Angeletics


Work in Progress

Rafael Capurro






CONTENTS

I. RESOURCES

II. EXCERPTS & INTERPRETATIONS

Part I
1. Greek, Egyptian, and  Hebrew traditions

Part II
2. Arabic and Persian  traditions
3. Latin tradition
4. Spanish and Latin American traditions

Part III
5. Far East tradition
6. African tradition
7. German tradition

Part IV
8. English tradition
9. French tradition

III. VARIA 1 / VARIA 2

IV DRAFTS

V. IMPACT

VI.
BIBLIOGRAPHY





IV. DRAFTS


  

ON SIGMUND FREUD


Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-17), in Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey (eds.): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, Frankfurt am Main: S. Fischer,Vol. I. (Engl. transl. 
G. Stanley Hall: A General Introduction to Psychoanalysis, New York 1920.

Closing the lecture 18 of the Second Part: The Dream of the Introduction to Psychoanalysis (1915-1916) Sigmund Freud writes:

Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heute psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt, von dem, was unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht. (Freud 1989, p. 284)

The third and most sensitive offence [besides the ones by Copernicus and Darwin, RC] experienced by human megalomania is due to present-day psychological research, which wants to prove to the ‘I’ that it is not even master in its own home, but is dependent upon scanty messages concerning all that goes on unconsciously in the life of its soul. 

Where are the “sparse messages” coming from our individual and social self-concealment in a society that calls itself ‘information society’? Are we, information and communication scientists, aware of them? Are there any symptoms we can and do perceive? Is it the simple fact of being and having been overwhelmed day by day – and night by night – here and there and everywhere with all kinds of digital messengers and messages? We call this symptom ‘information overload’ which is a kind of fuzzy term for different but related phenomena. “Sparse messages” come from beyond the digital, that is to say, they come from our bodies, our face-to-face relations, our life in the physical world that we share with others. Such symptoms of not being even masters of one’s own self or as a self sharing with others a common physical world, become manifest, for instance, in personal burn-out syndrome. Information societies react to the challenges and dangers arising from the digital sphere that permeate them at all levels, with different kinds of control and surveillance systems and devices in order to prove to themselves that they are masters in their own home. But if symptoms that we are not masters in our personal homes are so empirically evident, how can we pretend to be masters at the social level? And how can we advise others, persons or societies, that the situations brought about by digital technology can be mastered, if we are not able to master them in our own homes? These are key ethical issues of information societies. They concern not what but who we are.

Freud was a wise man. So he added the following sentences to the ones quoted:

Auch diese Mahnung zur Einkehr haben wir Psychoanalytiker nicht zuerst und nicht als die einzigen vorgetragen, aber es scheint uns beschieden, sie am eindringlichsten zu vertreten und durch Erfahrungsmaterial, das jedem einzelnen nahegeht, zu erhärten. (Freud 1989, p. 284)

We psychoanalysts were neither the first, nor the only ones to announce this admonition to self-examination. It appears that we are fated to represent it most insistently and to confirm it by means of empirical data which are of importance to every single person.

Information and communication scientists are not the first to announce the admonition to self-examination which goes back in the Western tradition to, for instance, Plato’s criticism of writing. Maybe we should speak about message societies in so far as a main phenomenon underlying social life is the one of message transmission, a term that is at the core of Shannon’s mathematical theory of communication but remains undefined. Becoming aware of the “sparse messages” (and messengers) coming from beyond the digital might be as uncanny for present message societies as it was Freud’s discovery of messages coming from ‘beyond’ consciousness. If this is the case, our discovery will be probably rejected or repressed or minimalized as something we can master with more digital technology until our selves become indistinguishable from computational machines that we are able to fully understand because we have produced them on the basis of quantification. But even then, in case we can eventually explain what consciousness is, I guess that, if we still retain some kind of wisdom, we might be able to perceive some strange “sparse messages”. If I am right, then we should conceive a science that is particularly aware of such messages. I have gotten used to calling it angeletics.



WARUM EINE BOTEN-/BOTSCHAFTSTHEORIE?


