EINLEITUNG
Die
folgenden
Ausführungen
haben einen zweifachen biographischen
Bezug. Zum einen gehörte ich
der Gesellschaft Jesu an, wo ich Noviziat, Juvenat und Philosophie in
Uruguay,
Chile und Argentinien zwischen 1963 und 1970 absolvierte. Zum anderen
besuchte
ich Japan im Jahre 1998 im Rahmen eines Forschungssemesters.
Durch
Zufall
betrat ich in Kyoto das ZEN-Kloster Zuiho-in (Daitokuji-cho), Zentrum
der
Rinzai-Schule.
Dieses
Kloster ist
insofern einmalig als hier ZEN-Gärten
mit christlicher Symbolik – The Garden of the Cross mit in
Gestalt
eines Kreuzes geordneten Steinen und The Garden of the Blissful
Mountain,
ein vom einem (Stein-)Meer umgebenden Berg, der an die Bergpredigt
erinnert,
ursprünglich aber sich an den buddhistischen Namen des
Feudalherren
Ôtomo Yoshishige (1530-1587) bezieht – zu bewundern sind.
Beide
Gärten
sind Yoshishige gewidmet, der im Alter von 48 Jahren zusammen mit
anderen
Familienangehörigen zum Christentum konvertierte und mit dem Namen
Francisco getauft wurde. Yoshishige sandte im Jahre 1582 die erste
japanische
diplomatische Mission nach Europa.
Mit
Bezug auf
Heideggers
Deutung menschlichen Verstehens in Sein und Zeit, wonach die
"Vor-Struktur
des Verstehens" durch "Vorhabe", "Vorsicht" und "Vorgriff"
gekennzeichnet
ist /1/, will die folgende Analyse das
Phänomen
der Botschaft (Gr. angelía) bei Franz Xaver auslegen und
zwar aus der (Vor-) Sicht der zwischenmenschlichen
kommunikativen
Situation unter Leitung eines philosophisch zu gewinnenden
Botschaftsbegriffs.
Eine Theorie der Botschaft, eine Angeletik, ist nicht ganz
selbstverständlich
obwohl oder gerade weil wir in einer Informationsgesellschaft oder in
einer message society leben /2/.
Eine
solche Theorie
in Beziehung zu anderen vergangenen oder gegenwärtigen
Verstehensentwürfen
des Botschaftsphänomens und somit zu anderen
Informationsgesellschaften
zu setzen, bleibt weiterhin ein Desiderat der Forschung /3/.
Wenn unter dieser Prämisse die Analyse sich mit Theorie und Praxis
der Botschaft bei Franz Xaver (1506-1552) befaßt, dann ist dieses
Ziel nur innerhalb einer umfassenden interdisziplinären Arbeit zu
erreichen. Das gilt sowohl in bezug auf die Analyse des
Botschaftsphänomens bei Franz Xaver als auch auf das
Verständnis dieses
Phänomens durch Franz Xaver selbst.
I.
ANGELETIK IM UMRISS
Die
Möglichkeit, andere
Menschen in ihrem Denken und Handeln zu beeinflussen oder gar über
sie zu herrschen, hängt unter anderem damit zusammen, inwieweit
der
Sender einer Botschaft für sich beanspruchen kann, sie zu
bloßen
(Befehls-)Empfängern zu machen. Diese Verteilungs- und
Herrschaftsstruktur Eins-zu-Vielen kennzeichnet weitgehend
nicht nur die
Sendungen der
Massenmedien im 20. Jahrhundert, sondern auch die angeletische
Struktur
früherer Kulturen, in denen die Hegemonie eines Herrschers
durch das von ihm beanspruchte Botschaftsmonopol sanktioniert wurde.
Diese
Struktur
wurde, zumindest
teilweise, in der abendländischen Tradition durch die Entstehung
der
Philosophie in Frage gestellt. Ich bezeichne diesen Vorgang als die
Geburt
der Philosophie aus dem Geiste der angelía /4/.
Nicht die Götter dürfen Botschaften (mit einem allgemeinen
und
imperativen Charakter) senden, sondern jeder (männliche
Bürger
Athens) kann und soll sich fragen, was und wem er (selten: sie) zu
sagen
hat und welche Begründung (lógos) er für
eine einem anderen mitgeteilten Meinung (doxa)
aufweisen kann.
Das Medium dieser doxologischen Kultur im antiken Griechenland
war
die Oralität (lógos). Der philosophische Dialog
versuchte
in Auseinandersetzung mit der vertikal-hierarchischen Struktur
mythischer
Verkündung, menschliche Botschaften horizontal-dialogisch
auszutauschen.
Die Geburt der Philosophie hängt mit der Infragestellung des
hierarchischen
Mitteilungsmodus zusammen, ohne aber aufzuhören sich
angeletisch
zu verstehen. Sie tut dies missionarisch in Form
philosophischer
Schulen. An der Stelle der göttlichen und dichterischen Sendung (angelía)
tritt, in unterschiedlichem Maße, die philosophische Sendung (lógos)
ein. Die Möglichkeit, durch philosophische Schriften eine
Botschaft
zu senden, die wiederum vom Empfänger zum Gegenstand einer eigenen
Sendung gemacht werden kann, blieb bis zur Erfindung des Buchdrucks
sehr
beschränkt. Was aber wie eine Substitution aussieht, ist in
Wahrheit
die Transformation der dogmatischen in die doxologische
Angeletik.
Die
philosophía
bleibt, contre-coeur (?), philangelía.
Woher bekommen die philosophischen messages ihre
Legitimität?
Nicht mehr von der Autorität von Göttern und ihren Boten -
allen
voran Hermes und den Dichtern, worauf Platon in seinem Dialog "Ion"
eingeht
- oder von den Herrschern und ihren Vermittlern, sondern vom
gemeinsamen mit-den-anderen-geteilten Logos. Die Frage
der
Legitimation
der horizontal ausgetauschten Botschaften, die Wahrheitsfrage also, ist
der angeletische Stachel der Philosophie. Zu Beginn rekurriert der
philosophische
lógos noch auf die mythische hierarchische Struktur im Sinne der
Autorität des Senders: autós éphas, 'Er hat
das
gesagt', so pflegten die Schüler des Pythagoras, des Namengebers
der
Philosophie, auf denjenigen zu antworten, die wagten, die Meinung des
Meisters
in Frage zu stellen, wie Cicero in De natura deorum (I, 10)
berichtet.
