1. PERSPEKTIVEN DER LEBENSWELT
Wieviel
Informationstechnik
verträgt der Mensch? Dazu kann man eine klare Antwort geben,
nämlich:
es kommt ganz darauf an!
Denn
weder ist der Mensch
so etwas wie ein Behälter, noch die Informationstechnik etwas wie
eine Flüssigkeit, die irgendwann überläuft, sondern der
Mensch ist, wie wir inzwischen wissen, die Meere und die Flüsse,
die
Wälder und die Wüste, die Tiere und die Pflanzen, die Berge
und
die Steppe. Er ist aber auch die Sorgen des Alltags und die Freude der
Geburt, die Meinungen der Vielen und das begründete Wissen, die
nützlichen
Erfindungen und die Verschwendung der Kunst, die Trauer des Todes und
der
Schrecken des Krieges, die Gesetze des Staates und die Visionen der
Religionen.
Wie
sind diese Sätze,
genauer: wie ist das 'ist', zu verstehen? Handelt es sich um eine
metaphorische
Rede? Oder dürfen - sollten? vielleicht sogar müssen - wir
sie
wörtlich nehmen? Die folgenden Ausführungen zeigen
umrißhaft
zwei Deutungen, nämlich eine technokratische und eine
lebensweltliche,
auf. Dabei wird das 'ist' im Sinne eines Verhältnisses verstanden.
Die technokratische Deutung geht von einem informationstechnisch
gestalteten
Verhältnis von Mensch und Welt aus. Die technische bzw.
funktionale
Trennung von 'Innen' und 'Außen', Subjekt und Außenwelt,
liefert
das Modell, wonach sich das Verhältnis zu richten hat. Das
Verhältnis
stellt sich als (Macht-)Problem, ausgehend von einer bipolaren
Trennung,
dar. Bei der lebensweltlichen Deutung ist das Verhältnis zwischen
Mensch und Welt ursprünglich, geht also der Trennung voraus.
Dadurch
eröffnet sich die Möglichkeit eines Übergangs von der
Technokratie
zur Lebenskunst, indem die Technik, bzw. in diesem Fall die
Informationstechnik,
als eine in umfassenderen Dimensionen menschlichen Existierens
eingebettet,
bedacht wird.
Wieviel
Informationstechnik
verträgt also der Mensch? Noch einmal: es kommt ganz darauf an!
Worauf
kommt es genau an? Auf die Welt, in der er lebt.
1.1
Die private Lebenswelt
Die
Welt, in der der
Mensch
lebt, ist seine Lebenswelt.
Damit
meine ich
zunächst
die Welt, die wir mit all dem Reichtum an subjektiven Färbungen
tagtäglich
und ganz persönlich erleben. Sie ist zwar immer meine Welt, aber
nicht
im Sinne einer solipsistisch also nur von mir allein erfahrenen Welt.
Denn
was ich erfahre und wie ich es
persönlich
erlebe,
ist
zugleich durch die mir nahe stehenden Menschen, sowie auch durch mir
räumlich
und zeitlich entfernte Mitmenschen bedingt. So ist also meine Welt
immer
schon die mit anderen miterlebte und miterlebbare Welt.
Sie
ist u.a. durch die
persönlichen
Charaktereigenschaften, durch die Geschlechtsbestimmung, durch die
Muttersprache,
durch die natürlichen Begabungen, durch die Pläne und
Zufälle
der eigenen Lebensgeschichte, durch den Prozeß des Reifens und
Alterns,
durch die wechselnden Stimmungen und Lebenseinstellungen bestimmt.
Wir
nennen diese uns
unmittelbar
betreffende Welt die private Lebenswelt.
1.2
Die öffentliche
Lebenswelt
Von
ihr hebt sich die öffentliche
Lebenswelt ab.
Sie
ist die Welt der
sozialen
Konventionen und Bräuche, des wirtschaftlichen und politischen
Handelns.
Sowenig aber wie die private Lebenswelt eine solipsistisch erfahrene
Welt
ist, sowenig ist die öffentliche Lebenswelt eine objektive, von
allen
individuellen Färbungen bereinigte Welt. Dennoch bilden die
Ausformungen
der nur teilweise koordinierten und koordinierbaren Handlungen der
Vielen
eine Dimension, in der sich die lebensweltliche Sicht des Einzelnen
ebenfalls
nur teilweise wiederfindet.
Man
kann deshalb sagen,
daß
zwischen der privaten und der öffentlichen Lebenswelt eine gewisse
Spannung herrscht und daß die Aufhebung der einen oder anderen
Sicht
- oder daß die Aufhebung der einen Sicht in der anderen - zu den
bekannten gefährlichen Entwicklungen, sowohl für den
Einzelnen
als auch für die Gemeinschaft führt.
Obwohl
wir gemeinhin dazu
neigen, die private Lebenswelt als die ursprüngliche Welt
anzusetzen,
zeigt bereits das Wort 'privat' auf ihren abgeleiteten Charakter hin.
Wir
sind zunächst in einem gemeinsam mitgeteilten Bereich des
öffentlichen
Lebens und können uns deshalb 'ins Private' zurückziehen.