Warum eine Boten-/Botschaftstheorie? Der unmittelbare Grund ist die Wahrnehmung des Rangs des Boten-/Botschaftsphänomens in der entstehenden Weltkultur. Ich deute die vielbesprochene Globalisierung als ein angeletisches Phänomen. Hinter dem Ausdruck ‘angeletisch’ verbirgt sich keine esoterische Lehre über heilige Boten - obwohl die theologische Engellehre eine nicht unbedeutende Inspirationsquelle dafür ist -, sondern dieser Ausdruck weist auf schlichte Tatsachen bzw. auf  Tat-Sachen, nämlich auf das Melden, Verkünden, Mitteilen, Informieren, Bekanntmachen, Kundtun und Dolmetschens, hin. Die Sache der Angeletik ist eine Tat-Sache in dem Sinne, daß sie der theoretischen Arbeit des Erklärens und Auslegens vorausgeht. Die Theorie des Erklärens und Auslegens, als Hermeneutik oder Methodenlehre, setzt immer voraus,  daß es etwas überhaupt da ist, was sich als auslegungsbedürftig kundtut.

 

OFFEBARUNGSTHEORIE DER WAHRHEIT


Es macht meines Erachtens die besondere Stärke der Heideggerschen Hermeneutik aus, daß sie das angeletische Moment, das ‘Daß’ oder das ‘daß es etwas gibt und nicht vielmehr nicht gibt’, vor allem theoretischem Erkennen und vor aller  Auslegung, hervorhebt, während sowohl die Hermeneutik Gadamers als auch die heutigen Theorien der Interpretation dieses ‘prä-logische’ Moment entweder nicht thematisieren oder für überflüssig und trivial halten. So hat zum Beispiel der kritische Rationalist Hans Albert die hermeneutische Wahrheitstheorie als eine „Offenbarungstheorie der Wahrheit“ besonders heftig und ‘nach Art des Hauses’ polemisch attackiert. 

Obwohl er dabei Heidegger und Gadamer ‘unisono’ in Visier hatte, richtet sich dieser Angriff vor allem gegen den Heideggerschen Begriff der Wahrheit als „Un-Verborgenheit“ (gr. ‘aletheia’). Heidegger hatte nämlich der in der griechischen Welterfahrung das ‘Von sich aus Aufgehende’, das phainomenon, neu entdeckt und diese Welterfahrung gegenüber zum Beispiel der Weltkonstruktion der modernen Subjektivität abgehoben. Der hermeneutische logos der Heideggerschen Phänomenologie geht vom Sichmelden des Phänomens aus, will sagen, der logos ist seiner Abkünftigkeit bewußt. Die Heideggersche Phänomenologie dreht sich von Anfang an um die Natur dieses Phänomens des Sichmeldens selbst. 

Für Gadamer hat das Verstehen Vorrang gegenüber der Ontologie gemäß dem Motto „Sein, das verstanden werden kann ist Sprache“. Mit dieser „Urbanisierung der Heideggerschen Provinz“ (Habermas) verliert aber die Hermeneutik die sie ermöglichende und von ihr nicht einzuholende Dimension des Seins. Der späte Heidegger wird Geschichte und Sprache im Sinne des sich ereignenden „Schickens“ eines „Seingeschicks deuten, dem unsere Sinnentwürfe nur jeweils zu entsprechen vermögen, ohne sie aber von einem neutralen oder außergeschichtlichen Ort zu überblicken.


LOGIK UND ANGELETIK

Gleichwohl gilt es, daß eine Boten/Botschafts-Theorie sich selbst der Interpretation eines Phänomens verdankt und somit sich der Arbeit des hermeneutischen und methodischen logos unterzieht. Sie würde aber ihre eigene Mitteilung oder ihr message verfehlen und dabei einen performativen  Selbstwiderspruch begehen, wollte sie sich im ‘lógos’, zum Beispiel als Logik, theoretisch einholen. Genau das Gegenteil behauptet sie, nämlich, daß der philosophische logos sich in der Logik einen bestimmten Regelwerk zur Zähmung der messages gibt. Der philosophische logos tut dies in Auseinandersetzung mit der Struktur mythischer Verkündung, aber er begreift sich dabei weniger als Transformation dieser Angeletik, sondern vielmehr als ihre Substitution. 

