäßigen Zusammenhängen dar.
Die
'Was-Frage'
im Sinne
des Erfassens der Grundzüge oder des 'So-seins' oder Wesens
(Griechisch: eidos, idea; Lateinisch: forma, essentia, species) eines
Gegenstandes
ist Aufgabe der Philosophie. Diese Form des Wissens richtet sich auf
das
Erfassen von Bedeutungen oder Sinngehalten in einem Sinnhorizont. Das
Ergebnis
dieses Erkenntnisprozesses ist das Verstehen (Griechisch: dianoia,
nous,
Lateinisch: intellectus, ratio). Daraus entstand im 19.
Jahrhundert der
Gegensatz zwischen Erklären und Verstehen und die methodische
Unterscheidung
zwischen Geistes- und Naturwissenschaften (W. Dilthey). Diese
berühmte
Kontroverse führte im 20. Jahrhundert ‒ durch die Analyse des
Verstehensprozesses
durch die Hermeneutik (H.-G. Gadamer) und des wissenschaftlichen
Erklärungsprozesses
durch die Wissenschaftstheorie (K. Popper) ‒ zu der Einsicht, dass
wissenschaftliche
Theorien auf der Basis eines nur teilweise explizierbaren
Vorverständnisses
oder eines Paradigmas (Th. S. Kuhn) beruhen. Der sogenannte
Zirkel
des Verstehens ist eine allgemeine Form dessen, was die Wissenschaft
methodisch
bei der Angabe von Gründen vollzieht. Mit dem Zirkel des
Verstehens
oder dem hermeneutischen Zirkel ist der Zusammenhang von:
(Vor-)Verstehen
->
Auslegen -> Bildung eines neuen
Vorverständnisses->...
gemeint
(Heidegger 1976).
Dieser
Zusammenhang besagt,
dass das Erfassen oder Verstehen eines Sachverhaltes in seiner
Bedeutung
oder in seinem 'So-sein' immer auf der Basis eines tradierten
vorverstandenen
Bedeutungszusammehangs oder eines Bedeutungsnetzes ('Horizonts')
stattfindet,
der aber durch den Interpreten nie total ausgeschöpft werden kann,
d.h. implizit bleibt (Gadamer 1975). Der Interpret bewegt sich oder
lebt
als Handelnder immer schon im Rahmen einer praktisch vorverstandenen
Welt
('Lebenswelt'). In dem wir die Sprache erlernen, nehmen wir dieses
tradierte
Vorverständnis zunächst als gegeben wahr und handeln danach.
Die Sprache ist ein Handlungshorizont. Das ausdrückliche oder
explizite
Verstehen von 'etwas als etwas' in Form einer Aussage oder des
wissenschaftlichen
Erkennens findet immer auf der Basis eines mit anderen 'mit-geteilten'
und implizit kommunizierten Vorverständnisses statt. Die
Zirkularität
des Verstehens bedingt auch den Erkenntnisfortschritt in den
Wissenschaften,
die ihre Vor-Urteile mit äußerster Exaktheit durchleben
(sollten).
Diese Auffassung des Verstehens hat weitreichende Konsequenzen für
die Theorie und Praxis des Informations- und Wissensmanagements
(Capurro
1986 und 2000).
Während
also das Verstehen
auf die Sichtbarmachung der Sachverhalte in ihren Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhägen
zielt und dabei immer auf vorgegebene Interpretationen basiert,
richtet
sich das Augenmerk des wissenschaftlichen Erklärens auf das
Erfassen
von Gesetzmäßigkeiten und somit auf Prognose oder
Vorhersage.
Die klassische Wissenschaftstheorie, zum Beispiel in den Traditionen
des
Positivismus und des Logischen Empirismus, sah das Ziel
wissenschaft- licher
Erklärung in der zureichenden Begründung und der empirischen
Verifizierbarkeit von Aussagen an.
Das
grundlegende Modell für
Erklärung und Vorhersage von Ereignissen lieferten C.G. Hempel und
P. Oppenheim (HO-Schema): Ein zu erklärendes Ereignis
('Explanandum')
wird aufgrund von Anfangsbedingungen und universellen Gesetzesaussagen
('Explanans') erklärt, wobei:
a) das
'Explanans'
mindestens
ein universelles Gesetz enthalten soll, das wirklich für die
Erklärung
benutzt wird,
b) die
Gesetze des
'Explanans'
müssen empirischen Gehalt haben,
c) alle
Aussagen
des Explanans
müssen wahr oder (nach Popper) hochbestätigt sein.
Schließlich
muß
das 'Explanandum' logisch aus dem 'Explanans' folgen.
Explanans:
A1, A2 ....,
Ak
Anfangsbedingungen
G1, G1....,
Gn
Gesetze
____________________________
logische Ableitung
Explanandum:
E
Gebenüber
dem Positivismus
und dem Logischen Empirismus betonte der Kritische Rationalismus (K.
Popper)
die Idee der kritischen Prüfung und der Falsifizierbarkeit und mit
ihr die Auffassung des revidierbaren Wissens (Vermutungswissen) auf der
Basis seiner (empirischen) Falsifikation. Eine zureichende
Letztbegründung
und Verifizierung von Allgemeinsätzen führt entweder zu einem
unendlichen Regreß, oder zu einem Zirkel im Beweis oder zu einem
willkürlichen Abbruch des Begründungsverfahrens
('Münchhausens
Trilemma').
Außer
dem
deduktiv-nomologischen
also auf (Kausal-)Gesetzen (Griechisch: nomos) basierenden
Erklärungsart,
ist auch eine induktiv- statistische auf Wahrscheinlichkeit
beruhende
Erklärung möglich (Lenk 1972). Das deduktive Modell der
Erklärung stützt sich auf Realgründen im Gegensatz zur
bloßen
Angabe von Überzeugungen oder Meinungen. Es unterscheidet sich von
einer induktiven Argumentation u.a. dadurch, dass die
Einzelinformationen
über singuläre Fakten mit Gesetzesaussagen verbunden werden.
Entsprechend diesem Modell finden Einzelbeobachtungen oder
Einzelinformationen
auf der Basis einer vorhergehenden Theorie oder Hypothese statt
('Theoriebeladenheit
der Beobachtungen'). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass
"gewisse
Formen des Verstehenszirkels in einem engen Zusammenhang zum 'Problem
der
Theoriebeladenheit der Beobachtungen'" stehen (Stegmüller 1979, S.
82), so dass dieser Zirkel nicht mehr zur Abgrenzung zwischen Geistes-
und Naturwissenschaften dient, sondern ein Ausdruck der gemeinsamen
Probleme
darstellt.
Die
Weiterentwicklung der
wissenschaftstheoretischen Diskussion führte zu einer
Neuauffassung
der Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Theorien. In seinem
Buch
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1976) zeigte Th. S. Kuhn,
dass der Prozess der Wissenschaftsentwicklung nicht
kumulativ-kontinuierlich
nach internen Kriterien (context of justification =
Begründungszusammenhang),
sondern von wissenschaftsexternen sozialen Faktoren (context of
discovery
= Entdeckungszusammenhang) diskontinuierlich verläuft. Der
Schlüssel- begriff
dafür ist für Kuhn der des "Paradigmas", womit u.a.
anerkannte
Vorbilder und Modelle wissenschaftlicher Praxis gemeint sind, die das
bestimmen,
was je nach Disziplin als 'rational' gilt. Wenn sich ein Paradigma
durchgesetzt
hat, spricht Kuhn von "normaler Wissenschaft", die im Falle eines
"Paradigmenwechsels"
eine "revolutionäre Phase" vollzieht. Eine revolutionäre
Phase
wird u.a. durch auftretende Anomalien oder unerwartete Ereignisse
eingeleitet,
die der Prognose entsprechend dem gültigen Paradigma
widersprechen.
Das führt u.U. zu größeren Komplikationen sowie
schließlich
zu einer Krise und zur Durchsetzung eines neuen Paradigmas. Eine
verschärfte
Form des Relativismus in Zusammenhang mit wissenschaftlichen Methoden
und
dem Erkenntnis- fortschritt vertritt Paul Feyerebend, der eine enge
methodische
Normierung zugunsten eines kreativen Denkens fordert (Feyerabend
1986)
Die
nomologische Erklärungsart
und die damit verbundene Auffassung von Wissen stößt auf
besondere
Schwierigkeiten im Falle der Erklärung menschlichen Handelns und
der
damit zusammenhängenden historischen Entwicklungen, sofern
nämlich
keine universellen Gesetze dafür verfügbar sind. Hier beruhen
die Regelmäßigkeiten auf Gewohnheiten oder auf durch
Institutionen
erlassenen Gesetze, die aber nicht von der Art der Natur- gesetze sind.
Neben
der Relativität dieser Regelungen kommt auch die Deutung der
Handlungszwecke
oder der Motive (im Gegensatz zu den kausalen Ursachen) sowie der
spezifischen
Situationen hinzu. Hier tritt die Erkenntnisform des Verstehens, d.h.
des
Deutens und praktischen (ethischen, politischen, rechtlichen)
Argumentierens
ein. Die Folgerungsbeziehungen betreffen Deutungen und Handlungen
anstelle
von Gesetzen und Ereignisaussagen (Schwemmer 1980).
Die mit dem
Wissensbegriff
zusammenhängende Frage nach der Wahrheit läßt sich,
wenn
wir die Tratidionen von Hermeneutik und Wissenschaftstheorie
berücksichtigen,
zweifach unterscheiden, je nachdem, ob wir etwas im Vorverständnis
als wahr in einem bestimmten Sinnzusammenhang nehmen, oder ob wir, wie
bei der wissenschaftlichen Erkenntnis, nach dem Wahrheitsgehalt von
Sätzen
fragen und uns dabei auf der (nomologischen oder Motive-deutenden)
Erklärungsebene
bewegen. Wahrheit meint im ersten Fall die (menschliche) Fähigkeit
etwas in seiner Bedeutung kundzumachen oder aufzudecken, wie der
griechische
Begriff von Wahrheit (a-letheia
= ent-hüllen, Un-Verborgenheit)
ausspricht
(Heidegger 1976a). Diese Vorgang kann sowohl durch Sprache i.e.S. als
auch
durch Bilder, Gesten, Töne etc. stattfinden.