Paradoxerweise wird sich das Christentum der Logos-Begrifflichkeit
bedienen,
indem es aber zugleich den Botschaftgedanken in den Mittelpunkt
rückt.
Seit der Neuzeit sind vor allem wissenschaftliche
Autoritäten,
in deren Namen die prognostische Wahrheit einer Mitteilung
bekräftigt
wird.
Die
Antike
kennt keine ausdrückliche téchne angeletiké
oder ars nuntiandi,
wenn
man die Philosophie selbst nicht als eine solche verstehen will. Es
gibt
aber eine ausgebildete philosophische und theologische Engellehre sowie
eine sowohl im Christentum als auch in anderen Religionen
unterschiedlich
aufgefaßte und gepflegte Praxis und Reflexion der missionarischen
Verkündung der göttlichen Offenbarung und der
dazugehörigen
Religionspädagogik /5/. Die Engellehre
wurde
besonders durch die Aufklärung diskreditiert /6/.
Über den säkularen Kern dieses Mythos haben wir aber heute
keinen
Grund mehr zu Lachen, denn sie macht die Realität unseres
Informationszeitalters
aus. Die Vorläufer einer anthropotechnischen Botschaftstheorie
finden
sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Kybernetik und
Informationstheorie
sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung militärischer
Aufklärungstechnik
im Zweiten Weltkrieg /7/. Das
Botschaftsphänomen
gewann an gesellschaftlicher Bedeutung in der Neuzeit durch die
terrestrische
Globalisierung des Briefsverkehrs und in der Gegenwart durch
individuelle
Kommunikationsmedien wie Fax und Telefon sowie zuletzt durch die
elektronische
Vernetzung. Die electronic messages haben eine paradigmatische
Bedeutung
für die entstehende Cyberkultur des 21. Jahrhunderts.
Die
Kommunikationswissenschaften
haben in Anschluß an Marshall McLuhans berühmten Spruch:
„The
medium is the message“ die Frage des Mediums thematisiert /8/.
Ich möchte die von Mihai Nadin vorgeschlagene Umkehrung dieses
Satzes,
nämlich: "Die Botschaft ist das Medium" /9/ ,
aufgreifen,
um den Blick auf das Phänomen der Botschaft zu richten, worauf eigentlich
McLuhans Spruch selbst hinweist. Die Medientheorie übersieht den
Botschaftscharakter
eines jeden Mediums. Weder sind aber Medien nur Botschaften noch
reduziert
sich der Sinn von Botschaft auf das Medium. Die hier anvisierte
Angeletik
versteht sich als eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sowohl
an technische als auch an kulturgeschichtliche Problemstellungen
anknüpft /10/ und sich an der
Schnittstelle
von Hermeneutik, Rhetorik, Pädagogik, Informationstechnik,
Medienwissenschaft
und – Theologie befindet.
Die
Drucktechnik und die
modernen Kommunikationsmedien haben wesentliche angeletische
Veränderungen
bewirkt. Das Privileg der Wenigen eine Botschaft zu senden, wurde
allmählich
zur Möglichkeit der Vielen und sogar zu einem Menschenrecht aller.
Zum antiken freedom of speech und neuzeitlichen freedom of
the
press stellt sich heute als Herausforderung das freedom of
access,
d.h. die Freiheit Informationen im globalen Maßstab zu senden und
zu empfangen. Paradoxerweise zeichnen sich die Massenmedien des 20.
Jahrhunderts
durch jene Eins-zu-Vielen-Struktur aus, die durch die Buchkultur
aufgelockert
worden war. Ein Schriftsteller zu werden, das Ideal der
bürgerlichen
europäischen Buchkultur, war zwar nicht für jedermann, aber
auch
nicht prinzipiell nur für die Wenigen offen. Nach der
Französischen
Revolution setzt sich in Europa mit der Verstaatlichung der
Büchersammlungen
von Kirche und Adel die Idee des öffentlichen Bibliothekswesens
durch.
Die Telefonie und zuletzt die elektronische Weltvernetzung bringen uns
dem Zustand einer allgemeinen Botschaftskultur näher, wo im
Prinzip
jeder – one-to-one, one-to-many, many-to-one, many-to-many –
eine
Botschaft senden und empfangen kann. Das Internet ist kein
Massenmedium,
wohl aber ein Medium für die Massen. Es hat bereits eine
grundlegende
angeletische Veränderung im Leben von Millionen von Menschen
bewirkt.
Eine Überbietung des Internet durch eine ubiquitäre
Computertechnik
(ubiquitous computing) steht unmittelbar bevor. Die Frage des
Vernetzt-
oder Nicht-vernetzt seins (digital divide) wird dabei immer mehr zum
sozialen
Sprengstoff künftiger Gesellschaften und ihres Zusammenlebens.
Kommunikation
und Macht sind zwei Seiten der einen Welt.
Der
Ausdruck Angeletik
als Kennzeichnung für eine nur in Ansätzen vorhandene Theorie
der Botschaft /11/, bezeichnet demnach keine
Lehre
über heilige Boten und deren Botschaften. Aber die Analyse
religiöser
Missionserfahrungen kann mehr als eine Inspirationsquelle dafür
sein,
sofern sie nämlich eine theoretische und praktische Quelle der
Reflexion
über die Phänomene des Meldens, Verkündens, Mitteilens,
Informierens, Bekanntmachens, Kundtuns und Dolmetschens darstellen. Die
Angeletik will aber nicht nur an das Moment des Kundtuns oder
Offenbarens
in Mythos, Theologie und Philosophie erinnern, sondern ebensosehr – um
das andere Ende der Skala anzudeuen – jene Boten und Botschaften
analysieren,
die mit Absicht auf Profit alle möglichen Waren und
Dienstleistungen
verkünden, ja den realen und/oder digital-vermittelten Weltmarkt
selbst
als die wahre Botschaft preisen. Die Botschaftstheorie ist aber
wiederum selbst weder ein euangelion noch ein dysangelium.
Ihre Sache geht als Tatsache der hermeneutischen Arbeit des
Erklärens
und Auslegens voraus. Als Botschaftstheorie will sie der Tatsache
der Mitteilens Rechnung tragen, indem sie diese zur Kenntnis
bringt.
