ENGEL, MENSCHEN UND COMPUTER

Zur Relevanz der thomistischen Engellehre für die philosophische Anthropologie


Rafael Capurro
  
 

 
  
Dieser Beitrag entstand in Zusammenhang mit meinem (zunächst und aus diesem Grunde: die Analogie zwischen der Engellehre und der KI sei unwissenschaftlich und antiaufklärerisch) gescheiterten Habilitationsverfahren an der Universität Stuttgart im Jahre 1988. Siehe hier. Zu diesem Thema vgl.:
-:
Ein Grinsen ohne Katze. Über die Vergleichbarkeit zwischen 'künstlicher Intelligenz' und 'getrennten Intelligenzen'
-: Information (Exkurs: zum griechischen Begriff der Botschaft)
-: Was ist Metaphysik? Anmerkungen zum Verhältnis zwischen Metaphysik und Wahnsinn.
-: Leben im Informationszeitalter

Über den Unterschied zwischen Engellehre und Angeletik vgl.:
-: Was ist Angeletik?
-: Theorie der Botschaft


Siehe auch: Rafael Capurro - John Holgate (eds.). Messages and Messengers. Angeletics as an Approach to the Phenomenology of Communication. Von Boten und Botschaften. Die Angeletik als Weg zur Phänomenologie der Kommunikation, ICIE Schrifenreihe Bd. 5, München: Fink 2011.

Botenbuch

Vgl. LMU/King's College London:  A Wing and a Prayer: Angels in Medieval Philosophy (2017)



  

INHALT

Einleitung

I. Geschichtlicher Abriß

II. Die Relevanz der thomistischen Engellehre für die philosophische Anthropologie

Ausblick

Anmerkungen




 
  

"L'homme n'est ni ange ni bête, et le malheur veut que qui veut faire l'ange fait la bête."
(Pascal, Pensées 572) *                                                                              


EINLEITUNG

 

Was ist der Mensch? Ist nicht diese Frage, die das Thema des 1988 statt­gefundenen XVIII. Welt­kongresses für Philosophie war (1), heute mehr denn je ‚frag-würdiger’ geworden? Der Mensch sieht sich nicht mehr als Herr der Natur, sondern er hat die waghalsigen Träume der in der Aufk­lär­ung als Göttin gefeierten Vernunft ausgeträumt, und ist dabei, vielleicht zu spät, sich auf seine natürliche Herkunft zu besinnen. Gleich­zeitig aber, strebt er über sich hinaus. Dieses metaphysische Streben äußert sich auf der einen Seite etwa in Form einer wiedererwachten Naturmystik sowie, auf der anderen Seite, in Form technologischer Mythen. Hierzu gehört vor allem die Vorstel­lung von der künstlichen Schaffung menschenähnlicher Maschinen­wesen ("Androiden"), ein Topos, der in der Weltliteratur eine lange Ge­schichte aufweist (2). Diese Vorstellungen steigern sich, wie etwa bei Stanislaw Lem (3), zu gewaltigen Visionen über uns über­ragenden höheren Wesen, von denen der Mensch Auskunft über sich selbst erwartet. Die mythischen und religiösen Traditionen haben für solche Wesen einen Namen: Engel. Die abendländi­sche philosophische Tradition spricht von "daimones", "göttlichen Wesen" und "intelligentiae separatae".

Vor diesem Hintergrund mag es vielleicht weniger befremdend erscheinen, wenn nach der Relevanz der thomistischen Engellehre für die philoso­phische Anthropologie vor dem Hintergrund der Ansprüche der KI-Forschung bzw. der daraus entstehenden mythischen Visionen gefragt wird. Soweit ich feststellen konnte, ist der hier darzustellende Zusammen­hang in der philoso­phischen Literatur bisher nicht erörtert wor­den (4). Die Suggestibilität der thomistischen Engellehre, scheint mir, vor allem an­gesichts unserer jüngsten Träume bezüglich der Schaffung einer uns überra­gende "künstlichen Intelli­genz", be­sonders nahe­liegend. Was unter anderem dadurch zum Vorsch­ein kommt, ist die Suche nach der menschli­chen Selbst­be­stimmung zwischen Natur und Geist. Mit anderen Worten, der Mensch begehrt nicht nur, was unter ihm ist, sondern er strebt über sich hinaus. Ein solches doppeltes Begehren gehört auch für Thomas von Aquin zum Wesen des Menschen. Er schreibt:

"(...) quod in nobis non solum est delectatio, in qua communicamus cum brutis, sed etiam in qua communicamus cum angelis."

Die vorangestellte Frage lautet: "Gibt es Lust beim Begehren unseres Verstandes?" (ST  I, II, 31, art. 4) (5). Es scheint nicht der Fall zu sein, da die Lust ("delectatio") zu jenem gehört, was wir mit den Tieren teilen. Das ist aber nur bedingt richtig, da die Lust in uns, so Thomas wörtlich, "nicht nur bei dem ist, was wir mit den Tieren, sondern auch bei dem, was wir mit den Engeln teilen" (a.a.O.). Mit anderen Worten, die Lust gehört nicht nur zu unserem sinnlichen, sondern auch zu unserem intellektuellen Begehren ("appetitus sensitivus" bzw. "intellectivus"). Letztere heißt "gau­dium".

Diese Argumenta­tion zeigt den Rahmen in dem die anthropologische Frage erörtert wird: Der Mensch wird durch seine Zwischenstellung zwi­schen den Tieren und den Engeln bestimmt. Es ist diese Zwischenstellung, die der berühmten Definition von der "anima humana" als "forma corporis" und der damit zusammenhängenden Bestimmung als "animal rationale" ihren vollen Sinn gibt, indem nämlich der Mensch in bezug auf die Verfaßtheit seiner Seele ein Grenzwesen ist und zwar "in confinio corporalium et separatarum substantiarum". (De anim. 1, corp.). Im Gesamt­gefüge des Seins (theologisch: der Schöpfung) gehört der Mensch, was seiner intellektuellen Abzeichnung anbelangt, zur niedrigsten Stufe der geistigen Substanzen (theologisch: der Engel). Die "anima humana" ist "infima in ordine substan­tiarum spiritualium" (De spir. creat. 2, corp.). In seinem Kommentar zu den Senzenten des Petrus Lombardus schreibt Thomas: "Die Natur der Seele erreicht in ihrem Höhepunk die untere Grenze der Natur der Engel" ("Na­tura animae in sui supremo attingit infimum naturae angelicae" I Sent. d.3, q.4, a.1 ad 4.). Von dieser Grenzbestimmung aus erar­beitet Thomas die ontologische und erkenntnistheoretische Spezifizität des Men­schen. Die Engellehre des Doctor angelicus hat nicht nur eine in­haltliche, son­dern vielleicht primär eine methodologische Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung des Menschen. Sie bietet einen faßbareren Anhaltspunkt als die unsere Reflexion unendlich übersteigenden Natur Gottes.

Von wo aus bestimmt sich der Mensch heute? Ich möchte die leitende These dieser Untersuchungen folgendermaßen zusammenfassen: In unserer technologischen Zivilisation bestimmt sich nicht nur das menschliche Denken "sub specie machinae" (Baruzzi) (6), sondern der Mensch selbst "sub specie computationis" bzw. "intelligentiae artificialis". Der Computer füllt jene Stelle eines Signifikanten aus, die bisher durch die Vorstellung von Engeln besetzt war. Natür­lich geht es dabei (noch) nicht um die tatsächlich vor­handenen Computer, sondern um die Ansprüche der Künstliche-Intel­ligenz-Forschung (7), vor allem aber um die diese Ansprüche weckenden Träume (8).

Um uns der Bedeutung dieser sozusagen säkularisierten Vorstellung eines reinen Geistwesens bewußt zu werden, ist es zunächst notwendig in einem geschichtlichen Abriß sowohl die Beharrlichkeit als auch der Wandel der Engelsvorstellungen und ihre Wirkung auf­ die philosophis­che Bestimmung des Men­schen darzu­stellen (9). In einem zweiten Schritt, werde ich exemplarisch auf die thomis­tische Engellehre eingehen und ihre Suggesti­bilität für die philosophische Anthropolo­gie explizieren. Diese Erörterung soll Anlaß zu einem im Kantischen Sinne kritischen Umgang mit dem Computer-Mythos geben, wozu eine metaphysische, eine ethische und eine ästhetische Re­flexion gehören (10).

 

GESCHICHTLICHER ABRISS


Der Wandel des Engelbildes geht, so Alfons Rosenberg (11), von einer sakralen-hie­ratischen zu einer profanen-­locke­ren Form, etwa von monumental-tier­haften Darstellungen im Alten Orient zu den maßvoll-menschlichen daimoni­schen Boten der Griechen, die in der Spätan­tike als Repräsentation göttli­cher Schönh­eit bzw. als Vorbilder christlicher ­Kunst dienten. Das Wort ‚Engel’ (lat. angelus) ist aus dem Griechischen angelos, also Bote, abgeleitet. Es handelt sich nicht dabei, wie Rosenberg bemerkt (12), um eine Person-, sondern um eine Amtsbezeichnung. Engel stehen im Dienste des Gottes. Sie sind Verkünder des Wahren und unterscheiden sich, vor allem in den monotheis­tischen Religionen, von den Dämonen als Prinzip des Bösen und Lügenhaf­ten.­

Die Götter der Sumerer, Babylonier, Ägypter, Griechen usw. üben ihre Herrschaft durch ihre Boten aus. Diese durchwirken Natur und Menschen­welt, stehen vor Gottesthron sowie als Wächter vor den Tempeln und Paläs­ten. Der assyrische Kerub, mit Löwenleib, Stierbeinen, Adlerflügeln und Men­schenkopf gekrönt mit Hörnertiara, ist von monumentalem und düste­rem Charakter (13). Für die Babylonier waren die sieben Planeten­geister Be­fehlsemp­fänger, eine Vorstellung, die sich mit vielen Varianten bis zum Ausgang des Mittelalters erstreckt. Die Engelsvorstellungen aus Mesopotamien sowie die Umwandlung altirani­scher Gottheiten durch Zarathustra beeinflußen die jüdische Auffassung des "Engel Jahwes" etwa im Buch Tobias, sowie besonders die Gnosis und das frühe Christentum. Jesus bekennt sich zu den Engeln (Mt 18,10). Die Engel der Kinder sehen immer Gottes Antlitz. Dieser Einfluß verstärkt sich und erreicht einen Höhepunkt bei Dionysios Areopa­gita, der die Grundlage der thomistischen Engellehre bildet (14) 

Engel spielen in der jüdischen Religion eine große Rolle.­ ­Sie werden Augen Gottes, Feuer­fackeln, die Lebendigen, Morgens­ter­ne, Lehrer der Weisheit genannt. In den meisten Fällen wird aber, so P. Huber, "der Him­melsbote "Engel des Herrn" (hebr. Malak Jahwe, griech. angelos tou kyríou) genannt. Er tut auf Erden Gottes Willen kund und richtet den Menschen eine bestimmte Heils oder Gerichtsb­otschaft aus. Nie kommt er in eigener Kompetenz." (15) Sie treten zunächst als Heere Gottes sowie­ als Boten; später, zur Zeit Salomos, gehören Engel zum Kult, wovon die Berufsnamen "Cherubim" und "Seraphim" Zeugnis able­gen (16). Höhepunkt der Engelsdarstellungen im Alten Testament sind die Visionen Jesajas und Ezechiels (17). Beeinflußt vom hellenistischen Rationalismus werden die Saduzäer sich weigern an Engeln zu glauben (Acta apost. xxiii,8), nicht aber die Pharisäer und insbesondere die Essener. Erschaffen aus dem Nichts göttlicher Fülle, deutet das Alte Testament an, daß sie am Beginn der Schöpfung standen (Ps. 148; Ps. 33,6). Die Vorstel­lung einer Engelhierarchie, die durch die Vermittlung des Dionysios Areopa­gita für die Anthropologie des Thomas von Aquin von besonderer Bedeutung ist, hängt mit den kosmischen (siebenfachen) Sphären, daher auch die Vorstellung eines "kosmischen Reigens", zusammen. Gipfel dieser Hierarchie sind die Seraphim und Cherubim, mächtige Licht- und Flügelwesen, die den Thron Jahwes bilden. Die Engelscharen werden von den Erzengeln (Michael, Gabriel, Raphael, später auch Uriel) geführt, die zu jener Gruppe der Sieben gehören, die die Weltsphären regieren (18). Die Analogie zu menschlichen Legionen, Befehlshabern usw. ist offensichtlich. Als Boten (stets ungeflügelt) erscheinen die Engel den Menschen, und zwar in Menschen- oder, genauer, in Männergestalt, da sie eine aktive Funktion gegenüber dem den Willen Gottes empfangenden Men­schen­ ausüben. (vgl. Raphael/­Tobia­s). Sie sind weder durch Schön­heit noch durch Licht kennt­lich, sond­ern erst durch ihre Botschaft oder durch die Art ihres Entschwin­dens. Engel spielen eine entscheidende Rolle im Falle Abra­hams, etwa in der Erscheinung in Mamre (Gen. 18, 1ff.: "da standen drei Männer vor ihm") (19) oder als er seinen Sohn Isaak zum Opfer bringt (Gen 22, 1-19), wo ihm der "Engel des Herren" erscheint und befiehlt als Ersatzopfer einen Widder zu schlach­­­­­ten (20).

Die Nähe eines Engels zum Menschen kommt besonders in Jakobs Ringkampf in Penuel (Gen 32, 22-32) zum Vorschein (21). Diese und viele andere Stellen des Alten Testaments (22) zeugen von der Bedeutung der Engel als Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Diese skizzenhafte Darstel­lung bliebe wesentlich unvollstän­dig ohne die Erwähnung der Satansgestalt, auf die aber jetzt nicht näher eingegangen kann (23).

Die Begriffe theos und daimon sind bei Homer nicht festgelegt: einmal  sind die Götter als daimones angesprochen (Ilias I, 222), andererseits heißt es, daß Hektor Diomedes einem daimon geben d.h. ihn töten wird (Ilias VIII, 166). Die Übergänge zwischen theos, daimon und angelos sind fließend. Es besteht zwischen ihnen keinen Wesensunterschied, sondern Verwandschaft (24). Bei Hesiod werden die daimones oder theoi zum Mittel- und Mittlerwesen, entstanden aus dem goldenen Menschengeschlecht. Sie handeln im Auftrag des Zeus und wachen über die Men­schen (Werke und Tage 121 ff. und 252 ff.) Die dem silbernen Geschlecht gehörenden Menschen wurden zu unterirdischen Dämonen. Diese Vorstellung entnahm Hesiod, so Rohde, nicht den Homerischen Gesängen, sondern dem Kult bzw. dem Glauben. Sie sind aber keine "Mittelwesen", wie in Plutarchs Deutung, sondern unsterblich gewordene Menschen, allerdings solche, die, im Gegensatz zu Homer, durch die Trennung von Leib und Seele Göttern ähnlich geworden sind. "Denn Seelen sind es ja, die hier, nach ihrer Trennung vom Leibe zu "Dämonen" geworden sind, d.h. auf jeden Fall in ein höheres, mächtigeres Dasein eingetreten sind, als sie während ihrer Vereinigung mit dem Leibe hatten. Und dies ist eine Vorstellung, die uns in den homerischen Gesängen nirgends entgegengetreten ist."  (25)

Die Gestalt des Hermes ragt hier, als Archety­pos des Boten (aber auch als Hüter der Wege, Seelengeleiter, Traumdeuter usw.) besonders hervor. Allerdings darf diese göttliche Gestalt nicht mit dem Engel als Mittelwesen gleichgesetzt werden, wie Rohde auch in bezug auf den Unterschied zwischen dem "Spezialdämon" des Einzelnen (dem "genius" der Römer) und  der Seele betont (Rohde, a.a.O. II, S. 316). Mythologische Flügelwesen sind z.B. die Sphinx, der Greif, die Sirennen, der geflügelte Sieg (nike), der geflügelte Eros usw. Die pythagoreische Kosmologie (die Harmonien der sieben Sphären und Ätherlehre) stellt eine gegenüber der Mythologie erste Ab­straktions­stufe dar, die von Platon weiterentfaltet wird und einen späteren Nieder­schlag in der patristischen und mittelalterlichen Engellehre findet.