Dieser
Rückzug kann zwar als Flucht bis hin zur neurotischen
Selbstisolierung
erlitten werden; er kann aber auch als eine Möglichkeit zur
Erhaltung
und Entfaltung der eigenen Sicht der Dinge, aus der erst ein echtes
Spannungsverhältnis
zum normativen öffentlichen Bereich entstehen kann, vollzogen
werden.
1.3 Die
wissenschaftlich-technische
Lebenswelt
Wir
kennen aber auch noch
eine weitere auf unser Leben bezogene Bedeutung von Welt, die sich von
den bereits genannten unterscheidet, nämlich die Welt, so wie sie
uns die Wissenschaft vermittelt.
Es
handelt sich dabei um
einen in Jahrhunderte langer Entwicklung vollzogenen Privationsprozeß.
Ich setze Privationsprozeß in Anführungszeichen, da, im
Gegensatz
zur privaten Sicht, die Welt jetzt so erfahren wird, als ob (!) jene
individuellen
und sozialen Dimensionen eine zwar nicht völlig
ausschließbare,
aber für die Zwecke der Wissenschaft doch marginale Rolle
spielten.
Wie
wir wissen, übt
gerade diese wissenschaftliche Lebenswelt einen kaum zu
überschätzenden
Einfluß auf die öffentliche sowie auf die private Lebenswelt
aus. Dieser Einfluß ist darin begründet, daß die
Wissenschaft
nicht die Welt an sich, sondern die uns kausal verstehbare Welt vor
Augen
führt. Je mehr sie uns aber die Phänomene in ihren
tatsächlichen
oder möglichen Wechselwirkungen erschließt, um so mehr
gestattet
sie uns auch einen aktiven, technischen Eingriff auf sie. Gerade der
aktiv-tech- nische
Charakter der modernen Wissenschaft ist nicht etwas Marginales, sondern
zeichnet sie, im Unterschied zur mittelalterlichen 'ars' und zur
antiken
'techné', aus.
Dieser
aktiv-technische
Charakter
gewinnt in der neuzeitlichen Wissenschaft die Oberhand und wird zur
Methode
des Wissens selbst. Wenn wir in diesem Zusammenhang die Frage: Was ist
Informationstechnik? stellen, dann erhalten wir die Antwort: Sie ist
der
wesentliche Charakterzug der modernen Wissenschaft. Denn die
Informationstechnik
erlaubt einen treffsicheren Eingriff auf die Phänomene, indem sie
sie primär im Dienste dieses Eingriffs methodisch
erschließt.
Die wissenschaftliche Welt ist heute informationstechnisch bestimmt
[27].
Damit steht sie in einem unlösbaren Zusammenhang mit der privaten
und öffentlichen Lebenswelt, da die Eingriffe stets
gemäß
dem Anspruch auf Zweckmäßigkeit erfolgen. Und umgekehrt:
sowohl
die private als auch die öffentliche Lebenswelt werden immer mehr
informationstechnisch gestaltet. Wir nehmen Abschied von der
Gutenberg-Galaxis
[1,5].
1.4
Informationstechnik
in der Lebenswelt: Überhöhung, Bagatellisierung oder
Ablehnung?
Hier
liegt die eigentliche
Herausforderung, die sich hinter dem Titel 'Informatik: Von der
Technokratie
zur Lebenskunst' verbirgt. Denn auch wenn diese drei Sichtweisen nicht
aufeinander reduzierbar sind, bergen sie die Möglichkeit, sich
absolut
zu setzen oder zum bloßen Diener der jeweils anderen zu
werden.
Im
Falle der
Informationstechnik
bedeutet diese Alternative, entweder sie zur alles bestimmenden Macht
zu
erheben oder sie zu einem bloßen Instrument zu bagatellisieren.
Es
ist dann die Rede von der Ambivalenz dieser oder der Technik.
Demgegenüber
bleibt der Fluchtweg in eine vermeintlich heile Welt. Dieser
scheinbare
Ausweg wird nicht selten im Namen dessen geführt, was sich in
allen
drei Formen der von uns konstituierten Welt entzieht, nämlich der
Natur.
Denn
weder die private
noch
die öffentliche noch die wissenschaftlich-technische Lebenswelt
stellen
uns vor eine Natur an sich, sondern diese entzieht sich auch und gerade
dann, wenn wir glauben, sie naturwissenschaftlich-technisch 'im Griff'
zu haben. Was wir 'im Griff' haben, ist gerade nicht Natur, sondern
ihre
Erscheinung vor dem Hintergrund unserer in sie hineinprojizierten
Handlungsentwürfe,
wozu auch unsere Denkentwürfe gehören [22]. Es sind diese
Handlungsentwürfe,
die wir auch informationstechnisch programmieren können. Ein
Computerprogramm
stellt ein technisch-fixierter Handlungsentwurf innerhalb der
menschlich
konstituierten Welt, der Lebenswelt also, dar.
Wenn
aber keine romantische
Alternative zur Ambivalenz der Technik offen bleibt - da die Natur uns
nicht an sich, sondern stets durch die Mediatisierung der Lebenswelt
zugänglich
ist - und wir aber weder in die Überhöhung noch in die
Bagatellisierung
der Technik verfallen wollen, was bleibt uns noch für eine
Einstellung
übrig? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir
zunächst
auf das durch die Informationstechnik geprägte Menschenbild
eingehen.