Hermeneutik und Angeletik bleiben sowohl theoretisch als auch praktisch
aufeinander angewiesen: Die Mitteilung einer Botschaft setzt ein
Vorverständnis
als Grundlage einer Deutung voraus und umgekehrt, nur durch die
Mitteilung
kann sich ein Vorverständnis (weiter) ausbilden.
Während
die Medienwissenschaft
fragt: 'Was sind Medien?' geht die Angeletik von der Frage aus: 'Was
sind
Botschaften?'. Wann genau sprechen wir von Botschaften in Zusammenhang
menschlicher Kommunikation? In Anschluß an Niklas Luhmanns
Unterscheidung
zwischen "Mitteilung", "Information" und "Verstehen" /12/,
möchte ich den Botschaftsbegriff auf "Mitteilung", d.h. auf das
"Sinnangebot"
beziehen. Botschaft im Sinne von "Mitteilung" ist ein heteronomer
Begriff.
Sender und Empfänger können zwar ihre Stellung wechseln, aber
nicht den Modus ihres Bezugs: Der Empfänger kann als
Empfänger
keine Botschaft anfordern. Er kann aber selber zum Sender werden und
damit
die Heteronomie umkehren. Ferner schließt dieses Phänomen
das
Moment der Neuheit ein. Eine Botschaft verursacht Überraschung
oder
zumindest Ungewißheit. Sie bewirkt eine Differenz, was wiederum
mit
Gregory Batesons bekannter Definition von Information als "ein Unterschied,
der einen Unterschied ausmacht" übereinstimmt /13/.
Sie ist, zumindest aus der Sicht des Senders, immer relevant für
den
Empfänger. Sie kann durch verschiedene Medien oder Boten
übertragen
d.h. angeboten werden. Sie hat einen, im umfassenden Sinne, sprachlichen
Charakter und schließt somit z.B. Bilder, Töne und Gestik
ein.
Botschaften lösen beim Empfänger einen Verstehensprozeß
aus, und zwar auch dann, wenn dieser das Sinnangebot ablehnt. Der
Heteronomie
der Botschaft steht die Autonomie des Deuters gegenüber.
Botschaften
sind also, so
können wir diese vorläufige Wesensdeutung zusammenfassen,
eine
besondere Art von Sprechhandlungen, die auf eine bestimmte Wirkung auf
den Empfänger zielen. Sie sind pragmatische Mitteilungen.
Anstelle
einer Sprechhandlung können auch Gegenstände als Botschaften
aufgefaßt werden. Die Sprechhandlung bleibt dabei implizit. Wir
können
uns zwei extreme Formen seitens des Senders bzw. des Empfängers
einer
Botschaft vorstellen: Auf der einen Seite der Glaube eines Senders
und/oder
eines Boten, eine Botschaft für alle Menschen aller Zeiten zu
besitzen
und, auf der anderen Seite, der umgekehrte Glaube eines
Empfängers,
der alles als eine auf ihn gerichtete Botschaft auffaßt. Beide
Fälle
sind als Verfallsformen vorstellbar, die sich dann einstellen, wenn die
Kluft zwischen dem Kategorialen und dem Transzendentalen, um es
Kantisch
auszudrücken, nicht wahrgenommen wird. Universale heilige
Botschaften,
wie im Falle der Religionen, befinden sich auch im Grenzbereich, sofern
sie nämlich den Unterschied zwischen Glauben und Wissen nicht
aufheben
und ihre Glaubensverkündung als Sinnangebot verstehen. Wir
können
Botschaften auch in bezug auf ihr Ziel, ihre Form, ihren Inhalt und
ihren
Produzenten bestimmen, was aber hier nicht weiter ausgeführt
werden
kann /14/. Franz Xaver hatte eine starke, d.h.
universell
ausgerichtete heilige Botschaft. Zugleich bemerkte er am 29. Januar
1552,
dass er "niemals schreiben könnte, wieviel er denen in Japan
verdankt" /15/. Der Überbringer der
christlichen Botschaft
empfand sich nach zwei Jahren auch als dankbarer Empfänger der
Lehre
Japans.
II.
THEORIE UND PRAXIS DER BOTSCHAFT BEI FRANZ XAVER
Der
Schwerpunkt
der folgenden
Analysen bilden einige Ereignisse in Zusammenhang mit Franz Xavers
Japan-Mission /16/. Die Japanfahrt begann in Cochin
(Indien) am 25.
April 1549 in Begleitung von P. Cosme de Torres, dem Bruder Juan
Fernández
und drei zum Christentum bekehrten Japanern, nämlich Antonio, Juan
und Pablo, der aus Kagoshima,
im Süden der Insel Kyushu, stammte –
jener Stadt wo die Gruppe am 15. August 1551 ankam und von Pablos
Verwandten
"mit viel Liebe" empfangen wurde (Doc. 90, S. 369) /17/.
Karte von Asien, Judas
Hondius, um 1660
Quelle: Franz Xaver -
Patron der Missionen, op.cit. Abb. 9
Alle
drei hatten in Goa,
so Xaver, "lesen und schreiben gelernt" und
die
Exerzitien gemacht (Doc. 85, S. 349). Im selben Brief aus Malakka
schreibt
Xaver über sein Missionsziel: "Wenn wir in Japan ankommen, sind
wir
entschlossen, auf die Insel zu fahren, wo der König wohnt, und ihm
die Botschaft darzulegen, die wir von Jesus Christus haben." (Doc. 85,
S. 351) /18/. Wir sind im Zeitalter der
"terrestrischen
Globalisierung" (Sloterdijk) /19/. Sie vollzieht
sich
zu Wasser und zu Land. Ferner stellen Briefe ein wichtiges Medium der
Gemeinschaft
dar. Xavers Korrespondenz ist dafür ein eindrucksvolles Zeugnis.
Dabei
ist aber zu berücksichtigen, dass der Briefverkehr zwischen Goa
und
Rom etwa acht Monate dauerte (Doc. 59, S. 237). Die
christlich-jesuitische
Gemeinschaft wird besonders durch die "Exerzitien" zusammengehalten.
Vortrag,
Meditation und Gebet stellen sozusagen die Beziehung der Boten
untereinander
sowie zu jenem Sender her, von dem die zu verbreitende Gute Botschaft (euangelion)
stammt /20/. Ein solches tele-metaphysisches
Netz
zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen funktioniert nach
genauen
Regeln, wozu vor allem jene Ignatianischen "Regeln für die
Unterscheidung
der Geister" gehören, die in den auch ethisch gemeinten Regulae
ad directionem ingenii (1628) des von den Jesuiten erzogenen
René
Descartes eine säkulare Übersetzung finden /21/.