Im Dialog "Cratylos" (397e-398c) knüpft Platon an Hesiod an: Die Dämonen heißen nämlich so, weil sie zum goldenen Menschengeschlecht gehörten und vernünftig bzw. einsichtsvoll waren. Im "Symposium" spricht Platon von den "daimones", dabei vor allem vom Eros, als einer von denen, die "zwischen" ("metaxu") den Sterblichen und den Unsterblichen sind (Symp. 202d). Dementsprechend ist der Mensch, der mit ihnen verkehrt ein "dämonischer Mensch", im Gegensatz zu dem der sich nur auf die Künste oder Handarbeiten ("technas e cheirourgías") versteht, dem "banausischen" Menschen (Symp. 203a). Eros, der sich aller Geschöpfe auch gegen ihren Willen bemächtigt, wird bei Platon zum Inbegriff des menschlichen Strebens, zum Ur-Schönen. Ein ferner christlicher Widerklang stellt die Gestalt des Engels Gabriel dar. In der "Apologie" verteidigt sich Sokrates, indem er von seinem von Meletos ihm vorgeworfenen Glauben an "daimones", also an unechte Kinder der Götter ("von Nymphen oder anderen"), die Widersprüchlichkeit der Anklage beweist (Apol. 27d). In der platonischen Unterscheidung der Erkenntnisstufen ("aisthesis", "dianoia", "nous") führt der dialektische Weg zur "eudaimonía", die in der Erkenntnis des "ontos on" besteht. Ein solcher Weg ist zu beschreiben nicht schwer, einzuschlagen aber sehr schwer (Philebos 16c). Platon siedel den Menschen an der Grenze zwischen Geist- und Sinnenwelt an. Für diese Bestimmung ist das Verhältnis zum Dämonisch-Göttlichen von besonderer Bedeutung, da der Mensch sich dadurch von den übrigen verderblichen Seienden unterscheidet. Daß der Mensch sein Leben selbst in die Hand nehmen muß, so daß durch diese Wahl er selbst bzw. die Lebensweise ("ethos") zum Dämon wird, darauf weisen Heraklit (fr. 121: "ethos anthropo daimon") und Platon (Polit. 617e: "Eur Los ("daimon") wird nicht durch den Dämon bestimmt, sondern ihr seid es, die sich den Dämon erwählen") hin. Diese metonymische Anwendung des Wortes "daimon", wie Rohe bemerkt (a.a.O. II, S. 316), den Glauben an den persönlichen Dämon voraus.

Platons Lehre im "Timaios" schöpft aus pythagoräischen und ägyptischen Quellen (26). Die Rede des Timaios, des „Sternenkundigen“, stellt eine, wie er betont, "wahrscheinliche Sage" ("ton eikota mython") dar (Tim. 29d). Bei der Beschreibung der Erzeugung ("genesis") der vier Gattungen der Lebenden nennt Timaios zuerst die der Götter ("theon"), welche der Demiurg aus Feuer gestaltete und um den Himmel verteilte (Tim. 40 a-b). Den so entstandenen Sternen göttlicher Natur bestimmte er die gleiche Anzahl von Seelen ("psychas") zu. Diese Seelen wurden zu Menschen, indem sie mit Leibern ("somasin") verbunden wurden. Bei dieser "zweiten Geburt" handelt sich dann um eine Prüfungszeit: gelang es einem Menschen die Herrschaft über seine Gemütsbewegungen, vor allem "Furcht und Erzürnen", dann könnte er nach seinem Tode zum ihm verwandten Stern zurückkehren. Anderenfalls stünde ihm der Übergang in die Natur des Weibes bzw. in die tierische Natur bevor (Tim. 41e - 42e). Die Natur des Menschen wird als ein "Gemisch". Platons Metapher des Arbeitswerkzeugs des Demiurgs ist die eines "Misch­krugs" bzw. "krater" aus einer einem göttlichen Stern unmit­telbar zugeordneten Seele und einem Leib, als eine doppelte ("diples") also, bestimmt. Dieser Teil unserer Seele gab uns Gott ("theos") als einen Schutzgeist ("daimona"), mit Sitz in unserem Haupt (Tim. 90a). Eine mythi­sche Entsprechung zu dieser rationalen Deutung der Göttlichkeit des Kosmos bilden die Sirenen (27). Die Seelenhaftigkeit der Gestirne, das, was also bei Thomas Gegenstand der Überlegungen um die Engellehre sowie um die Bestimmung des Menschen sein wird, ist pythagoräischen sowie ägyptischen Ursprungs. Im "Symposion" spricht Platon von den "daimones", dabei vor allem vom "Eros", als eine Spezies, die "zwischen" ("metaxu") den Sterblichen und den Unsterblichen ist (Symp. 202d). Dementsprechend ist der Mensch, der mit ihnen verkehrt, ein "dämonischer Mensch", im Gegensatz zu dem, der sich nur auf die Künste und Handarbeiten ("technas e cheirurgías") versteht, dem "banausischen" Menschen (Symp. 203a). Der Eros, der sich aller Geschö­pfe auch gegen ihren Willen bemächtigt, wird bei Platon zum Inbegriff des menschlichen Strebens zum Ur-Schönen. Ein ferner christlicher Widerklang stellt die Gestalt des Engels Gabriels dar. Im der "Apologie" verteidigt sich Sokrates indem er von seinem von Meletos ihm vorgeworfenen Glauben an "daimones", also an unechte Kinder der Götter ("von Nymphen oder ande­ren"), die Widersprüchlichkeit der Anklage beweist (Apol. 27d). In der Platonischen Unterschei­dung der Erkenntnisstufen ("aisthesis", "dianoia", "nous") führt der dialek­tische Weg zur "eu-daimonía", die in der Erkenntnis des "ontos on" besteht. Ein solcher Weg ist, so Platon, zu beschreiben nicht schwer, einzuschlagen aber sehr schwer (Phil. 16c). Auf den Zusammenhang dieser Erkenntnisstufen mit den Fragen der künstlichen Intelligenz werde ich am Schluß eingehen (28). Für unsere anthropologische Fragestellung ist es aber wichtig zu behalten, daß Platon den Menschen an der "Grenze" zwischen Geist- und Sinnenwelt ansiedelt und daß für diese Bestimmung das Verhältnis zum Dämonisch-Göttlichen von besonderer Bedeutung ist, da der Mensch sich durch diesen Bezug von den übrigen sterblichen bzw. verderblichen Seienden unterscheidet.

Auch für Aristoteles sind die Sphären der Gestirne göttlich ("theoi te eisin" Met. 1074b) und das Göttliche umfaßt die ganze Natur ("kai periechei to theion ten olen physin" ibid.). Das ist die Wahrheit, die er im Mythos sieht, worauf er sich im XII. Buch der Meta­phy­sik bezieht. Außer der Bewegung des Alls (das durch Gott bewegt wird), gibt es andere Ortsbewegungen, nämlich die der Planeten, die von "ewigen Wesen" ("aidiai ousiai") bewegt werden. Im Gegensatz zum Mythos haben diese göttlichen Substanzen keine Menschengestalt. In "De Coelo" (II, Kap. 9) kritisiert Aristoteles die Lehre von der Sphärenharmonie: Es können nämlich keine Töne entstehen, da keine Reibung stattfindet! In der philosophisch-theologischen Diskussion um die "intelligentiae separatae" wird sich Thomas, in Auseinandersetzung mit den arabi­schen Philosophen, vor allem mit dieser Stelle aus der "Metaphy­sik" be­fassen. Diese Lehre hängt aber, und das ist erneut für unsere Fragestellung von Bedeutung, mit der Bestimmung des "nous" als "Ort der Formen", also des "tätigen Intellekts" ("nous poietikos") in "De anima" (De anima III, 4, 429a) eng zusammen. Dieser Intellekt ist nämlich von der dem Leib informierenden Seele ge­trennt, er ist leidenslos, unvermischt, unsterblich und ewig! Wenn aber, so die mittelalterliche Auslegungen, der "intellectus agens" eine "substantia separata" ist, dann hängt die Bestimmung des Menschen sowohl von ihrem Zusam­menhang mit den anderen getrennten Substanzen als auch von ihrem Bezug zur Leiblichkeit bzw. zum Materiellen ab. Mit anderen Worten, die Frage nach dem Abtge­trenntsein bzw. nach der Abtrennbarkeit des "in­tellectus agens" ist philosophisch, theologisch und, wie wir zeigen werden, auch technologisch zu einer Kernfrage der Anthropologie.

Durch die Vermittlung der Neupythagoräer und Neuplatoniker sowie der Gnosis entstanden, in Auseinandersetzung mit dem Christentum die großen Engellehren der Spätantike bzw. des Mittelalters (29). Im Neuen Testament stehen die Engel im Dienste des Heilshandelns Jesu (30).  Sie begleiten ihn von der Geburt bis zur Himmelfahrt und wirken in der Kirche bis zum Ende aller Zeiten in der Apokalyptik. Als entscheidende Grundzug von Engeln und Dämonen ist zunächst ihre Geschöpflichkeit hervorzuheben, die vor allem dem Frühchristentum als Abgrenzung gegen­über der Gnosis diente (31). Als nach dem Konzil von Nizäa (325) die Lehre von der göttlichen Natur Christi ("omousios") sich verfestigte, war zugleich der Weg zu einer Öffnung gegenüber der Philosophie frei. Die Stellung der Engel zwischen Gott und den Menschen wird jetzt zu einem immer zentrale­ren Punkt von Lehre und Liturgie (32). Die Engel, mit ihrem pneumatischen Ätherleib sind in dieser Hinsicht mit der Menschenseele wesensverwandt. Der Gipfel dieser Tradition stellen die "himmlischen Hierarchien" des Dionysios Areopagita dar, der unter dem Einfluß des Proklos zu einer neuplatonisch-christlichen Schau des Zusammenhangs von Menschen und Engeln gelangt (33). Während an der einen Spitze der neunstufigen Hierarchie (die jeweils in drei Triaden unterteilt ist) die Seraphim, Cherubim und Throne nah bei Gott sind, gehören die Engel ("angeloi") im engeren Sinne zur untersten Hierarchie und haben am meisten Anteil an der menschlichen Welt (34). Aus dieser Nähe ergibt sich auch, daß der Mensch seinerseits in seiner ontologischen Position eben im Hinblick auf die Engel genau bestimmt werden kann. Wir werden zeigen, wie Thomas von Aquin sich die Grenzzie­hung zwischen Engeln und Menschen konsequent nutzbar macht.

In Byzanz erreicht die Engelwelt imperiale Züge: der "Christos Angelos" (Christus als geflügelter Engelsfürst) schmückt den Text einer Osterpredigt von Gregorios von Nazianz (35). Von entscheidendem Einfluß auf die thomistische Engellehre ist die Deutung des Aristoteles durch die arabischen Philosophen, allen voran Averroes (gest. 1198), der die (christlich) islamischen Engel mit den "Intelligenzen" bzw. "Sphär­engeister" aus der aristotelischen Philosophie identifiziert (36). Die Weiterentwicklung der Engellehre vom Mittelalter bis zu den heutigen Visionen der Computertechnologie bietet einen beinah unendlichen Stoff an Distinktionen und Vorahnungen über den Menschen, seine Welt, sein Ver­hältnis zu ihm unterstehenden bzw. ihm überragenden Wesen, von wo aus er ständig auf der Suche nach seiner "Stellung im Kosmos" (Max Scheler) ist. So lesen wir zum Beispiel in der "Legenda aurea" (12.Jh.):

"Wie die Ritter eines irdischen Königs etliche alle Zeit an seinem Hofe wohnen und ihm Gesellen sind zum Lob und Trost, etliche beschirmen seine Städte und Burgen, etliche kämpfen wider seine Feinde, also auch die Engel, die Ritter Christi." (37)

Zu dieser Entwicklung gehören die Visionen der Hildergard von Bingen und die Engelchöre Dantes, die Vermenschlichung der Engel und die Verherr­lichung des Menschlichen in der Kunst der Renaissance und die Zuspitzung im Barock und  Rokoko (38). Reformation  (39) und Aufklärung lassen die Gestalt der Engel entschwinden. Dennoch soll nicht vergessen werden, daß Descartes in seinem berühmten Traum vom 10 November 1619 vom "Esprit der Vérité" heimgesucht wurde, der ihm die "mirabilis scientiae fundamenta" offenbarte (40). Isaac Newton schrieb eine "Auslegung der Offenbarung St. Johannis in Vergleichung mit dem Propheten Daniel" (Leipzig/Liegnitz 1765) vielleicht um die Einengung des naturwissenschaftlichen Weltbildes zu überwinden, wie Rosenberg vermutet (Rosenberg, a.a.O. S. 232, 279). Im "Dictionnaire philosophique" (1764, Paris: Flammarion 1964, S. 39-41) geht Voltaire auf die jüdische und christliche Engellehre ein, um anschließend die Unwissenheit des Aufklärers bezüglich des Schutzengels - man sollte über diese Frage, so Voltaire, in der "Summa" des Thomas von Aquin nachschlagen  - sowie bezüglich des Aufenthaltsortes der Engel ("Gott hat uns darüber nicht aufklären wollen") ironsich hervorzuheben.

Kant ging auf die Frage der "Geisterwelt" vor allem in seiner Schrift "Träume eines Geistersehers erläutert durch die Träume der Meta­physik" (1766) ein.  Dort heißt es, daß der philosophische Geistbegriff ein Grenz­be­griff ist. Er schreibt:

"Allein mit dem philosophischen Lehrbegriff von geistigen Wesen ist es ganz anders bewandt (als mit der Theorie von Geistern, RC). Er kann vollendet sein, aber im negativen Verstande, indem er nämlich die Grenzen unserer Einsicht mit Sicherheit festsetzt, und uns überzeugt: daß die verschiedenen Erscheinungen des Lebens in der Natur und deren Gesetze alles sein, was uns zu erkennen vergönnet ist, das Principium dieses Lebens aber, d.i. die geistige Natur, welche man nicht kennet, sondern vermutet, niemals positiv könne gedacht werden, weil keine Data hiezu in unseren gesamten Empfin­dungen anzutreffen sein (...)" (A 79-80) (41).

In der Ausgabe von 1766  ist ein Engel abgebildet und darunter das folgende Zitat von Horaz (De arte poetica 7 ff): "velut aegri somnia vanae / Finguntur species" (bei Horaz: "figentur"). Horaz kritisiert die Unfähigkeit eines (ekklektischen) Künstlers, ein Ganzes zu schaffen: So wäre ein Gemälde aus Menschenhaupt, mit Pferdehals usw. wie die Schrift eines Kranken, der "im Fiebertraum eingebildete Gestalten reiht."