2. DIE DEMASKIERUNG
DES INFORMATIONSTECHNISCHEN
ANTHROPOZENTRISMUS
Wie
sehr die
Informationstechnik
nicht bloß ein Instrument, sondern eine uns prägende Macht
ist,
zeigt eine weit verbreitete Vorstellung, nämlich die, daß
der
Mensch nichts anderes sei als eine bestimmte Art der Gattung Informationsverarbeitende
Systeme. Diese Vorstellung, die ich als eine anthropozentrische und
technokratische bezeichne, wird in vielen Varianten innerhalb der
Informatik
und der Kognitionswissenschaft vertreten [17]. Sie übt aber auch
einen
großen Einfluß auf die Humanwissenschaften aus und dringt
immer
mehr ins allgemeine Bewußtsein ein.
Inwiefern
ist diese
Vorstellung
anthropozentrisch und technokratisch? Und
inwiefern ist
anthropozentrisch
im Sinne von androzentrisch, also von Herrschaft des Mannes, zu
verstehen? Ich werde auf diese zweite Frage jetzt nicht eingehen.
Vielleicht
eröffnet die Kritik des Androzentrismus einen anderen Weg zur
Infragestellung
des Anthropozentrismus, indem sie z.B. das metaphysische Prinzip der
Einheit
unterminiert und dem Menschen vor dem Rätsel der weder durch Natur
noch durch Kultur 'fest-stellbaren' Bestimmung seines Wollens stellt.
Inwiefern
ist also das
informationsverarbeitende
Modell des Menschen anthropozentrisch und technokratisch? Geht es dabei
gerade nicht um die Infragestellung des vermeintlichen geistigen
Primats
des Menschen, also um seine Entheiligung und vielleicht sogar
Entwürdigung?
Denn der Mensch soll ja bloß eine halbwegs funktionierende
Maschine
sein, deren sogenannten geistigen Eigenschaften, wie der
Funktionalismus
lehrt, auf einer dauerhafteren Hardware sich ebenfalls implementieren,
ja unter Umständen übertreffen ließen.
Während
die
Evolutionstheorie
die menschliche Seele naturalisierte, geht jetzt die
Informationstechnik
einen Schritt weiter und räumt mit einem diffus verbliebenen
Vitalismus
auf. Aber damit nicht genug. Die Zeit soll nicht mehr fern sein, in der
die von uns geschaffenen intelligenten Wesen uns übertreffen und
überflüssig
machen werden. So die technischen Visionen des KI-Forschers Moravec
[16].
Von Anthropozentrismus scheint also keine Rede sein zu können,
wohl
aber von einer (übermenschlichen) Technokratie.
Ich
meine zunächst
folgendes:
Hinter der Vorstellung von höheren Intelligenzen oder einer von
uns
geschaffenen und uns übertreffenden künstlichen Intelligenz,
die aus Träumen (und Traumata) des Menschen erwächst,
verbirgt
sich der Wunsch nach einer Versicherung seines technischen Wissens und
Könnens. Diese scheinbar uns übersteigende und dezentrierende
technokratische Vorstellung ist in Wahrheit eine anthropozentrische
Maske.
Sie ist jener metaphysischen Gottesvorstellung vergleichbar, in der der
Mensch ein unerschütterliches Fundament für sein Denken und
Handeln
suchte [5, 6].
Aber
auch wenn man diese
Visionen als Träumereien abtut und auf dem harten Boden der
Wirtschaftsinteressen
und der politischen Herrschaft bleiben will, bedeutet die Idee vom
Menschen
als ein informationsverarbeitendes System eine gerade zutiefst
anthropozen- trische
Idee und zwar nicht bloß in einem erkenntnistheoretischen,
sondern
auch in einem auf Herrschaft hin orientierten praktisch-politischen
Sinne.
2.1
Der Mensch als
informationsverarbeitendes
System: eine erkenntnistheoretische Maske des Anthropozentrismus
Im
erkenntnistheoretischen
Sinne ist diese Vorstellung durch und durch anthropozentrisch. Sie ist
auf dem Boden des modernen Subjektivismus und Rationalismus entstanden
und übernimmt, meistens unreflektiert, die Prämissen dieser
Denkrichtungen.
Während
aber die
Moderne
zwischen einer "denkenden" und einer "ausgedehnten" Substanz
(Descartes)
unterschied, behaupten die starken Funktionalisten, daß alle
mentalen
Prozesse sich nicht nur auf biologische, sondern letztlich auf
physikalische
Verarbeitungsprozesse reduzieren lassen. Zwischen Computerisierung und
Erkenntnis besteht also nicht bloß eine Analogie, sondern eine
Isomorphie.
In den Worten des MIT-Forschers Pylyshyn: "cognition is computation"
[19].
Menschen und Computer gehören zum Genus der 'erkennenden Dinge'
("cognizers").
Demgegen- über behaupten die schwachen Funktionalisten, daß
Bewußtsein
von seinen biologischen Bedingungen nicht abtrennbar ist und das die im
Computer simulierten Kognitionsprozesse Simulationen bleiben [23]. Die
starken Funktionalisten bewegen sich zwischen zwei Positionen,
nämlich
Programmierern und Konnektionisten. Die Programmierer behaupten,
daß
Erkenntnis durch gezielte symbolische Modellierung des Systems erzeugt
werden kann, während für die Konnektionisten dies durch
nicht-biologische
neuronal-ähnliche Netzwerke zu erreichen wäre. In diesem Fall
könnte man, in Übereinstimmung mit den Konstruktivisten, von
"autopoietischen Maschinen" (Maturana/Varela) sprechen [15].