Allerdings, schrieb Xaver an P. Gonzalo Rodriguez am 22. März
1552,
"Gott unser Herr weiß wieviel lieber ich Euch sehen als schreiben
würde, denn es gibt viele Dinge, die man viel besser macht durch
Worte
und leibliche Anwesenheit als durch Briefe." (Doc. 102, S. 439)
Eine
so
gebildete (Heils-)Gemeinschaft
verfügt ad intra über ein Vorverständnis, das
bei
der Botschaftsverkündung nicht vorausgesetzt werden kann. Das gilt
natürlich für den harten Kern der
Heilsbotschaft,
sofern dieser auf einer übernatürlichen Offenbarung basiert.
Da eine solche Offenbarung aber wiederum in diesem Fall kategorial oder
inkarniert stattfindet, ergibt sich ad extra ein
spezifisches
angeletisches Dilemma, das darin besteht, entweder den Inhalt der
christlichen
Heilsbotschaft so an das Vorverständnis des Empfängers
anzupassen,
dass dabei das eigentlich Überraschende und eine Differenz
Erzeugende
bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird oder dieses in einer kulturellen
Form wiederzugeben, die vom fremden Empfänger im wahrsten
Sinne
des Wortes nicht verstanden wird. Wenn also der
Botschaftsüberbringer erfolgreich sein will, tut er gut
daran, sich über
den Anderen,
seine Kultur und seine Sprache, zu informieren und – ins Gespräch
mit ihm zu kommen.
Xaver
läßt sich
von Pablo Einiges über die Wesensart der Japaner erzählen. So
zum Beispiel, dass sie geistige Übungen praktizieren, die aus
einem
Vortrag, einer einstündigen Meditation und einem sich
anschließenden
Gespräch bestehen /22/. Gegenstand der
Meditation
ist zum Beispiel, was die Seele im Augenblick des Todes dem Körper
sagen würde. Ferner will Xaver im voraus wissen, ob Pablo sich an
irgendeinen gepredigten Grundsatz erinnert, worauf dieser z.B. auf
stehlen
und lügen hinweist und hinzufügt, dass die Japaner einen
großen
Wissensdrang haben (Doc. 85, S. 353-354; Doc. 59, S. 234). Zwei
Jahre
später wird Xaver bemerken, dass dieser sich auf die "Sphäre"
d.h. auf die Himmelserscheinungen bezieht. Er wird empfehlen, dass
diejenigen,
die nach Japan in seiner Nachfolge kommen, "Sophisten" sein sollten,
geübt
in der Kunst der Dialektik, um die Anderen von der Botschaft zu
überzeugen,
so dass ihre Einwände sich als widersprüchlich erweisen (Doc.
110, S. 467). Pablo hatte ihm erzählt, dass die Japaner ihn viele
Fragen stellen und besonders darauf achten würden, ob er so lebte,
wie er predigte (Doc. 59, S. 234).
Xaver
läßt sich
auch vom
Kapitän Jorge Alvarez, einem befreundeten portugiesischen
Händler,
einen schriftlichen Bericht über die Japaner erstellen, in dem
dieser
erzählt, dass die (Yamabushi-)Priester wie Laien gekleidet sind,
Waffen
tragen und sich den für Buddhisten typischen "Juzu" (Rosenkranz)
um
den Hals binden. Laut Alvarez würde Xaver mehr Erfolg mit seiner
Mission
in Japan als in Indien haben, da die Japaner "sehr verständige
Leute
sind" ("gente de mucha razón") (Doc. 59, S. 234-235) /23/.
Bereits anhand dieser Hinweise wird klar, mit welchen gewaltigen
interkulturellen
Fragen nicht nur die Missionare, sondern auch die Händler
konfrontiert
waren. Dass Xaver sich von Alvarez berichten läßt, zeigt,
dass
er sich, bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Botschaften und der
damit
verbundenen Ziele, über gemeinsame Probleme bewußt war. Zu
den
letzteren gehörten auch die Naturgewalten: Wenn von drei Schiffen,
die nach Japan starteten, drei ankamen, war das eine große
Rettung!
(Doc. 85, S. 352). Alvarez' Hinweis auf die Verständigkeit der
Japaner
zeigt wiederum sein Einfühlungsvermögen bezüglich
dessen,
worauf es bei der Xaver interessierenden Sache auch ankam, nämlich
auf ein Sinnangebot, das im Gespräch ausgehandelt wird.
Das
Sprachproblem stand naturgemäß
im Mittelpunkt von Xavers Vorbereitungen. Der bei seiner Ankunft in
Japan
22 Jahre alte Bruder Fernández lernte Japanisch auf der Reise
und
wurde auch Dolmetscher des 45 Jahre alten Xaver und des 38 Jahre alte
Torres.
Paul war sprachbegabt: Er hatte innerhalb acht Monate, so berichtet
Xaver,
Portugiesisch in Wort und Schrift gelernt (Doc. 70, S. 282) und kannte
das Matthäusevangelium auswendig, das er mit japanischen
Schriftzeichen
niedergeschrieben und in mehreren Teilen eingeteilt hatte, so dass er
es
besser behalten konnte /24/. Da er aber von den
gelehrten
Quellen des Buddhismus vermutlich wenig Ahnung hatte /25/,
waren er und Xaver einer doppelten Gefahr ausgesetzt: Zum einen, der
verhängnisvollen
Verwechslung (Homonymie) von zentralen christlichen und japanischen
Begriffen,
zum anderen des wechselseitigen Mißverständnisses
(Äquivokation).
Am Anfang waren sie schweigsam "wie Statuen", da sie die Sprache nicht
kannten. Xaver selbst bemühte sich, sie "nach Kindesart" zu
erlernen
(Doc. 90, S. 380).