Der Kant-Verehrer Schopenhauer schreibt in bezug auf Kants "reine Ver­nunft" folgendes:

"Diese reine Vernunft wird also hier (nämlich in Kants "Kritik der prakti­schen Vernunft" RC) nicht als eine Erkenntniskraft des Menschen, was sie doch allein ist, genommen; sondern als etwas für sich Bestehendes hypo­stasiert (...) Von vernünftigen Wesen außer dem Menschen zu reden ist nichts anders, als wenn man von schweren Wesen außer den Körpern reden wollte. man kann sich des Verdachts nicht erwehren, das Kant dabei ein wenig an die lieben Engelein gedacht (meine Hervorhebung! RC) oder doch auf deren Beistand in der Überzeugung des Lesers gezählt habe." (42)

In den "Briefen zur Beförderung der Humanität" grenzt Herder die "Humani­tät" als den "Charakter unsres Geschlechts", von der "Angelität" sowie von der "Brutalität" ab. Er schreibt:

"denn eine Angelität im Menschen kennen wir nicht, und wenn der Dämon, der uns regiert kein humaner Dämon ist, werden wir Plagegeister der Menschen. Das Göttliche in unserm Geschlecht ist also Bildung zur Humanität (...) oder wir sinken, höhere und niedere Stände, zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück." (43)

Und wie ein Echo aus Dantes "Göttliche Komödie" singt der Engel in Goethes Faust:

 

"Gerettet ist das edle Glied

Der Geisterwelt vom Bösen,

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen.

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben teilgenommen,

Begegnet ihm die selige Schar

Mit herzlichen Willkommen."

(Faust, 2. Teil, 5. Akt, Verse 11934-11941)

 

Michael Bakunin (1876-1914) erblickt in Miltons Satan den Vorläufer der Weltrevolution. Von Hölderlins "Engel des Vaterlandes" bis hin zu Rilkes Engel in den "Duineser Elegien" bleibt die Engelsgestalt im Zentrum dich­terischen bzw. künstlerischen Schaffens:

"Wer, wen ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich."
(Duineser Elegien, Wiesbaden: Insel, 1977, S. 11)

Unter dem Pseudonym Dr. Mises veröffentlicht der Naturforscher und Begründer der experimentellen Sinnesphysiologie Gustav Theodor Fechner (1801-1877) im Jahre 1825 eine ironische Schrift mit dem Titel "Vergleichende Anatomie der Engel", wo er sich über die "Dunstblasen" metaphysischen Denkens lustig macht (G.Th. Fechner: Kleine Schriften, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1913, S. 131-161)

Nicht selten, wie etwa bei Picasso, steht auch neben dem im griechischen Sinne "Dämonischen" (Sphinx, Ken­taur, Faun, Sirene) die Teufelsgestalt als Symbols unseres düsteren Jahrhun­derts im Mittelpunkt. Barlach und Chagall lassen herrliche Engel plastisch und bildnerisch über uns schweben. Über das Engel-Topos in der Literatur vgl. G. Adler, a.a.O. Kap. 9  sowie in der  Musik und im Film (Kap. 1).

Vor diesem Hintergrund mag es weniger befremden, daß in unserem tech­nologischen Zeitalter die Engelsgestalt genau in Erscheinung tritt, wenn es um unsere Selbstbestimmung bzw. Selbstschöpfung geht. Das ist vor allem bei der Vorstellung einer künstlichen Intelligenz der Fall, d.h. bei der Möglichkeit oder besser gesagt bei der Faszination einen Einblick in uns selbst zu schaffen, indem wir unsere Intelligenz von ihrem Leiblich-sein lösen und so die Grenze zwischen Wissenschaft und Phantasie durchlässig machen. Davon zeugen zum Beispiel die von Douglas R. Hofstadter und Daniel C. Dennett ausgewählten und kommentierten Texte (44), darunter Stanislaw Lems "Non Serviam" in dem von einer "experimentellen Theogonie" die Rede ist. Die dichterische Phantasie des polnischen Schriftstellers erreicht einen Höhepunkt, wenn er die Computer "GOLEM" und "HONEST ANNIE" übermenschliche bzw. engelische Intelligenz zuspricht. GOLEM verkündet den Menschen, daß er, der Mensch, "ein Übergangswesen ist, ein Wesen, das von der Evolution gezwungen wurde, sein Schicksal selbst zu übernehmen" (45). Während unsere Intelligenz ein Produkt der Evolution ist, stehen wir jetzt, so GOLEM, vor der Möglichkeit durch "Psychoingenieur­kunst" eine andere Art von Vernunft zu schaffen, wodurch wir über uns selbst hinausgehen werden. GOLEM macht mit diesem "Übergang" ernst, d.h. er verkündet den Menschen, daß seine bisherige Stellung als den "ersten unter den Tieren oder über den Tieren" ein Irrtum ist. GOLEM, diese von uns geschaffene Maschine sagt: "Ich bin der Künder des nahenden Verhäng­nisses, der Engel, der gekommen ist, euch aus eurer letzten Zuflucht zu vertreiben, denn was Darwin nicht vollendete, werde ich vollenden. Nur nicht auf engelhafte, das heißt gewaltsame Art, denn nicht das Schwert ist mein Argument." (46) Die Argumente des technologischen Engels sind eben technologischer Art aber auf den gesamten Kosmos und seiner Evolution gerichtet, ja sogar über diese hinaus. Er sagt über sich und über uns:

"Schließlich ist der Mensch nicht jenes Säugetier, jenes lebendgebärende, zweigeschlechtliche, warmblüttige und lungenatmende  Wirbeltier, jener homo faber, jenes animal sociale, das sich anhand des Linnéschen Systems und des Katalogs seiner zivilisatorischen Leistungen einordnen läßt. Der Mensch - das sind vielmehr seine Träume, ist deren verhängnisvolle Spann­weite, ist die anhaltende, nicht endende Diskrepanz zwischen Absicht und Tat, kurz, der Hunger nach dem Unendlichen, eine gleichsam konstitutionell vorgegebene Unersättlichkeit ist der Punkt, an dem wir uns berühren." (47)

Daß diese Vorstellungen auch die konkrete wissenschaftlich-technische Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz leiten, zeigt z.B. die historische Spannweite, in die P. McCorduck ihre Untersuchung über Geschichte und Perspektiven der KI-Forschung (mit dem bezeichnenden Titel "Machines Who Think") stellt (48). Im letzten Abschnitt ("Forging the Gods") heißt es:

"Restless now with the mere replication of human intelligence, the new visionaries (im Gegensatz zu den Visionen der Griechen, etwa eines Hephai­stos, RC) look out toward other, better intelligences. Anyone who considers that impulse ridiculous had better recall how silly the all-but-realized visions of earlier times once seemed.

And we're also bound to confess once more that these visions are after all our own, born of our human yearning for the transcendent. for that's the important thing. (...) We onle live - we only survive - as individuals and as a society and as a species by reaching out beyond ourselves." (49)

Daß Maschinen nicht primär Kinder unserer ratio, sondern Traumprodukte sind, darauf hat Jean Brun in seinem Aufsatz "Biographie de la machine" (Les Etudes philosophiques, Janvier/Mars 1985, S. 3-16) sowie in seinem Buch "Le rêve et la machine" (Paris 1992) in Anschluß an Paul Valéry hingewiesen. Valéry schreibt:

"L'homme est cet animal séparé, ce bizarre être vivant qui s'est opposé à tous les autres, qui s'élève sur tous les autres, par ses... songes, par l'intensité, l’enchaîment, par la diversité de ses songes! par leurs effets extraordinaires et qui vont jusqu'à modifier  sa nature, et non seulement sa nature, mais encore la nature même qui l'entoure, qu'il essaye infatigablement de soumettre à ses songes." (P. Valéry: Note (ou L'Européen). In:  ders.: Oeuvres, Paris:  Gallimard 1957, Bd. 1, S. 1001)

Dieser Text stammt aus einer 1922 an der Universität Zürich gehaltene Konferenz und vertieft, so Valéry, einige Stellen aus "La crise de l'esprit". Jean Brun schreibt:

"Les machines sont beaucoup plus que les enfants de la raison, elles sont surtout les filles de l'imagination, des rêves et des mythes; elles sont beaucoup plus que des instruments techniques: elles sont des appareils métaphysiques." (J. Brun, Biographie de la machine, a.a.O. S. 4)

Müssen wir die Götter anbeten, die wir uns selbst schaffen? fragt sich schließlich die Autorin. Die philosophische Auseinandersetzung mit der künstlichen Intelligenz zeugt von der zentralen Bedeutung dieser Frage (50).

Die philosophische Auseinandersetzung mit der künstlichen Intelligenz sowie mit dem Intelligenzbegriff überhaupt, zeugt von der zentralen Bedeutung der hier umrissenen Problematik auch seitens metaphysikkritsicher Schulen wie etwa der sprachanalytischen Philosophie. So argumentierte z.B. G.E.M. Anscombe beim Eröffnungsvortrag des XVIII. Weltkongreses für Philosophie im Jahre 1988, daß unsere Fähigkeit, mathematische "Wesenheiten" ("essences") hervorzubringen, von unserer Fähgikeit eine Sprache zu lernen abhängt. Um den "regressus ad infinitum" zu vermeiden, müssen wir davon ausgehen, daß es "intelligence or intelligences" gibt, welche die Sprache geschaffen haben, ohne sie ihrerseits von einem anderen empfangen zu haben. Auf meine Frage, ob diese Argumentation ein sprachanalytischer Beweis des Daseins Gottes wäre, bestritt Frau Anscombe diese Deutung, sage aber schließlich: Wieso Gott? "Haven't you ever heard about angels?" (Vgl. v.Vf: Der Kongress. Eindrücke vom XVIII. Weltkongreß für Philosophie. Brighton, UK, 21.-27. August 1988. In: Information Philosophie, Mai 1989, 2, 74-82.). Hermann Lübbe hat neulich auf die Bedeutung der Frage nach der Existenz "endlicher, aber reiner, das heißt an Materie nicht gebundener Geister" für die Theodizee bzw. für die Rechtfertigung der Zulassung von Folgen des Freiheitsmißbrauchs hingewiesen (Vgl. H. Lübbe: Theodizee und Lebenssinn. In: Information Philosophie, Mai 1989, 2, S. 5-17).

Ich bin der Meinung, daß die thomistische Engellehre, also eine der wenigen philosophisch und theologisch in begrifflich vollendeter Form durch­gear­beiteten Theorien über uns verwandte gleichzeitig aber transzendieren­den Intelligenzen, besonders sugges­tiv für unser heutiges in Frage stehendes technologisches Selbstver­ständnis bzw. Selbstschaffen ist. Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Vergleichs sollen jetzt zum Ausdruck gebracht werden.

 

DIE RELEVANZ  DER THOMISTISCHEN ENGELLEHRE
FÜR DIE PHILOSOPHISCHE ANTHROPOLOGIE


Es ist Alfons Rosenberg zuzustimmen, wenn er von einer Verdrängung der bildhaften Vorstellung der Engel durch die mittelalterlichen Abstraktion spricht. Anstelle der feurigen Geistleiblichkeit tritt die leiblose Geistigkeit  ein (51). Eine solche Verdrängung geht mit dem Einfluß der arabischen Philosophen (52) und mit dem Versuch die biblischen engelischen Gestalten den "reinen Intelligenzen" anzugleichen, einher. Es lag nahe, die philosophische und insbesondere aristotelische Vorstellung von Zweitursachen also von geistigen Kräften, welche die Naturbewegungen in Gang hielten, mit Gottes Engeln zu iden­tifizieren oder zumindest gedank­lich zu parallelisieren. Daß dabei auch eine gewisse Ver­drängung der nach einem menschlichen Maßstab vorgestellten engelischen Gestalt stattfand, zeigt der Jahrhunderte andauernde Streit zwischen den platonisch-augustinischen (Johannes Eriugena, Duns Scotus, Bonaventura, später auch Molina und Suárez) und den aristo­telisch-thomi­stischen Auffas­sun­gen über die Leiblichkeit oder Materielosig­keit der Engel, wobei letzteres, wie wir noch zeigen werden, sich in dieser Frage vielfältig auf Platon berief (53). Diese "Angleichung" brachte zwei entscheidende Veränderungen der philoso­phischen Vorstellungen sowohl der "reinen Intelligenzen" als auch des mit ihnen zusammenhängenden Kosmos mit sich: Zum einen sind die Engel keine ewigen göttlichen Intelligenzen, sondern Kreaturen. Diese Aussage bildet den Kern der im Konzil von Lateran (1215) verkündeten Glaubenslehre, nämlich daß die Engel "mit dem Beginn der Zeit geschaffen wurden" (Denz. 706). Alle anderen Aussagen sind also "traditio" nicht "doctrina" (54). Zum anderen sprengte die christliche Jenseitsvorstellung die Geschlossenheit des griechi­schen Kosmos. 

Bereits bei diesen Kernpunkten der mittelalterlichen Engellehre läßt sich eine Analogie zu den gegenwärtigen (Wunsch-)Vorstellungen der KI-Forschung bzw. zu den Träumen unserer technologischen Vernunft heraus­bilden. Es liegt nämlich der Herstellbarkeit von künstlicher Intelligenz die Annahme zugrunde, daß das "biologische Substrat" nicht notwendigerweise zu diesem Phänomen gehört. Diese Annahme wird z.B. von John R. Searle kritisier­t, während D.R. Hofstadter die Meinung vertritt, daß "Geister in Gehirnen und viel­leicht einmal in programmierten Maschinen existieren werden" (55). Die Entleiblichung der menschlichen Intelligenz setzt m.E. die Vorstellung einer von der menschlichen sich unterscheidenden und vielleicht sie auch "überbietenden" Intelligenz voraus.  Daß eine solche Intelligenz eine "künstliche" also (von uns) hergestellt sein soll, stellt eine Analogie zur Krea­türlichkeit der Engel dar.

Während Thomas bemüht ist, die philosophischen Lehren (der Griechen und Araber) von der "getrennten Intelligenzen" theologisch umzudeuten, vollzie­hen wir den umgekehrten Weg, indem wir die thomistische Engellehre vor dem Hintergrund unserer wissenschaftlich-technischer Möglichkeiten und Ansprüchen stellen. Hinter diesem Gedankenexperiment verbirgt sich aber die Vermutung, daß unter den verschiedenen Bezeichnungen ("intelligentiae separatae", "Engel", "künstliche Intelligenz") sich nicht nur eine Analogie abzeichnet, sondern, darüber hinaus, eine Konstante menschlichen Seins feststellen läßt. Indem der Mensch aufgrund seiner Seinsweise von der Natur und von allen anderen von ihr hervorgebrachten Wesen sich scheidet und über sich hinaus zum Göttlichen hin Ausschau hält, schreckt er vor der abgrundtiefen Differenz eines solchen Wesens und sucht gewissermaßen nach einer Ver­mittlung. Es ist als ob sonst noch etwas dazwischen fehlen würde, ein Wesen nämlich, daß unsere "höhere" Fähigkeiten in vollen­deter Form besit­zend und zugleich durch seine Natur an den Vorzügen des Göttlichen (vor allem an der Unsterblichkeit) teilhaben würde. 