Die Geburt der Philosophie in Griechenland gründet in der sokratischen Kritik (z.B. im Dialog "Ion") des vertikalen oder hierarchischen Mitteilungsmodus ohne aber aufzuhören selbst Mitteilung zu sein und in vielfacher Weise auch missionarisch - etwa in Form der Gründung philosophischer Schulen - zu agieren. Anstelle der göttlichen und dichterischen angelía trat der philosophische logos als Dialektik (dialegethein) ein. Was aber wie eine Substitution aussah, war in Wahrheit eine Transformation im Sinne einer Säkularisierung der mytischen Sendestruktur. Woher aber sollten die neuen messages ihre Legitimität bekommen? Nicht mehr von der Autorität von Göttern und ihren Vermittlern - allen voran Hermes und die Dichter -, sondern vom logos selbst. Die Logik als Dialektik wurde zum Kern der philosophischen Angeletik.

Die philosophische Frage nach der logischen Unterscheidung zwischen ‘waren’ und ‘falschen’ messages zeigte sich zwar als universal anwendbar aber sie konnte diesen Anspruch, aufgrund ihres formalen Charakters nur mangelhaft erfüllen. Ferner zeigte sich auch, daß die Frage nach ‘wahr’ und ‘falsch’ weder zum Beispiel mit der techischen Frage nach dem funktionieren oder nicht funktionieren eines Gerätes noch mit der nach dem Erfolg oder Mißerfolg der Verbreitung von Nachrichten im politischen oder ökonomischen Bereich identisch. Die Logik war eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung der neuen philosophischen Verkündigungen auf allen Gebieten: von der Physik über die Pädagogik, Ethik, Politik bis hin zur Ökonomie.
 

TECHNE ANGELETIKE - ARS NUNTIANDI


Inwiefern läßt sich von einer Angeletik singulare tantum sprechen? Mir scheint es sinnvoll, wenn wir über eine Botschaftstheorie im anthropologischen (nicht anthropozentrischen) oder kulturellen Bereich reflektieren, dieses Phänomen in der Tat theoretisch sensu proprio als Angeletik zu kennzeichnen. 

Das Wort mutet etwas seltsam an. Soweit ich weiß, gab es keine mit diesem Titel ausgeführte téchne angeletiké in der griechischen Antike oder eine ars nuntiandi in der lateinischen Tradition, aber es gab eine techne rhetoriké sowie eine mythische und theologische Engellehre und eine vor allem durch das Christentum aber auch im Islam oder im Buddhismus entwickelte Theorie (und Praxis) über Verkündung göttlicher Botschaften Und es gab auch ein Nachdenken über Boten und Botschaften in Zusammenhan mit ökonomischen, militärischen und politischen Theorien
 

Die Angelelltik verbreitete sich bereits seit dem Beginn 20. Jahrhunderts in Form von Informations- und Kommunikationstheorien und gewann an gesellschaftlicher Bedeutung vor allem mit den Massen- und Individualmedien sowie zuletzt durch die digitale Weltvernetzung. Die digital messengers und messages haben eine paradigmatische Bedeutung für eine sich im Entstehen befindende Weltkultur, die sich auch gerne mit dem Wort Cyber schmückt. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine andere am Anfang des öfteren mit Skepsis betrachtete Wissenschaft unseres Jahrunderts, nämlich auf die Kybernetik hinweisen. Hier stehen die messages oder die Information im Dienste eines Steuerungsprozesses (gr. kybernein) und es ist auch kein Zufall, daß in unserem Jahrhundert die Managementlehre eine ungeahnte Entfaltung erfuhr. 

KANTISCHE TAT-SACHEN
 

Was soll eine künftige Botschaftstheorie leisten? Sie kann sich zunächst auf einer ontologischen oder strukturellen Ebene bewegen. Sie kann sodan die Einheit und Vielfalt menschlicher Mitteilungsformen thematisieren. Die Tat-Sache des Meldens, welche die Dimension des Anderenvoraussetzt, steht als Tat nur nachträglich dem menschlichen logos offen. Diese Nachträglichkeit des logos ist nicht nur von der Hermeneutik, sondern zum Beispiel auch von der kritischen Philosophie Kants hervorgehoben. Letzteres meint, in meinem Verständtnis, daß das Sichgeben (oder das Datum) des Realen nur dann theoretisch (a priori) einholbar ist, wenn wir durch den logos die Realität (der Ideen) ins Dasein rufen. Das ist aber, wie Kant bemerkte, das Privileg der göttlichen archetypischen im Gegensatz zu unserem abgeleiteten oder ektypischen Vernunft.