Ohne
jetzt auf die
einzelnen
Prämissen und Schlußfolgerungen, die sich aus diesen
Positionen
ergeben, einzugehen, möchte ich auf die Bedeutung, die man in
allen
Fällen dem Begriff der 'mentalen Repräsentationen' ('mental
representations')
beimißt, hinweisen. Man geht von der Vorstellung eines als
Epiphänomen
des Gehirns aufgefaßten eingekapselten Bewußtseins aus, das
die real existierende Außenwelt wiedergibt, sich also eine
Vorstellung
von einer Vorstellung ("rerepresentation") macht [24]. Wie kann man
sich
aber den Bedeutungsgehalt solcher "Rerepräsentationen"
erklären?
Man fragt sich z.B. ob es eine von der natürlichen Sprache
unabhängigen
und angeborenen Gehirnsprache gibt [11]. Der Grundgedanke bleibt aber,
daß es eine Trennung zwischen dem Gehirn, als
informationsverarbeitende
Maschine, und der Außenwelt gibt, und daß die in ihr
vorkommenden
Objekte im Gehirn re-präsentiert werden [7].
Dieser
Grundgedanke geht,
erstens, von einer naiv-realistischen Weltvorstellung aus, d.h. er
berücksichtigt
weder die konstituierende und aktive Funktion der Erkenntnis, noch die
sozialen und geschichtlichen Dimensionen bei der Gestaltung der
Lebenswelt.
Zweitens
gerät das
repräsentationistische
Modell in das Dilemma aller also sowohl der idealistischen als auch der
materialistischen Abbildmodelle der Erkenntnis, nämlich die
ständige
Verdoppelung der in der Welt vorkommenden Dinge und die damit
zusammenhängende
Homunculus-Frage. Letztere besagt, daß die Abbilder für
jemanden
da sein müssen und eines Interpreten bedürfen, der sie
wiederum
abbilden muß, usw. (unendlicher Regreß).
Die
Konstruktivisten
entgehen
diesem Dilemma, indem sie die Welt für eine Konstruktion des
Subjekts
auffassen. In diesem Fall aber bildet sich der Organismus eine
geschlossene
Welt. Erkenntnistheoretisch führt dieser Weg, zumindest in seiner
radikalen Version, in den Solipsismus, ontologisch in den
Phänomenalismus
und praktisch in den utilitaristischen Egoismus.
Am
informationsverarbeitenden
Modell orientiert, koppelt sich der Mensch erkennntistheoretisch von
der
Lebenswelt ab. Das Modell wird zur erkenntnistheoretischen Maske des
Anthropozentrismus
2.2 Der
Mensch als informationsverarbeitendes
System: eine technokratische praktisch-politische Maske des
Anthropozentrismus
In
einem
praktisch-politischen
Sinne ist die Vorstellung vom Menschen als informationsverarbeitendes
System
eine technokratische Maske. Denn statt wie bisher die kognitive
Dimension,
also das Problem der Informationsverarbeitung, in den
Vordergrund
zu stellen, wird jetzt der Mensch als informationsverarbeitendes
System betrachtet. Man könnte erneut argumentieren, daß
gerade
dadurch andere Maschinen als eben der Mensch seine Arbeit verrichten
können,
wodurch er also als arbeitendes Wesen ('homo laborans') aus der Mitte
vertrieben
wird. Diese Vorstellung führt aber dann zu zwei möglichen
Konsequenzen,
die den Menschen wiederum im Mittelpunkt belassen, und die
praktisch-politisch
Lebenswelt technokratisch umformen.
Zum
einen ist die
Rede von der Entlastung des Menschen, die diesem dann in Form von
Freizeit
zugute kommen soll. Inzwischen hat die Praxis gezeigt, daß durch
die Informationstechnik zwar manche Entlastung erfolgt, z.B. bei sich
wiederholenden
Aufgaben oder bei Kontrolltätigkeiten, zugleich kommen aber ganz
neue
psychische und physische Belastungen auf den arbeitenden Menschen zu.
Denn
auch wenn die Maschine einen Teil der Arbeit verrichtet und die
zentrale
Stellung im Arbeitsprozeß übernimmt, versteht sich der
Mensch
gerade durch sie als ein informationsverarbeitendes Wesen. Das
informationsverarbeitende
Modell ist die Maske für dieses Menschenbild.
Zum
anderen, macht
gerade die Mechanisierung der geistigen Arbeit nur scheinbar den
Menschen
die Position als Mittelpukt streitig. Denn er bleibt in diesem
Selbstverständnis
die bestimmende aber am Maschinenmodell orientierte und somit von der
Lebenswelt
abgekoppelte Instanz. Die Kehrseite dieses weltlosen Anthropozentrismus
ist einerseits der Mensch als Opfer des informationstechnischen
Einsatzes.
Am Rande gedrängt, wird er alles dafür einsetzen, um in die
weltlose
Mitte zu gelangen. Andererseits meldet sich, die als Arbeitsmaterial
degradierte
Welt in einem uns stets übersteigenden 'chaotischen' Maß an
Komplexität.