In
der
klassischen Logik
bedeutet Wahrheit die Eigenschaft eines Urteils, durch die richtige
Verbindung
von Subjekt und Prädikat einen Sachverhalt zu treffen. Wahrheit
ist
die Übereinstimmung von Denken und Sache ('veritas est adaequatio
intellectus et rei'). Eine bloße formale
Übereinstimmung
wird
als Richtigkeit bezeichnet. Für die semantischen
Wahrheitstheorien
(A. Tarski) ist der Satz "p" wahr dann und nur dann, wenn p, d.h. wenn
der mit dem Satz gemeinte Sachverhalt besteht. Pragmatische
Wahrheitstheorien,
wozu auch die Kohärenztheorie der Wahrheit gehört, legen Wert
auf die Dienlichkeit einer Aussage insbesondere für die Zwecke
wissenschaftlicher
Forschung. Verwandt damit ist die Konsenstheorie der Wahrheit, die
Wahrheit
im Hinblick auf den zu erreichenden Konsens im Rahmen eines
"herrschaftsfreien"
Diskurses (Habermas 1988) bestimmt. Für konstruktivistische
Wahrheitstheorien
schließlich bedeutet Wahrheit ein Prozeß des gemeinsamen
Konstruierens
oder Gestaltens eines Sinn- und Begründungszusammenhangs, dessen
Ergebnis
sich pragmatisch bewährt.
Wissen im
Sinne
von Verstehen
eines Sachverhaltes hat zunächst mit der Richtigkeit von Aussagen
sowie mit ihrer methodischen Begründung nichts zu tun, wohl aber
mit
der Bedeutung von Wahrheit im Sinne von 'etwas kundtun'. In diesem
Sinne
ist Wissen das Ergebnis eines Verstehensprozesses, der immer ein
sozialer
Kommunikationsprozess ist.
Wissensmitteilung
beruht
wiederum auf einem vorhergehenden tradierten und mit anderen immer
schon
'mit-geteilten' Wissen. Das Erlernen der eigenen Muttersprache ist
dabei
ein eindrucksvolles Zeugnis dieses kommunikativen und auf tradiertem
Vorwissen
basierenden Prozesses des Wissenserwerbs. Nicht zufällig bedeutet
das Wort 'Information' so viel wie 'Einprägen' oder
'In-formieren'.
Im 19. Jahrhundert verwendete man das Wort 'Informator' im Sinne
von 'Erzieher' und das ehrwürdige Wort 'Bildung' ist nichts
anderes
als die deutsche Übersetzung des Lateinischen informatio. Dieses
wiederum
verweist auf die griechischen Ursprünge des Wissensbegriffs, denn
forma ist die lateinische Übersetzung von eidos oder idea (Capurro
1978, 1999).
Die
Kontroverse
um den Wissens-
und Wahrheitsbegriff im 20. Jahrhundert zeigt folgende Resultate:
- Eine
scharfe
Trennung zwischen
Wissen und Meinen ist nicht möglich, da Wissen immer schon auf der
Basis eines Meinens (Vorverständnis, Theoriebeladenheit der
Beobachtung)
stattfindet.
- Eine
ausschließliche Ausrichtung
von Wissen in Zusammenhang mit sprachlichen Aussagen erweist sich nicht
nur als einen verkürzenden Intellektualismus, sondern verkennt
auch
die Wissensfähigkeit anderer menschlicher Ausdrucksweisen,
darunter
insbesondere Ton und Bild.
- Wissen ist
ein
sozialer Prozeß.
Das sogenannte 'Wissen in den Köpfen' ist nicht das Ergebnis eines
solipsistisch verlaufenden Erkenntnisprozesses, sondern basiert auf
einem
Mitteilungsprozess.
- Wissen ist
nicht nur auf die
Frage nach methodisch gerichteter Erkenntnis und somit auf Wahrheit von
wissenschaftlichen Aussagen ausgerichtet, sondern bedeutet ebensosehr
'etwas
kundtun' und ist somit auf Mitteilung und Information bezogen.
- Wissen
findet
sowohl in einem
Verstehen- als auch in einem Erklärungszusammenhang statt, wobei
der
Verstehenszusammen- hang auf das 'Was', der
Erklärungszusammenhang
auf das 'Warum' eines Sachverhaltes ausgerichtet ist. In beiden
Fällen
ist ein Zirkel nicht nur nicht zu vermeiden, sondern notwendigerweise
auch
produktiv zu begehen. So wie es kein Wissen ohne Vorverständnis
gibt,
so gibt es auch keine wissenschaftliche Erklärung ohne Vorurteile
bzw. ohne 'Vor-Urteile'. Empirisches Wissen ist immer
theoriebeladen.
Die
Einsicht in
die pragmatische
Dimension des Wissens führt dazu, dass der Kategorie der Relevanz
eine entscheidende Bedeutung nicht nur bei
Wissensvermittlungsprozessen,
sondern auch bei Verstehens- und Erklärungsprozessen beigemessen
wird.
Wissen, ob als Ergebnis eines Verstehens- oder eines
Erklärungsprozesses,
bedeutet immer Selektion. Sofern Selektion von einem handelnden Wesen
vorgenommen
wird, sind immer pragmatische oder lebensdienliche Ziele impliziert,
die
als Relevanzkriterien fungieren. Auch Wahrheit ist, wie Nietzsche
hervorgehoben
hat, eine pragmatische Kategorie. Das bedeutet wiederum nicht die
Auflösung
der Wahrheitsfrage, sondern die Einsicht in die Differenz zwischen
nomologischen
auf Ursachen und pragmatischen oder auf Ziele und Motive basierenden
Erklärungen.
Es
ist also ein
Unterschied
ob wir Wissensvermittlungsprozesse (Informationsmanagement) oder
Verstehens-
und/oder (wissenschaftliche) Erklärungsprozesse managen
(Wissensmanagement).
In beiden Fällen stellt sich die Frage der Relevanz an erster
Stelle,
im Hinblick nämlich auf die gesteckten Ziele sowie auf die
dafür
möglicherweise in Frage kommenden Mittel:
- Wissensmanagement
bedeutet das
Management von Verstehens- und Erklärungsprozessen im
Hinblick
auf bestimmte Ziele, insbesondere auf die einer Organisation oder,
enger
gefaßt, auf die eines Unternehmens.
- Informationsmanagement
bedeutet
das Management von Wissensvermittlungsprozessen im Unternehmen, wobei
hier
auch das Datenmanagement zu differenzieren ist.
Der
Informationsmanager behandelt
Wissen in dekontextualisierter Form. Der Wissensmanager ist derjenige,
der das vermittelte Wissen einem (erneuten) Verstehens- und/oder
Erklärungsprozeß
unterzieht und es also rekontextualisiert. Diese Prozesse hängen
eng
zusammen und deshalb ist es auch sinnvoll, dass diejenigen, die sich
vor
allem mit dem Vemittlungsprozess von Wissen beschäftigen
(Informationsmanagement)
auch von Wissensmanagement und von Datenmanagement etwas verstehen und
umgekehrt. Informationsmanagement bedeutet eine gezielte Ausrichtung
der
Vermittlung von Wissen. Wissensmanagement bedeutet, dass der
Verstehens-
und/oder Erklärungsprozess ebenfalls im Hinblick auf bestimmte
Ziele
ausgerichtet wird.
1.3 Bausteine
des Wissensmanagements
"Bausteine
des
Wissensmanagements"
so nennen Gilbert Probst, Steffen Raub und Kai Romhardt die acht
Problemfelder
des Wissensmanagements (Probst et al. 1997; 5. Aufl. 2006). Ihm liegt
die Einsicht in
die Unterscheidung zwischen Wissen, Information, Daten und Zeichen
zugrunde.
Die Ressource Wissen als Basis eines Unternehmens ist untrennbar mit
den
Elementen:
ZEICHEN
DATEN
INFORMATIONEN
verbunden.
Probst
et al.
schreiben:
"Die
Zusammenhänge
zwischen diesen Ebenen werden häufig als Anreicherungsprozeß
dargestellt. Zeichen werden durch Syntaxregeln zu Daten, welche in
einem
gewissen Kontext interpretierbar sind und damit für den
Empfänger
Information darstellen. Die Vernetzung von Information ermöglicht
deren Nutzung in einem bestimmten Handlungsfeld, welches als Wissen
bezeichnet
werden kann. Teilweise werden aufbauend auf dieser Trennung noch
zusätzliche
Ebenen wie Weisheit, Intelligenz oder Reflexionsfähigkeit
unterschieden."
(Probst et al. 1998, S. 34-35)
Albrecht
von
Müller definiert
Daten, Information und Wissen folgendermaßen:
"Als
Daten bezeichnen
wir die symbolische Repräsentation von Sachverhalten (zum Beispiel
den auf einem digitalen Thermometer ablesbaren Anzeigewert von "25°
Celsius".)
"Als
Information bezeichnen
wir ein Bündel von Daten, das in einer propositionalen Struktur
zusammengefaßt
ist. Die Aussage: "In München sind es heute, am 27.7.1996 um 13
Uhr,
25 Grad im Schatten" ist eine Information im Sinne dieser
Definition."
"Als
Wissen
schließlich
bezeichnen wir die systematische Verknüpfung von Informationen
dergestalt,
daß prognostische oder explanatorische Erklärungen abgegeben
werden können, d.h. sinnvolle Frage richtig beantwortet werden
können
(Beispiel: "Wenn sich vom Atlantik her ein Tiefausläufer
nähert
und zugleich kein robuster Hochdruckkern über dem Kontinent
besteht,
steigt die Wahrscheinlichkeit von Niederschlägen auf 80%."
(Müller
1997)
Entscheidend
für das Verständnis
der "Wissensbasis" eines Unternehmens ist die Einsicht in die
Zusammengehörigkeit
aber zugleich in die Differenz zwischen Daten und Information.
Ein
perfektes Datenmanagement, dass nicht zu einem besseren
Informationsmanagement
dient, ist sinnlos. Träger der Wissensbasis sind die Individuen
sowie
die Organisation als Ganzes. Diese ist als Zusammenspiel der
Verhältnisse
zwischen den Individuen aufzufassen. Daraus ergeben sich folgende
leitende Sichtweisen:
"Wissen
bezeichnet
die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten,die Individuen zur
Lösung
von Problemen einsetzen. Dies umfaßt sowohl theoretische
Erkenntnisse
als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen
stützt
sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch
immer
an Personen gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und
repräsentiert
deren Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge."
(Probst
et al. 1998, S. 44)
"Die
organisationale Wissensbasis
setzt sich aus individuellen und kollektiven Wissensbeständen
zusammen,
auf die eine Organisation zur Lösung ihrer Aufgaben
zurückgreifen
kann. Sie umfaßt darüber hinaus die Daten und
Informationsbestände,
auf welchen individuelles und organisa- tionales Wissen aufbaut."