Er
war
sich
bewußt,
dass der Erfolg seiner Mission nicht zuletzt von seinem Verhältnis
zu den herrschenden Schichten abhängen würde. Das
läßt
eine doppelte angeletische Strategie, nämlich eine top-down
und eine bottom-up, erkennen. Nicht zu vergessen ist dabei,
dass
Juan III, König von Portugal, Xaver vor seiner Abreise nach Indien
1541 die Ernennung als päpstlicher Nuntius für Ostindien
überreicht
hatte. Zur top-down-Strategie gehörte zum Beispiel sein Besuch am
Hof von Bungo bei Ôtomo Yoshishige – jenem 22 Jahre alten Herzog,
der später zum Christentum konvertierte und den Namen Francisco
annahm,
dem die oben erwähnten Gärten im Daitoku-ji Kloster gewidmet
sind – sowie beim japanischen Kaiser in "Miyako" (Kyôto). Er sei
dazu entschlossen, schrieb er an Ignatius am 12. Januar 1549, zuerst
beim
"König" vorstellig zu werden, um die Missions-Erlaubnis zu
bekommen.
Ignatius von
Loyola und Franz Xaver beim Studium in Paris,
Kupferstich
Quelle: Franz Xaver. Patron der Missionen, op.cit. Abb. 5
Sie
bekamen
aber keine Audienz und als sie erfuhren, dass der Kaiser keine
Macht hatte, bemühten sie sich nicht mehr darum (Doc. 96, S. 407).
"Nach 11tägigen Aufenthalt in Kyôto", so Aoyama, "kehrten
Xaver
und seine Gefährten nach Sakai zurück und von da nach Hirado.
Bei dieser Rückreise, die in der Zeit von Ende Januar bis Anfang
März
erfolgte, litten sie viel mehr als früher unter Kälte,
Schnee,
Eis und Wind. Trotz der großen Reisestrapazen übte Xaver
dennoch
verschiedene Liebesdienste auf dem Weg." Er nahm z.B. "von den
Herbergen
einige trockene Früchte mit, die man ihm für sein Geld gab
und
die er in seine Brust oder die Ärmel steckte; und wo er Kinder auf
den Straßen spielen sah, teilte er davon unter sie aus und gab
ihnen
seinen Segen." /26/ Damit sind wir bei der bottom-up-Strategie
angekommen und bei dem, was die Japaner sehr schätzten,
nämlich
jemand der genau so handelt, wie er predigt ("si vivía conforme
a lo que hablaba") (Doc. 59, S. 234). Allerdings, so stellte Torres
fest,
wurden sie "viele Male von den jungen Burschen mit Steinen beworfen".
Sie
waren "immer zu Fuß und viele Male barfuß wegen der sehr
großen
Flüsse, die es in diesem Lande gibt (denn es regnet in ihm fast
immer)". /27/
Über
die
Reise von Yamaguchi
zu Ôtomo Yoshishige nach Bungo, die etwa fünf bis sieben
Tage
in Anspruch nahm, berichtet Schurhammer:
"Xaver
reist fast
Mitte September mit 2 christlichen Fidalgos, sowie Bernardo und Matheus
von Yamaguchi ab, seinem Brauch gemäß zu Fuß, ein
Bündel
mit dem Altarstein, Meßkelch und den Ornamenten auf dem
Rücken,
die er als heilige Dinge nie einen anderen tragen ließ, um sich
in
einem Hafen der Provinz Suwô nach Bungo einzuschiffen. Er war
bereits
2 Tage unterwegs und seine Füße waren angeschwollen, da er
ein
Jahr lang nicht mehr gewandert war, als er einige Portugiesen traf, die
ihm entgegengeritten waren. Duarte da Gama hatte sie mit einem Fahrzeug
übers Meer zur Gegenküste von Suwô geschickt, den Pater
abzuholen, und sie waren von dem Hafen eine halbe Meile
landeinwärts
geritten, bis sie ihn trafen. Da er das angeborene Reittier ablehnte,
begleiteten
sie ihn zu Fuß bis zum Hafen, wo er ihr Fahrzeug bestieg und mit
ihnen nach Bungo zum Hafen von Figi fuhr, wo er das Portugiesenschiff
Duarte
da Gamas traf und sich von den beiden japanischen Fidalgos
verabschiedete,
die ihn im Namen aller Christen Yamaguchis bis dahin begleitet hatten."
/28/
Hervorheben
möchte ich
dabei Xavers "angeschwollene Füße", die zu jenen
körperlichen
Strapazen gehören, die er bei der Verbreitung seiner Botschaft
teilweise
freiwillig auf sich nahm: Sein Leib war Teil seiner Botschaft.
Der
Lohn dafür war die Genugtuung ("placer"), die er empfand, als er
die
"Heiden" in Disputationen überzeugen und bekehren konnte (Doc. 96,
S. 4419).
Er
bewundert
das asketische
Leben der Japaner, ihr sparsames Essen, "wenngleich nicht so ganz beim
Trinken, und sie trinken Reiswein, denn es gibt kein Weinbau in diesen
Gegenden" (Doc. 90, S. 370). "Sie töten und essen nicht das, was
sie
züchten, manchmal essen sie Fisch und Reis und Getreide,
wenngleich
wenig" (Doc 90, s. 381). Die Leute sind gesund und werden alt: "Wir
leben
in diesem Land körperlich sehr gesund. Möge Gott, dass es
unseren
Seelen auch so geht!" (Doc. 90, S. 381-382) Japan ist ein kaltes Land
und
es gibt keine Betten (Doc. 110, S. 467). "Diejenigen, die in diesen
Ländern
leben, sind diskret und scharfsinnig. Aber es gibt nur Reis zu essen.
Auch
etwas Getreide und Gemüse und andere Dinge von wenig Substanz. Sie
machen Reiswein und es gibt keinen anderen, und dieser ist teuer und
wenig.