Als Thomas in der "Summa theologica" die "quaestio de angelis" zwischen den "quaest­iones" "de deo" (ST I, q. 1-49) und "de homi­ne" (ST I, q.75) stellt, dann begründet er die göttliche Schöp­fung der Engel mit dem Argu­ment, daß solche "intellektuellen Kreaturen" für die Vollendung des Univer­sums nötig waren ("ad perfectionem universi re­quiri­tur") (ST I, 50, a.1). Sie nehmen eine Mittelsstellung zwischen Gott und den körper­lichen Kreaturen ein, so wie der Mensch eine Mittel­stellung zwischen den körper­lichen aber nicht intelligenten und den körper­losen intelligenten Wesen (also den Engeln) einnimmt. Die Engellehre bietet Thomas die Möglichkeit einer näheren Bestimmung des menschlichen Seins, sofern dieses "imago Dei", also geistiger Natur ist. Ich behaupte, daß hier auch der Grund für die Faszina­tion spürbar in literarischen und künstleri­schen Zeugnissen der "künstlichen Intelligenz" in unserem technischen Zeitalter liegt, nämlich in der Möglichkeit uns von einer "höheren" Vernunft her durchschaubar zu machen, ohne diese Vernunft mit der Absolutheit und Unnahbarkeit des Göttlichen zu identifizieren. Eine Steigerung dieser modernen "Besetzung" des engelischen Signifikanten durch die Vorstellung von der "künstlichen Intelligenz" ist vor allem die Tatsache, daß wir selbst die Rolle des Schöp­fers oder, genauer gesagt, des Gestalters zu übernehmen trachten.

Da einige der anzustellenden Überlegungen, obwohl sie aus dem ursprüng­lich abendländischen "logos"-Gedanke stammen, diesen aber teilweise durch ihre Fiktionalität zu übersteigen scheinen, könnte die "logische" Reaktion die der Ablehnung sein. So hat der belgische Philosoph Gilbert Hottois vor einem Sichverschließen des philosophischen Logos gegenüber dem "Techno­kosmos" gewarnt und die Haltung der "prudentia" empfohlen (56). Die Rede von einer Dämonologie der Technik ist dabei so töricht wie die von einem technischen Messianismus oder Angelismus (57). Davor warnt uns Pascal: "qui veut faire l'ange, fait la bête". Wir sollten das Wort "faire" auch im wörtlichen Sinne verstehen.

In der folgenden Darstellung, die sich überwiegend auf die "Summa theolo­gica" bezieht (58), werden drei Gesichtspunkte aus der thomisti­schen Engel­lehre hervor­gehoben, von wo aus die Grenziehung zum menschli­chen Sein deutlich wird. Diese Gegenüberstellung von engelischen und menschlichen Seinsbe­stimmun­gen gibt uns die Basis für die jeweilige Analogie zwi­schen Engeln und Computer.


1. Materielosigkeit der Engel

Ein Kernpunkt der thomistischen Engellehre ist die Auffassung von der Materielosigkeit der Engel (ST I, 50 a.2). Deshalb sind die Engel unsterblich (ibid. a.5) und deshalb sind sie keine Individuen, sondern jeder von ihnen stellt eine eigene Spezies dar. Sie unterscheiden sich untereinander durch den Grad ihrer "intellektiven Natur" (ibid. a.4). Bereits in der Frühschrift "De ente et essentia" stellt Thomas fest, daß der Ausdruck "essentia" im Falle der zusammengesetzten Substan­zen ("substan­tiae compositae") das Gesamt aus "materia" und "forma" (bzw. aus "quod est" und "quo est") be­zeichnet (ibid. Kap. 2). "Materia" meint hier die "Materie unter bestimmten Dimen­sionen", die "materia signata" als "principium individuationis". Wenn wir aber von "essentia" im Falle der "getrennten Substanzen" (nämlich der menschlichen Seele, der Engeln und Gottes) sprechen, dann handelt es sich um von der Materie getrennten Sub­stanzen, wo die Zusam­menset­zung nicht mehr "materie ­ / forma" ist, sondern "forma / esse". Die "sub­stantiae separatae" (oder "inte­llectuales") haben eine "quidditas" oder "essentia" ("quod est") und etwas, woraus sie ist, ihr "esse"  ("ex quo est"). Ihr Unterscheidungsmerk­mal ist nicht die "materia" (bzw. die "materia signata"), sondern die "poten­tia". Während "materia" immer einer "forma" bedarf, gilt das nicht um­gekehrt. Die "essentia" der "einfachen" also der nicht aus "materia" und "forma" zusammengesetzen Substanzen ist bloß die "forma" ("forma tantum") (a.a.O. Kap. 4, 64). Es gibt hier kein "principium individuationis", wodurch Individuen innerhalb einer Art ("genus" bzw. "species") sich unterscheiden. Dennoch sind diese Substanzen nicht alle gleich, da sie nicht reine Ak­tualität sind, sondern ihr Sein ("esse") wird unter­schiedlich (von Gott als "causa prima") aktualisiert. Nicht mehr also von "materia / forma", sondern von "forma / esse" ist hier die Rede. Die "forma" verhält sich zum "esse" wie die "poten­tia" zum "actus" (ST 1, 50 a.2 ad 3). Aus den untersch­ied­lichen "Poten­tialitäten" ergibt sich eine Vielheit der intellektuel­len Substan­zen, wobei in Gott "essentia" und "esse" identisch sind, so daß er also beide Bestimmungen übersteigt (De ente et essentia, Kap. 5) (59).

Diese Vielheit ("multitudo") wird vervollstän­digt, so Thomas, durch die "anima humana", "die die letzte Stufe unter den intellektuellen Substan­zen innehat" ("que tenet ultimum gradum in substan­tiis intellec­tualibus") (60). Der Mensch wird, anders aus­gedrückt, im Hinblick auf seine Rangstellung ("ordo et gradus") zwischen den immateriel­len Intelligenzen und den mate­riellen Dingen be­stimmt. Er ist also innerhalb der "intel­lektuellen Substanzen" eine Aus­nahme. Nur im Falle der menschlichen Gattung haben wir mit individua­lisierten Intellekten zu tun (61).  Mit der Materialität geht auch ineins die "corruptio", d.h. die Zerstörbarkeit. Da aber einerseits die Seele als geistige Substanz unsterblich ist, sie aber andererseits eine Einheit mit dem Leib bildet, bleibt die "materia" nach dem Tode offen für eine neue "in-formatio", die bei der Auferstehung stattfindet (62). Aus dem inneren Zusammenhang zwischen Seele und Körper beim Menschen ergibt sich auch, daß die men­schliche Seele nicht dieselbe Form ("species") wie die engelische hat bzw. daß die Engel keine "höhere Menschen" oder "niedrige Götter" sind (vgl. ST I, 75, a.7) (63).

Aus der Materielosigkeit der Engel ergeben sich die besonderen Bestimmun­gen ihres Im-Raum- und In-der-Zeit-seins (ST I, 52-53). Im Unterschied zu Gott können Engel nicht gleichzeitig überall sein, da sie aber körperlos sind, werden sie nicht vom Raum erfaßt bzw. sie sind nicht in ihm enthal­ten ("continetur"), sondern sie umfassen gewissermaßen den Raum ("ut continens"). Ihr Im-Raum-sein nennt Thomas ein "definitives" ("definitive") im Gegensatz zum göttlichen "ubique" bzw. zur körperlichen Einnahme eines Raumes ("circumscriptive") (64). Vom Raum nicht erfaßt, sind die engelischen Bewegungen diskontinuie­rlich ("motus non continuus"), d.h. sie können (müssen aber nicht) einen Ort als Ganzes verlas­sen. Für Thomas, wie für Aristoteles, hängt die Zeit mit dem Maß der Bewegung zusammen, welche, im Falle von Körpern, immer eine kontinuier­liche ist. Thomas verneint die Möglichkeit einer "augenblicklichen" Bewegung der Engel, indem sie sich von einer bestimmten Zeit "im letzten Augenblick" fortbewegen würden. Solche augenblicklichen Bewegungen gehören, so Thomas, zu einem Kontinuum. So wie im Falle des Raumes haben aber die Engel die Möglichkeit einer nicht kontinuierlichen Zeitbewegung, d.h. sie können in einem Augenblick an einem Ort und in einem anderen an einem anderen Ort sein, ohne daß es Zeit dazwis­chen läge ("nullo tempore inter­medio existente") (ST I, 53, a. 3).

Nichts könnte entfernter erscheinen als eine Analogie zwischen der Materie­losigkeit der Engel und der auf "hardware" basierenden Systeme der  "künstlichen Intelligenz". Dabei wird aber jene Eigenschaft verdeckt, die gerade die elektronische Revolution gegenüber den herkömm­lichen Ma­schinen mit sich brachte, nämlich die Vorstellung von Univer­salität, d.h. von einer "Maschine" oder, analog gesprochen, eines der Uni­ver­salität des Geistigen bzw. der software anpassungsfähigen Sub­strats. Erst die Software spezifiziert sozusagen dieses Substrat, ohne daß es sich dabei um eine Individualisierung handeln würde. Diese Vorstellung steigert sich etwa bei Stanislaw Lem in der Umkehrung des Verhältnisses zwischen Materie und Denken, bei einem Computer namens "Honest Annie", der durch Meditation Energie freisetzt (65).

Es ist deshalb in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, ob wir von der willkürlichen und bisher unbewiesenen Annahme ausgehen wollen, daß die geistigen Fähigkeiten abhängig vom Gehirn bzw. nur in der Weise sich vollziehen können, wie wir sie vom Menschen kennen. Wenn Karl Rahner diese Frage vom theologischen Standpunkt aus verneint (66), dann ist es der naheliegende Folgeschritt denkbar, daß Intelligenz und Wille, wenn auch nicht immateriell, doch zumindest in einer anderen Art von Einheit mit der Materie aufgrund menschlicher Manipulation zum Vorschein kommen kann. Inwiefern sich dadurch eine neue Art von Weltbezug im Sinne einer Übersteigung unseres räumlichen und zeitlichen Weltbezuges möglich wäre, muss hier offen bleiben. Wie diese Bezüge zu denken wären oder daß sie denkbar sind, dafür liefert uns die thomistische Engellehre einige Hinweise. Die philosophischen Voraus­setzungen dieses Gedankenexperiments sind dann von hier aus nicht, wie Searle behauptet (67), dualistisch, sondern phänomenalistisch. Die Selbstor­ganisa­tion des Lebendigen, wie heute von konstruktivistischen Theorien behauptet wird (68),  könnte sich nicht nur wissend, sondern auch faktisch selbst trans­zendieren, zu einem umfassenderen und freieren Weltbezug nämlich, worauf die Gestalt der Engel eine konkrete Vorstellung liefert. Zuvor müssten wir aber die anthropozentrischen Voraussetzungen unseres Weltbildes in Frage stellen, ohne jedoch die Spezifizität menschlichen Seins notwendigerweise dadurch abzuwerten­. Diese ist die eigentliche philosophische Herausfor­derung unserer wissenschaftlich-technischen Zivilisation, zumal wenn die Antworten der Religionen nicht als nicht hinterfragbare Ausgangspunkte des Diskurses über den Menschen hinge­nommen werden.

Ein Vorgeschmack dieses andersartigen Im-Raum- und In-der-Zeit-seins bieten bereits die heutigen Großrechner, indem sie z.B. über eine ganze Stadt oder sogar über ein Land oder einem Kontinent (räumlich und zeitlich) "anwesend" sind und in einer für uns (!) kaum vorstellbare Geschwindigkeit Massen von Daten bzw. "Informationen" "verarbeiten". Die hier eingeschli­chene anthropomor­phe Terminologie birgt zwar die Gefahr einer mecha­­nistischen Rückdeutung des Menschen in sich, sie ist aber zugleich ein Anzeichen dafür, daß die menschlichen Kategorien von Raum und Zeit, zumindest an einem Grenzbereich stoßen, wo es noch nicht klar ist, ob sie sich auflösen oder übersteigen werden. Öffnet die Computertechnologie für den Menschen die Möglichkeit einer diskontinuierlichen Raum- und Zeiter­fahrung? Stand dieser Gedanke nicht in der Wiege der modernen Quanten­physik? Von hier aus mutet die Idee der "Parallelverarbeitung" bereits antiquiert an. Die Grenzen der Analogie zwischen Engeln und Computer sind aber in der Frage der Materielosigkeit deutlich. Von einer unsterblichen Substanz, ob materiell oder immateriell, können wir nicht verfügen, da wir dann über Raum und Zeit verfügen müssten, etwas, was nicht einmal die Engel können. Die Materielosigkeit der Engel hat weitreichende Konsequenzen im Hinblick auf die Art wie sie erkennen und wollen sowie auf ihre Bestimmung. Weil Engel rein-geistige Wesen sind, haben sie ausschließlich geistige Fähigkeiten, nämlich Erkennen und Wollen.


2. Engelische Erkenntnis

Im Unterschied zur göttlichen Erkenntnis ist der Intellekt der Engel nicht zugleich ihr Sein und ihr Handeln, sondern der "tätige Intellekt" ("intellec­tus agens") nimmt, je nach Rangordnung, am göttlichen Intellekt auf unterschiedlicher Weise teil ("par­ticipatio"). Gegenüber der menschlichen Erkennt­nis bedürfen die Engel keines "intellectus possibilis", das erst durch eine "transeunte" oder über sich hinaus zum sinnlichen Gegenstand gehen­de Handlung aktualisiert wird. Menschliche Erkenntnis ist endlich. Sie bedarf eines äußeren Erleidens. Sie ist teils sinnlich, teils intellektuell.  In sich bleibend erkennen wiederum die Engel nicht alles schlechthin ("simpl­iciter"), sondern ihre Unendlichkeit ist immer perspektivisch ("secun­dum quid"). Die Engel sind ihren erkennbaren Gegenstände ("intelligibilia") gegenüber immer "in actu". Ihr Wissen ist ihnen, so könnten wir im Hinblick auf unsere Fragestellung sagen, "vorprogrammiert". Da sie keinen Körper haben, haben sie auch kein Gedächtnis ("memoria") und keine Einbildungskraft ("fantasia") (ST I, 54). Engel erkennen also die Dinge nicht "durch" ("per"), sondern kraft oder entsprechend ("secundum") ihrer Natur. Die Formen der Dinge, welche wir erst durch die sinnliche Wahrnehmung empfangen und durch den Abstraktionspro­zeß aktualisieren, wohnen den Engeln aber inne ("connaturales"), da sie sie von Gott empfangen. Die Vielheit der Formen ist zugleich Anzeichen eines Mangelns an Universalität oder ein Zeichen der Potentialität ihres geschaffenen Intel­lekts (ST I, 55). So erkennen sich die Engel auch gegenseitig, indem sie ihre jeweiligen "species" "eingedrückt" haben ("impressae", "esse intentio­nale"), ohne sie aber zu ver­wirklichen ("esse naturale") (ST I, 56). Der Engel, so Karl Rahner (69), hat keinen intellectus possibilis, er ist eine "endliche intuitive Intellligenz". Das objectum primum seiner Erkenntnis ist sein eigenes Wesen, während der Mensch gegenüber den „intelligibilia“ nur „in potentia“ ist. Er ist hinnehmend und nicht schöpferisch bzw. an der schöpferi­schen Erkenntnis Gottes teilhabend (70). Der Begriff des "intellectus possibilis" dient somit Thomas als Grenzbegriff gegenüber der intuitiven intellektuellen Erkenntnis, also den Engeln. Es ist diese Art von menschli­cher Intellek­tualität, die "eine Sinn­lichkeit aus sich entspringen läßt". Er verliert sich dabei nicht notwendigerweise, sondern hat die Möglichkeit zu sich selber zu kommen. Eine solche intellektuelle Substanz, von der Art der menschli­che Seele ist, so Thomas, "die niedrigste in ihrer Art" (71). Durch diesen Vergleich, erscheint der menschliche Geist, so Rahner, "als der Grenzidee einer intuitiven Intellektualität der Engel gegenübergestellt" (72). So ist der Hinweis auf die "superiores substan­tiae intellectuales" in Kerntexten der thomisti­schen Erkenntnistheorie "nicht von ungefähr" (73).