Anders gewendet und in Anschluß an Kant gedacht: Die Möglichkeit eine Welt zu konstruieren, sie wörtlich nach einem typos  (‘ek-typos’) zu in-formieren - sei es analog-mimetisch oder nach einem vorgegebenen Schema oder nach einem Algorithmus im Hinblick auf einen von uns gesetzten Zweck oder mit offenem Ausgang -, ist an die Möglichkeit eines Datums gebunden. Kants setzt sich mit der Frage der Legitimität dieses (Sich)Gebens auseinander. Gegenüber den engelischen Überschreitungen eines Emmanuel Swedenborg als auch gegenüber der scheinbar rationalen Kundschaft des Realen in der Leibnizschen Metaphysik vernimmt er die Botschaft der neuzeitlichen Wissenschaft, deren Geltung er freilich auch einschränkt. 

Vgl. meine Notizen: Was ist Metaphysik?. Der Kategorische Imperativ als der formale Ruf (!) des Gewissens, der uns zur Verallgemeinerung der Maximen unserer Handlungen auffordert, ist, angeletisch aufgefaßt, Kants praktische Entsprechung gegenüber  eines unbedingt sich meldendenVorgegebenen, dem Faktum der Vernunft, wonach (‘ek-typos’) wir unsere Handlungen in-formieren sollten. 

SÄKULARISIERTE ENGELLEHRE


Wie vernehmen wir aber wiederum die Kantische Botschaft heute, nach zweihundert Jahren von nachfolgenden und nach-folgenden Botschaften? Und wie steht es mit dem Anspruch einer Theorie welche diesen Prozeß des Meldens und Sichmeldens zum Gegenstand hat? Ist sie nicht selbst wiederum eine zu relativierende Botschaft? In der Tat. Eine, um mit Vattimo zu reden, starke oder metaphysische Angeletik wäre nichts anderes als eine göttlich, wissenschaftlich oder technisch sanktionierte Engellehre. Ich meine aber, daß ganz im Sinne Vattimos (und Heideggers) eine umgekehrte Interpretation unserer vernetzten Botschaftskultur möglich ist, nämlich im Sinne einer Abschwächung oder Säkularisierung von metaphysischen Botschaftstheorien und -praktiken. 

Ich spreche, in Anschluß an Heidegger, von Informations-Gestell und meine damit, daß die verschiedenen Formen des Stellens von Sprache nur prima facie in einem instrumentalischen Sinne verstanden werden können. Vielmehr lehren uns die technischen Meldungen (!) unserer Gegenwart, daß unsere Herrschaftsansprüche durch die Machtzumahme technischer Mittel dramatisch gegenüber etwa dem Modell der Handwerktechnik abgenommen hat. Das bedeutet nicht, daß ‘die Dinge’ nicht (gut oder schlecht) funktionieren. Sie funktionieren wie sie funktionieren und wir sind Cyborgs oder Teile dieses uns bis in den Alltag hinein bestimmenden Meldesystems. Dabei sind wir weniger kybernetische Organismen als halb organische halb elektronische Boten, weder Engel noch Tier, um an Pascal zu erinnern.

Will man daraus schließen, daß eine Botschaftstheorie nichts anderes sei als eine säkularisierte Engellehre, dann könnte man diesen Einwand insofern umkehren, als viele unserer abendländischen Theorien sich einer solchen Säkularisierung verdanken. Mit anderen Worten, der Einwand, falls er immer und für jede Botschaftstheorie in all ihren Aspekten zutreffen würde, was ich nicht glaube, wäre eher als ein Gütesiegel zu verstehen.

Wie steht es mit einer Angeletik, die, gerade wenn sie sich kritisch etwa gegenüber einer esoterischen oder theologischen Engellehre gibt, ihren eigenen eingeschränkten Geltungsanspruch anerkennen muß? Ich meine, daß man diese Frage genau im Sinne dieses letzten Einwands und im Sinne dieser Theorie auch beantworten kann, nämlich, daß man sich nicht von vornherein verschließen sollte, bevor man die Kunde einer (dieser) Theorie vernommen hat. Denn, was sind Theorien anders als Botschaften? Die Argumentation wirkt zwar zirkulär ist sie aber nicht. Denn eine Botschaftstheorie versteht sich durchaus in der Tradition des philosophischen logos auch und gerade wenn sie ihn angeletisch als Botschaft zu interpretieren versucht. Sie verlangt aber wiederum als Theorie nicht unbedingt gefolgt zu werden, etwa nach dem Motto: „Die Botschaft höre ich schon, allein mir fehlt der Glaube“ (Goethe). Sie gibt sich nicht, trotz des neuen und alten Namens als eine zu glaubende Offenbarung obwohl sie gerade dieses Moment des Offenbarens oder Kundtuns besonders hervorhebt. Wenn sie dabei an die Offenbarungstheologie erinnert, dann tut sie das vielmehr mit Bezug auf die allzu irdischen Boten (angeloi) und Botschaften, die in ökonomischer Absicht den Weltmarkt selbst als die frohe Botschaft preisen.