(Probst
et al. 1998, S. 44)
"Organisationales
Lernen betrifft die Veränderung der organisationalen Wissensbasis,
die Schaffung kollektiver Bezugsrahmen sowie die Erhöhung der
organisationalen
Problemlösungs- und Handlungskompetenz." (Probst et al. 1998, S.
44)
In
ihrem
pragmatischen Wisssensmanagement-Konzept
unterscheiden Probst et al. sechs Bausteine des Wissensmanagements, die
von folgenden Fragen geleitet werden:
1.
Baustein
Wissensidentifikation:
Wie schaffe ich mir intern und extern Transparenz über vorhandenes
Wissen? Die Kernfragen in diesem Bereich lauten:
"Sie
können
nicht alles wissen, aber Sie sollten wissen, wo Sie nachzusehen haben.
Wenn um uns herum das Wissen explodiert und sich in immer feinere
Bereiche
differenziert, kann man leicht den Überblick verlieren.
Transparenz
über intern und extern vorhandenes Wissen stellt sich nicht
automatisch ein. Transparenz muß organisatorisch unterstüzt
werden. Wer im Wissenswettbewerb erfolgreich sein will, der muß
sich
schnell einen Überblick über interne und externe Experten zu
kritischen Themen verschaffen können. Wissen Sie, wie viele
Projekte
in Ihrem Unternehmen parallel laufen und womit sie sich
beschäftigen?
Haben Sie Zugang zu einem Wissensbroker, welcher für Sie in den
Untiefen
des Internet und den weltweit anschwellenden Spezialdatenbanken
kritische
Informationen zusammenträgt?" (Probst et al. 1998, S. 99)
2.
Baustein
Wissenserwerb:
Welche Fähigkeiten kaufe ich mir extern ein? Die Kernfragen
in diesem Bereich lauten:
"Wer
würde
nicht gerne durch eine einmalige Zahlung eine zusätzliche
Fremdsprache
beherrschen? Was der einzelne nicht käuflich erwerben kann, ist
Unternehmen
auf verschiedensten Wissensmärkten möglich. Sie können
auf
dem Arbeitsmarkt nach Personen suchen, welche genau die
Fähigkeiten
besitzen, welche sie aus eigener Kraft nicht entwickeln können.
Experten,
Berater oder eingespielte Teams können angeworben werden, um
interne
Wissenslücken zu schließen. Doch häufig bleiben diese
Investitionen
ohne Wirkung. Experten bleiben isoliert oder werden abgelehnt,
Beraterstudien
wandern in die Schublade. Erworbenes Wissen ist häufig nicht mit
Bestehendem
kompatibel und wird abgestoßen." (Probst et al. 1998, S.
145)
3.
Baustein
Wissensentwicklung:
Wie baue ich neues Wissen auf? Die Kernfragen in diesem Bereich
lauten:
"Bahnbrechende
Ideen,
überschäumende Kreativität und der Nobelpreis für
den
internen Laborchef. So stellen sich einige Unternehmen erfolgreiche
Wissensentwicklung
vor. Das Bessere ist der Feind des Guten, doch der Aufbau neuer
Fähigkeiten
im Unternehmen hat in der Regel wenig mit Zufall und viel mit
systematischer,
harter Arbeit zu tun. Wer erfolgreich Wissen entwickeln will, befindet
sich immer im Spannungsfeld von Kreativität und systematischem
Problemlösen.
Nicht nur in Labors und Forschungs- und Entwicklungsabteilungen
muß
'erfunden' werden, sondern in allen Wissensfeldern, welche für den
Unternehmenserfolg wichtig sind.
Wie
entwickeln Sie
Ihr Wissen
über Kunden, Lieferanten oder Konkurrenten? Wie kooperieren Sie
mit
den think tanks dieser Welt?"
(Probst et al. 1998, S. 175)
4.
Baustein
Wissens(ver)teilung:
Wie bringe ich das Wissen an den richtigen Ort? Die Kernfragen in
diesem Bereich lauten:
"Teile
und herrsche.
Eine solche Politisierung von Wissen ist gefährlich, denn nur wenn
Informationen oder Erfahrungen in den relevanten Entscheidungsgremien
verfügbar
sind, können sie für die gesamte Organisation nutzbar gemacht
werden. Wird häufig Wissen geheim gehalten, weil damit Macht und
Ansehen
verbunden ist? Bleibt das wichtigste Wissen häufig Sache einzelner
Mitarbeiter, weil es implizit mit den Aufgaben und Erfahrungen
verbunden
ist und bewußt gar nicht wiedergegeben werden kann? Durch E-Mail
wird der kostengünstige Massenversand irrelevanter Informationen
noch
einfacher. Gleichzeitig können gewisse Erfahrungen nur im
persönlichen
Gespräch oder durch langfristige Nachahmung erworben werden."
(Probst
et al. 1998, S. 219)
5.
Baustein
Wissensnutzung:
Wie stelle ich die Anwendung sicher? Die Kernfragen in diesem Bereich
lauten:
"Sie
haben bestehende
Wissenslücken identifiziert, gezielt Wissen dazu gekauft und
selber
entwickelt, haben es in den Verfügungsbereich der relevanten
Entscheider
gebracht - doch niemand nutzt es! Die Nutzung "fremden" Wissens wird
durch
eine Reihe psychologischer und struktureller Barrieren behindert. Wer
trennt
sich schon gerne von liebgewordenen und handlungsentlastenden Routinen?
Neues Wissen nutzen heißt gleichzeitig Unsicherheit akzeptieren
und
neue unbekannte Wege einschlagen. Die Nutzung von betrieblichem
Know-how
muß im Prozeß des Wissensmanagements gesichert werden. Nur
genutztes Wissen stiftet einen Nutzen für Ihr Unternehmen. Die
Wissensproduzenten
müssen daher stärker als bisher auf die Bedürfnisse der
potentiellen Wissensnutzer eingehen und diese als ihre Kunden ansehen.
Nur wenn für den Mitarbeiter ein klarer Nutzen erkennbar ist, wird
er fremde Wissensangebote annehmen oder neue Fähigkeiten
erwerben."
(Probst et al. 1998, S. 263)
Entscheidend
dürfte hier
die Einsicht sein, dass eigenes Wissen immer schon auch ein erworbenes
und somit ein fremdes Wissen ist. Die Dialektik zwischen dem eigenen
und
dem fremden Wissen besteht darin, dass wir alles was wir wissen, einem
kontinuierlichen Interpretationsprozeß unterziehen müssen,
wenn
wir nicht in eine Falle geraten wollen. Denn menschliches Wissen ist
nicht
nur stets fragwürdig, sondern auch frag-würdig: In unserer
Fähigkeit,
das scheinbar sichere Wissen immer wieder in Frage zu stellen, liegt
die
Quelle der Kreativität. Diese Einsicht wurde, wie oben gezeigt, in
diesem Jahrhundert vor allem durch die Wissenschaftstheorie in den
Naturwissenschaften
und duch die Hermeneutik in den Geisteswissenschaften herausgearbeitet.
Alles Wissen ist Vermutungswissen, so lautet die Einsicht des
Wissenschaftstheoretikers
Karl Popper. Für die Hermeneutik ist der
Interpretationsprozeß
ein unendlicher Prozeß. Diese Erkenntnis spielt eine
entscheidende
Rolle im dialogischen Prozeß des Wissensaustausches und der
Informationssuche
(Winograd / Flores 1986; Spinosa / Flores / Dreyfus 1997, Capurro 2000).
6.
Baustein
Wissensbewahrung:
Wie schütze ich mich vor Wissensverlusten? Die Kernfragen in
diesem
Bereich lauten:
"Das
konnten wir
doch mal, doch nun scheinen wir es vergessen zu haben. In Zeiten von
Reengineering,
Outsourcing und Lean-Management werden häufig unreflektiert Teile
des organisatorischen Gedächtnisses auf Zeit oder dauerhaft
gelöscht.
Leidet Ihr Unternehmen an Amnesie? Entstehen immer wieder große
Wissenslücken,
wenn Mitarbeiter geplant oder ungeplant das Unternehmen verlassen? Nach
welchen Prinzipien bewahren Sie die Erfahrungen Ihrer Organisation?
Halten
Sie Kontakt zu Ihren Ehemaligen und greifen nach deren Ausscheiden
gezielt
auf deren Erfahrungen zurück? Erheben Sie am Ende von Projekten
"lessens
learned", um die wesentlichen Erkenntnisse für zukünftige
Projektteams
zu sichern" (Probst et al. 1998, S. 283)
Das
Problem der
Wissenbewahrung
ist ein Kernproblem der Informations- und Wissensgesellschaft, sofern
diese
ihr Wissen in digitaler Form speichert und so für künftige
Generationen
tradieren will. Daraus ergeben sich große heute noch
ungelöste
Probleme, die nicht nur mit der Haltbarkeit von
Informationsträgern,
sondern auch mit der Nutzung schnelllebiger Software sowie mit der
Instabilität
von theoretischen und praktischen Kontexten von denen aus das Wissen
sinnvoll
interpretiert werden kann (Kornwachs 1995).
Diesen
voneinander abhängigen
Prozessen des Wissensmanagements fügen die Autoren zwei weitere
Bausteine
hinzu, die sozusagen von außen den Gesamtprozeß steuern
sollen,
nämlich die Wissensziele und die Wissensbewertung. Diese suchen
Antworten
auf folgende Fragen:
7.
Baustein
Wissenziele
definieren: Wie gebe ich meinen Lernanstrengungen eine Richtung?
Die
Kernfragen in diesem Bereich lauten:
"Welches
Wissen
ist heute für Ihren Geschäftserfolg entscheidend? Und wird es
morgen das gleiche sein? Kompetenzen entwerten sich im internationalen
Fähigkeitswettbewerb immer schneller und müssen daher
systematisch
entwickelt und gepflegt werden. Wissensvorsprünge
müssen
erkämpft und in konkrete Nutzungsstrategien übersetzt werden.