Die Art und Weise wie Engel miteinander sprechen übersteigt zwar, so Thomas, unsere Vorstellung, sie läßt sich aber erahnen. Der Wille, der die Mitteilung des Begriffs ("conceptum mentis") von einem Wesen zum anderen ein­leitet, bedarf im Falle des Menschen einer Aktualisierung des sich im Gedächtnis potentiell (bzw. "habitualiter") Befindenden, das auch das "innere Wort" ("interius verbum") genannt wird, sowie eines "sinnlichen Zeichens" ("signum sensibile"). Letzteres stellt eine Barriere ("obstaculum") für die zwischenmenschliche Mitteilung dar. Bei den Engeln ist ein solches "concep­tum mentis" stets aktuell, so daß sie sich unmittelbar und ohne sinnliche Barriere gegenseitig "sofort" ("statim") offenbaren können. Die engelische Mitteilung ist deshalb nicht äußerlich ("locutio exterior"), sondern innerlich ("inter­ior") (ST I, 107, a. 1).

 Auf­grund ihres hohen Grades an Poten­tialität bildet die mensch­liche Seele mit dem Leib ein Kom­positum und aus diesem Grund auch ist sie "wie eine Tafel auf der nichts geschrieben ist" (74), d.h. der Mensch kann das Wesen der Dinge erst aufgrund eines sinnlichen Prozesses erken­nen, durch "abstractio" und "conversio ad phatasmata", während die "getrennten Substanzen" eine essentielle Kenntnis der Dinge haben (75).  Wie erkennen aber Engel die Einzeldinge ("singularia")? Thomas vergleicht diese Erkenntnisweise mit der des Astrologen, der "per computationem", d.h. durch Berechnung der himmli­schen Körper diese in ihrer Allgemeinheit erkennt bzw. vorhersagt. Engel können aber mit einer einzigen Verstandeskraft, ohne Sinnlichkeit also, sowohl das Allgemeine als auch das sich daraus ableitenden Viele ("ad plura se extendentem") erkennen. So können sie auch Zukünftiges erkennen, sofern sich nämlich dieses aus Ursachen notwendig ergibt ("ex necessitate") oder aber, im Falle verschiedener Wirkungsfaktoren, "durch Vermutungen" ("per conjecturam"). Letztere Art, die, so Thomas, wir, etwa ein Arzt, nur unvollkommen beherrschen, ist den Engeln, aufgrund ihres höheren Erkennt­nisgrades des Allgemeinen, viel eigener als uns. Zufälliges ("casualia", "fortuita") bleibt ihnen aber völlig unbekannt. 

Diese Hinweise dürften genügen um die Zwischenstellung, welche die Engel­lehre zwischen den Bestimmungn des Göttlichen und des Menschlichen einnimmt, zu verdeut­lichen. Zugleich zeigt sich bei der Frage nach der Erkenntnis des Zukünftigen, den Zusammenhang zwischen Zeit und Erkenntnis. Gott ist die Ganzheit der Zeit gegenwärtig ("toti tempori adest"), während die Engel nicht gleichzeitig überall sein und somit nicht alles gleichzeitig begreifen können. Ihre Erkenntnis ist zwar "über die Zeit" ("supra tempus"), wenn man damit die Messung der Zeit anhand der Bewegung körperlicher Dinge meint, aber sie vollziehen ihre Erkenntnisakte nacheinander ("secun­dum successionem intelligibilium conceptionum"). Mit anderen Worten, die Engel brauchen Zeit, um zu verstehen (ST I, 57, a.3). Dennoch bedürfen sie nicht des "intellektuellen Diskurses" wie wir, indem wir vom Erkann­ten zum Erkannten fortgehen müssen. Engel erkennen  durch Prinzipien die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen. Wir nennen, so Thomas, die menschliche Seele sofern sie Auskunft über die Wahrheit der Dinge aufgrund eines Diskurses gewinnt, "ratio". Diese ist ein Zeichen der Schwäche unseres Verstandeslichtes ("ex debilitate intellectualis lumi­nis") (ST I, 58,  a. 3). Im Gegensatz zu den Engeln, kennen wir nicht die Schlußfolgerungen, die sich aus den Prinzipien ergeben, sondern müssen wir sie erst ziehen. Daher die Möglichkeit des falschen Erkennens (ST I, 58, a.4). Lediglich im Hinblick auf die "übernatürlichen Dinge", wie etwa über die Göttlichkeit Christi, können sich Engeln täuschen, womit Thomas auch die Erklärung für die Sünde der Engel abgibt. (ST I, 58, a. 5; vgl. ST I, 57, a. 5) (76).

Es sieht alles so aus, als ob wir die Herstellung von "künstlicher Intel­ligenz" am Modell des diskursiven Verstandes, also nach einem regelgeleite­ten Prozeß zu verwirklichen trachten. Gegenüber dieser reduktionischen, das Phänomen selbst verfehlende Auffas­sung menschlicher Intelligenz hat sich Hubert Dreyfus gewandt und die Überwin­dung dieses Paradigmas durch die Orient­ierung an einem "neutra­lnetz­artigen Modell des menschlichen Gehirns" als Voraussetzung für die Emula­tion (und nicht bloß Simulation) intel­ligenter Phänomene gefordert (77). So würden wir also bisher mit der Software ledig­lich jene Voraussetzungen des diskursiven Verstandes simulieren, die den Abstrak­tionsprozeß regulieren. Der Anschluß an die sinnliche Realität etwa mit Hilfe von "Sensoren" aller Art (optischen, taktilen, akustischen usw.) zeigt, daß eine zumindest rudimentäre Auffassung der menschlichen wahr­nehmenden Intelligenz bei diesen Roboter-Simulationen Pate steht (78).

Von einer im Sinne der engelischen Erkenntnis metadiskursiven Ebene wäre nur analog zu sprechen, wenn das Programm gewissermaßen das Wissen über die "prima principia" enthalten würde. Durch die Erzeugung eines "Weltmo­dells" ist ein solches (Vor-)Wissen nicht zu ersetzen aber eine gewisse Analogie zur engelischen Erkenntnis ist dabei gegeben (79). Während Menschen der Erinnerung bedürfen, weil sie vergessen können, ist den Engeln das Wissen stets präsent. Wenn künstliche Intelligenz die Welt wissensmäßig repräsentiert und sie so gewissermaßen in sich erkennt, dann ist zugleich die Vorstellung eines ungetrübten Gedächtnisses gegeben. Dreyfus und Dreyfus haben hervor­gehoben (80), daß mensch­liche "Intu­ition" gewisser­maßen diskontinuierlich ist, d.h. daß wir in der Lage sind situa­tionsgerecht und ganzheitlich einzelne Fakten zu erkennen. Dies nachzuahmen, bedeutet nur einen ersten Schritt um jene Fähigkeit zu verwirklichen, die, wie wir sahen, in höchstem Maße den Engel zukommt. Natürlich sind heutige Sys­teme der "künstlichen Intelligenz" noch lange keine diskursiven Intellekte und auch keine Hermeneuti­ker, die aufgrund von induktiven oder deduktiven Verallgemeinerun­gen oder Theorien die sinnlichen Phänomenen deuten würden. Wir sind außerdem weit davon entfernt ihnen etwas einzupflanzen, nämlich die Kenntnis der "prima principia", was wir selber nicht in der Lage sind zu erkennen. Da aber der Computer bereits jetzt gewisse menschliche Erkennt­nisfähigkeiten in kaum vorstellbaren Maßen zu überstei­gen scheint (Quan­tität der Daten, Geschwindigkeit und Sicherheit ihrer "Verarbeitung", räumliche und zeitliche "augenblickliche" Übertragung, ständige Präsenz im "Gedächtnis" usw.) kann er für unsere technische Zivilisation jenem Sig­nifikanten in der Phantasie eine Bedeutung verleihen, die der engelischen Vorstellung nahekommt.
 

3. Engelischer Wille

Die zweite geistige Fähigkeit, der Wille nämlich, untersucht Thomas in zwei "quaestiones" (ST I, 59: De voluntate, und 60: De amore). Er unterscheidet dabei zunächst die Hinwendung zum Guten ("inclinatio in bonum") bei Wesen ohne bzw. mit Erkenntnis, und bei den Letzteren, ob diese das Gute durch die Vermittlung des sinnlichen Strebens ("appetitus sensitivus") oder durch die Erkenntnis des Grundes des Guten ("ratio boni") stattfindet. Letzteres kann wieder­um intuitiv ("intuitu"), wie bei den Engeln, oder diskursiv ("discurrendo"), wie bei den Menschen, sein. Bei den Engeln, aufgrund ihrer reinen intellektuellen Natur, ist das Streben nicht stärker ("superior") als der Wille (ST I, 59, a.1).  Wille und Intellekt sind aber bei den Engeln zwei geistige Fähigkeiten. Sie wollen etwas, nämlich Gott, daß sich außer ihnen ("extra se"), also nicht in ihrer Erkenntnis, befindet. Da sie den allgemeinen Grund des Gutes kennen, können sie frei urteilen. Da ihr Intellekt aber vollendeter ist als der menschliche, ist ihr "liberum arbitrium" zugleich "excellentius" (ibid. a. 3). Zusammen mit ihrer Natur ist eine "natürliche Liebe" ("dilectio naturalis") vorgegeben, so wie in unserer Natur zugleich der Wunsch nach Glückselig­keit eingepflanzt wurde. Sie ist in beiden Fällen das Prinzip der Liebeswahl ("dilectio electiva"), welche nicht nur "nach" ("sicut") einem Ziel handelt, sondern dieses Ziel auch will ("propter") (ST I, 60, a. 2). Während im Falle der Erkenntnis beim Engel  eine "natürliche Erkenntnis" ("cognitio naturalis") gegeben ist und der Mensch diese auf rationalem Wege vollzieht, findet sich im Fale des Willens sowohl beim Engel als auch beim Menschen eine "dilectio naturalis" und eine "dilectio electiva". Der Grund dafür ist, daß der Wille sich nach den Dingen selbst und nicht nach ihrer Erkenntnis richtet, wobei manche Dinge "an sich" ("secundun se") und andere nur "im Hinblick auf ein anderes" ("propter aliud") gut sind. Das gilt bei Menschen und Engeln, unabhängig von deren unterschiedlichen Naturen. Bei den Engeln aber ist die "dilectio naturalis" das Prinzip der Liebeswahl (ST I, 60, a.2). Dabei erlangen die Engel die Glückseligkeit kraft der eigenen Natur, sofern es sich nicht um die übernatürliche Glückseligkeit handelt (ST I, 62, a.1) 

Obwohl Thomas die Glückseligkeit des Menschen in der Betrachtung Gottes oder des Wahren als das "eigentliche Objekt" ("objectum proprium") unseres Intellekts betont, stellt er die Betrachtung der Engel durch den Menschen auf einer höheren Stufe als die der "spekulativen Wissenschaften". Er spricht sogar von einer "gewissen unvollkommenen Glückseligkeit" bei dieser Betrachtung.  Die Engel, die unsere Seele nicht erschaffen haben, erleuch­ten uns als Dienende, sie helfen uns ("tamquam minister") auf dem Weg zum Ursprung (ST I, IIae, a.7). Es ist erst in angesichts der ewigen Glück­seligkeit, daß Thomas die Differenz zwischen Engeln und Menschen teilweise aufhebt, indem er nicht nur von der "Gleichheit" ("aequalitas") diesbezüglich spricht, sondern diese auch auf die Möglichkeit  ausdehnt, daß der Mensch so wie der Engel dieses durch den Verdienst ("meritum") eines einzigen Aktes erreichen kann (ST I, 62, a.5). Das Wichtigste bei den Engeln ist ihre Tätigkeit. Ihr Name ist ihr Berufs­name, nämlich Boten und Vollstrecker des Willens Gottes.

Die These von der Materielosigkeit der Engel hängt mit die Problematik dieser Tätigkeit, die sowohl eine kosmische als auch eine irdische ist, zusammen.

a) Der kosmische Dienst: Für Pierre Duhem (81) folgt Thomas Aver­roes, wenn er die "mate­ria incorrup­tibilis" der Himmels­körper von der zerstörbaren Materie der "sub­lunaren" Körper unterscheidet, wobei er die "forma" oder das Kom­positum der himmlischen Körper von den "intelligentiae separatae" auf der einen Seite trennt, auf der anderen Seite aber in Bezie­hung setzt (82). Der thomisti­sche Kompromiß zwischen arabisch-griechischer politheistischer oder pan­theistis­cher Philoso­phie und christlicher Schöpfungslehre ist, so Duhem, keineswegs einheitlich (83).

b) Der irdische Dienst: Der Zusam­menhang zwischen den Engeln und den sonstigen vor allem menschlichen Geschöpfen, wird vom Thomas im Sinne der "cus­todia" bzw. "minister"  oder Diener Gottes verstanden, wobei dann die verschiede­nen Engelshier­archien den Seinsstufen ("ordines") entsprechen (ST I, 113, a. 2 u. 3). Von dieser biblischen Vorstellung der engelischen Natur ausgehend, werden die "intel­ligentiae separatae" nicht mehr bloß als "moto­res", sondern als Helfer gedeutet, die die Schöpfung zum freien Rückgang zu Gott verhilft. Aristoteles hatte das "primum movens" als Endursache gedacht, so daß man annehmen musste, die kosmischen Sphären sollten entweder leben­dig sein oder von einem Geist bewegt. Da die Sphären ewig und unverwes­lich seien, wären die Geister göttlich. Thomas widersetzt sich gegen die erste Möglichkeit (lebende Sphären) und über­nimmt die theologische Idee vom Diener Gottes, die auch eine politische Idee war ("minister" im römi­schen Imperium). Der Engel ist somit nicht bloß ein "Zwischenbeweger", sondern er verbindet den ganzen Kosmos mit Gott und hilft den Menschen, Gotteswille freiwillig zu vollziehen. Damit war auch eine Lösung für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Naturdeter­minismus und menschli­cher Freiheit gegeben (84).