DIE ABSCHWÄCHUNG DER MYTHISCHEN ANGELIA

Um ein mögliches Mißverständnis vorzubeugen: Eine Angeletik in kritischer Absicht oder eine säkularisierte Engellehre, welche von der paradigmatischen Bedeutung der Weltvernetzung im Sinne eines generalisierten alle Gesellschaftschichten und alle Dimensionen menschlichen Seins berührenden (meistens auch bestimmenden) Phänomens ausgeht, versteht dieses Phänomen paradoxerweise als eine Abschwächung der starken Strukturen, die von metaphysischen Botschaftstheorien herstammen. Ich sage paradoxerweise weil die gegenwärtige Kulturkritik, einschließlich einer bestimmten Interpretation der Heideggerschen Technikdeutung, letztlich auf eine Dämonisierung und somit auf die angebliche Unbeherrschbarkeit und Irrationalität der modernen Technik hinzielt. Die gegenüberstehende Position versuchte wiederum den Menschen durch (noch) mehr Technik zur Herrschaft über die Technik zu verhelfen. Ich meine aber, daß die moderne Technik, die sich zuletzt als Informationstechnik mit der Metapher des Netzes immer mehr identifiziert und dabei die metaphysische Idee einer unverrückbaren zentralen Kontrollmacht aufgibt, weder als eine dämonische noch als eine bloß instrumentelle angemessen gedeutet werden kann. Wir würden dabei ihr entweder metaphysische Herrschaftsstrukturen, die ihren Charakteren von Offenheit und Zentrumslosigkeit widersprechen, beilegen, oderdiese Strukturen erneut für uns reklamieren wollen. Im letzteren Fall müßten wir aber unsere Augen vor der Tatsache verschließen, daß in noch viel stärkerem Maße als bei der herkömmlichen vor-digitalen Technik, die Technik der Chips and Bites uns als Meldetechnik so nahe steht, daß wir uns selbst als informationsverarbeitende Maschinen verstehen. 

So schief dieser Ausdruck im Hinblick auf die Reichhaltigkeit menschlichen Seins auch sein mag, er zeigt, daß wir dabei im Begriff sind, die Stärke metaphysischer Botschaftstheorien technisch abzuschwächen, ihnen zumindest Teil ihres Auras zu nehmen, so daß das Botschaftsphänomen, aufgrund technischer Machbarkeit und offener Struktur zugleich, zu einem neuen Sinnbild menschlichen Seins im Weltmaßstab werden kann. Natürlich besteht hier erneut die Gefahr einer metaphysischen Verfestigung im Sinne eines angeblichen wahrenMenschseins oder eines zu erreichenden Cyborgseins bis hin zu den evolutionären Vorstellungen eines vernetzten Weltgehirns. Man sieht, wir sind wieder bei einer nicht mehr theologischen, sondern technologischen Engellehre. Ich meine aber, daß eine sich davon unterscheidende kritische Angeletik, die mit der hier erst angedeuteten Begrifflichkeit arbeitet und die Tradition der Metaphysikkritik weiterführt, einen Beitrag zur Abschwächung missionarischer Ambitionen jeder Art (einschließlich ihrer eigenen) liefern kann. Sie will, mit anderen Worten, die angebliche Schwäche der entstehenden digital-vernetzten Weltkultur vom Standpunkt einer Schwäche metaphysischer Ansprüche als ein Positivum deuten, aber nicht im Sinne eines angeblichen irdischen Engelparadieses, sondern als Wahrnehmung eines Botschaftsraums - nichts anderes wäre der Cyberspace - dessen technischer Natur aus Chips and Bites eine Chance darstellt.




     

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