Kennen Sie Ihre Hebelfähigkeiten und übertragen Sie diese
konsequent
in neue Geschäftsfelder? Oder konzentrieren Sie sich auf Bereiche,
welche die Konkurrenz besser beherrscht? In vielen Unternehmen
herrscht
eine Atmosphäre, in der Wissen zurückgehalten und zum
Spielball
politischer Interessen wird. Was tun Sie, damit es sich für den
einzelnen
lohnt, gezielt Wissen aufzubauen, die eigenen Fähigkeiten zu
verbessern
und das neue Wissen an die Organisation zurückzugeben?" (Probst et
al. 1998, S. 61)
Nach
Probst et al.
lassen sich
drei Zielebenen von Wissenzielen unterscheiden, nämlich:
"schaffen
die Voraussetzungen
für wissensorientierte Ziele im strategischen und operativen
Bereich,
richten sich auf eine wissensbewußte Unternehmenskultur,
erfordern
Einsatz und Überzeugung des Top-Managements." (Probst et al. 1998,
S. 70)
- Strategische
Wissensziele:
"definieren
ein für
die Zukunft angestrebtes Fähigkeitenportfolio, liefern damit
häufig
eine inhaltliche Bestimmung des organisationalen Kernwissens, erlauben
eine strategische Orientierung von Organisationsstrukturen und
Managementsystemen."
(Probst et al. 1998, S. 79)
"sichern
die Umsetzung
des Wissensmanagements auf operative Ebene, übersetzen die
normativen
und strategischen Wissensziele in konkrete, operationalisierbare
Teilziele,
optimieren die Infrastruktur des Wissensmanagements, sichern die
Angemessenheit
der Interventionen in bezug auf die jeweilige Interventionsebene."
(Probst
et al. 1998, S. 85)
8.
Baustein Wissensbewertung:
Wie messe ich den Erfolg meine Lernprozesse? Die Kernfragen in diesem
Bereich
lauten:
"Können
Sie
aus Ihrer Bilanz ablesen, wie sich Ihre Wissensbasis innerhalb des
letzten
Jahres verändert hat? Oder welche Experten und Talente das
Unternehmen
verloren oder gewonnen, welche Produktinnovationen auf gutem Wege zu
sein
scheinen oder wie sich die Verankerung zentraler Kompetenzfelder
ausgewirkt
hat?
Es
existiert
weltweit wohl nur
eine Handvoll von Unternehmen, welche sich bemühen ihr Wissen
systematisch
zu messen und zu bilanzieren. Diese Pioniere sind überzeugt,
daß
schon in naher Zukunft die Wissensbilanzen für Aktionäre
interessanter
sein können als die Informationen traditioneller
Jahresberichte.
Nur wenn sich
Unternehmen
um aussagekräftige Indikatoren und Bewertungsmaßstäbe
zur
Messung ihrer organisatorischen Wissensbasis bemühen, können
Sie Wissensmanagement auch effektiv betreiben. Milliarden für die
Ausbildung, Pfennige für die Evaluation: Dieses
Mißverhältnis
gilt es zu beseitigen, denn was nutzen gute Maßnahmen, wenn sie
nicht
wahrgenommen, nicht geschätzt werden. Nur was meßbar oder
bewußt
gemacht werden kann, kann man auch managen." (Probst et al. 1998, S.
314)
Die
Frage, wie
operationalisiertes
Wissen zu bewerten oder, genauer, zu messen ist, ist ein zentraler
Punkt,
denn nicht alles am Wissen läßt sich messen oder gar
bewußt
machen, so dass hier auch mit qualitativen Kriterien gearbeitet werden
muß. Dass das implizite oder nicht-bewußte Wissen die
entscheidende
Rolle im Kreativitätsprozeß eines Unternehmens spielt, haben
I. Nonaka und H. Takeuchi (1995) gezeigt. Probst et al. scheinen hier
eine
Meinung zu vertreten, die leicht in die gegenteilige Einseitigkeit
geraten
kann, als die Sorglosigkeit, die sie kritisieren.
Wissensindikatoren
sollten
also sowohl quantitative als auch qualitative Aussagen enthalten und
sie
sollten mit derselben Vorsicht interpretiert werden, wie die
Interpretation
des Wissens, das sie bewerten sollen. Nicht nur das Wissen, sondern
auch
die Wissensindikatoren sind, mit anderen Worten, vorläufiger Natur
und sagen nur unter bestimmten revisionsfähigen Bedingungen etwas
aus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich diese Bedingungen
ändern
und auch nicht, dass andere u.U. entscheidende Bedingungen
übersehen
wurden oder werden können. Nicht nur kritisches Denken und
Handeln,
sondern allem voran Selbstkritik ist die Basis der Wissensbasis eines
Unternehmens.
Ein
kreatives
Unternehmen
sollte nicht vergessen, dass gerade die nicht meßbaren
Dimensionen
des Wissens diejenigen sind, aus dem es ein unendliches Reservoir an
Kreativität
schöpft. Das Management muß hier über seinen eigenen
Schatten
springen, will es nicht nur managen, sondern auch den Zielen dienen,
wozu
ein Unternehmen auch da ist. Eine Blindheit in dieser Hinsicht schadet
letztlich nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft und
der Umwelt, wo das Unternehmen seine (Wissens-) Ziele setzt und
verfolgt.
Ist
Wissen
meßbar?
Und, wenn ja, wie ist es ökonomisch zu bewerten? Von
Anbeginn
unserer Tradition ist die erste Frage an die Frage: Was ist Wissen?
gekoppelt.
Für Platon war das Maß des Wissens die Idee und Aristoteles
unterschied zwischen der Möglichkeit eines sicheren theoretischen
Wissens (episteme), dem
'praktischen' oder 'ethischen' Wissen, das wir
uns durch einsichtiges Abwägen in bezug auf das Ziel des 'guten
Lebens'
aneignen, und dem 'technischen' Wissen, das wir zur Herstellung von
Gegenständen
brauchen. Die Auseinandersetzung zwischen Philosophen und Sophisten
bestand
u.a. darin, inwiefern für die Vermittlung 'höherer'
Wissensformen
auch ökonomische Maßstäbe gelten sollen.
Der
Buchdruck
eröffnete
die Möglichkeit der ökonomischen Bewertung externalisierten
Wissens
auf der Basis eines Vertrages zwischen Autor und Verleger
(copyright / droit
d'auteur). Mit dem Aufkommen der Industriegesellschaft im 19.
Jahrhundert
wuchs die Bedeutung von Wissen als ein Wirtschaftsfaktor neben Kapital,
Boden und Arbeit. Nicht nur die Autoren-, sondern vor allem die
Erfinderrechte
wurden durch Patente geschützt. Doch die Frage, wie das Wissen
eines
Unternehmens, das nicht patentiert ist, sondern in den Köpfen und
Fähigkeiten der Mitarbeiter, also sowohl implizit in Form von know
how als auch explizit in Form von know that, zu managen und
(ökonomisch)
zu bewerten ist, wurde meistens nicht gestellt oder blieb
unbeantwortet.
In
einer durch
die Informationstechnologie
geprägten Welt wurde die wirtschaftliche Bedeutung von Wissen und
ihrer digitalen Vermittlung immer deutlicher. Dieser Prozeß der
in
den 70er Jahren mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Datenbanken
und
Datenbankanbieter (seit etwa Mitte der 80er Jahren auch auf
kommerzieller
Basis) und mit der Entwicklung der ersten Management
Informationssysteme
(MIS) führte zunächst zu einem einseitigen Vertrauen (und
Mißtrauen!)
in die Wirkung der Einführung von EDV-Systemen in Unternehmen.
Diese
Entwicklung erfuhr eine abermalige Umwälzung mit dem Entstehen des
Internet vor etwa zehn Jahren. Das Aufkommen von dezentralen weltweit
vernetzten
Informationsanbietern mit großer Speicherkapazität, die
Nutzung
dieses Netzes für Kommunikation (E-Mail) und Datentransfer, die
Möglichkeiten
der multimedialen Aufbereitung von Wissen und schließlich die
Nutzung
all dieser Möglichkeiten durch transportable und 'handliche'
Geräte
läßt die Frage nach der wirtschaftlichen Bedeutung von
Wissen
und seiner Vermittlung in einer digitalisierten und globalisierten
Ökonomie
ganz anders erscheinen als im Kontext der Industriegesellschaft. Es
geht
nicht mehr darum zu fragen, ob Wissen und Information einen
ökonomischen
Wert haben oder ob sich der Einsatz von EDV 'lohnt', sondern die Frage
ist jetzt welche Methoden müssen Unternehmen einsetzen, um Wissen
und Information profitabler zu machen und wie diese Steigerung in den
verschiedenen
Bereichen möglichst genau zu bewerten ist ('Wissensbilanz').
Diese
Frage ist
im Rahmen
einer volkswirtschaftlichen oder makroökonomischen sowie
gesamtmenschlichen
Betrachtung sehr schwer zu beantworten. Die Digitalisierung von Wissen
und seine weltweite Vermittlung im Internet stellen uns vor neuen
politischen
und kulturellen Herausforderungen, die eine konkrete Auslegung
und
Anwendung der Menschenrechte ‒ zum Beispiel: Achtung der
Menschenwürde,
Vertraulichkeit, Chancengleichheit, Recht auf Privatheit, Recht
auf
freie Meinungsäußerung, Recht auf Beteiligung am kulturellen
Leben, Schutz der materiellen und geistigen Arbeit ‒ im Rahmen
einer
sozialen Informationswirtschaft erfordern.
Ein
(auch
ethisch) kluges
betriebliches Informations- und Wissens- management sollte stets
Rücksicht
auf nicht-ökonomische Wissensmaßstäbe nehmen. Der
freie
Zugang zum Internet in öffentlichen Institutionen sollte durch
politische
und ökonomische Rahmenbedingungen auf regionaler und
internationaler
Ebene, die durch weitere Maßnahmen in Erziehung und Bildung sowie
durch internationale top down
und bottom up
Initiativen
gewährleistet
werden. Dies ist das Gebot der Stunde gerade im Sinne einer
makroökonomischen
Betrachtung, die den Wert von Kommunikation, Bildung und Erziehung
unter
den Bedingungen der digitalen Weltvernetzung richtig einschätzt
und
zwar nicht nur für die Betriebs- und Volkswirtschaft, sondern
ebenso
für die kulturellen und politischen Dimensionen eines globalen
Zusammengehörens.
Ein
weltweites
knowledge
sharing sowie ein unter fairen Bedingungen gewährleisteter Zugang
zur digitalen Information mit der Möglichkeit einer aktiven
Teilnahme
am Kommunikationsprozeß stellen sich letztlich als den
unschätzbaren
Rahmen einer Wissensökonomie im Weltmaßstab dar. Eine
Reduktion
des Menschen auf den homo laborans und des Wissens und
seiner
Mitteilung
auf den zweckrationalen Einsatz für partikulare primär
ökonomisch
gerichtete Interessen stellt nicht nur eine unzulässige
Verkürzung
menschlichen Zusammenlebens und -denkens dar, sondern versiegelt
eigentlich
die Quelle, woraus Kreativität und somit letztlich auch
innerbetriebliche
Innovation und Wertschöpfung entspringen (Schröder 2000).