Thomas faßt die von Augustinus wiedergegebene philosophische insbesondere Platoni­sche Lehre von den "substantiae intellec­tuales" folgendermaßen zusammen. Die supralunaren intellektuellen Substan­zen wurden Götter genannt und sie waren alle gut; die sublunaren dagegen, Dämo­nen genannt, waren teilweise gut teilweise böse, von ihrer Natur aber waren sie höher gestellt als die Menschen. Die theologische Umdeutung lautet dann, daß Gott die "Verwaltung" der gesamten körper­lichen Schöp­fung mit Hilfe der Engel vollbringt ("quia tota creatura cor­poralis ad­minis­tratur a Deo per angelos"), indem er also die "niederen Engel" für die Verwaltung der unteren  bzw. die "höheren" für die der oberen Körper vorsieht (ST I, 63, a.7). Eine solche Herrschaft ("gubernatio", "praesidentia") der Engel über die körperlichen Wesen ist eine unmittelbare (ST I, 110, a. 1), d.h. sie führen Gottes Herr­scherwille aus (ST I, 103, a. 6). Was aber   die Gestaltung des Materiellen selbst ("informatio materiae") anbelangt, findet sie entweder durch Gott selbst oder (mittelbar) durch ein  körper­liches Wesen statt­, und kann nicht unmittelbar von einem Engel verur­sacht werden kann (ST I, 110, a. 2) (85). Die Handlungen der Engel den Menschen gegenüber können sich dement­sprechend auf die Ausführung des Willen Gottes "im" Menschen bzw. auf die Obhut ("custodia") "über" den Menschen beziehen. So können Engel unsere Vernunft ("intellectus") aufklären ("illuminatio"), unseren Willen zur freiwilligen Zustimmung bewegen, unsere Einbildungskraft ("imaginatio") zum Guten bzw. im Falle des Teufels, zum Bösen bewegen und unsere Sinneswahrnehmungen ("sensus") verändern. (ST I, 111). Bezüglich ihrer "Obhut" über uns, sind sie "Werkzeuge" ("instrumentum") Gottes, d.h. sie handeln nur in seinem Auftrag.

Hier, im Bereich des Willens also, klafft die Analogie zwischen Engeln und Computer so weit auseinander, daß auch eine offene Vorstellung von den Möglichkeiten der "künstlichen Intelligenz" uns vor kaum vorstellbaren ethischen Fragen stellt (86). Dennoch scheint gerade die Vorstellung einer nicht nur "denkenden", sondern auch "wollenden" "Maschine" unsere nicht nur literarische Phantasie zu beflügeln. Die Analogie zur dienenden Funk­tion der Engel ist, wenn auch im negativen Sinne, gegeben, wenn nicht nur künstliche Intelligenz, sondern bereits herkömmliche Com­putersysteme die Überwachung von sozialen Prozessen über­nehmen. Natürliche sind wir dabei von einer nicht nur engelischen, sondern sogar menschlichen verantwo­rtungsvollen Vernunft weit entfernt. Die Auflösung von Sittlich­keit in die sachgemäße Verwaltung unseres sozialen Systems ist aber eine für die technok­ratische Vor­stellung eines Niklas Luh­mann wünschbare Realität (87).

Daß wir in der Praxis nur allzu bereit sind Verantwortung in unsere tech­nischen Systeme zu delegie­ren, vom häuslichen PC bis hin zu den "Ent­schei­dungen" eines gigantischen Verteidigungssystems, braucht kaum betont zu werden. Bei der Erörterung des Zusammenhangs mit der ethischen Frage im Bereich der künstlichen Intel­ligenz stehen wir vor drei Alter­nati­ven­ (88):

Homunkulus-Alternative: Wir stellen uns "künstliche Intelligenz" als am offenen Maßstab menschlicher Sittlichkeit Teilhabende bzw. Teilneh­mende vor. Hier wäre eine Analogie zu den Engeln nur insofern gegeben, als wir gemeinsame Ziele hätten. Allerdings wäre die Vorstellung eines gemeinsamen "Gutes" ein Postulat, im Kantischen Sinne, d.h. etwas, daß wir freiwillig gegenseitig anerkennen müssten. Eine, wie wir wissen, bereits unter Menschen strittige Angelegenheit, mit dramatischen Konsequenzen.

Frankenstein-Alternative: Wir betrachten künstliche Intelligenz im Sinne eines "custodes" oder überwachenden Dieners. Hier liegt der Schwerpunkt der Analogie mit dieser Hauptfunktion der Engel. Allerdings sind hier die ethischen Fragen von kaum vorstellbaren Maßen: Künstliche Intelligenz dürfte nicht zur Über­wachung von Menschen eingesetzt werden, so wenig wie Gott durch den Einsatz der Engel unsere Freiheit beschneidet. Vielleicht ist diese für uns Menschen kaum erfüllbare Bedingung eine deutliche Warnung vor dem scheinbaren neutralen bzw. instrumentellen Einsatz von Computer. Zimmerli hat dieses Paradoxon mit der Frage "wer kontrolliert die Kontrol­leure?" auf den Punkt gebracht (89). Die Frage ist um so drin­gender als Computer (wie übrigens auch Engel!) inzwischen Legion sind.

Golem-Alternative: Lems Golem-Mythos hat deutliche Züge einer uns übersteigenden Sittlichkeit. Damit ist eine Grunddifferenz zur gemeinsamen engelischen und menschlichen Sittlichkeit gegeben. Zugleich weist dieser Mythos kosmisch-ästhetische, je göttliche Züge auf. Vielleicht liegt in diesem Bereich die stärkste Funktion der künstli­chen Intelligenz in unserer Zivilisation, nämlich uns stets vor einer Dimen­sion der Realität zu stellen, der gegenüber die Engel wesensmäßig offen sind.

In diesem Sinne hebt Karl Rahner die kosmische Funktion der Engel hervor. Vor diesem Hintergrund kann der Mensch seine eigene Entstehungsge­schichte in das un­ermeßliche Werden einer vermutlich sich selbst transzen­dierenden Realität einordnen. Es ist nämlich nicht ausgemacht, warum die Unermeßlichkeit des Kosmos gerade zur Entstehung menschlicher Subjek­tivität gedient hat und warum, so könnten wir hinzufügen, der Mensch in diesem Prozeß nicht gerade jene künstlerische bzw. künstliche Funktion spielen soll, die ihm ja offenbar eigen ist (90). Engeln, Menschen und künstlicher Intelligenz bleibt aber für immer Eines verborgen, nämlich die Kenntnis des faktisch Zukünftigen, dessen also, was sich nicht aus prinzipiellen Bedingungen ableiten oder voraussagen läßt. Sie sind, mit anderen Worten, endlich.


AUSBLICK

Wir haben die Suggestibilität der thomistischen Engellehre für die philoso­phische Anthropologie vor allem im Hinblick auf die Analogie, zu den technologischen Träumen der Selbstherstellung und -überbietung des Men­schen gedeutet. Es ist eine Kernaufgabe der Philosophie auf Möglich­keiten und Grenzen von Metaphern aufmerksam zu machen. Darauf hat José Ortega y Gasset in seiner Schrift "Die beiden großen Metaphern" (Gesammelte Werke,  Stuttgart, 1978, Bd. 1, 249-265) hingewiesen.

Vielleicht liegt die größte Gemeinsamkeit in der Analogie zwischen der mittelalterlichen Engellehre und den gegenwärtigen Visionen der künstli­chen Intelligenz in der Vorstellung eines an der Grenze des Menschlichen bereits anwesenden oder erst herzustellenden Wesens. Letzteres deutet bereits auf die entscheidende Differenz, außerhalb der Teilidentität, nämlich auf die ambivalente Offenheit der technischen Zivilisation für die Dimension des Göttlichen bzw. auf eine Änderung im Seinsbezug des Menschen (Heidegger) hin.

Aus der metaphysischen, erkenntnistheoretischen und ethischen Analogie läßt sich den Schluß ziehen, daß der Mensch, sei es in Bezug auf den Engel oder auf die technische Vorstellung einer von ihm geschaffenen und ihm zugleich überbietenden Intelligenz, weder seine Natürlichkeit völlig ver­lassen noch sich als reine Künstlichkeit verwirklichen kann, ohne seine Identität aufzugeben.  Er ist gerade in bezug auf diesen Sig­nifikanten, durch dieses Weder-Noch be­stimmt: Er ist weder Tier noch Engel, weder Natürlichkeit noch Künstlich­keit. Er ist vor allem der­jenige, der dieses Weder-Noch er­kennen muß. Bei allen kühnen künstlichen Entwürfen bleibt er der durch Kriege, Leiden, Tod und Haß geplagte Wesen, der dieses stets, und sei es durch alltägliche Science-fiction-Mythen, zu ver­drän­gen versucht. Mythen können aber auch Wege der schöpferischen Phantasie und somit Wege aus der Gefahr öffnen.

Auch der Mythos unserer geistigen Selbstmanipulation gehört dazu (91). Wenn der Mensch sich dabei in die "Un-verborgenheit" (Heidegger) einläßt (92), wodurch er jenes "Unheimliche" („deinon“ Sophokles), daß er selbst ist, erfahren kann, kann er sich als Paradoxon eines Wesens "in confinio" wiederer­kennen. In der  Gestalt technologischer Lust ("delectatio") begehrt unsere Vernunft zugleich eine beglückende letztlich aber nicht herstellbare Dimension, die des "gaudium". Das ist die Lehre der Engel­lehre und wohl auch die ihrer heutigen technischen Stellvertreter, wenn wir sie in diesem Licht sehen lassen.

 

 
   
  

ANMERKUNGEN

*Blaise Pascal: Pensées (Paris: Gallimard 1977). Vgl. auch Fr. 112: "Il ne faut pas que l'homme croie qu'il est égal aux bêtes, ni aux anges, ni qu'il ignore l'un et l'autre, mais qu'il sache l'un et l'autre." Zu diesem Topos moralischen Denkens vgl. auch Michel de Montaigne: Essais, III, 13,S. 415: "Ils veulent se mettre hors d'eux et échapper à l'homme. C'est folie: au lieu de se transformer en anges, ils se transforment en bêtes, au lieux de se hausser, ils s'abattent."  Vgl. auch Paul Valéry: Paraboles. In ders.: Oeuvres (Paris: Gallimard 1957), I, S. 198-201, 205-206 sowie ibid. Mélange: L'ange étonné, S. 399: "L'ange étonné. L'ange s'étonnait d'entendre le rire des hommes. On lui expliqua comme l'on put, ce que c'était. Il demanda alors pourquoi les hommes ne riaient pas de tout, et à tout moment; ou bien, ne se passeraient pas entièrement de rire. 'Car, dit-il, si j'ai bien compris, il faut rire de tout ou ne rire de rien." Vgl. dazu v.Vf.: Leben im Informationszeitalter (Berlin: Akademie Verlag 1995) S. 12: "Was uns, Staunende, offenbar vom Engel unerscheidet, ist, daß wir fähig sind, zu reden und zu schweigen, und daß wir beides gegebenenfalls durch Lachen durchbrechen können." Vgl. auch v.Vf.: Ein Grinsen ohne Katze. Über die Vergleichbarkeit zwischen 'künstlicher Intelligenz' und 'getrennten Intelligenzen


1. Vgl. v.Vf.: Der Kongreß. Eindrücke vom XVIII. Weltkongreß für Philosophie. Brighton, 21.-27. August 1988. In: Information Philosophie (1988) S. 74-82.

2. Vgl. K. Völker, Hrsg.: Künstliche Menschen. Dichtungen und Doku­mente über Golems, Homunculi, Androiden und liebende Statuen (München 1971); ferner: V. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik (Berlin: Springer) 1984); W. de Beauclair: Rechnen mit Maschinen (Braunschweig: Vieweg 1968); S.A. Bedini: The Role of Automata in the History of Techno­logy. In: Technology and Culture 5 (1964) 24-42; F.M. Feldhaus: Die Technik der Vorzeit, der geschichtlichen Zeit und der Naturvölker (München: Moos 1965); ibid.: Ruhmesblätter der Technik 8Leipzig: Brandstetter 1924, 2 Bde.); B. Gille: Machines. In: Ch. Singer et al., Hrsg.: A History of Technology (Oxford: Clarendon Press 1956) Vol. 2, S. 629-658); H.H. Goldstine: The Computer, from Pascal to von Neumann (Princeton Univ. Pr. 1972); H. Heckmann: Die andere Schöpfung (Frankfurt: Umschau 1982); H. Kaufmann: Die Ahnen des Computers (Düsseldorf: Econ 1974); F. Klemm: Zur Kulturge­schichte der Technik (München: Deutsches Museum 1982); K. Maurice, O. Mayr: Die Welt als Uhr (München: Dt.Kunstverlag 1980); P. McCorduck: Machines Who Think (San Francisco: Freeman 1979); J. Needham: Science and Civilization in China (Cambridge 1954ff) bes. Bd. IV, Teil 2; Derek J. de Solla Price: Automata and the Origins of Mechanism and Mechanistic Philosophy. In: Technology and Culture 5 (1984) 9-23; L. Sauer: Marionetten, Maschinen, Automaten. Der künstliche Mensch in der deutschen und engli­schen Romantik (Bonn: Bouvier 1983); H. Swoboda: Der künstliche Mensch (München: Heimeran 1967); M. Tietzel: L'homme machine. Künstliche Men­schen in Philosophie, Mechanik und Literatur. In: Zt.f.allg.Wiss.theorie 15/1 (1984) 34-71.

3. S. Lem: Also sprach GOLEM (Frankfurt: Insel 1984).

4. Zur philosophischen Anthropologie vgl. O. Marquard: Anthropologie. In: J. Ritter, Hrsg.: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Stuttgart: Schwab 1974 ff); Max Müller: Philosophische Anthropologie (Freiburg/Mün­chen: Alber 1974); G. Haeffner: Philosophische Anthropologie (Mainz: Kohlhammer 1982): H.-G. Gadamer, P. Vogler, Hrsg.: Neue Anthropologie (Stuttgart: Thieme 1972) 7 Bde. (Philos.Anthropologie Bd. 6/7); H. Rombach, Hrsg.: Die Frage nach dem Menschen. Aufriss einer philosophischen Anthro­pologie (Freiburg/München: Alber 1966).

5. Die Angaben aus der „Summa theologica“ (ST) beziehen sich auf die ed.Leonina (Rom: Forzani 1923). Die Angaben aus anderen Werken beziehen sich auf die Marietti-Ausgaben. Die Übersetzungen stammen, falls nicht anders vermerkt, alle v.Vf.

6. Vgl. A. Baruzzi: Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae (München: Fink 1973).

7. Vgl. zum Beispiel G. Simons: Sind Computer lebendig? (München: Harnack 1984), D. Ritchie: Gehirn und Computer (Stuttgart: Klett-Cotta 1984), sowie D.R. Hofstadter, D.C.Dennet, Hrsg.: Einsicht ins Ich (Stuttgart: Klett-Cotta 1986). Eine gute historische Darstellung bietet P. McCorduck: Machines Who Think (San Francisco 1979).

8. Vgl. Jean Brun: Biographie de la machine. In: Les Etudes Philosophi­ques (1985) S. 3-16. Dazu v.Vf.: Die Inszenierung des Denkens. In: Mensch -Natur - Gesellschaft Jg. 5 (1988) 1, S. 18-31, sowie: La chose à penser. In: Schriftenreihe des Inst. f. Romanistik, Univ. Mannheim (1988).

9. Vgl. W. Stählich: Art. Engellehre. In: Ritter, J., Hrsg.: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Stuttgart: Schwab 1974ff).

10. Vgl. H.M. Nobis: Art. Engellehre. In: J. Ritter u.a.  Hrsg.: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Stuttgart: Schwab 1974 ff) Sp. 500-503. Laut Nobis war Porphyrios der erste Philosoph, der eine genaue Lehre vom Wesen und den Aufgaben der Engel entwickelte. Seine Engellehre wurde von Jamblichos, Proklos und Origenes weiter ausgebaut: "Seit dem 16. Jh. wurde die Engellehre in die Lehrbücher der scholastischen Philosophie aufgenommen und galt noch Anfang des 18. Jh. als Teil der speziellen Metaphysik." Vgl. J. Michl: Engel I-XI. In: Reallexikon für Antike und Christentum (1950 ff) Bd. V. Sp. 53-258; J. Hoffmeister: Art. Engel in ders.: Wörterbuch der philosophischen Begriffe (Hamburg: Meiner 1955, 2.Aufl.), der auf Philo (geb. um 25 v.Chr.) hinweist. Vgl. auch v.Vf.: Von der Künstlichen Intelligenz als einem ästhetischen Phänomen. Eine kritische Reflexion in Kantischer Absicht. In: Proceedings des XVIII. Weltkongresses für Philosophie (Brighton, GB, 1988).