Wir
sehen also, daß
das informationsverarbeitende Modell des Menschen mit der Hypothek des
von der Lebenswelt abgekoppelten Anthro- pozentrismus behaftet ist.
Natürlich
könnte man einwenden, daß der Anthropozentrismus selbst eine
durchaus annehmbare Position ist, zumindest aus menschlicher Sicht!
Ferner,
daß der mit der Aufklärung einsetzende und den
metaphysischen
Theozentrismus ablösende Anthro- pozentrismus einen Fortschritt
auf
dem Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit bedeutet.
Demgegenüber
steht aber das unübersehbare katastrophale Vermächtnis des
sich
als Herrscher von Natur und Geschichte wähnenden Menschen. Der
Anthropozentrismus
tritt zwar meistens mit einem allgemeinmenschlichen Anspruch auf, in
Wahrheit
aber sind es immer konkrete Mächte, die die Mitte für sich
beanspruchen
und die Welt als etwas ihnen Gegenüberstehendes, als Außenwelt
also, auffassen. Diese Außenwelt nennt man praktisch-politisch
eine
Kolonie. Schließlich wird auch die gesamte Natur zum Gegenstand
kolonial-anthropozentrischer
Ausbeutung.
So
stellt sich also die
Frage,
ob die theoretisch und praktisch als Maske des technokratischen
Anthropozentrismus
dienende Informationstechnik vor einer anderen Auffassung des Menschen
und seines Weltbezugs gestellt werden kann. Damit meine ich aber nicht,
daß das informationsverarbeitende Modell nutzlos oder falsch ist.
Es geht mir stattdessen darum, durch Einblendung anderer Dimensionen
menschlichen
Existierens, jenes Model in seinem Gültigkeitsbereich
einzuschränken.
3. TECHNIK ALS
LEBENSFORM
Ich
schlage vor, daß
wir die Vorstellung einer in seinem Gehirn eingekapselten
Subjektivität,
die die Gegenstände der Außenwelt abbildet oder sie
verarbeitet,
sozusagen sprengen [7]. Diese Sprengung läßt sich formelhaft
wie folgt ausdrücken: 'Nicht die Welt ist im Menschen, sondern der
Mensch ist in der Welt'. Der Mensch, mit Haut und Haaren, mit
Leib und Seele, vor allem aber mit all dem Reichtum seiner offenen
und meistens rätselhaft bleibenden Weltverhältnisse, die sein
Sein ausmachen. Das Mensch-sein also, nicht bloß das Gehirn!
Um
den Menschen zu desanthropozentrieren,
d.h. um die technokratische Trennung zwischen einer subjektiven Innen-
und einer objektiven Außenwelt aufzuheben, können wir,
ausgehend
von dieser auf Heideggers Daseinsanalyse hinweisende Formel, die
spezifischen
Charaktere menschlichen Existierens in ihrem Bezug zum methodischen
Selbst- verständnis
der Informatik thematisieren. Wir brauchen eine daseinsanalytische
Fundierung
der Informatik, so wie sie z.B. Medard Boss für die Psychologie
entwickelt
hat [2]. Erste Ansätze zu einer solchen vom weltlosen
technokratischen
Subjekt sich auf den Zusammenhang zwischen Mensch und Welt
'umkehrenden'
Sicht haben T. Winograd und F. Flores vorgelegt [29]. Zu einer solchen Umkehr
in der Informatik mahnen uns seit Jahren, und
heute auch
im Rahmen dieser Tagung, Christiane Floyd und Joseph Weizenbaum.
Entscheidend
scheint mir dabei ihre Mahnungen nicht im Sinne eines
einschränkenden,
sondern eines erweiterten Blickes zu verstehen. Eine Erweiterung,
woraufhin?
Auf die Verhältnisse in der der Mensch lebt, die er also ist,
auf die ursprüngliche Verschränkung von Mensch und Welt also.
Weizenbaum nannte diese Erweiterung des Blickes "kritisches Denken".
Wer
hätte daran
gedacht,
daß ein solches kritisches Denken von einem der Hauptvertreter
des
Funktionalismus - also derjenigen Theorie, welche von der Trennung
zwischen
unserem materiellen Substrat und den 'geistigen' Funktionen, ausgeht -
vorexerziert wird?
Kein
geringer als H.
Putnam
hat neuerdings die technokratische Trennung zwischen einer objektiven
Außenwelt
und unseren mentalen Repräsentationen in Frage gestellt. Sein
Argument
lautet:
"Nehmen
wir an,
ich führe jemanden in ein Zimmer, in dem sich ein Stuhl und ein
Tisch
und eine Lampe, Notizbuch und Kugelschreiber befinden. Nun frage ich:
"Wie
viele Gegenstände befinden sich in diesem Zimmer?" Darauf erwidert
mein Begleiter, wie ich annehmen möchte:
"Fünf."
Ich frage weiter:
"Welches sind das?" "Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe, ein Notizbuch
und
ein Kugelschreiber." "Wie steht es mit dir und mir? Sind wir nicht auch
in diesem Zimmer?" Da kichert mein Begleiter womöglich und sagt:
"Ich
wußte nicht, daß ich nach deiner Ansicht auch die Personen
zu den Gegenständen rechnen sollte. Also gut, dann sind es also
sieben."
"Wie steht es mit den Seiten des Notizbuchs?"