Und die größte Herausforderung sind die ständigen
und offensichtlichen Todesgefahren." (Doc. 97. S. 423). Xaver hält
vor allem Flamen und Deutsche als besonders geeignet für die
Japan-Mission,
sofern sie nämlich wegen mangelnder Sprachkenntnisse in Spanien
oder
Italien nicht predigen können und – mit einem kalten Klima besser
auskommen (Doc. 97, S. 423). Nach zweieinhalb Jahren hatte Japan sein
Haar
gebleicht /29/. Über die Begegnung mit
Ôtomo
Yoshishige schreibt Schurhammer:
"Yoshishige
wünschte ein Freundschaftsbündnis mit dem König
Portugals
zu schließen. Er hörte den Pater mit Interesse an, als er
ihm
vom christlichen Glauben sprach. Er gab ihm gern die Erlaubnis, in
seinem
Lande zu predigen, und ließ ihm eine Wohnung in Okinohama
anweisen,
wo das Schiff Duarte da Gamas vor Anker lag und die Portugiesen ihre
Waren
verkauften, und ließ es an Aufmerksamkeiten aller Art nicht
fehlen
und ihn aufs beste mit allem versorgen. Zur sofortigen Annahme des
christlichen
Glaubens und dessen strengen Sittenvorschriften konnte er sich freilich
noch nicht entschließen. Mußte er ja auch fürchten,
dadurch
seinen immer noch recht unsicheren Thron zu gefährden, da manche
seiner
mächtigen Vasallen einen solchen Schritt zum Anlaß nehmen
konnten,
sich gegen ihn zu erheben." /30/
Fast
dreißig
Jahre später,
als er im Jahre 1578 zum Christentum konvertierte, erzählte
Yoshishige
wie er 1545 von einem portugiesischen Kaufmann namens Diego Vaz
beeindruckt
war:
"Da
fragte ich ihn,
ob er zu den Kamis und Hotokes (= den shintoistischen und
buddhistischen
Göttern) bete. Er aber lachte und sagte, er bete nur den
Schöpfer
des Himmels und der Erde an, den Erlöser der Welt. Diese Worte
habe
ich nie vergessen, und es schien mir, wenn er als Kaufmann und Laie
trotz
aller Geschäfte sich täglich die Zeit zum Gebet nehme, dann
müsse
es etwas Wichtiges sein um die Verehrung seines Gottes." /31/
Von
Paul
wußte Xaver,
dass die Japaner ihr "Gesetz" von Indien über China bekommen
hatten,
worüber er Ignatius einen langen Bericht ("muy larga
información")
schreiben will (Doc. 70, S. 282). Am 5. November 1549 erzählt er
von
einer Begegnung in Kagoshima mit einem Weisen /32/
namens
"Ninxit" (Ninshitsu), der im Gespräch unschlüssig war, ob die
Seele unsterblich ist oder nicht: "einmal sagt er mir ja, andere Male
wiederum
nein". Dazu bemerkt Aoyama:
"Der
Begriff "Seele"
ist in den Zen-Sekten nämlich von dem des Christentums sehr
verschieden.
Das absolute Wesen, das der Welt und der Seele innewohnt, wurde bei den
japanischen Zen-Mönchen verschieden benannt: "Kokoro" (das Herz),
"Ware" (das Ich) usw. Man machte aber dabei einen klaren Unterschied
zwischen
diesem Absoluten und dem Ich im gewöhnlichen Sinne, welches man
oft
auch "Shôga" (das kleine Ich) nannte und von dessen egoistischen
Neigungen man sich zu befreien suchte. Im religiösen Gespräch
der Zen-Mönche konnte darum häufig dasselbe Wort zwei
voneinander
verschiedene Wesen bezeichnen, wie das Wort des hl. Paulus "Ich lebe -
nein nicht mehr ich, sondern Christus in mir"." /33/
Xavers
Übersetzer Paul,
war bei einer solchen gelehrten Diskussion offensichtlich
überfordert.
Xaver fürchtete, dass die anderen Gelehrten nicht so sind wie
dieser
"sein Freund, der wunderbar ist". Alle, Priester und Laien, wundern
sich
aber, so Xaver, dass sie von so weit her kommen ("que son más de
seis mil leguas"), "bloß um über diese Dinge über Gott
zu sprechen, und wie die Leute ihre Seelen retten können, indem
sie
an Jesus Christus glauben, und indem wir sagen, dass wir in diese
Länder
kommen, weil es Gottes Wille ist" (Doc. 90, S. 372). Ein Grund für
die Echtheit dieser Freundschaft findet Aoyama in der folgenden von Br.
Almeida tradierten wunderbaren Anekdote, die er in Kagoshima von
Ninshitsus
Schülern erfuhr und welche auch nicht nur die Identität und
die
Differenz, sondern auch das gegenseitige Nicht-Verstehen zwischen
Christen
und Zen-Buddhisten versinnbildlicht:
"Jene
Bonzen (in
Fukushô-ji) haben den Brauch, daß sie sich in einem Jahre
100
Tage lang für eine oder zwei bestimmte Stunden in Betrachtung
versenken,
was sie Zazen nennen... In ihrer Körperhaltung zeigen sie eine
solche
Bescheidenheit, Sammlung und Ruhe, als wären sie in
göttlicher
Beschauung verzückt. Als P. Magister Francisco einmal mit diesem
alten
Bonzen, dem Oberen des Klosters, durch den gemeinsamen Raum schritt, wo
alle Bonzen (gerade) damit beschäftigt waren, ihre Betrachtung zu
halten, fragte der Pater Ninjit: 'Was tun diese Ordensleute hier?' Da
lächelte
jener und antwortete ihm: 'Die einen berechnen, wieviel sie die
vergangenen
Monate von ihren Gläubigen eingenommen haben; andere
überlegen,
wo sie bessere Kleider und Behandlung für ihre Person bekommen
können;
andere denken an ihre Erholungen und ihren Zeitvertreib; kurz, keiner
an
etwas, das irgendwelche Bedeutung hätte." /34/
Das
Interesse der
Gebildeten
an den Missionaren mag auch darin begründet gewesen sein, wie
Aoyama
bemerkt (S. 76), dass diese nicht aus Europa, sondern aus Tenjiku
(Indien),
der Heimat Buddhas, kamen. "Die Leute bewunderten Paul", so Aoyama,
"weil
er als erster Japaner Indien gesehen hatte." (S. 48) Das Interesse der
Herrschenden lag sicherlich auch an den von den Portugiesen
mitgebrachten
Waren und Waffen sowie an der Möglichkeit, durch den neuen
Glauben,
sich Machtverhältnisse zu sichern. Am 5. November 1549 berichtet
Xaver
aus Kagoshima von seinem Vorhaben, die "Grundsätze des Glaubens"
durch
Paul ins Japanische übersetzen und drucken zu lassen, denn "die
wichtigsten
Leute können lesen und schreiben" und "wir können nicht
überall
hinfahren" (Doc. 90, S. 387). Sie verfertigten eine lateinische
Transkription,
die des Japanischen nicht kundigen Missionare auf Straßen laut
vorlesen
konnten (Doc. 96, S. 405-406). Schurhammer schreibt:
"Eine
gewisse Methode
war bereits festgelegt. Der Katechismus, das in Kagoshima
verfaßte
Buch, von dem die Neubekehrten in Yamaguchi bereits Abschriften in
sino-japanischer
Schrift hergestellt hatten, diente als Grundlage für den
Unterricht.