1.4 Wissensmanagement
und darüber hinaus
In
seinem Buch The Tacit Dimension
(1966) (Dt. Implizites Wissen) hatte der Wissenschaftstheoretiker
Michael
Polanyi auf die Bedeutung des impliziten Wissens (tacit knowledge) hingewiesen
(Polanyi 1985). Er meinte damit,
"daß
jeder
unserer Gedanken Komponenten umfaßt, die wir nur mittelbar,
nebenbei,
unterhalb unseres eigentlichen Denkinhalts registrieren – und daß
alles Denken aus dieser Unterlage, die gleichsam ein Teil unseres
Körpers
ist, hervorgeht." (Polanyi 1985, S. 10)
Das
implizite
Wissen ist, so
Polanyi, die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens. Nonaka und
Takeuchi
stellen den Begriff des impliziten Wissens in den Mittelpunkt ihres
Modells
der Wissensschaffung im Unternehmen (Nonaka/Takeuczi 1995).
Gegenüber
der Vorstellung, dass Wissen nur durch die Aufnahme von expliziten
Informationen
und deren Verarbeitung entsteht, betonen sie, dass eine Information im
Sinne von "einer Nachricht von einem Unterschied" (G. Bateson) nur in
Verbindung
mit konkreten Vorstellungen und Handlungen in einem dynamischen Kontext
einen Sinn hat:
"Information
ist
ein notwendiges Medium oder Material für die Bildung von Wissen"
aber
sie wird erst zum Wissen, wenn sie "kontext- und beziehungsspezifisch
(wird)".
(Nonaka/Takeuchi 1995, S. 70)
Die
Umwandlung von
impliziten
zum expliziten Wissen oder, mit anderen Worten, das Explizitmachen
eines
impliziten Kontextes ist, so die Autoren, eine wesentliche
Voraussetzung
für die Schaffung neuen Wissens. Dabei betonen sie, dass in diesem
Prozeß verschiedene Formen der Wissensumwandlung stattfinden,
nämlich:
- Vom
impliziten
zum impliziten
Wissen – die Sozialisation
- Vom
impliziten
zum expliziten
Wissen – die Externalisierung
- Vom
expliziten
zum expliziten
Wissen – die Kombination
- Vom
expliziten
zum impliziten
Wissen – die Internalisierung.
Drei
dieser
Formen, nämlich
Sozialisation, Kombination und Internalisierung, sind bisher in
gängigen
Organisationstheorien zu finden. Die Kombination ist wiederum eine zu
lernende
Kernfähigkeit von Informationsmanagern. Das Neue bei diesem Ansatz
ist die Einbettung dieser Fähigkeit im Kontext unternehmerischer
Kreativität.
Dabei heben Nonaka und Takeuchi nicht nur die bisher unbeachtete
Dimension
des impliziten Wissens hervor, sondern sie stellen sie in einen
dynamischen
Zusammenhang mit anderen Formen der Wissensmitteilung, den sie als ein
spiralförmiges Zusammenwirken auffassen. Bei der Externalisierung
spielen Analogien und Metaphern eine wichtige Rolle.
Ein
Beispiel
aus der Praxis
der Firma Matsushita in Osaka zeigt in prägnanter Weise das
Zusammenwirken
von implizitem und explizitem Wissen:
"Ein
zentrales Problem
in der Entwicklung eines Brotautomaten in den späten achtziger
Jahren
war die Mechanisierung des Teigknetens. Der Knetprozeß
gehört
zum impliziten Wissensvorrat von Bäckermeistern, und so verglich
man
anhand von Röntgenaufnahmen den gekneteten Teig eines Bäckers
mit dem eines Automaten, ohne zu irgendwelchen Erkenntnissen zu
gelangen.
Ikuko Tanaka, die Leiterin der Abteilung Softwareentwicklung,
wußte,
daß es das beste Brot der Gegend in Osaka International Hotel
gab.
Um sich das implizite Wissen über den Knetvorgang anzueignen,
gingen
sie und mehrere Ingenieure beim Chefbäcker des Hotels in die
Lehre.
Es war nicht leicht, sein Geheimnis zu ergründen. Eines Tages
bemerkte
sie jedoch, daß der Bäcker den Teig nicht nur dehnte,
sondern
auch drehte. Durch Beobachtung, Nachahmung und Praxis hatte Ikuko
Tanaka
des Rätsels Lösung gefunden." (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 76)
Der
Biographie des
1989 verstorbenen
Unternehmers Matsushita mit dem Titel: Matsushita – der erfolgreichste
Unternehmer des 20. Jahrhunderts von John P. Kotter, Professor an der
Harvard
Business School (Kotter 1997) kann man entnehmen, dass die sich in der
Krise befindliche japanische Wirtschaft wahrscheinlich stärker als
zuvor wiederkommt, wenn sie die Lehren Matsushitas beherzigt (Lamparter
1998).
Gemäß
der Devise,
dass ein Unternehmer nicht bloß explizite Informationen
verarbeitet,
sondern ein Erzeuger von neuem Wissen ist und somit kreativ
gegenüber
der Umwelt vorgeht, entwickeln Nonaka und Takeuchi ein
"Middle-top-down-Modell"
des Wissensmanagements im Unternehmen, wo das mittlere Management oder
Wissensingenieure als Vermittler zwischen den Wissenspraktikern
(Mitarbeiter
und Linienmanager) und den Wissensverwaltern
(Führungskräften)
eine Schlüsselrolle spielen. Den Wissenspraktikern ist vor allem
den
Kontakt mit der Umwelt (Kunden) eigen. Zu diesen zählen die
Autoren
die "Wissenswerker" und die "Wissensspezialisten". Jene sammeln und
erzeugen
implizites Wissen in Form von Fertigkeiten, die auf Erfahrungen
beruhen.
Dazu gehören zum Beispiel Angestellte in der Verkaufsabteilung
oder
Facharbeiter in der Montage. Ihre Stärke liegt darin, dass sie
"mit
Kopf und Händen" arbeiten. Die Wissensspezialisten wiederum
sammeln,
erzeugen und erneuern Wissen. Sie mobilisieren strukturiertes
explizites
Wissen in Form von technischen, wissenschaftlichen und anderen
quantifizierbaren
Daten. Informationsmanager oder information
broker sollen nicht nur
Wissen
als Ressource mobilisieren, sondern auch an der Schaffung von Wissen
mitwirken.
Sie kommen dabei mit implizitem Wissen und somit mit Wissenswerkern in
Berührung und müssen vor allem mit explizitem Wissen
umgehen.
Zu
den
Qualifikationen der
Wissensspezialisten gehören, so die Autoren:
- ein hohes
intellektuelles Niveau,
- ein
starkes
Engagement für
die Gestaltung der Umwelt,
- ein
breites
Spektrum von Erfahrungen
innerhalb und außerhalb des Unternehmens,
- kommunikative
Fähigkeiten
im Umgang mit Kunden und Kollegen und
- die
Bereitschaft zu Gesprächen
und Diskussionen.
Die
Bedeutung der
Wissensschaffung
gegenüber der bloßen Wissensverarbeitung im Unternehmen wird
von den Autoren folgendermaßen unterstrichen:
"Unternehmen
stellen
sich auf ein unsicheres Umfeld nicht nur durch passive Anpassung ein,
sondern
auch durch aktives Zusammenwirken. Unternehmen können sich
verwandeln.
Dennoch werden sie häufig als passiv und statisch betrachtet. Ein
Unternehmen, das rasche Veränderungen im Umfeld dynamisch
bewältigen
will, darf Informationen und Wissen nicht nur effizient verarbeiten, es
muß sie selbst hervorbringen. Es muß sich durch die
Auflösung
des existierenden Wissenssystems und durch die Entwicklung innovativer
Denk- und Handlungsmodelle selbst erneuern." (Nonaka / Takeuchi 1995,
S.
64)
Das
Hervorbringen
von Wissen
beruht auf dem Zusammenwirken von kontextbezogenen, auf subjektiver
Relevanz
basierenden Auswahlprozessen, die in Form von Wertpreferenzen und
Wunschvorstellungen
meistens und größtenteils implizit bleiben. Diese Ressource
zu mobilisieren und zwar sowohl bei jedem Mitarbeiter des
Unternehmens
als auch in seinem ganzen Umfeld bildet das Ziel dieses
wissensbezogenen
Ansatzes.
Nonaka
und
Takeuchi erläutern
die Bedeutung von Metaphern und Analogien, die das implizite Wissen
zumindest
teilweise 'ent-decken', am Fall der Produktentwicklung bei der Firma
Honda.
Sie schreiben:
"1978
initiierte
die Unternehmensführung unter dem Motto "Let’s Gamble" ("Wer wagt,
gewinnt") die Entwicklung eines neuen Autokonzepts. Mit diesem Slogan
bekundete
das Topmanagement seine Auffassung, daß die Modelle Civic und
Accord
viel von ihrem Glanz verloren hatten. Zudem erkannten die
Führungskräfte,
daß mit der Nachkriegsgeneration von jungen Autokäufern auch
eine neue Generation von Produktdesignern mit unkonventionellen Ideen
heranwuchs.
(...) Aus dem Motto "Let’s Gamble" folgte die Entscheidung, ein neues
Entwicklungsteam
zu bilden, das aus jungen Ingenieuren und Designern mit einem
Durchschnittsalter
von 27 Jahren bestand." (Nonaka / Takeuchi 1995, S. 22).
Nach
den
Anweisungen der Unternehmensführung
sollte sich das neue Produkt von den bisherigen Produkten des Hauses
unterscheiden
aber kein Billig-Produkt sein. Der Projektleiter gab die Richtung vor
mit
einem weiteren Motto: "Automobilrevolution", das von den
Teammitgliedern
wiederum so verändert wurde: "man-maximum, machine-minimum". Dabei
stand als Gegenmodell die damals gängigen flachen und langen
Autos,
sozusagen "man-minimum, machine-maximum". Der
Wissensschaffungsprozeß
führte schließlich zum Bild einer Kugel – ein kurzes und
hohes
Auto. Es entstand das Produktkonzept "Tall Boy", das zu Honda City
führte.