Nun wird
mein Begleiter
wahrscheinlich weit weniger hilfsbereit und meint, ich wollte ihn auf
den
Arm nehmen. Aber wie lautet eigentlich die Antwort auf meine Frage?"
[18,
194-195].
Auf den
logischen Einwand -
man denke an Quine -, es gebe einerseits einen normalen
Gegenstandsbegriff,
wonach die Seiten des Notizbuchs, solange sie fest eingeheftet sind,
nicht
als Gegenstände zählen, und einen logischen
Gegenstandsbegriff
andererseits, wonach als Gegenstand der Wert der Variable einer
Quantifikation
(also alles, was wir mit einem Pronomen beziehen können) gilt,
z.B.
alle Seiten des Notizbuchs oder meine Nase, antwortet Putnam: Wie steht
es mit (Gruppen von) Elementarteilchen? Sind sie etwa ein
Gegenstand?
Mit
anderen Worten, das
Argument
zeigt, daß die Trennungslinien zwischen einer Außen- und
einer
Innenwelt, sich nicht klar ziehen lassen. Die 'intelligente' Antwort
auf
die Frage: "Wie viele Gegenstände befinden sich in diesem Zimmer?"
lautet: "Was verstehen Sie unter 'Gegenstand'?". Sie ist also eine
hermeneutische
Antwort. Die sich hieraus ableitende Begriffsrelativität ist die
Kehrseite
der Einsicht in die ursprüngliche Einbettung des Menschen in der
Welt.
Die technokratische Trennung verschließt die, wie Putnam sagt,
"Porosität"
des Gegenstandsbegriffs, des Bezugsbegriffs und des Bedeutungsbegriffs.
Sie verschließt also die Offenheit menschlichen Existierens,
indem
sie von einem technischen Subjekt ausgehend, die 'reale
Außenwelt'
lediglich zu re-präsentieren versucht. Mit anderen Worten, wir
sind
alle nicht ganz dicht!
Der
sog. radikale
Konstruktivismus
ist die umgekehrte Variante des technokratischen Modells. Denn anstelle
der Außenwelt tritt jetzt eine erkenntnistheoretische
Konstruktion
ein, deren Fundament und Mittelpunkt der Konstrukteur ist. Wir tauschen
die Robotik gegen die Phantastik aus.
Wir
können sie aber
erst in ihrem eingeschränkten Gültigkeitsbereich begreifen,
wenn
wir uns auf die Welt hin umkehren. Unter Lebenskunst verstehe ich
gerade
den Vollzug dieser Umkehrung, wodurch die Technik, sich in ein offenes
Ganzes periphärisch einfügt. Eine solche Technik auf Widerruf
ist also, wie das Leben selbst, vorläufig. Sie ist eine
Lebenstechnik.
3.1
Eine Parallele:
falsifizierbare
Wissenschaft und 'schwache' Technik
Eine
Parallele bietet sich
an, nämlich die Vorstellung, die Wissenschaft würde uns
Sicherheit
in unserer Erkenntnis gewähren. Ein genaues Hinschauen durch die
Wissenschaftstheorie
hat aber gezeigt, daß eine nach Letztbegründung suchende
Wissenschaft
eine Chimäre ist. Wissenschaftliche Erkenntnis zeichnet sich durch
ihre Vorläufigkeit aus.
So
wie wir in der
Wissenschaft
vergeblich nach einer Letztbegründung suchen, so suchen wir auch
in
der Technik vergeblich nach einer totalen Sicherheit. Denn wir sind,
nicht
nur in bezug auf unser Wissen, sondern auch auf unser Können einem
Bereich offener Möglichkeiten ausgesetzt, die wir weder durch
nachträgliche
(kausale) Erklärungen noch durch technische Sicherheitssysteme
vollständig
aufklären bzw. beherrschen können.
Hier
wäre der Ort um
das Verhältnis zwischen Technik und Geburt, Technik und Tod,
Technik
und Sprache, zu erörtern. Unter Technokratie verstehe ich die
Verdrängung
dieser sowie anderer Dimensionen menschlichen Existierens. In
Anschluß
an Freud könnten wir hier von einem Prometheuskomplex
sprechen.
Dieser 'Komplex' wäre der Versuch (die Versuchung) uns der Welt,
in
all ihren 'unfaßbaren' Dimensionen, zu verschließen, nicht
zuletzt durch die technokratische Vorstellung einer Technik, die stets
von uns einen größeren Bedarf an Sicherheitsmaßnahmen
verlangt, damit sie uns nicht zum tödlichen Verhängnis wird.
Die Rede von einem 'Restrisiko' ist dann nichts anderes als blanker
Zynismus.
Das Gegenteil davon ist nicht eine waghalsige Technik, sondern eine
Technik,
die auf das Leben, d.h. auf all diejenigen offenen
Weltverhältnisse,
die wir sind, positiv orientiert ist.
Die
Suche nach einer vom
menschlichen Versagen unabhängigen Sicherheit, ist so
fragwürdig
wie die Suche nach einer endgültigen Verifizierung im Falle
wissenschaftlicher
Theorien. Das Gelingen menschlichen Lebens besteht gerade in diesem
'Ver-Sagen',
d.h. im Versuchen, die Grenzen des Sagbaren zu überschreiten und
dabei
stets zu scheitern. Man denke in diesen Zusammenhang an Kants Kritik
der
metaphysischen Überschreitungen, die auch nach der "Kritik" in
unserer
"Natur" verankert bleiben, an Wittgensteins Vortrag über Ethik
sowie
an Freuds Kategorien der "Versagung" und "Urverdrängung". In einer
etwas barocken Formulierung könnten man sagen, daß uns das
Versagen
erst gelingt, denn darum geht es ja, so paradox es auch zunächst
klingen
mag, wenn wir aus der Erfahrung des 'Ver-Sagens' das 'Vers-Sagen'
lernen.