An dessen Lesung schlossen sich Ansprachen und an diese Disputationen
an,
bei denen der sprachgewandte Bruder Fernández als Dolmetscher
diente.
Mit Hilfe von Auszügen, welche die Neubekehrten aus den
buddhistischen
heiligen Büchern machten, hatte man die Hauptlehren der einzelnen
Sekten und ihre Überlieferungen über das Leben ihrer
Hauptgötter
Shaka und Amida kennengelernt und bestimmte Fragen für jede Sekte
zusammengestellt, die man deren Anhängern bei deren Besuch
vorlegte,
sowie die Argumente, die ihre Irrtümer widerlegten. Für den
Gottesnamen
war der Ausdruck Dainichi durch das lateinische Deus ersetzt worden, um
Mißverständnisse bei den Buddhisten zu vermeiden. Was aber
die
von den abendländischen so verschiedenen Sitten und Gebräuche
Japans betraf, war Xaver für weitgehende Anpassung. 'Wenn
etwas',
so legte er Torres ans Herz, 'keine Beleidigung Gottes ist, dann
scheint
es das Vorteilhafteste zu sein, nichts zu ändern, falls eine
Änderung
nicht mehr zum Dienste Gottes gereicht.' Und das wollte er verstanden
wissen
von der Kleidung, dem Essen und ähnlichen Dingen, die in sich
indifferent
waren, deren Änderung aber Ärgernis geben konnte." /35/
Die
Nutzung des
lateinischen
Ausdrucks Deus sollte also zur Unterscheidung zwischen dem
wahren
Gott der Missionare und dem falschen Gott der Shingon-Sekte,
dem
als Erzeuger der Welt angebetenen "Dainichi", dienen. In Wahrheit aber,
so berichtet Xaver am 29. Januar 1552 aus Cochin, klang der
lateinische
Ausdruck wie "Dayuzo", was soviel wie "große Lüge" bedeutet.
Ein gutes Argument, um sich dem neuen Gott nicht anzuschließen
und
um darüber zu spotten (Doc. 96, S. 413-414) und ein Beispiel auch
dafür, wie eine angebliche Lösung des angeletischen
Dilemmas,
des Übersetzers-Dilemmas also, auch und gerade in prinzipellen
Fragen,
sich ins Gegenteil verkehren kann: Anstelle einer Unterscheidung findet
eine Äquivokation statt. Für einen nicht nur im christlichen
Glauben, sondern auch in der abendländischen Prinzipien-Metaphysik
wurzelnden Missionar war dies der Weg der Dialektik. Nach jeder Predigt
gab es, wie Xaver mehrmals betont, "sehr lange Disputationen" (Doc. 96,
S. 407). Der Weg des Herzens führte zwar, wie im Falle der
Freundschaft mit Ninshitsu, zu einer gemeinsamen menschlichen
Ebene,
ohne aber von hier aus die Perspektive des Anderen annehmen zu
können.
Auf
Xavers
Wunsch verfertigte
Fernández die spanische Übersetzung des Protokolls einer
solchen
Disputation, die er im Auftrag von P. Torres in japanischer Sprache
aufgeschrieben
hatte. Hier ein kleiner Auszug, der teilweise auch in einem Brief
Xavers
zu finden ist (Doc. 96, S. 408-409):
"Zuerst
kamen viele Zen-shû, Patres und Laien. Wir fragten sie,
was
sie täten,
um Heilige zu werden. Sie antworteten lachend: es gebe keine Heiligen;
es sei also gar nicht notwendig, sich seinen Weg zu suchen. Denn
nachdem
jenes große Nichts ins Dasein getreten sei, könne es
nichts
anderes tun, als sich wieder ins Nichts zu verwandeln.
Wir fragten
sie
viele Dinge,
um ihnen klarzumachen, daß es ein Prinzip gebe, das allen
anderen
Dingen ihren Anfang gibt.
Sie gaben
zu,
daß
dem so sei, indem sie sagten: 'Dies ist ein Prinzip, aus dem alle Dinge
hervorgehen: Menschen, Tiere, Pflanzen. Jedes geschaffene Ding hat in
sich
dieses Prinzip und wenn der Mensch oder das Tier sterben, dann
verwandeln
sie sich in die vier Elemente, in das, was sie waren, und dies Prinzip
kehrt zurück in das, was es ist.' Dieses Prinzip, sagen sie, ist
weder
gut noch böse, hat weder Seligkeit noch Schmerz, stirbt nicht und
lebt nicht, so daß es ein Nichts ist. [...]
Andere
kamen und
fragten: 'Was ist Gott?'
Wir
antworteten
ihnen: 'Von
allen Dingen, die es gibt, wissen wir, daß sie einen Anfang
hatten.
Wir wissen aber wohl, daß sie nicht aus sich selber ihren Anfang
nahmen. Darum gibt es ein Prinzip, das ihnen allen ihren Anfang gab.
Dies
hatte keinen Anfang und wird kein Ende haben, und dies nennen wir in
unserer
Sprache Gott.'
Sie
fragten, ob
er einen
Körper habe, und ob man ihn sehen könne?
Wir
antworteten
ihnen [...]" /36/
Eine
solche
Disputation setzt
gegenseitige Kenntnisse etwa der griechischen Metaphysik und ihrer
scholastischen
Umdeutung, der christlichen Schöpfungslehre, der Buddhistischen
Auffassung
des Nichts, des Ignatianischen "Principio y Fundamento" usw. voraus,
will
sie mehr als eine sophistische Übung sein. Die "Bonzen",
so
Xaver, widmen sich der Meditation und manche kommen dabei sogar auf den
Gedanken eines "Prinzips". Da sie aber keine Bücher und folglich
auch
"keine Autoritäten" darüber haben, teilen sie dies den
anderen
nicht mit (Doc. 96, S. 416). Diese Bemerkung ist nicht nur interessant
bezüglich der dem Buch beigemessenen Bedeutung als Medium und
Legitimationsinstanz,
sondern auch bezüglich des Hinweises auf die eigene Suche
eines
Denkweges, der unter Umständen dorthin führt, wo der Andere
sich
befindet. Allerdings wird dies hier von Xaver nur einseitig
wahrgenommen.