Das
Ziel der
Wissensschaffung
in Unternehmen führt zu neuen Organisationsstrukturen im Sinne
einer
Synthese von hierarchischen und nicht-hierarchischen oder
selbstorganisierenden
Hypertextstrukturen. Letzteres zeigen Nonaka und Takeuchi am Beispiel
von
Kao, dem führenden japanischen Hersteller für Haushalts- und
Chemieprodukten. Zur Verwirklichung des Leitgedankens eines freien
Informationsaustausches
schaffte das Unternehmen verschiedene Mechanismen wie zum Beispiel
"freien
Zugang zu Informationen", "offene Raumaufteilung", "offene
Besprechungen"
und "fließender Personalwechsel":
"Diese
Instrumente bilden
die Grundlage für den Austausch von implizitem Wissen und seine
Umwandlung
in explizites Wissen. Um den "freien Zugang zu Informationen" zu
sichern,
werden alle Informationen in einer Datenbank gespeichert, die
überall
im Unternehmen auf dafür eingerichteten Computersystemen abrufbar
sind. (...) Alle Besprechungen bei Kao, auch Konferenzen der
Unternehmensführung,
sind für jeden Mitarbeiter offen" (Nonaka/Takeuchi 1995, S.
195-196).
Für
den
Kao-Vorstandsvorsitzender
Yoshio Maruta ist
"das
Wissen der
Sektion nicht gleichbedeutend mit dem Wissen des Sektionschefs. Zum
Beispiel
kann ein Montagearbeiter eine hervorragende Rationalisierungsidee
haben.
Das langfristige Wohlbefinden eines Unternehmens steht und fällt
mit
seiner Fähigkeit, diese Ideen als eine Einheit zu sammeln und zu
integrieren"
(Nonaka/Takeuchi 1995, S. 202)
Es ist
die Frage,
inwiefern
die Praxis des japanischen Wissensmanagements sich von westlichen
Ansätzen
unterscheidet. Nonaka und Takeuchi machen an drei Punkten die
Unterschiede
deutlich. Die Interaktion zwischen implizitem und explizitem Wissen
findet
im Westen überwiegend auf individueller Ebene, in Japan vor allem
auf Gruppenebene statt. Die westliche Unternehmenspraxis legt den
Schwerpunkt
auf explizites Wissen, japanische Organisationen auf Intuition,
bildliche
Sprache, körperliche Erfahrung usw. Hier sind inzwischen andere
Akzentuierungen
möglich. Japanische Unternehmen setzen auf vieldeutige
Unternehmensintentionen,
hohe Redundanz von Informationen und Aufgaben, häufige
Fluktuation,
Autonomie auf Gruppenebene und Vielfalt durch
funktionsübergreifende
Projektteams (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 223-225).
Läßt
sich das
japanische Modell in einer globalisierten, auf Multikulturalität
ausgerichteten
Weltwirtschaft mit international agierenden Unternehmen anwenden? Wie
funktioniert
multikulturelle Wissensschaffung? Diesen vielschichtigen Fragen gehen
Nonaka
und Takeuchi nach, indem sie anhand von Primera von Nissan und REGA von
Shin Caterpillar Mitsubishi zeigen, wie sich japanische Unternehmen
nicht-japanisches
implizites Wissen aneignen. Die folgende kurze Geschichte in
Zusammenhang
mit dem Primera-Projekt gibt einen Einblick in die Problematik:
"Die
europäische
Technologie-Verbindungsstelle von Nissan in Brüssel fungierte als
Außenposten für das Primera-Projekt. Sie organisierte
für
die Leute aus Japan Fahrten in europäischen Autos, damit sie
hautnah
erleben konnten, welche Eigenschaften ein für den
europäischen
Markt bestimmtes Modell besitzen mußte. Die Besucher aus Japan
erkannten
sehr schnell den großen Unterschied zwischen dem, was man ihnen
über
Kurven- und Bremsverhalten erzählt hatte, und dem, was sie nun
selbst
erlebten. Für viele war es ein heilsamer Schock, der eine kreative
Fluktuation auslöste. Nicht wenige der überaus
selbstbewußten
Motorspezialisten kehrten reichlich geknickt von ihrem Ausflug nach
Europa
zurück. Der Außenposten diente auch als Informationszentrum
zur Verbindung von Europa und Japan. Auf diesem Wege gelangten zum
Beispiel
die Informationen nach Japan, daß man einen Sitz brauchte, in dem
man auch bei einer 800-km-Fahrt von Brüssel nach Zürich nicht
ermüdet, oder daß der Warnlichtschalter in der Mitte des
Armaturenbretts
angebracht werden mußte, damit er auch vom Beifahrer
betätigt
werden kann." (Nonaka / Takeuchi 1995, S. 231)
Daraus
läßt sich
für die Praxis des Wissensmanagements u.a. lernen, dass etwas, was
für japanische Produktentwickler notwendig und möglich war,
nämlich
das Kennenlernen von kulturellen, geographischen usw. Unterschieden am
eigenen Leib, auch zwischen den verschiedensten Wirtschaftspartnern
möglich
und ebenfalls produktiv sein müßte. Bei aller berechtigten
Euphorie
um virtuelle Unternehmen, globalen Informationsaustausch durch
Intranets
und Extranets, virtual reality u.v.a.m. ist dies auch eine
ernüchternde
Auskunft, die den Blick des global agierenden Herstellers zugleich (!)
auf Lokalität, Individualität und Leiblichkeit richtet.
Höchste
Qualitätsleistung erreicht man gerade im Falle industrieller
Massenanfertigung
durch Veränderung festgefahrener und einverleibter Vorurteile.
Dies
ist aber wiederum nur möglich, wenn die Bereitschaft da ist, den
Standpunkt
des Anderen am eigenen Leibe zu erfahren und den 'wahr-genommenen'
Unterschied
explizit zu machen.
Mit
ihrem
Ansatz gehen Nonaka
und Takeuchi über die weitverbreitete Vorstellung von
Wissensmanagement
im Sinne von Handhabung des expliziten Wissens hinaus. Takeuchi bringt
diese Einsicht folgendermaßen auf den Punkt:
"What
Western companies
need to do is to "unlearn" their existing view of knowledge and pay
more
attention to (1) tacit knowledge, (2) creating new knowledge, and (3)
having
everyone in the Organization be involved. Only then
can
the Organisation be viewed as a living organism capable of creating
continuous
innovation in a self-organising manner." (Takeuchi 1998)
Eine
vertiefende
Darstellung
dieses Ansatzes stellt das Buch Enabling Knowledge Creation dar (Von
Krogh/Ichijo/Nonaka
2000). Im Vorwort heißt es:
"This
is a book
about knowledge enabling. It is our strong conviction that knowledge
cannot
be managed, only enabled." (Krogh/Ichijo/Nonaka 2000, vii)
Gemeint
ist die
Einsicht, dass
wir zwar Information im Sinne von explizitem Wissen managen
können,
dass dies aber nur Teil der umfassenderen Aufgabe der Wissensschaffung
(knowledge
creation) darstellt. Was wir dabei tun ist dann nicht Wissen,
sondern
die
Bedingungen der Wissensschaffung zu managen.
Der
Soziologe
Ulrich Beck
gebraucht für die beinahe göttliche Eigenschaft, die
Globalität
und Lokalität miteinander in Einklang zu bringen sucht, den
zunächst
von Roland Robertson geprägten Ausdruck glocality bzw.
Glokalität,
womit der Zusammenhang zwischen De-Lokalisierung und Re-Lokalisierung
angesprochen
werden soll (Beck 1997, S. 90). Becks Pointe besteht darin, dass die
lokalen
Kulturen sich durch die Globalisierung nicht mehr Einigeln können,
sondern ihre Identität erst im Austausch wiederfinden. Eine solche
glokale Kultur, in der die Differenzen und Widersprüche nicht so
sehr
von Zivilisationen, sondern vielmehr von Lokalitäten faßbar
werden, dürfte die größte theoretische und praktische
Herausforderung
für ein künftiges Informations- und Wissensmanagement
darstellen.
Im
Jahr des
Erscheinens der
deutschen Übersetzung des Buches von Nonaka und Takeuchi gab die
Unternehmensberatung
Dr. Wieselhuber & Partner das Handbuch Lernende Organisation.
Unternehmens-
und Mitarbeiterpotentiale erfolgreich erschließen heraus
(Wieselhuber
1997), in dem namhafte deutsche Firmen – darunter Mercedes Benz AG,
DG-Bank,
Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank AG, München, AEG,
Lufthansa-Consulting
GmbH, Festo AG Esslingen, Mannheimer Versicherung AG - auf die
Bedeutung
von Lernprozessen als Instrument des Unternehmungswandels hinwiesen und
sich dabei auf den Ansatz von Nonaka und Takeuchi bezogen. Im Folgenden
gehe ich auf die Rezeption dieses Ansatzes durch Georg Schreyögg,
Christian Noss, Juup Essers, Jos Schreinemakers, Dietmar Bürgel
und
Patrick Reinmöller näher ein.
Georg
Schreyögg und
Christian Noss (Institut für Management, Freie Universität
Berlin)
(Schreyögg/Noss 1997) fassen Unternehmen als Wissenssysteme auf.
Neues
Wissen entsteht im Zuge von Lernprozessen auf der Grundlage vom eigenen
Wissen einer Organisation. Diese Einsicht steht der traditionellen
mechanistischen
Auffassung gegenüber, wonach Lernprozesse lediglich reaktiv als
Resultat
von Anstößen (Stimuli) stattfinden. Organisationen beruhen
auf
einer spezifischen "Wissensbasis" – bestehend aus Routinen, Patenten,
technischen
Aufzeichnungen aller Art usw. –, die dann durch Lernprozesse
verändert
wird. Die klassische Einteilung organisatorischer Wissenselemente
unterscheidet
zwischen Regel- und Faktenwissen. Zum ersten zählen kausal
erklärte
Zusammenhänge aller Art. Wissen ist demnach dann wirksam, wenn auf
der Grundlage von Regeln der faktische Erfolg tatsächlich eintritt.
Diese
Verknüpfung von
Regelwissen und faktischem Erfolg greift aber, so die Autoren, zu kurz,
da sie andere Wissensarten nicht berücksichtigt, darunter "die
heute
so viel diskutierte Differenz von explizitem bzw. artikuliertem und
implizitem
"unterschwellig" vorhandenem Wissen" (Schreyögg/Noss 1997, S.