Denn, was ist Dichtung, wenn nicht die Erfahrung, die wir machen, wenn
wir uns von der Sprache in Anspruch nehmen lassen, indem wir
verzichten,
sie als ein Werkzeug zu behandeln. In einer solchen Erfahrung von
Heteronomie
geben wir uns selbst keineswegs auf, sondern wir sind erst als die
Dezentrierten
die Herausgeforderten, die unseren Verhältnissen einer Antwort
schuldig
bleiben.
Wie
hängt aber dieses
'Ver-Sagen' mit der Technik zusammen?
Gute
Technik ist jene
Technik,
so könnten wir die falsifikationistische These umformulieren, die
nicht nach den Verifikationen eines utopischen Sicherheitsideals sucht,
sondern sich zu den stets unserem Zugriff versagenden Dimensionen
unseres
endlichen Existierens offen (ver-)hält. Als eine dieser
Dimensionen
ist die Sprache dadurch ausgezeichnet, daß wir 'in' ihr und
'durch'
sie jene Spannung zwischen unserem offenen weltmäßigen Woher
und Wohin so artikulieren können, daß wir den Versuchungen,
sie zu schließen, indem wir sie 'fest-schreiben', Widerstand
leisten.
Mit anderen Worten, erst wenn wir unsere vermeintliche Stärke
gegenüber
der Sprache aufgeben, können wir von ihrer Schwäche
'profitieren',
d.h. mehr herausholen, als was wir uns gedacht haben.
Ich
nenne eine Technik,
die
sich, stellvertretend für andere nicht beherrschbaren Dimensionen
menschlichen Existierens, am Modell der dichterischen bzw.
ästhetischen
Erfahrung von Sprache orientiert, 'schwache Technik'. Dieser Ausdruck
ist
auch eine Entsprechung des vom italienischen Philosophen Gianni Vattimo
geprägten "schwachen Denkens" ("pensiero debole") [25].
Eine
schwache Technik ist
eine Technik, die nicht aus der Flucht bzw. der Verdrängung der
Grundlosigkeit
und Endlichkeit menschlichen Existierens entsteht. Der starken Technik
im Sinne einer solchen Flucht, entsprechen z.B. der religiöse,
politische
und ideologische Fundamentalismus. Starke Technik ist
fundamentalistische
Technik. Demgegenüber bedarf die schwache Technik sowenig eines
absoluten
Herrschers, wie die Wissenschaft einer dogmatischen Sicherheit. Eine
starke
Technik ist jene, die wir als Maske unserer technokratischen
weltflüchtigen
Wünsche benutzen, die uns scheinbar herausfordert, indem wir durch
sie maßlose Ansprüche an uns selbst stellen. In dieser
Maßlosigkeit
verschleiern wir uns selbst jene offene Ganzheit, aus der heraus wir
unser
Leben, in einem freien Spiel, 'ver-sagen'.
Unter
'schwache Technik'
verstehe ich aber nicht bloß eine die 'starke Technik' und ihre
katastrophale
Auswirkungen beschränkende Technik, sondern eine im positiven
Sinne
sich auf das Gelingen unserer Weltverhältnisse orientierende
Technik,
eine "Lebenstechnik" (W. Schirmacher) also. Denn eine die Welt
verwüstende
starke Technik zeigt uns, wie auf einem Negativ, das Bild einer anderen
möglichen Technik. Darüber können wir aber nicht nur wie
von einer technologia negativa sprechen. Die Kunst ist uns ein
Modell,
wie uns eine Technik in einem freien und grundlosen also sich stets
'ver-sagenden'
Tun gelingt. Damit ist die instrumentelle Dimension der starken Technik
nicht ästhetisch abgeschafft, sondern in ihrem Bereich
eingeschränkt
bzw. 'geschwächt'.
Damit
soll auch angedeutet
werden, daß eine Kritik der starken Technik zugleich eine
ästhetische
Verwandlung des Instrumentellen (und der instrumentellen Vernunft)
bedeutet,
indem das Instrumentelle nicht von der anthropozentrischen Herrschaft
aus,
sondern von der Entsprechung zu unseren Verhältnissen her gedacht
wird. Die Bedeutung des Design in der industriellen Produktion, die
Popularität
von Ausstellungen und Vernissagen, und nicht zuletzt auch die
"Ästhetik
des Immateriellen" (J.-F. Lyotard), d.h. die mediale Gestaltung unseres
Lebens, zeigen, auch in ihren Verzerrungen und Mißbildungen,
daß
wir in der Technik nach einem Überschuß suchen, dem zu
entsprechen,
soweit wir wissen, unsere Auszeichnung ist. So gesehen ist dann
Technik,
zu deren Kern heute die Informatik gehört, Lebenstechnik.