Aoyama
berichtet, dass im
16. Jahrhundert, die Japaner nicht so sehr die Kraft und die
Intelligenz
des Menschen hochschätzten, "sondern das zartsinnige Gefühl
der
Liebe und das Leiden um der Liebe willen. Die duldenden
Shintô-Gottheiten
[...] wurden vom Volk hoch verehrt. Nach dem Glauben des damaligen
Volkes
verdienten diese Gottheiten durch ihr Leiden bzw. durch ihren
leidvollen
Tod das Glück ihres Sohnes und wurden durch diesen Sohn wieder vom
Leiden befreit oder ins Leben zurückgebracht. In den
zeitgenösischen
Gemälden ist das Leiden bzw. der leidvolle Tod dieser Gottheiten
aus
tiefer Verehrung ihres Leidens sehr ausdrucksvoll und schmerzvoll
dargestellt." /37/ Kein Wunder also, dass die
einfachen Leute
während einer Straßenpredigt anfingen zu weinen, als es beim
Leben Christi um seine Passion ging, wie Xaver berichtet (Doc. 96, S.
406).
Über Xavers bottom-up-Methode schreibt Aoyama: "Xaver
predigte
häufig auch dem gewöhnlichen Volk vor dem Haupteingang des
Fukushôji-Klosters.
Vermutlich las er dabei bloß aus seinem Katechismus vor, den er
im
Winter 1549 bis 1550 mit seinem Dolmetscher Paul auf japanisch
verfaßt
hatte, und ließ Paul dem Volk das Gelesene erklären." /38/
AUSBLICK
Jenseits
seines
missionarischen
Selbstverständnisses und auch dessen seiner Zeit lag aber wohl der
Gedanke, nicht bloß mit Buddhisten zu disputieren, um sie zu
bekehren,
sondern etwa mit ihnen zu meditieren und sich einer anderen
kategorialen
Erfahrung des Göttlichen zu öffnen, ein Weg, den Spätere
in unterschiedlicher Weise gegangen sind. Ich denke dabei zum Beispiel
an Enomiya Lasalle, Teilhard de Chardin, David Steindl-Rast, Karl
Rahner,
Hans Küng oder – Pedro Arrupe /39/.
Xaver
selbst hat von Japan nicht nur viel gelernt, sondern er hat Freunde
gewonnen.
Er schreibt den europäischen Mitstreitern aus Cochin am 29. Januar
1552:
"Über
Japan
gibt es so viel zu schreiben, dass es kein Ende nehmen würde. Ich
fürchte, dass das, was ich geschrieben habe, Viele ärgern
wird,
weil es viel Lesen bedeutet. Ich tröste mich aber damit, dass
diejenigen,
die sich wegen des Lesens ärgern, sich diesen Ärger
entledigen
können, indem sie nicht mehr lesen. Womit ich Schluß mache,
ohne abschließen zu können, indem ich meinen geliebten
Patres
und Brüdern über so große Freunde schreibe, wie dies
die
Christen in Japan sind." (Doc. 96, S. 420)
Eine
von Br.
Almeida überlieferte
Episode zwischen Xaver und Ninshitsu besagt, dass Xaver ihn gefragt
hätte,
welche Zeit ihm als die bessere erscheine, die Jugend oder das Alter,
in
dem er bereits stehe:
"Nachdem
er ein
wenig nachgedacht hatte, gab er zu Antwort: die Jugend. Nach dem Grund
befragt, sagte er, dann sei der Körper noch frei von Krankheiten
und
Beschwerden, und man habe noch die Freiheit, ungehindert zu tun, was
man
begehre. Darauf erwiderte ihm der Pater: 'Wenn Ihr ein Schiff
sähet,
das vom Hafen ausgefahren ist und das notwendigerweise zu einem anderen
gelangen muß, wann könnten sich dann die Passagiere mehr
freuen,
wenn sie noch mitten im offenen Meer sind, den Winden, Wellen und
Stürmen
ausgesetzt, oder wenn sie sich schon dem Hafen nahe sehen und anfangen,
durch die Barre einzulaufen, um darin von den früheren
Schiffbrüchen
und Stürmen auszuruhen?' Darauf antwortete Ninjit: 'Pater, ich
verstehe
Euch sehr gut, ich weiß wohl, daß natürlicherweise der
Anblick des Hafens angenehmer und freudiger ist für jene, die in
ihn
einzulaufen haben. Da ich aber bis jetzt noch nicht im klaren bin und
mich
noch nicht entschlossen habe, welcher Hafen der bessere ist, so
weiß
ich nicht, wie und wo ich landen muß." /40/
Der
öfter in
Seenot geratene
Xaver wirft eine metaphysische Frage auf, die ein ebenfalls mit dem
Meer
und den Häfen vertrauter Japaner lebensweltlich beantwortet. Es
wäre
nämlich fatal, so scheint Ninshitsu anzudeuten, man würde
einen
fahrenden Kaufmann, die Vorstellung von einem idealen und
absolut
sicheren Hafen näher bringen wollen, während er in Wahrheit
die
Erfahrung macht, dass das Loslassen von dieser Idee, seine Existenz als
erfahrener weil fahrender und heute wohl auch surfender
Kaufmann erst möglich macht. Mit anderen Worten, er möchte
die
Güter und ihre Sicherheit nicht gegen das Leben, gegen Nichts
also,
umtauschen – auch im Alter nicht.
Welchen
Nutzen
haben diese
Erfahrungen und Überlegungen im Hinblick auf die Herausforderungen
des gegenwärtigen interkulturellen Dialogs vor allem auf der Basis
der digitalen Weltvernetzung? Diese ist weder ein böser Dämon
noch ein bloßes Werkzeug marktwirtschaftlicher
Zweckrationalität.
Sie öffnet die Möglichkeit einer Abschwächung der
massenmedialen
Herrschaftsstrukturen des 20. Jahrhunderts. Die Frage ist nur: Was
haben
wir uns zu sagen?
Eine
Theorie
der Botschaft
kann einen Beitrag zur Kritik heutiger techno-missionarischer
Ambitionen
leisten. Sie versteht sich dabei auch als Teil einer affirmativen
Medienphilosophie,
die ein vielfältiges Gelingen des Menschseins in einer
weltumspannenden
message-Kultur anvisiert. Eine Kernfrage dieser Kultur wird sicherlich
sein, inwiefern wir uns dem Wort des Anderen öffnen auch
und
gerade, wenn wir meinen, eine universale und/oder sogar heilige
Botschaft
zu besitzen.
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