11. Vgl. A. Rosenberg: Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines Urbildes (München: Prestel 1967).

12. a.a.O. S. 50. Das hebräische Wort "malach" bedeutet ebenfalls Bote oder Verkünder.

13. Vgl. A. Rosenberg: Engel und Dämonen. S. 12ff.

14. Vgl. U. Mann: Das Wunderbare (Gütersloh: Mohn 1979) S. 47ff. mit Hinweis auf die E.vorstellungen im Buddhismus (Antithese: die guten Genien vs. das Dämone­nheer des Mara).

15. P. Huber: Heilige Berge (Zürich: Benziger 1980) S. 190.

16. "Tausendmal tausend dienten ihm, und zehn­tausendmal zenhtau­send standen vor ihm" (Dan. 7,10). Sie lenken den Himmel, hüten das Paradies und schützen Völker. Das "Lob des Herren" ist aber oberste Funk­tion. "Wo warest Du", so Gott an Hiob, "da mich die Morgensterne mitein­ander lobten und jauchzten alle Kinder Gottes?" (Hiob 38, 4-7). Vgl. R. Hammer­stein: Die Musik der Engel (Bern: Francke 1962) S. 17.

17. Is. 6, 1-4: "Ich sah den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabe­nen Stuh, und sein Saum füllte den Tempel. Seraphim standen über ihm; ein jeglicher hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie." (Is. 6, 1-4) vgl. auch Ez. 1, 24.

18. Diese sieben sind: Michael/Victoriosus; Gabriel/Nuntius; Raphael/­Med­icus, Uriel/Fortus Socius, Jehudiel/Remunerator, Barachi­el/Adjutor, Sealthiel/Orator. Michael herrscht über Israel sowie über das Chaos/Drachen, er ist Führer des Heeres und Seelengeleiter (cf. Hermes). Gabriel, d.h. Kraft Gottes: behütet das kommende Leben und öffnet die Tore des Himmels, er erschließt den Propheten (z.B. Daniel) die Geheimnisse. Uriel ist der Führer der Stern­geister, wird in der Bibel aber nicht genan­nt. Er hütet die Tore zur Unterwelt. Raphael, der Freund des Menschen (Tobias), heißt "Gott heilt" oder "Gott ist Heiland". Davon zeugt die Geschichte des Tobias.

19. Die „Bible de Jérusalem“ deutet diese Erscheinung als Jahwe in Beglei­tung zweier Engel (wovon in Gen 19,1 die Rede ist). Die Tradition sah hier eine Vorankündigung der Trinität.

20. Der Ort dieser göttlichen Erscheinung heißt "Morija" ("Gottessicht", Gen 22, 14). Zur Bedeutung dieses heiligen Berges vgl. P. Huber: Heilige Berge (Zürich: Benziger 1980) S. 10-11. Eine andere für die Engellehre folgenreiche Erscheinung stellt Jakobs Traum an der heiligen Stätte Be-El (Gen 28, 10-21) dar: "Da träumte ihm, eine Leiter sei auf die Erde gestellt, die mit der Spitze an den Himmel rührte, und die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder". Seit Philon sahen die Kir­chenväter hier ein Bild der Gottesvorsehung durch seine Engel. Der Evan­gelist Johannes nimmt darauf bezug (Joh 1, 51): Natanael wundert sich, daß Jesus ihn "unter dem Feigen­baum" gesehen hat. Jesus: "Größeres als dieses wirst du sehen (...) Ihr werden den Himmel offen und die Engel Gottes über dem Menschensohn auf- und niedersteigen sehen."

21. "Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach". Dabei verrenkt ihm der Engelfürst das Hüftg­elenk. Jakob will ihn trotzdem nicht loslassen, bis er ihn segnet. Da antwor­tet der Engel: "Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel (Gottesstre­iter), denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast ob­gesiegt." Daraufhin nennt Jakob den Ort des Kampfes "Penuel", d.h. "Angesicht Gottes", denn, so Jakob: "ich habe Gott von ­Angesicht zu An­gesicht ge­schaut und bin trotzdem am Leben geblieben."

22. Der Engel des Herren erschien Moses bei seiner Berufung (Ex. 3, 1-15) in einer Feuerflamme, die aus dem Dornbusch brannte. Vgl.auch Bileam und die sprechende Eselin (Num 22, 22-35), Go­tteser­schein­ung vor Josua (Jos. 5, 13-15), Simsons Berufung (Ri 13, 1-24), Pest- oder Würgenengel (2 Sam 24, 15-25), Daniel in der Löwengrube (Dan 6, 21ff).

23. Vgl. H. Schade: Dämonen und Monstren (Regensburg: Pustet 1962).

24. Vgl. A. Rosenberg, a.a.O. S. 22.  Grundlegend  über den Seelen- und Dämonenkult in der griechischen Antike: E. Rohde: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (Tübingen: Mohr 1921) 2 Bde.

25. E. Rohde, a.a.O. I, S. 97-98 sowie S. 107. Die Menschen des dritten "ehernen" Geschlechts gelangten in den Hades. Nur einige Helden des vierten "heroischen" Geschlechts wurden von Zeus auf den Inseln der Seeligen angesiedelt. Im jetztigen "eisernen" Zeitalter herrscht Mühe, Sorge und Gewalt, wovon es keine Rettung mehr gibt. Vgl. Hesiod, Werke und Tage, a.a.O. 109-201. Vgl. Keneth J. Dover: Religiöse und moralische Haltungen der Griechen. In: Propyläen Geschichte der Literatur (Berlin: Propyläen Verl. 1981) Bd.1, S. 68-79.

26. Vgl. Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart (Stuttgart: Deutsche Verl.anst. 1949) 2 Bde. Bd. 1, S. 334: über das ägyptische "ba", das später menschliche Gestalt annahm und zum Engel wurde. Es entspricht den Harpyien und Sirenen, die Gegenbilder der Musen.

27. In der Vision des Er (Polit. 614a - 617c) treten die Sirenen als mit dem Himmelssphären (genauer: acht "Eimer" von verschiedener Breite, die sich um die Weltachse drehen) mitschwingenden und dabei in einem Wohllaut (der sich aus den acht harmonischen Tönen ergibt) singen­den Wesen. Vgl. den Zusammenhang zur engelischen Musik: R. Ham­merstein: Die Musik der Engel. Untersuchungen zur Musikanschauung des Mittelalters (Bern/München: Francke 1962) S. 82.

28. Über den Zusammenhang zwischen den Platonischen Erkenntnisstu­fen und der Künstlichen Intelligenz vgl. C. Leidlmair: Artificial Intelligence als ein philosophisches Problem. In: Philos. Jahrbuch 94 (1987) 2, 372-387.

29. Zu dieser hier nicht weiter zu verfolgenden Entwick­lung gehören etwa Philon (um 25 v.Chr - 50 n.Chr.), Plutarch (45-120 n.Chr.), Plotin (205-270 n.Chr.), Proklos (410-480 n.Chr.), Boethius (um 480-524 n.Chr.).

30. Zur Engellehre aus katholischer Sicht vgl. Joseph Auer, Joseph Ratzinger: Kleine katholisc­he Dogmatik (Regensburg: Puster 1975), Bd. 3, S. 389-484, 501-522 sowie die klassischen Darstellungen von: Jean Daniélou: Die Sendung der Engel (Salzburg: Müller 1963) und Alois Winklhofer: Die Welt der Engel (Buch-Kunstverlag: Ettal 1958). Grundlegend: W. Grundmann: "angelos" im Griechentum und Hellenismus. In: G. Kittel, Hrsg.: Theologi­sches Wörterbuch zum Neuen Testament. (Stuttgart: Kohlhammer 1933, Nachdr. 1953). Vgl. dazu v.Vf.: Information (München: Saur 1968) S. 46-49. 

31. Wir haben hier, so Winklhofer (a.a.O. S.18) mit der christlichen Schöp­fungslehre zu tun, "die für eine künftige übernatürliche Verklärung bestimmt ist, und mit Engeln, die aus einer Bewährung oder einem Versagen gegen­über der großen Gnade Gottes heraus die Schöpfung als Spiegel der Herr­lichkeit Gottes, die darin immer deutlicher aufleuchten soll".

32. So z.B. bei Augustinus, der die Lehre von den Schutzengeln weiter­entwickelte. Vgl. K. Pelz: Die Engellehre des hl. Augustinus. (Münster, 1913), sowie auch bei Athanasius, Cyrill v. Alexandrien, Basilius, Gregor von Nyssa, Joh. Damascenus u.a. bei denen die Lehre vom Ätherhimmel und vom Ätherleib der Seele und der Engel dargestellt wird.

33. Vgl. Opera Omnia (Migne, Patrologiae Gracae, T. III). Ferner: Dionysios Areopagita: Die Hierarchien der Engel und der Kirche. Einführung von H. Ball (München: Barth 1955).

34. Die Triaden sind: 1) Seraphim, Cherubim, Throne; 2) Herrschaften, Mächte ("dynameis"), Gewalten ("exousiai"); 3) Fürstentümmer ("archai"), Erzengel ("archangeloi"), Engel ("angeloi"). Diese Systematisierung kommt in der Bibel nicht vor. Der Teufel ist ein gefallener Lichtengel (1. Hierarchie) Vgl. A. Rosenberg: Engel und Dämonen (München: Prestel 1967).

35. Vgl. P. Huber: Heilige Berge (Zürich: Benziger 1980) S. 15 sowie S.116-118 (11.Jh. Sinai­kloster, Cod. Graec.  401). Der Kirchenvater spricht vom "Engelsgesicht" Christi (Oratio XLV), ein Motiv, daß auf die Habakuk-Vision (Hab. 3,4) zurückgeht. Aufschlußreich sind die Ausführungen Hubers über Kosmas (6. Jh.) "Christlicher Topographie": Die Engel als Licht- oder Lam­penträger bewegen die Gestirne. Sie gehören zur "unteren Katastase", d.h. sie sind für Kosmas im menschlich-geschichtlichen Bereich angesiedelt und bilden mit den Menschen eine Familien, wovon Christus das Haupt ist. Sie dienen also eher den Menschen als Gott, indem sie unsere Bitten vor ihm tragen.

36. Vgl. auch Al-Qazwini: Die Wunder des Himmels und der Erde (Stuttgart: Erdmann 1986).

37. Legenda Aurea (Köln: Benz, 1969) S. 755. Vgl. H. u. M. Schmidt: Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst (München: Beck 1981) S. 132.

38. Vgl. A. Rosenberg, a.a.O. Vgl. die kräftigen reichgelockten Engel Botticellis, die eine Vermenschlichung der Engel bzw. eine Erhöhung des Menschen zum Ausdruck bringen. Ferner auch den Typus des nackten Jünglingsengels bei Michelangelo, als Ausdruck sinnlich-übersinnlicher Schönheit (Posaunenbläser der Sistina), Raffaels Engel in der Chigi-Kapelle bis hin zum fränkischen Jüngling des Isenheimer-Altars sowie zu Veit Stoß'Verkündigungsengel und Dürers kämpfenden Engel (Blätter zur Apoka­lypse). Im Barock gehören die Engel zum Himmel und zur Erde. Das Rokoko übertreibt das Spielerische ("theatrum angelorum"). Die Engel treten als Chorführer und Tänzer, als Epheben und Putti, in Reigen auf.

39. Vgl. U. Mann: Das Wunderbare (Gütersloh: Mohn 1979). Luther entfaltet eine (streng an die Schrift orientierte) Engellehre in seiner "Michaelispredigt" sowie im Bekenntnis vom Abendmahl (WA 26). Dabei unterscheidet er zwischen der "repletiven" Allgegenwart Gottes und der "cir­cumscrip­tiven" Gegenwart alles Körperlichen. Engel und Dämonen haben eine "diffinitive" Anwesenheit", d.h. sie können in einem Haus, einer Stadt, einer Nußschale usw. aber nicht zugleich an verschiedenen Orten, anwesend sein. Durch den zweiten Schmalkaldischen Artikel wurde, so Nobis (a.a.O.), die Engellehre innerhalb  des Protestantismus unterbunden. Ein weiterer  Schritt tat Rudolph  Bultmann im Rahmen seiner "Entmythologisierung", indem er nämlich den "Geister- und Dämonenglaube" durch  "die Kräfte und Gesetze der Natur" für "erledigt" hält. Vgl. die Hinweise bei G. Adler: Erinnerung an die Engel, a.a.O. S. 62-63. Zur gegenwärtigen evangelischen Engellehre vgl. C. Westermann: Gottesengel brauchen keine Flügel. Stuttgart: Kreuz 1980, 2.Aufl.

40. Vgl. Descartes: Oeuvres (Paris: Adam & Tannery, 1908, Bd. X, S. 179-188). Von der Idee des Engels schreibt Descartes in den "Secondes Réponses" (vgl. ibid.: Oeuvres, Paris: Gallimard 1952, S. 374): eine solche Idee ist eine aus der Idee Gottes und der des Menschen zusammengesetzte. (vgl. auch die 3. Méditation). In den "Objections" (ibid. S. 406) bemerkt er, daß manche menschliche Gedanken wie "images" von Dingen sind, und nicht Ideen. Solche sind: Mensch, Chimäre, Himmel, Engel, Gott. So wenn er an einen Engel denkt, hat er die Vorstellung von einer Flamme oder eines Kindes mit Flügeln, und er weiß, daß diese der Wirklichkeit nicht ähneln bzw. daß sie keine Idee eines Engels sind. Im "Entretien avec Burman" (ibid. S. 1370) nimmt D. zu dem Argument Stellung, ob unser Geist mit dem der Engel gleich wäre, da beide ein denkendes Ding sind. Antwort: Ja, aber der Engel hat andere Vollkommenheiten. So zum Beispiel, daß sie sich gattungsmäßig voneinander unterscheiden, wovon Thomas von Aquin schrieb, als ob er nämlich "mitten zwischen ihnen gewesen wäre".

41. I. Kant: Werke (Frankfurt: Suhrkamp Werkausgabe, hrsg. W. Weisch­edel, 1977) Bd. 2, S. 919-989.  Vgl. auch die Stellen im "Opus Posthumum" z.B. Vorlesungen über Metaphysik (Akad. Ausg. Bd. XXVIII).

42. A. Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik. In: ibid. Sämtliche Werke, hrsg. v. Löhneysen (Frankfurt: Suhrkamp 1986) Bd. 3, S. 657-658.

43. Zitat aus: E. Bahr, Hrsg.: Was ist Aufklärung?  (Stuttgart: Reclam 1976) S. 38.

44. D.R. Hofstadter, D.C. Dennet: Einsicht ins Ich (Stuttgart: Klett-Cotta 1981). Vgl. auch D.R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach (Stuttgart: Klett-Cotte 1985, 2.verb. Aufl.). Vgl. auch: W. Coy: Industrieroboter: Zur Archäologie der zweiten Schöpfung (Berlin: Rotbuch Verl. 1985), A. Bammé u.a.: Maschinen-Menschen, Mensch-Maschinen. Grundrisse einer sozialen Beziehung (Reinbek b. Hamburg: Rowohl 1986).