70)
Gegenüber dem von Gregory Bateson als "digitales Wissen"
bezeichneten
expliziten Wissen weisen Schreyögg und Noss auf die von Nonaka und
Takeuchi vorgestellten Formen der Wissenskonversion hin. Sie
unterscheiden
zwischen drei Lerntypen nämlich:
- Lernen I:
Veränderung des
impliziten oder expliziten Wissens, "die jedoch im Rahmen bestehender
Grundüberzeugungen
und Basisprämissen der Organisation entwickelt wird"
- Lernen II:
"Vorherrschende Basisannahmen
und Grundsätze werden in Frage gestellt und durch neues
Orientierungswissen
(...) ersetzt"
- Lernen
III:
dass "das Wissen
um die Lernprozesse selbst zum Inhalt hat." (Schreyögg/Noss 1997,
S. 73)
Die
von Nonaka und
Takeuchi
ausgearbeiteten vier Modi der internen Wissensgenerierung in
Organisationen
werden in Bezug auf diese drei Lernformen gesetzt. Das Explizitmachen
vom
impliziten Wissen findet im Falle von Lernen II und III so statt, dass
keine Zurücknahme in die Sozialisierung oder Internalisierung
führt.
Dies gilt ausschließlich für Lernen I. Die permanente
Lernfähigkeit
des Unternehmens wird durch Externalisierung und Kombination stets
wachgehalten.
Damit stellen Schreyögg und Noss das Spiralmodell teilweise in
Frage.
Sie kritisieren dabei ausdrücklich, dass die Generierung von
Wissen
im Spiralmodell beim Individuum beginnt und sich dann in der Gruppe
sowie
in der Organisation weiterentwickelt. Sie sehen als problematisch an,
dass
der Wissenserzeugungsprozeß beim Individuum beginnen soll.
Demgegenüber
betonen sie, dass der Ausgangspunkt die organisatorische Wissensbasis
ist.
Dieser Kritik wäre zu entgegnen, dass das Spiralmodell zwar einen
solchen Ausgangspunkt suggeriert, während in Wahrheit alle vier
Modi
gleichursprünglich sind, so dass das implizite Wissen des
Individuums
immer schon seinen Ausgang in einem sozialisierten
Internalisierungs- prozeß
nimmt, der wiederum teilweise auf externalisiertem und kombiniertem
Wissen
basiert. Mit anderen Worten, die Kritik entpuppt sich womöglich
als
ein westliches Vorurteil.
Eine
zweite
Kritik richtet
sich gegen die These, dass die Restrukturierung der Wissensbasis durch
selbstgeneriertes neues Wissen den Durchgang durch alle vier Modi
voraussetzt,
während dies in Wahrheit nur für Lernen I zutrifft.
Außerdem
ist es nicht sinnvoll oder, wie ich hinzufügen möchte,
notwendig
– und letztlich auch in vielen Fällen nicht möglich -, immer
implizites in explizites Wissen oder umgekehrt zu überführen.
Es ist nur die Frage, ob dies von Nonaka und Takeuchi behauptet wird.
So
ziehen die
Autoren die
Schlußfolgerung, die vier Typen der Wissenskonversion je nach
Lernform
unterschiedlich zu behandeln und andere Formen der Wissensgenerierung
je
nach Bedarf stärker zu berücksichtigen sind. Dazu zählen
zum Beispiel der Systemvergleich im Sinne des Benchmarking, das
Experimentieren
oder das neugierige Suchen. Diese und andere Lernformen scheinen mir
aber
wiederum in das Modell von Nonaka und Takeuchi integrierbar.
Juup
Essers und
Jos Schreinemakers
von der Rotterdam School of Management (Erasmus University)
(Essers/Schreinemakers
1997) stellen zunächst fest, dass corporate knowledge management
(CKM)
nicht unter dem Paradigma dessen subsumiert werden kann, was die
Wissenschaftstheorie
in den Worten von Karl Popper als objective knowledge bezeichnet. Im
Falle
eines Unternehmens wird Wissen primär im Hinblick auf seine
Anwendung
und Nutzung betrachtet, was wiederum eine Erweiterung des
Wissensbegriffs
jenseits der Grenzen wissenschaftlicher Methodik bedeutet. Wenn es um
das
Management der Wissensschaffung geht, steht dann weniger der context of
justification als der context
of discovery oder der context
of
application
im Vordergrund. Dennoch spielen Elemente aus Poppers world 3 eine nicht
zu unterschätzende Rolle. In der Tat, der von Nonaka und Takeuchi
beschriebene Prozeß der Wissenskonversion oder der crystalization,
wodurch implizite Ideen zum expliziten Einsatz auf verschiedenen Ebenen
eines Unternehmens kommen, schließt eine Bewertungsprozedur ein,
die Kriterien wie Kosten, Effizienz und Profit aber auch
ästhetische
oder humanistische Aspekte berücksichtigen muß.
Ist
aber,
fragen Essers und
Schreinemakers, der Wille zur Wissensmitteilung innerhalb eines
Unternehmens
eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Schaffung neuer
Ideen? Was geschieht, wenn einige Mitarbeiter - man denke an die
Zusammenarbeit
in einem multikulturellen team - keinen Konsens suchen und bei ihren
(impliziten)
Überzeugungen bleiben? Und zweitens: welche Rollen spielen die
klassischen
wissenschaftlichen Kriterien der Wissensbegründung gegenüber,
zum Beispiel, Kosten oder Profit? Die Autoren betonen in diesem
Zusammenhang
die von Thomas Kuhn und dem späten Ludwig Wittgenstein
herausgearbeitete
Problematik der Inkommensurabilität unterschiedlicher Paradigmen
oder
Lebensformen (Interpretationsrahmen) und werfen Nonaka und Takeuchi
vor,
dieses Problem außer Acht gelassen zu haben, obwohl sie sich auf
Kuhn berufen. Die Frage des Konflikts oder der
Kommunikationsunterbrechung
wird dabei auch nicht thematisiert. Organisationen lassen sich nicht,
wie
Nonaka unterstellt, unter einer einheitlichen kulturellen Perspektive
fassen.
Hier
ist wohl
eine kritische
Bemerkung gegenüber Essers und Schreinemakers notwendig. Sie
beziehen
sich auf einen Aufsatz von Nonaka aus dem Jahre 1994 (Nonaka 1994),
nicht
aber auf das 1995 erschienene Buch, in dem wohl die Frage der
Multikulturalität
ausdrücklich behandelt wird. Das ganze Buch ist auf die Analyse
der
kulturellen Ost-West-Dichotomie angelegt und mit vielen Beispielen
belegt.
Die Devise heißt dabei voneinander lernen:
"Westliche
Unternehmen
müssen lernen, Wissen auf Gruppenebene durch Dialog, Diskussion,
Erfahrungsaustausch
und Beobachtung an die Oberfläche zu bringen und zu
verstärken.
Japanische Unternehmen hingegen sollten auf individueller Ebene
stärkere
Fähigkeiten entwickeln, und zwar nicht nur an der Spitze, sondern
in allen Bereichen." (Nonaka/Takeuchi, S. 275)
Das
ist zwar keine
Lösung
für das von Essers und Scheinemakers angesprochene
Relativismusproblem
innerhalb eines Unternehmens, aber warum sollte etwas in der Praxis
eine
Lösung finden, was in der Wissenschaftstheorie bisher
ungelöst
geblieben ist? Oder bietet die Praxis andere Lösungswege, die der
Theorie unangemessen sind? Radikaler gefragt: Läßt sich
überhaupt
das theoretische Problem der Paradigmeninkommensurabilität auf die
Frage der Wechselwirkung zwischen, hermeneutisch ausgedrückt,
unterschiedlichen
Vorverständnissen übertragen? Den Autoren scheint die
Bedeutung
des Begriffs des Netzes zu entgehen. Bereits im Tractatus schrieb
Wittgenstein:
"Den
verschiedenen
Netzen entsprechen verschiedene Systeme der Weltbeschreibung"
(Wittgenstein
1984: 6.341)
Zwischen
unterschiedlichen Bezugssystemen
gibt es nicht nur die Möglichkeiten des Konsenses oder der
Inkommensurabilität,
sondern auch die des Übergangs oder der Übersetzung. Das
Übersetzen
ist nicht eine Frage der Gleichung oder der Angleichung, sondern die
eines
dynamischen Wechsels zwischen Erfahrungsbereichen, der nicht selten
weniger
eines Überbrückens als eines Überspringens bedarf. In
einem
Beitrag über Aspekte des Übersetzens zwischen Heidegger und
Japan
schreibt Elmar Weinmayr:
"In
ein anderes
Licht rückt die Frage nach der Übersetzbarkeit, wenn man, wie
Heidegger, das Übersetzen nicht als ein bloßes
Zurückversetzen,
Sichverständlichmachen des fremden Anderen ins feststehende Eigene
begreift, sondern als ein "Übersetzen an das andere Ufer" (HGA Bd.
55, S. 45) und d.h. "in den Erfahrungsbereich und die Erfahrungsart"
(HGA
Bd. 54, S. 16) der anderen Sprachwelt. Übersetzen also nicht als
"Herüberbringen",
sondern als Hinübergehen" (Whd, S. 138), als "Sprung über den
Graben" (HW, S. 325). Man verfehlt jedoch den springenden Punkt dieses
Übersetzen, wenn man es sich als eine bloße Umkehrung des
Übersetzens
vorstellt, nach dem Motto: statt Angleichung des Fremden ans Eigene,
Angleichung
des Eigenen ans Fremde. Solche Angleichungen setzen nämlich
voraus,
daß das Eigene oder das Fremde immer schon von vornherein
gegeben,
eindeutig feststeht und anvisierbar ist." (Weinmayr 1989, S. 178)
Mit
anderen
Worten, das Dilemma
von Essers und Schreinemakers scheint sowohl in ihrer Auffassung von
Geschichtlichkeit
als auch in einem offenbar zugrundeliegenden monistischen Wissensmodell
zu liegen, das nicht nur im theoretischen Bereich fragwürdig ist,
sondern u.U. sich verhängnisvoll auswirken kann, wenn es auf die
Praxis
übertragen wird. Diese Problematik in der Praxis eines
Unternehmens
auf eine strategische Frage zu reduzieren, ist genauso eine
Verkürzung
der Sache, wie die Vorstellung, unterschiedliche Weltsichten
müßten
sich nach den Regeln einer bestimmten Wissenschaftsauffassung richten.
Der theoretische und praktische Umgang mit Differenzen ist weitaus
komplexer
und produktiver als das Wort Inkommensurabilität ahnen
läßt.