3.2
Jenseits von
Technozentrismus
und Technikfeindlichkeit: Der Mensch als Lebenskünstler
Die
Kehrseite des
Technozentrismus
im Sinne einer starken Technik, ist die Technikfeindlichkeit. In der
Gegenüberstellung
Technik vs. Natur schlägt sich der Mensch auf die Seite der Natur
und verneint die offenen Formungsmöglichkeiten seines Lebens.
Menschliche
Lebensformen sind aber stets künstlich oder 'technisch' im
griechischen
Sinne des Wortes. So aufgefaßt ist die Technik nicht etwas, was
uns
gegenüber steht oder uns sogar fremd ist, sondern wir sind
wesensmäßig
Lebenstechniker [18].
Damit
meine ich nicht
primär
Produzenten von technischen Geräten, sondern wir sind Techniker in
dem Sinne, daß wir uns stets entwerfen und unser Leben, sowohl
individuell
als auch sozial, auf Möglichkeiten hin offen halten. Wir sind
Techniker,
weil wir diejenigen sind, die in diesen Möglichkeiten erst
ausgebildet
werden müssen. In einem uns technisch gelingenden Leben erfahren
wir
die Technik aus der freien Sicht der Kunst und wir erfahren uns selbst
als Lebenskünstler.
An
dieser Stelle sollte
ein
Diskurs über Lebenskunst ansetzen, wie ihn M. Foucault und W.
Schirmacher
entwickeln, um aus der Auseinandersetzung zwischen den
gegenwärtigen
technokratischen Ausformungen der Informationstechnologien und den
"Technologien
des Selbst" (man denke an die 'einfachen' Künste des Atmens und
Lachens,
der Freundschaft und des Schweigens, allen voran aber an die 'ars
moriendi')
eine Verwandlung jener Informationstechnologien sowie der starken
Technik
überhaupt, vorzubereiten [9, 20]. Denn wir würden vergeblich
danach fragen, wie denn die Produkte einer schwachen Technik aussehen
sollen,
wenn wir nicht zuvor unsere Einstellung zur Welt und somit zu uns
selbst
verändern. Erst wenn wir uns in unserem versagenden Handeln in
Frage
stellen lassen (und die Beispiele unseres nicht gelingenden
bzw.
zerstörerischen Versagens sind überall unübersehbar),
können
wir versuchen aus diesem Versagen zu lernen, und eine andere
'ver-sagende'
Technik zu entwickeln.
Die
Rückkopplung der
Informationstechnik an die Lebenswelt bedeutet z.B. daß wir sie
rhetorisch,
aus dem Bereich des öffentlichen Lebens heraus zu gestalten
verstehen
[31]. Information ist, rhetorisch gesehen, ein auf die Zukunft hin
bezogener
Diskurs. Er gehört in diesem Sinne zu den beratenden und
belehrenden
"Sprachspielen" [30]. Außer diesen Sprach- spielen kennen wir, so
die
klassische Aristotelische Einteilung, auch die Redeweisen des auf
Gerechtigkeit
sowie alle Formen der auf Genuß und Gefallen orientierten
Diskurse
[8]. Mit anderen Worten, informations- technische
Handlungsentwürfe
enthalten ethische und ästhetische Dimensionen und müssen
sich
auch in ihren unterschiedlichen Möglichkeiten nach diesen
Dimensionen
messen lassen [27]. Die sogenannten Benutzerschnittstellen sind nicht
die
Grenze des Systems zur 'Außenwelt', sondern sie sind Teil des
praktisch-politischen
Diskurses.
Ob es
uns gelingt, in
unseren
persönlichen, öffentlichen und wissenschaftlichen
Lebensentwürfen
die Kunst des Lebens mit den informations- technischen
Möglichkeiten
in unterschiedlicher Weise so in Einklang zu bringen, daß die
Differenz
der Lebensformen gewahr bleibt, hängt nicht zuletzt von folgender
Einsicht ab:
Wir
sind einem Bereich
offener
Handlungsmöglichkeiten überantwortet und wir vermögen
uns
in ihm, nicht also er in uns, immer nur versuchsweise zu gestalten.
Wenn
wir bloß Lebenstechniker und nicht zugleich Lebenskünstler
werden,
dann ist unsere technische Lebensform nur eine anthropozentrische
Megamaske,
ein Zerrbild unseres In-der-Welt-seins.
Vor
diesem Hintergrund können
wir die anfangs gestellte Frage und die dazugehörige Antwort
'wieder-holen',
d.h. aufgrund des gewonnenen Vorverständnisses erneut bedenken.
Wieviel
Informationstechnik verträgt der Mensch? Dazu kann man eine klare
Antwort geben, nämlich: es kommt ganz darauf an! Denn weder ist
der
Mensch so etwas wie ein Behälter, noch die Informationstechnik
etwas
wie eine Flüssigkeit, die irgendwann überläuft, sondern
der Mensch ist, wie wir inzwischen Wissen, die Meere und die
Flüsse,
die Wälder und die Wüste, die Tiere und die Pflanzen, die
Berge
und die Steppe. Er ist aber auch die Sorgen des Alltags und die Freude
der Geburt, die Meinungen der Vielen und das begründete Wissen,
die
nützlichen Erfindungen und die Verschwendung der Kunst, die Trauer
des Todes und der Schrecken des Krieges, die Gesetze des Staates und
die
Visionen der Religionen.
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Letzte
Änderung: 28. Juni 2017