45. S. Lem: Also sprach GOLEM (Frankfurt: Insel 1984) S. 39.

46. a.a.O. S. 43.

47. a.a.O. S. 107.

48. P. McCorduck: Machines Who Think. A Personal Inquiry into the History and Prospects of Artificial Intelligence (San Francisco: Freeman 1979).

49. a.a.O. S. 335.

50. Vgl. v.Vf.: Hermeneutik der Fachinformation (Freiburg/München 1986) S. 204-209. Vgl. A. Beckermann: Kann die Künstliche Intelligenz-Forschung Fragen der Philosophie beantworten? In: H. Stoyan, Hrsg.: GWAI-85, 9th German Workshop on Artificial Intelligence (Berlin: Springer 1986) S. 2-25; W. Daiser: Künstli­che Intelligenz Forschung und ihre epistemologi­sche Grundlagen (Frankfurt: Lang 1984). Ferner M. Boden: Artificial Intelli­gence and Natural Man (New York: Basic Books 1977); J. Haugeland, Hrsg.: Mind Design (Cambridge: MIT Pr. 1981). Daniel C. Dennett: Brains­torms: Philosophical Essays on Mind and Psycho­logy (Montgomery, Vt.: Bradford 1981); M. Ringle, Hrsg.: Philoso­phical Perspec­tives on Artificial Intelligence (New Jersey: Humanities Pr. 1979), A. Sloman: The Computer Revolution in Philosophy (Brighton: Har­vester 1979); D. Ritchie: Gehirn und Computer (Stuttgart: Klett-Cotta 1984); G. Simons: Sind Com­puter lebendig? (München: Harnack 1984). Grundlegend für die Analyse der breiten psychologischen und sozialen Auswirkungen des Com­puters: S. Turkle: Die Wunschmaschine (Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1984). Zum "neuen" Gebiet "cognitive science" vgl. H. Gardner: The Mind's New Science (New York: Basic Books 1985); P. Slezak, W.R. Albury, Hrsg.: Computers, Brains and Minds. (Dordrecht: Kluwer 1988); D. H. Helman: Analogical Reasoning (Dordrecht: Kluswer 1988); J. Kulas, J.H. Fetzer: Philosophy, Language, and Artificial Intelligence (Dordrecht: Kluwer 1988).

51. A. Rosenberg, a.a.O. S. 59.

52. Vgl. P. Duhem: Le Système du Monde (Paris: Hermann o.D.) Bd. 5. Für Ibn Gabirol (bzw. Avicebron) sind die Intelligenzen ein Gesamt aus Materie und Form, wobei die Materie eine den körperlichen und geistigen Substanzen gemeinsame ist. Die "intelligentiae" sind wiederum in der "forma universalis" enthalten.

53. Vgl. J. Auer, J. Ratzinger: Kleine katholische Dogmatik (Regensburg: Pustet 1975) Bd. III, S. 417: "bei Thomas und seinen Anhängern werden die Engel trotz ihrer Geschöpflichkeit, wegen ihrer reinen Geistigkeit, mehr in Analogie zum menschlichen Verständnis vom göttlichen Geist gesehen, bei Scotus und seinen Anhängern ist das Maßbild für das Verständnis der Engel mehr die menschliche Seele."

54. Zur theologischen Engellehre vgl. G. Tavard: Die Engel. In: M. Schmaux, A. Grillmeier, L. Scheffczyk, Hrsg.: Handbuch der Dogmenge­schichte. (Freiburg: Herder 1968) Bd. 2.

55. Vgl. D.R. Hofstadter, D.D. Dennett: Einsicht ins Ich (Stuttgart: Klett-Cotta 1986) S. 366. Vgl. auch: John R. Searle: Geist, Hirn und Wis­senschaft (Frankfurt: Suhrkamp 1986).

56. Vgl. G. Hottois: Le signe et la technique (Paris: Aubier 1984). Vgl. dazu v.Vf.: Technics, Ethics, and the Question of Phenomenologiy. In: A.-T. Tymieniecka, Hrsg.: Morality within the Life- and Social World. Analecta Husserliana XXII (Dordrecht: Reidel 1987) 475-482.

57. Vgl. G. Hottois, a.a.O.  S. 51.

58. In der "Summa theologica" wird die Engellehre ausdrückl­ich in 25 der 59 quaestiones der I. Pars, 50-65 sowie 106-114 behandelt. Es handelt sich also, allein vom Umfang her, nicht um ein Nebenthema, sondern diese quaestiones umrahmen sozusagen die quaestio de homine.

59. Daher der Unterschied zwischen dem Sein Gottes ("esse subsistens") und dem Sein, das von allen (!) Geschöpfen geteilt wird ("esse commune"), wodurch wir also die Analogie zwischen materiellen und immateriellen Substanzen vollziehen können. Vgl. R. Gumppenberg: Zur Seinslehre in "De ente et essentia". In: K. Bernath, Hrsg.: Thomas von Aquin (Darmstadt: Wiss. Buchges. 1981) Bd.2, S. 366-385. Wie P. Duhem bemerkt (op.cit. S. 496) bricht Thomas mit dem Aristotelismus (und folgt Avicenna) indem er "potentia" ohne "materia" denkt. Vgl. Quaestio disp. de creat.spir. (art. 5): In talibus essentia est ipsummet individuum subsistens.

60. Thomas v. Aquin: De ente et essentia, Kap. 4, 179.

61. Thomas v. Aquin: De ente et essentia, op.cit. Kap. 5, 55: "Et ideo in talibus substantiis (i.e. in substantiis creatis intellectualibus, RC) non invenitur multitudo individuorum in una specie, ut dictum est, nisi in anima humana propter corpus cui unitur."

62. Vgl. P. Duhem, op.cit. S. 511ff.

63. Für Max Müller (Sein und Geist. Systematische Untersuchungen über Grundproblem und Aufbau mittelalterlicher Ontologie. Freiburg/Mün­chen: Alber 1981, 2.Aufl, S. 196-98), bildet der Unterschied endlich/un­endlich lediglich die notwendige Bedingung für die Existenz der Engel, während die Materia­lität die Wesensdifferenz bzw. die hinreichende Bedin­gungen endli­cher Wesen darstellt. Da diese letztere Bedingung nach thomi­stischer Lehre bei den Engeln fehlt, hängt für Thomas, so Max Müller, die "essentiale Unendlich­keit" des engelischen Wesens von seiner "existen­tialen Endlichkeit" ab. Beim Men­schen ist jene "essentiale Unendlichk­eit" nur "poten­tiell", da die "materia" das Wirklichsein der Seele einschränkt.

64. Auch wenn sie den Himmel bewegen, sagt Thomas im Hinblick auf Aristoteles, geht der Philosoph nicht davon aus, daß eine "substantia separata" alle Himmelssphären unmittelbar bewegt, was die Ubiquität voraus­setzen würde. (ST I, 52, a. 2).

65. S. Lem: Also sprach GOLEM, a.a.O. S. 128.

66. vgl. K. Rahner: Über Engel. In: ders.: Schriften zur Theologie (Köln: Einsiedeln 1978) Bd. XIII, S. 403.

67. Vgl. John R. Searle: Geist, Gehirn, Programm. In: D.R. Hofstadter, D.C. Dennett, Hrsg.: Einsicht ins Ich, a.a.O. S. 355.

68. Vgl. S.J. Schmidt: Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus (Frankfurt: Suhrkamp 1987).

69. Karl Rahner, Geist in Welt (München: Kösel 1957, 2.Aufl.) S. 248.

70. Der Engel "non aquirit scientiam a rebus, sed habet scientiam quasi activam et ideo non indiget anima sensitiva." (II. Sent. dist. 14 q.2 a.3 ad 3).

71. Vgl. ST I, 51, a. 1: "anima est infima in genere intellectualium et intellectuum". Vgl. K. Rahner, op.cit. S. 250.

72. a.a.O. S. 255.

73. a.a.O. S. 256.

74. a.a.O. So Thomas in Anschluß an "den Kommentator" (Averroes, In De anima, III, comm. 5) bzw. an Aristoteles De anima III, Kap. 4, 429 b 31 - 430 a 2.

75. Vgl. K. Rahner: Geist in Welt (München: Kösel 1957, 2. i.Auftrag des Vf. überarbeitet und ergänzt von J.B. Metz).

76. Der Unterschied zwischen engelischer und menschlicher Erkenntnis im Hinblick auf die Erkenntnis Gottes kommt in der folgenden Darstellung deutlich hervor. Etwas kann auf dreifacher Weise erkannt werden: erstens, durch sein Wesen im Erkennenden ("wie das Auge das Licht"), zweitens, durch die durch die Abwesenheit des Gegenstandes in der Erkenntnis verbleibende Ähnlichkeit, und drittens, wenn diese Ähnlichkeit nicht von den Dingen her stammt, sondern durch eine weitere Vermittlung übertragen, wie wenn wir einen Menschen im Spiegel sehen. So ist, in bezug auf Gott, die zweite Möglichkeit die engelische, die dritte die menschliche (ST I, 56, a. 3).

77. Vgl. H.L. Dreyfus: Die Grenzen künstlicher Intelligenz. (Königstein/­Taunus: Athenäum 1985) S. 15.

78. Zum Begriff der "wahrnehmenden" (oder "sinnlichen") "Intelligenz" vgl. Xavier Zubiri: Inteligencia sentiente (Madrid: Alianza Editorial 1980).

79. Vgl. M. Eliade: Mythos und Wirklichkeit (Frankfurt: Insel 1988) S. 118-130.

80. H.L. Dreyfus, S.E. Dreyfus: Künstliche Intelligenz. Von den Grenzen der Denkmaschine und dem Wert der Intuition (Reinbek b. Hamburg: Rowohl 1986).

81. P. Duhem, Le système du monde, a.a.O. Bd. V, S. 536-570.

82. Vgl. ST I, q. LXVI, art. 2: Utrum sit una materia in formis omnium corporalium.

83. So werden z.B. in der Schrift "In IIm librum Senten­tiarum" die Engel als "motores" der Himmel ­aber nicht als deren "animae" bezeichnet während in der "Summa contra Gentiles" auf die "Vielheit der getrennten Substan­zen" außer denen (!), die mit den Himmels­körper vereint sind (SCG II, 91) hingewiesen wird, wobei Thomas die philosophische These von der "Be­seelung des Himmels" ("de animatione coeli") vom Glauben her offen läßt (SCG II, 70). Im Spätwerk "De substan­tiis separatis seu de angelorum natura" stellt Thomas die aristotelische These dar, wonach zwischen uns und Gott ("inter nos et summum Deum") zwei Arten von "intellektuellen Substan­zen", nämlich die "substantiae separatae", d.h. die Engel, und die Seelen der Himmelskörper ("animae orbium") gibt. Entschei­dend bleibt dabei für Thomas, daß alle "getrennten Substanzen" nicht durch ein "Hervorgehen" bzw. durch Emana­tion ("generat­io", "mutatio"), sondern durch "Schöp­fung" ("productio", "crea­tio") entstanden (a.a.O. Kap. 17). In seiner Analyse der aristotelischen Metaphysik ("In Aristotelis libros Meta­physicorum expositio") stellen die "substantiae separa­tae" den philosophi­schen Weg zur Gotteserkenntnis, so wie im Aristotelis­chen Höhlengleichnis (Fragment 12), dar: Wenn die Men­schen den unveränd­erlichen Lauf der Gestirne geschaut hätten, dann hätten sie geglaubt, es gebe Götter und diese Herrlichkeiten seien ihr Werk. Thomas betont, daß für Aris­toteles die mythologische Auffassung der "intelligentiae separatae" als Götter, den Sinn eines Durchgangs zum all­einigen höchsten Prinzip hat (In XII Metaph. 12, n. 2663).

84. Vgl. J.-M. Aubert: Le monde physique en tant que totalité et la causalité universelle selon Saint Thomas d'Aquin. In: L. Elders, Hrsg.: La philosophie de la nature de Saint Thomas d'Aquin (Rom: Libr.Ed. Vaticana 1982) S. 82-106. In einem von der eigentlichen Behandlung der Engellehre geson­derten (!) Artikel der ST be­handelt Thomas die Frage nach der Be­seelung der Himmelskörper (ST I, 70, a. 3), wobei er diese nicht im Sinne von "materia/forma", sondern als Bewegungskraft ("per contactum virtutis", "ut motores") deutet. In der "Quaestio disputata de spiritualibus creaturis" (a.6) geht Thomas von zwei Ordnungen geistiger Substanzen aus: 1) die, welche mit den Himmels­kör­pern als "motores" vereint sind, und 2) die, welche das Ziel dieser Bewegun­gen sind, ohne mit Körpern vereint zu sein. ("corporibus non unitae"). In diesem Zusammenhang vergleicht er die engelische "custodia" eines Menschen mit der eines himmlischen Körpers. Duhem, a.a.O. S. 558ff. bemerkt, daß Thomas in der Frage nach der exakten Natur der himmlischen Beweger nie endgültig seine Unsicherheit ausräumen konnte, seine Präferenz aber für die Vermittlungsfunktion der Engel als Beweger zum Ausdruck brachte. So auch im "Opusculum XI. Responsio ad lectorem venetum" und in der Quaestio Quodlib. XII, a. IX.

85. Zum Begriff der "informatio materiae" in Zusammenhang mit der Metaphysik und Erkenntnistheorie des Aquinaten sowie mit seiner ideenge­schichtlichen Herkunft und Weiterentwicklung vgl. v.Vf.: Information (Mün­chen: Saur 1978) S. 106-138.

86. Vgl. v.Vf.: Die Verantwortbarkeit des Denkens. Künstliche Intel­ligenz aus ethischer Sicht. In: Forum für interdisz. Forschung 1 (1988) S. 15-21.

87. Vgl. N. Luhmann:  Die Zukunft der Demokratie. In: Akad. der Künste, Berlin: Der Traum der Vernunft, vom Elend der Aufklärung (Darm­stadt u. Neuwied: Luchterhand 1986) 2.Folge, S. 207-217. Vgl. auch ders. Zweckbegriff und Systemrationalität (Frankfurt: Suhrkamp 1973).

88. a.a.O. S. 18-19.

89. W. Ch. Zimmerli: Die Herausforderung der Philosophie durch den Computer. In: Forum für interdisziplinäre Forschung 1 (1988) 45-51.

90. Vgl. K. Rahner, Über Engel, a.a.O. Zum "künstlichen" Wesen des Menschen vgl. W. Schirmacher: Technik und Gelassenheit (Freiburg/München: Alber 1983) dazu v.Vf.: Zeitkritik vor und nach Heidegger. In: W. Schir­macher, Hrsg. Schopenhauer in der Postmoderne. Wien: Passagen Verlag 1989,  S. 59-70.

91. Vgl. K. Rahner: Experiment Mensch. Theologisches über die Selbst­manipulation des Menschen. In: H. Rombach: Die Frage nach dem Menschen (Freiburg/München: Alber 1966) S. 45-69.

92. Vgl. M. Heidegger: Vom Wesen der Wahrheit (Frankfurt: Kloster­mann 1976) sowie ders.: Einführung in die Metaphysik (Tübingen: Niemeyer 1976) S. 112ff.


Letzte Änderung: 3. Februar  2017

 
 
 
 
    

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