Der
Ansatz von
Nonaka und
Takeuchi wird auch in verschiedenen Beiträgen des von Hans Dietmar
Bürgel (Lehrstuhl für Forschungs- und Entwicklungsmanagement,
Universität Stuttgart) herausgegebene Buch Wissensmanagement:
Schritte
zum intelligenten Unternehmen (Bürgel 1998) gewürdigt. Der
Herausgeber
erwähnt im Vorwort seinen persönlichen Anstoß für
die Auseinandersetzung mit der Frage des Wissensmanagements,
nämlich
die Aussage, dass Wissen in Unternehmen zwar vorhanden, aber nur bis
maximal
40% genutzt wird:
"Das
muß einen
Betriebswirt natürlich stutzig machen und auf Abhilfe sinnen
lassen,
hieße es doch geradezu, daß der überwiegende Teil des
in den Unternehmen und in den Köpfen der Mitarbeiter vorhandenen
Wissens
nicht genutzt würde – eine enorme Ressourcenverschwendung und
Wertschöpfungsbarriere."
(Bürgel 1998, S. V)
Das
Schlüsselwort um dieses
Defizit zu beheben, ist für Bürgel tacit knowledge:
"verborgenes
Wissen,
das durch geeignete Organisation genutzt wird, indem diese die
Mitarbeiter
vor allem in den mittleren Hierarchien anspricht, sie zu
Kreativität
aufruft, die ihren Lauf nehmen darf." (ebd.)
Bürgel
und
Zeller betonen
in ihrem Beitrag Forschung und Entwicklung als Wissenscenter
(Bürgel/Zeller
1998), daß der "Königsweg" vom aktuellen zum künftigen
Wissen, auf dem Erfahrungs- in Rationalitätswissen übergeht,
als Wissensquelle der Wissensnutzung angesehen werden sollte. Zu
solchem
künftigen Wissen führt "kritisch hinterfragtes
Erfahrungswissen
in Neukombination von Wissenselementen aus explizitem und implizitem
Wissen"
(Bürgel/Zeller 1998, S. 58) Implizites Wissen bedarf ganz
besonders
der Aufmerksamkeit des Managements:
"Dies
sind die Kenntnisse
und Erfahrungen der Mitarbeiter oder auch in der Unternehmenskultur
gebundene
Wertvorstellungen, die zu besonderen Synergien führen
können."
(ebd.)
Der
F&E-Prozeß ist
ein Wissensprozeß, bei dem die von Nonaka und Takeuchi
beschriebene
"Wissensspirale" auf individueller und kollektiver Ebene eine conditio
sine qua non darstellt.
Patrick
Reinmöller,
ein in Tokyo lebender Unternehmensberater, der sich mit
Design-Innovationen
und Marketingstrategien japanischer Unternehmen beschäftigt, hat
in
einem in der Zeitschrift formdiskurs
erschienenen Beitrag mit dem Titel
Wissensschaffung und Produktplanung (Reinmöller 1998) die
Bedeutung
des Ansatzes von Nonaka und Takeuchi für das Design hervorgehoben.
Reinmöllers Ausgangspunkt ist die folgende Feststellung:
"Wenn
Kunden die
Unternehmen mit Beschwerden "beschenken", dann müssen diese
schnell
reagieren und die Defekte in "Real Time" heilen." (Reinmöller
1998,
S. 52)
Wo
liegt aber der
Schlüssel
zur Produktentwicklung in Echtzeit, die höchste Qualität
zeitgemäßen
Managements? Wie können Unternehmen "heute noch" die Wünsche
ihrer Kunden befriedigen? Zur Beantwortung dieser Frage greift
Reinmöller
auf Nonaka und Takeuchis Theorie der Wissensschaffung zurück. Er
schreibt:
"Jede
Innovation
basiert auf der Schaffung von Wissen. Der notwendige Rohstoff ist
hierfür
die Information. Intention, Interpretation und Engagement können
diesen
Rohstoff zu Wissen veredeln. (...) Jedes Produkt ist Materialisation
von
technischem und sozialem Wissen, und jede Innovation ist eine Gestalt
neugeschaffenen
Wissens. (...) Wissensbasiertes Design Management kann beispielsweise
den
Entwicklungsprozeß im Markt verankern (Sozialisation im Markt)
und
Designer mit dem impliziten Wissen der Kunden und Händler vertraut
machen. Diese Anbahnung von Begegnung und Austausch beschreibt die
Kontakter-Rolle
des Design Management. Die Externalisation von implizitem Wissen kann
der
entscheidende Beitrag von Designer und Design Manager sein. Hierzu
können
belebende Impulse von außen in das Unternehmen eingebracht
werden,
die sonst nicht zum Tragen kämen." (Reinmöller 1998, S. 54-58)
Mit
anderen
Worten, Reinmöllers
Antwort auf die Echtzeit-Frage besteht in der Aufhebung der
Wissensdefizite
zum Beispiel durch die Vorwegnahme von Kundenwünschen und
Designoptionen
aufgrund des wissensorientierten Design Management. Entsprechend den
vier
Wandlungsformen des Wissens bei Nonaka und Takeuchi – nämlich
Sozialisation,
Externalisierung, Kombination und Internalisierung – übernehmen
die
im auf Zeitüberbrückung orientierten Design Manager folgende
Rollen:
- "Kontakter",
der das implizite
Wissen der Kunden und Händler wahrnimmt,
- "Konzeptionist",
der den Beitrag
zur Externalisierung von implizitem Wissen leistet und innovative
Projekte
erzeugt,
- "Koordinator",
der neues Wissen
mit "vergessenem Wissen" sowie mit Wissen über die Zukunft
verknüpft,
indem er ein Netzwerk von Wissensquellen schafft,
- "Coach",
der
das internalisierte
Wissen um Design-Theorie und Praxis an Unternehmen weitergibt.
Design
Manager
werden zu Katalysatoren
von Wissen, das aufgrund eines dynamischen Wissensaustausches auf der
Grundlage
von Synchronizität und Selbstorganisation zu einer
kontinuierlichen
Verbesserung der Produkte sowie zu neuen "visionären Neuerungen"
führt.
Als Beispiele von solchem design in
progress erwähnt
Reinmöller
Softwareprodukte wie Netscape und Yahoo!, die nicht den Anspruch
erheben,
von der Stunde ihrer Entstehung an durch Perfektion gekennzeichnet zu
sein,
sondern die ihre Qualität in der Wechselwirkung mit den impliziten
und/oder expliziten Kundenwünschen suchen.
Schließlich
möchte
ich auf zwei Strategien des Wissensmanagements bei Beratungsfirmen
hinweisen,
die jeweils dem klassischen Ansatz des Wissensanagements bzw. dem der
Wissensschaffung
entsprechen. Es sind dies die Kodifizierungsstrategie und die
Personifizierungsstrategie.
Bei der ersten Strategie wird das explizite Wissen in Form von
Datenbanken
zugänglich gemacht, bei der zweiten bleibt das implizite Wissen an
die Person gebunden, die es erworben hat. Der Computer dient dann
vorwiegend
als Medium des Wissensaustausches. Die Beratungsunternehmen Andersen
Consulting
oder Ernst & Young haben die Kodifizierungsstrategie gewählt.
Dagegen setzen Bain, Boston Consulting Group (BCG) und McKinsey auf
personalisiertes
Wissen (Hansen/Nohria/Tierney 1999).
1.5 Ausblick
Mein
Fazit lautet:
Beide Ansätze
gehören zum Selbstverständnis der Informationswissenschaft,
obwohl
diese sich bisher vorwiegend mit Information im Sinne des expliziten
Wissens
d.h. also mit Wissensmanagement im Gegensatz zu Wissensschaffung
auseinandergesetzt
hat. Die Theoriebildung der Wissensschaffung im Rahmen
betriebswirtschaftlicher
Ansätze bringt zwar neue von der Informationswissenschaft bisher
vernachlässigte
Dimensionen zur Sprache, engt diese aber wiederum für ihre Zwecke
ein. Die Informationswissenschaft kann hierzu als korrektiv dienen,
indem
sie den Blick für andere Formen des Wissensmanagements und der
Wissensschaffung
frei macht. Indem sie das tut, knüpft sie nicht nur an ihre eigene
Tradition an, sondern verbindet ihre Fragestellungen mit anderen
Methoden
und geistigen Traditionen wie die der Medienwissenschaft, der
Soziologie,
der Linguistik, der Psychologie und nicht zuletzt der
Wissenschaftstheorie
(Capurro 2000a).
Ich
möchte
diese Erörterungen
mit drei Hinweisen abschließen. Wissensmanagement ist ein
modischer
Ausdruck. Aber die Sache hat Geschichte. Wie Albrecht von Müller
bemerkt,
verfügten die Republik Venedig oder die Fugger über
ausgezeichnete
Methoden, Informationen schnell und effektiv in Wissen umzusetzen und
somit
ihre Machtstellung über Jahrhunderte zu festigen (Winkelhage 1998,
Müller 1997). Diese Geschichte(n) im Zusammenhang mit den heutigen
Fragestellungen zu thematisieren, ist ein Desiderat der Forschung.
Der
zweite
Hinweis ist für
einen mit der Hermeneutik befaßten Leser eine
Selbstverständlichkeit:
Der Ansatz von Nonaka und Takeuchi beruht auf Einsichten, die in der
Tradition
der Hermeneutik ausführlich diskutiert worden sind. Eine
Erweiterung
des Blickes in diese Richtung bedeutet sowohl für das
Wissensmanagement
als auch für die Hermeneutik eine produktive Begegnung (Capurro
1986,
1995, 2000).
Der
dritte
Hinweis bezieht
sich auf die Einengung des Blickes, wenn wir Wissen
ausschließlich
als Mittel zum Zweck auffassen. Wissen ist, wie das alte Wort theoria lehrt,
auch Selbstzweck. Von dieser anderen Betrachtung von Wissen lebt eine
Kultur,
die sich öffentliche Lehr- und Forschungseinrichtungen sowie
öffentlich
zugängliche Bibliotheken leistet, ja die eine informationelle
Grundversorgung
der vernetzten Gesellschaft anstrebt.
Mit
dem Begriff
Management
verbinden wir die Tätigkeiten des Planens, Organisierens,
Koordinierens
und Kontrollierens in unserem Fall der Ressourcen Information und
Wissen.
Diese Tätigkeiten richten die Aufmerksamkeit auf die Haltung des
Beherrschens
und vernachlässigen die Aspekte des sorgfältigen und
dienenden
Umgangs. Diese Aspekte gehören aber zum ursprünglich aus dem
Italienischen (maneggiare) und
Lateinischen (manus)
herstammenden
Begriff.
In einem Textnachweis aus dem 18. Jahrhundert (1736 Butler) heißt
es:
"Tranquility,
satisfaction, [...]
being the natural consequences of prudent management of ourselves, and
our affairs." (The Oxford English Dictionary 1989)
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